2023 NADA und WADA-Code:
NADA-Praxis der Veröffentlichungen von Sanktionen

Der WADA-Code (WADC) ist Grundlage der Arbeit aller von der WADA anerkannten Organisationen, insbesondere der Anti-Doping-Agenturen weltweit. Voraussetzung um bei der WADA als compliant-Partner/in akzeptiert zu werden, ist, dass die Vorgaben des WADA-Codes in nationales Recht integriert sind, damit weltweit eine einheitliche Antidopingstrategie gewährleistet ist.

In Artikel 14.3. des WADC und damit auch im enstsprechenden Nationalen Anti-Doping-Code (NADC) wird festgehalten, wie die Veröffentlichung bzw. Nichtveröffentlichung von Entscheidungen zu sportrechtlich legitimierten Disqualifikationen und Sanktionen zu handhaben sind.

>>> WADA-Code   und  >>> NADA-Code

Der darin verlangte transparente Umgang mit Veröffentlichungen sportrechtlicher Dopingsanktionen erfolgt allerdings seitens der deutschen NADA nicht. Eine entsprechende früher existierende Datenbank wurde vollständig vom Netz genommen.

Diese Praxis führte und führt häufig zu Kritik und Unverständnis und lässt die Frage aufkommen, warum diese Nichteinhaltung einer Vorschrift des WADC keine Non-Compliance-Einstufung bedingt.

Im WADC wird diese Frage direkt aufgegriffen und in Form eines Kommentars ohne Begründung beantwortet:

Comment to Article 14.3.2: Where Public Disclosure as required by Article 14.3.2 would result in a breach of other applicable laws, the Anti-Doping Organization’s failure to make the Public Disclosure will not result in a determination of non-compliance with Code as set forth in Article 4.2 of the International Standard for the Protection of Privacy and Personal Information.

Siehe auch im NADC:

Kommentar zu Artikel 14.3.2: Soweit die Veröffentlichung gemäß Artikel 14.3.2 gegen geltendes, nationales (Datenschutz-)Recht verstoßen würde, wird die NADA, wenn sie auf die Veröffentlichung ganz oder teilweise verzichtet, nicht wegen Non-Compliance belangt, wie in Artikel 4.1 des International Standard for the Protection of Privacy and Personal Information festgelegt ist.

Es bleibt damit die Frage, warum Deutschland ebenso wie einige andere Staaten der Europäischen Union der Veröffentlichungspflicht nicht nachkommen. Daraus ergibt sich eine Ungleichbehandlung von Personen je nach Nationalität, mit sehr unterschiedlichen persönlichen Konsequenzen trotz ähnlicher Vergehen.  Kritisiert wird dies aber auch von Vertretern der Meinung, dass eine transparente zeitnahe namentliche Veröffentlichung im Sinne eines erfolgreichen Anti-Doping-Kampfes eine große abschreckende Wirkung hat und im Sinne der sauberen Sportler*ìnnen ist. Ob dies zutrifft ist allerdings umstritten, denn Vieles spricht für einen zurückhaltenden Umgang mit personenbezogenen Daten (nicht nur) bei diesem Thema.

EUROPÄISCHE PRAXIS

In der Europäischen Union gilt für alle Mitglieder die Europäische Datenschutzgrundverordnung DSGVO. Diese Grundlage führt aber im Falle der vorliegenden Fragen zur Veröffentlichung persönlicher Daten zu keiner einheitlichen Praxis.

Eine von mir vorgenommene Übersicht aller NADO der EU zeigt ein inhomogenes Bild (ohne Gewähr, Stand Oktober 2022).

Von insgesamt 29 NADO (Belgien hat 2) haben 16 Sanktionslisten, 9 verzichten auf entsprechende Veröffentlichungen, 4 veröffentlichen entweder ohne Namen oder versteckt in laufenden News. 

DEUTSCHE PRAXIS

Die Deutsche NADA gibt auf Ihrer Homepage einen kurzen Hinweis darauf, warum Veröffentlichungen nicht stattfinden.

