China und Doping

2021 – 2024 Massendoping im chinesischen Schwimmsport?

2022 – 2024 Recherchen der ARD-Dopingredaktion und der New York Times

Starke Verdachtshinweise legen nahe, dass 2021 vor den Olympischen Spielen in Tokio 23 chinesische Schwimmer*innen positiv auf Trimetazidin getestet wurden, diese Befunde aber ungerechtfertigter Weise seitens der chinesischen Anti-Doping-Agentur CHINADA mit Unterstützung einer dem Geheimdienst unterstehenden Polizeibehörde als unbeabsichtigtes Doping eingestuft wurden. Betroffen sind auch 3 Minderjährige. Die WADA hatte diese Einschätzung 2021 akzeptiert und verteidigt diese Entscheidung auch im April 2024  vehement, was viele Fragen aufwirft.

Die Untersuchungen zu der Affaire wurden zeitgleich aber unabhängig voneinander seitens der ARD-Dopingredaktion und der New York Times durchgeführt und nach Absprache zur selben Zeit veröffentlicht – mit gleichen Ergebnissen. Erste Hinweise gab ein Whistleblower, auch später noch gab es Hinweise..

sportschau: Video: Massendoping-Verdacht in China – WADA handelt nicht
sportschau: „Die Akte China“ – Fragen und Antworten
sportschau: Stellungnahmen zur „Akte China“ in voller Länge, 20.4.2024
RBB: Geheimsache Doping – der Podcast Die Akte China – Sonderfolge“

Die New York Times berichtete ausführlich darüber, leider sind die Artikel hinter einer Bezahlschranke verborgen.

Die Veröffentlichungen brachten die WADA in starke Bedrängnis. Sie reagierte geharnischt und wies alle Vorwürfe, sie hätte ihrem Code entsprechend falsch gehandelt, möglicherweise auch geprägt von sportpolitischer Abhängigkeit, zurück.

WADA: WADA statement on case of 23 swimmers from China, 20.4.2024
WADA: WADA statement following comments by CEO of United States Anti-Doping Agency, 20.4.2024

Sie reagierte mit einer Pressekonferenz per Video am 22.4.2024:

WADA: WADA publishes media conference recording regarding environmental contamination case of swimmers from China

Die Ausführungen der anwesenden Topleute der WADA beruhigten die Gemüter allerdings nicht. Die Beteuerungen, sie würden wieder alles so machen wie zuvor, wirkte hilflos.

Die kritische Presse – USA, Europa, Australien – äußerte sich weiterhin misstrauisch und zweifelnd.
Insbesondere Trevis Tygart von der USADA positionierte sich öffentlich am Lautesten und widersprach den Ausführungen der WADA auf das Heftigste.

Entsprechend konterte er einem WADA-Papier, mit dem seitens der WADA versucht wurde, die Hauptfragen und Kritikpunkte zu beantworten und zu entkräften:

WADA:  Contamination case of swimmers from China – Fact Sheet / Frequently Asked Questions, 29.4.2024
USADA:  Response to WADA’s Flawed FAQ Document, 15.2024
Reuters: USADA slams WADA for ‚half-truths‘ in China doping case

Warum die Angaben seitens der chinesischen Ermittlungen und Angaben durchaus viele Zweifel an deren Glaubwürdigkeit zulassen bzw. es etliche alternative glaubwürdige Interpretationsmöglichkeiten gibt, und die WADA  dadurch kein gutes Bild abgibt, mit hoher Wahrscheinlichkeit ihr eigenes Regelwerk missachtet hat, erläutert und analysiert detailliert Hajo Seppelt in einem Podcast ab Minute 45. Interessant dabei, dass es vor den Recherche-Veröffentlichungen der ARD und der New York Times einen Versuch gab, diese zu torpedieren:
RBB: Die Akte China – Sonderfolge

Auch Alexander Kekulé gibt ausführliche Erläuterungen in folgendem Audio:
MDR: Doping im Sport: Ein krankes System. Kekulés Gesundheits-Kompass · 25.04.2024 · 68 Min.

Welche Relevanz hat Trimetazidin, das Medikament im Falle der Chinesischen Schwimmer für Doping im Sport? Fragen an Mario Thevis. 25.4.2023:
ZDF: Versehentlich Trimetazidin, geht das?