Auf meine Nachfrage per Email erhielt ich weiterführende Antworten.
Allgemein gilt für die NADA Folgendes:

„Die Nationale Anti Doping Agentur Deutschland (NADA) befindet sich weiterhin mit der für die Stiftung zuständigen Landesdatenschutzbeauftragten Nordrhein-Westfalen (LDI NRW) im Diskurs über die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichungspraxis von Sanktionsentscheidungen aus Dopingverfahren. Aus Sicht der LDI NRW ist die Veröffentlichung von personenbezogenen Informationen und Schiedssprüchen aus Disziplinarverfahren im Internet in der von der NADA bislang durchgeführten Art und Weise nicht zulässig. Rechtliche Bedenken bestehen seitens der LDI NRW auch im Hinblick auf die Rechtsgrundlage zur Veröffentlichung der Sanktionsentscheidungen. Die LDI NRW bezieht sich dabei auf die Auslegung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)

Weiterhin prüft die LDI NRW aufgrund von Petentenbeschwerden, ob die NADA durch die Veröffentlichung von Sanktionsentscheidungen in einer offen zugänglichen Online-Datenbank gegen europäisches Datenschutzrecht verstoßen hat und zu sanktionieren ist.

Für die NADA ist es wichtig zu betonen, dass der Schutz von personenbezogenen Daten und der Persönlichkeitsrechtsschutz jedes*r Athleten*in für die NADA einen sehr hohen Stellenwert hat. Die Einhaltung des geltenden Datenschutzrechts sowie die Leitlinien und Rechtsauffassungen der zuständigen Datenschutzaufsicht sind für die NADA maßgebend. Ungeachtet dessen, prägt es das Leitbild der NADA, die größtmögliche Transparenz in der Anti-Doping-Arbeit zu gewährleisten. Dazu gehört es ihrer Auffassung nach auch, Entscheidungen von unabhängigen Disziplinar- oder Schiedsgerichten ohne Einschränkung und so wie es der Welt Anti-Doping Code (WADC 2021) und der Nationale Anti-Doping Code (NADC21) vorsehen, zu veröffentlichen. Dabei darf aber keine Prangerwirkung für Athleten*innen, die einen Dopingverstoß begangen haben, entstehen. Vielmehr dient eine klare und eindeutige Veröffentlichung dazu, dass nicht-betroffene Athleten*innen vor unberechtigten Dopinganschuldigungen geschützt werden. Eine Veröffentlichung von unvollständigen Sanktionsentscheidungen ohne konkrete Namensnennung birgt des Erachtens der NADA nach die große Gefahr einer Stigmatisierung Unschuldiger.“

Auf die Frage welche Stellenwert die europäische DSGVO in Bezug auf eigene staatliche Datenschutzregelungen hat, erhielt ich folgende Erläuterung:

„Nach Auffassung der LDI NRW bieten derzeit weder die europäische Datenschutzgrundverordnung noch die Anti-Doping-Regelwerke von WADA und NADA und das deutsche Anti-Doping-Gesetz ausreichende Rechtsgrundlage für die uneingeschränkte Veröffentlichung von Sanktionsentscheidungen im Internet. Soweit andere Länder ausreichende Rechtsgrundlagen im nationalen Recht verankert haben, könnte dies die Veröffentlichungspraxis begründen. Wie gesagt: Weder aus dem WADC noch aus der DSGVO ergeben sich nach Auffassung der Datenschützer in Deutschland valide Rechtsgrundlagen.“

Die NADA wies darauf hin, dass sie anlässlich der Anhörung im Vorfeld der Reform der Deutschen Anti-Doping-Gesetzgebung den Vorschlag einbrachte, im Gesetz Regelungen zu schaffen, die den Anforderungen des WADC genügen. Als Vorlage und Beispiel dienten die entsprechenden Passagen im österreichischen Anti-Doping-Gesetz.   Diesen Anregungen wurde nicht gefolgt. Erwähnt sei, dass Änderungen datenschutzrechtlicher Prinzipien, insbesondere solche, die dem Schutz der Persönlichkeit dienen,  auf nationaler Ebene für nur einen kleinen gesellschaftlichen Bereich nicht einfach sind. Solche Änderungen können nicht isoliert von gesamtgesellschaftlichen Gegebenheiten vollzogen werden und  bedürfen eines breiten Konsenses (s. z.B. die häufigen Kritiken von Ermittlungsbehörden an den deutschen restriktiven Datenschutzbestimmungen.)