Neue InformationEn aus China

Der ARD-Dopingredaktion wurden bis Mitte Juni 2024 verschiedene neue Hinweise zu den Vorfällen in China zugespielt, wonach etliche Angaben aus China, die der WADA von der CHINADA übermittelt wurden, nicht stimmen könnten. So wurden u. A. nicht alle Sportler*innen, die betroffen waren, über ihre positiven Befunde unterrichtet und es sollen sich nicht alle in in dem Hotel, in dem die angebliche Kontamination stattfand, befunden haben. Zudem ist eine Dopingmöglichkeit aller im Vorfeld des angeblichen Kontaminationszeitpunktes gegeben.
Sportschau: Neue Hinweise auf Vertuschung – Druck auf China und WADA wächst, 26.6.2024

Zitate:
„Der ARD liegt der Screenshot eines Social-Media-Posts eines der 23 Schwimmer vor. Zhang Ruixuan schrieb in einer Antwort auf einen anderen Beitrag über den Vorfall: „Ich bin positiv. Warum wusste ich nichts davon?“ Diese Nachricht, die er über sein privates Konto auf der chinesischen Plattform Weibo geschrieben hat, ist inzwischen gelöscht.
Die Regeln besagen, dass die für das Ergebnismanagement zuständige Stelle, in diesem Fall die CHINADA, den betreffenden Athleten „unverzüglich benachrichtigen“ muss.

Eine Untersuchung des chinesischen Ministeriums für Öffentliche Sicherheit, eine Behörde mit Geheimdienstbefugnissen, lieferte hier die Hinweise, die als entlastend gewertet wurden. … Ob die WADA den Aspekt beleuchtet hat, dass möglicherweise Athleten nicht über positive Dopingproben in Kenntnis gesetzt oder nicht die Gelegenheit zur Stellungnahme erhielten, ist unbekannt. … Der ARD liegen Informationen vor, wonach mindestens zwei weitere der 23 Schwimmer nicht über ihre positiven Tests benachrichtigt worden sind.

Die Informationen der ARD stammen von chinesischen Quellen, die angeblich direkten Zugang zu den beteiligten Schwimmern haben. Zweifelsfrei verifizieren ließ sich dies nicht. Eine Quelle verwies auf das enorm hohe Risiko für Whistleblower in China und lehnte es aus Sicherheitsbedenken ab, der ARD einen direkten Kontakt zu den Schwimmern und weiteren chinesischen Hinweisgebern zu vermitteln.
Diese Quelle … behauptet, dass Anfang 2021 nicht alle 23 Athleten im Huayang Holiday Hotel untergebracht waren, in dem die angebliche Kontamination des Essens mit dem später festgestellten Dopingmittel Trimetazidin stattgefunden haben soll. Belegt wird dies mit Chats aus der chinesischen Schwimmsport-Szene, die der ARD-Dopingredaktion vorliegen.
Dies würde bedeuten, dass diese Athleten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Lebensmittel aus der Küche und dem Restaurant des Hotels zu sich genommen haben können.

Im CHINADA-Bericht hatte es … geheißen, die Athleten hätten sich alle in den Wochen vor dem Wettkampf in ihren Provinzen aufgehalten. Ein systematisches Doping der Nationalmannschaft wurde so von der CHINADA als unmöglich angesehen.
In der Tat, wie Social-Media-Posts zeigen, hielten sich manche Sportler in diesem Zeitraum auch außerhalb Pekings auf. Allerdings liegen der ARD-Dopingredaktion auch Screenshots aus Chat-Verläufen chinesischer Social-Media-Plattformen vor, die die Abläufe ganz anders darstellen. Demnach seien zumindest Teile der Nationalmannschaft im Sport-Komplex der Hauptstadt über lange Zeit regelrecht kaserniert worden. …“

WADA, World Aquatics: Beauftragung von Untersuchungen der Affaire, insbesondere des Umgangs mit den Vorfällen und den daraus resultierenden Entscheidungen

WADA und der internationale Schwimmverband World Aquatics hatten nach der WADA-Pressekonferenz unabhängige Untersuchungen zu den Vorfällen und dem Umgang damit eingeleitet. Die Wahl des Beauftragten Eric Cottier stieß allerdings auf viel Kritik, daihm aufgrund seiner langen Einbindung in den Sport mangelnde Unabhängigkeit unterstellt wurde.

Eric Cottier legte der WADA am 1.7.2024 einen vorläufigen Bericht vor. Darin wird der WADA kein Fehlverhalten bescheinigt, offene Fragen aber auch nicht beantwortet. Die oben zitierten neuen Informationen, die der ARD-Dopingredaktion zugespielt wurden, fanden noch keinen Eingang in den Bericht.