Alle bislang erwähnten Ausführungen und Anregungen sind ausführlich nachzulesen in der
>>> Stellungnahme der NADA zum Entwurf des Anti-Doping-Gesetz (AntiDopG), Sportausschuss des Dt. Bundestages vom 23. Oktober 2019

Zur Info hier die NADA-betreffenden Berichte des Datenschutzbeauftragten 2013 – 2021

VEREINHEITLICHUNG DER EUROPÄISCHEN PRAXIS *

Die Situation kann gesamteuropäisch als unbefriedigend angesehen werden. Da gibt es eine gemeinsame Datenschutzgrundverordnung aber keinen einheitlichen Umgang mit der WADC-Vorgabe.

Laut NADA steht sie mit den Kollegen in Österreich (EU) und der Schweiz (nicht EU) in Bezug auf einheitliche Regelungen im Gespräch. Beide Agenturen veröffentlichen die  Sanktionen einschl. Namen.

„[Wir stehen] im engen Austausch mit den NADA-Kollegen*innen aus Österreich und der Schweiz. Die Unabhängige Schiedskommission Österreichs hat nun ein Vorlageverfahren beim Europäischen Gerichtshof initiiert, um unter anderem die Frage nach der Rechtsgrundlage sowie der angemessenen und verhältnismäßigen Veröffentlichung von Sanktionsentscheidungen aus Anti-Doping-Verfahren europarechtlich klären zu lassen. Das Verfahren ist weiterhin anhängig.“ (Eine juristische Einschätzung, 14.9.2023)

Am 7. Mai 2024 erklärte sich der EuGH als nicht zuständig in dieser Frage, da das Schiedsgericht die Voraussetzungen eines „„Gericht“ im Sinne des Unionsrechts“ mangels Unabhängigkeit nicht erfülle. Da das Verfahren der Sportlerin auch beim Bundesverwaltungsgericht anhängig ist, dieses aber die Entscheidung des EuGH abwarten wollte, kann jetzt erst einmal nur noch geklärt werden, ob in Österreich eine Veröffentlichungspflicht besteht.
Damit ist es nicht gelungen, einer einheitlichen europäischen Handhabung näher zu kommen. 7.5.2024:
EuGH:  Die für Dopingbekämpfung zuständige österreichische Schiedskommission ist nicht befugt, dem Gerichtshof Fragen vorzulegen
EuGH: URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer), 7. Mai 2024
NADA Austria: NADA Austria nimmt die Entscheidung des EuGH zur Kenntnis

ABWÄGUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR VERÖFFENTLICHUNGEN VON DOPINGFÄLLEN

Gelegentlich werden trotz der oben geschilderten Veröffentlichungsbeschränkungen Einzelfälle von betroffenen Verbänden oder Vereinen bekannt gegeben, teils schon kurz nach dem Analyseergebnis noch vor den Entscheidungen durch das Sportschiedsgericht. Liegt hier ein Widerspruch vor zu den obigen Ausführungen den Datenschutz betreffend vor? Können Sportverbände und Sportvereine unter anderen Prämissen entscheiden als die NADA, die eine gemeinnützige Stiftung des privaten Rechts ist?

Die NADA antwortete auf diese Frage wie folgt:

„Die Veröffentlichung liegt im eigenen Verantwortungsbereich des Verbandes oder des Vereins. Soweit die NADA den entsprechenden Verband über den möglichen Dopingverstoß eines/r in die Verbands/Vereinszuständigkeit fallenden Sportlers/Sportlerin unterrichtet, obliegt es dem Verein/Verband notwendige Abwägungen zwischen dem Datenschutz und dem Veröffentlichungsinteresse vorzunehmen. Für Verbände und Vereine gilt jedenfalls das gleiche nationale und internationale Datenschutzrecht wie für die NADA.“