WADA:Independent Prosecutor concludes WADA showed no bias towards China and decision not to appeal Chinese swimming cases was ‘indisputably reasonable’
>>> SUMMARY REPORT, Issued on July 1 2024 by Eric COTTIER (hereinafter: the Investigator), in Lausanne

Kommentare in der deutschen Presse konnten in dem Bericht keine Entlastung der WADA sehen, zumal in dem Bericht erwähnt wurde, dass auch seitens der WADA anfangs erhebliche Zweifel an den chinesischen Angaben geäußert wurden.   Süddeutsche Zeitung, 12.7.2024:

„Das, was sich im Anhang von Cottiers Zwischenbericht versteckt, wirkt wie ein zusätzlicher Brandbeschleuniger. Demnach bezweifelten zwei hochrangige Wada-Mitarbeiter die Version der Chinesen massiv, als der Fall erstmals aufkam. Olivier Rabin, der Wissenschaftsdirektor der Agentur, merkte an, dass die Chinesen weder eine exakte Quelle der TMZ-Verunreinigung ausgemacht hatten, noch einen Mitarbeiter im betroffenen Hotel, der damals TMZ konsumierte. Das „überraschte“ Rabin. Es sei jedenfalls „nahezu unmöglich, ein realistisches Szenario zu entwerfen“, für die Kontamination.

Rabins Kollegin Irene Mazzoni pflichtete bei: Minimale Dosierungen in der Küche zwei Monate nach der angeblichen Kontamination, keine Quelle – alles wenig plausibel. Mazzoni folgerte jedoch, wie Rabin, Bemerkenswertes: Da man die Kontaminierungsgeschichte nicht plausibel habe widerlegen können, müsse man sie halt akzeptieren. Zumal die Grenzen wegen der Pandemie damals geschlossen waren.“

World Aquatics legte kurze Zeit darauf ebenfalls einen Untersuchungsbericht vor, der allerdings nicht auf der WA-Homepage zu finden ist. Auch dieser Bericht entlastet WADA und WA :
Reuters: World Aquatics did not mishandle Chinese doping cases, confirms it, 16.7.2024

Diskussion im Sportausschuss des Deutschen Bundestages, 12.6.2024

TOP 2 der öffentlichen Sitzung des Sportausschusses des Dt. Bundestages war „Umgang der WADA mit dem Dopingverdacht in China“. Teilnehmer waren Athleten Deutschland, NADA, Hajo Seppelt. Die WADA nahm nicht teil, hatte aber eine kurze Stellungnahme geschickt. Weitere  Stellungnahmen liegen von >>> Athleten Deutschland, >>> NADA und >>> iNADO vor. Insbesondere die Stellungnahme der iNADO ist bemerkenswert, da sie insgesamt  76 Mitglieder repräsentiert.
>>> 54. Sitzung Sportausschuss am 12./13.6.2024
Fazit der Anhörung:
Dt. Bundestag: Doping in China: Vertrauen in die Wada geht verloren
FAZ: „Die WADA verspielt gerade sämtliche Akzeptanz“

Die WADA zeigte sich in ihrer Stellungnahme verärgert über die Anhörung und reagierte mit einer kleinen Retourkutsche (>>> WADA-Stellungnahme, 23.5.2024):

„Da kein Verstoß gegen Anfi-Doping-Bestimmungen festgestellt werden konnte, gab es keine Grundlage für eine entsprechende Veröffentlichung. Auch weil die deutsche Nafionale Anfi Doping Organisafion aufgrund der Gesetzeslage in Deutschland keine Anfi-Doping-Sanktionen entsprechend den Veröffentlichungspflichten des Welt-Anfi-Doping-Kodex veröffentlicht, gehe ich davon aus, dass Sie ein besonderes Verständnis dafür haben,dass für die Veröffentlichung eine angemessene Rechtsgrundlage erforderlich ist.“ (Siehe dazu >>> doping-archiv.de: 2023 NADA und WADA-Code:
NADA-Praxis der Veröffentlichungen von Sanktionen)

Veröffentlichtes Fazit der Diskussion im Sportausschuss:

Eine „Räuberpistole“ sei dies, befand Journalist Seppelt und kritisierte die Wada, deren Stellungnahmen zu dem Fall viele Fragen offenließen.

Die Säbelfechterin Léa Krüger, Präsidiumsmitglied bei Athleten Deutschland, sowie der Wasserballer Kevin Götz als Athletenvertreter des Deutschen-Schwimmverbandes (DSV) sprachen von einem Vertrauensverlust in die Integrität und Funktionsfähigkeit des globalen Anti-Doping-Systems. Deutliche Worte fand auch der für Sport zuständige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium (BMI), Mahmut Özdemir (SPD). Die Wada, deren Budget zu einem Viertel durch Deutschland und die Staaten des Europarates gedeckt werde, verspiele „jegliche Existenzberechtigung“, sagte er.

Für den Nada-Vorstandsvorsitzenden Mortsiefer sind weiterhin viele Fragen unbeantwortet. Es gebe nach wie vor Unklarheit und Unsicherheit über viele, wichtige Einzelheiten und den Umgang der Wada mit dem Sachverhalt. „Die Diskussionen insbesondere um die Auslegung des Regelwerks führen dazu, dass die deutschen Athletinnen und Athleten ihr Vertrauen in das globale Anti-Doping-System hinterfragen“, gab er zu bedenken.

Ob Doping oder Kontamination: Die Betroffene hätten in jedem Fall vorläufig suspendiert werden müssen, machte Mortsiefer deutlich. Das sehe das internationale Regelwerk so vor. Es sei daher festzustellen, „dass das Anti-Doping-Regelwerk der Wada derzeit weltweit unterschiedlich interpretiert wird oder werden kann“.

Als Athlet nehme er erhebliche Eingriffe in seinen sportlichen und privaten Alltag in Kauf, sagte Wasserballer Götz. Die Athletinnen und Athleten akzeptierten die Beweislastumkehr, die sogenannte „Strict Liability“, als tragende Säule des Anti-Doping-Kampfs und würden „aus Überzeugung für einen sauberen Sport“ die Strapazen des globalen Doping-Kontrollregimes selbstverständlich auf sich nehmen. Daher erwarte man von der Wada, dass global gültige Anti-Doping-Regularien kohärent angewendet und durchgesetzt werden, betonten Krüger und Götz.“

Presseartikel

Presseartikel nach den Veröffentlichungen der ARD-Dopingredaktion und der New York Times:

USA today: The Chinese swimming doping scandal: What we know about bombshell allegations and WADA’s response
The Washington Post: China doping case leaves serious questions just months before Olympics
FAZ: Die blinden Flecke der WADA
SZ: Eine Frage des Glaubens
der Spiegel:  Interview mit Tygart »Dieser Fall schwebt wie eine dunkle Wolke über Olympia«

Pressemeldungen nach der Videokonferenz der WADA, 22./23.4.2024:

WADA: WADA publishes media conference recording regarding environmental contamination case of swimmers from China
USADA: Call for Independent Prosecutor and Overhaul of WADA
der Standard: Dopingjäger drohen nach Bericht über Affäre im chinesischen Schwimmteam mit Klage
the Guardian: Wada defends its actions over Chinese swimmers’ doping allegations
USA today: The Chinese swimming doping scandal: What we know about bombshell allegations and WADA’s response
The Washington Post: China doping case leaves serious questions just months before Olympics
FAZ: Die blinden Flecke der WADA
SZ: Eine Frage des Glaubens
der Spiegel:  Interview mit Tygart »Dieser Fall schwebt wie eine dunkle Wolke über Olympia«

Alte Konflikte, politisch-ideologische Differenzen

Seit Langem schwelende Konflikte, nicht selten begründet in politisch-ideologischen Einstellungen und persönlichen Animositäten aber vor allem auch geopolitische Konstellationen, dürften Stil und  Inhalte der Auseinandersetzungen in der gegenwärtigen Diskussion um die China-Affaire mit beeinflussen und erschweren. Sie gefährden möglicherweise eine befriedigende Aufklärung und könnten langfristig eskalieren. Letztlich ist das nichts Neues aber durchaus immer wieder zu berücksichtigen. 24./28.4.2024:
SZ: Wie Schachspieler, die plötzlich mit Fäusten kämpfen
the Conversation: Chinese swimming scandal: a strong defence by world anti-doping body, but narrative of ‘cover-up’ remains
the guardian: Inside anti-doping’s civil war: anger and suspicion spill into the open

Zu berücksichtigen hierbei ist auch Chinas Doping-Vergangenheit, die seit Jahrzehnten von viel Misstrauen begleitet wird. Sie trägt mit dazu bei, dass die Enthüllungen rund um die Art und Weise wie die WADA die Affaire um die 23 Schwimmer*innen behandelte, auf viel Unverständnis und Kritik stößt.
the guardian: Poison in the pool: why the latest Chinese doping row is proving so toxic, 27.4.2024
Siehe hierzu auch die Zusammenstellung hier auf  doping-archiv: Dossier China und Doping

Nachdem im Juni die WADA ihr Erscheinen zu einer Anhörung im US-Kongress verweigerte und die Herausgabe vertraulicher Daten der 23 betroffenen chinesischen Schwimmer*innen verweigerte, wurde die Agentur wiederum scharf angegriffen worauf Präsident Banka die Arbeit der USADA öffentlich kritisierte und ihr vorwarf mit zweierlei Maß zu argumentieren angesichts weniger Dopingkontrollen im Vergleich z.B. zu Deutschland und vor dem Hintergrund, dass die großen US-Ligen nicht dem WADA-Code unterliegen. gl25./26.6.2024:
WADA: WADA statement regarding congressional hearing in the United States, 25.6.2024s
WADA: Statement by WADA President on the politicization of anti-doping in the United States, 27.6.2024
FAZ: Kongress-Abgeordnete in den USA drohen WADA, 27.6.2024