„Lediglich kurze, zeitlich engbegrenzte Presseveröffentlichungen, wie sie die NADA ebenfalls schon in Einzelfällen (siehe Fall Björn T. oder Robert L.-D.) vorgenommen hat, können bei Personen der Öffentlichkeit oder bereits öffentlich bekannten Sachverhalten aufgrund eines höherrangigen Informationsinteresse ausnahmsweise legitim sein. In diesen Fällen muss auch kein Einverständnis zur Veröffentlichung seitens der*des Betroffenen vorliegen.“

Allerdings können die betroffenen Personen beim zuständigen Landesdatenschutzbeauftragten eine Beschwerde einreichen sollten sie mit der Veröffentlichung ihres Namens nicht einverstanden sein, denn „für die allgemeine, beschränkungsfreien Veröffentlichung (im Internet) von Sanktionsentscheidungen besteht keine rechtliche Legitimation“.

Diese Beschwerde wird geprüft und gegebenenfalls für rechtens erklärt. Den Verbänden und Vereinen droht in diesem Fall ein Bußgeld. Bei Nichtakzeptanz der Entscheidung wäre ein langwieriges Klageverfahren die Folge mit u.U. hohen finanziellen Folgen. Die NADA hatte bereits solch eine Beschwerde erhalten (Näheres siehe >>> hier), die vom LDI NRW als rechtens anerkannt wurde. Das  Risiko hohe finanzielle Strafen zahlen zu müssen, dürfte für Sportvereine und -verbände in den meisten Fällen nicht tragbar sein.

Aus obigem Zitat –  es sind „notwendige Abwägungen zwischen dem Datenschutz und dem Veröffentlichungsinteresse vorzunehmen“ – ergibt sich die Frage, unter welchen Bedingungen das Veröffentlichungsinteresse höher zu bewerten ist als der Schutz der Persönlichkeit. Immerhin muss jeder Fall einzeln betrachtet und bewertet werden. Welche Argumente und Überlegungen müssen und können in die Abwägungen einfließen? Wie definiert sich Öffentlichkeitsinteresse? Wie weit kann ein Verband / Verein  das Risiko juristischer Auseinandersetzungen eingehen?

Hierzu gibt es keine klaren Antworten und auch keine umfassenden Richtlinien. Ein hohes finanzielles Risiko besteht sicher für kleinere Organisationen mit hohen Zahlen an Dopingvorfällen wie der NADA, vor allem dann, wenn alle Vorfälle gleichermaßen wie einst in der entsprechenden NADAjus-Datenbank, veröffentlicht werden. Für Verbände / Vereine mit nur gelegentlichen Vorfällen dürfte das Risiko geringer sein.

Im Falle des durch die Presse bekannt gewordenen Dopingfalles von Radsportler Michael Gannopolskij 2023 erklärte Lars Mortsiefer, NADA:
 „Wir dürfen aufgrund der Auffassung der zuständigen Datenschutzbehörde keine Dopingvorgehen uneingeschränkt und transparent veröffentlichen. Presse- und Medienrecherchen darf die Nada aber kommentieren. Dies gilt vor allem , wenn Sachverhalte  öffentlich bekannt oder die sportrechtlichen Verfahren rechtskräftig abgeschlosen sind. Dieses Vorgehen können im Übrigen auch Verbände und Vereine nach selbstständiger rechtlicher Einschätzung wählen.“  (Die Rheinpfalz, 14.3.2023):


Hintergrundinformationen:

Stellungnahme der Anwaltskanzlei KERN CHERKEH, die den oben angesprochenen Petenden vertritt und erreichte, dass die NADA-Datenbank  NADAjus ab Juni 2020 vom Netz genommen wurde:
Veröffentlichung von Doping-Schiedssprüchen mittels der Datenbank NADAjus – aus insbesondere datenschutzrechtlicher Sicht

*  Die Europäischen Datenschutzbestimmungen, geregelt in der Europäischen Datenschutzgrundverordnung, hat Konsequenzen für die Speicherungspraxis persönlicher Daten bei der WADA. Sensible persönliche Daten werden aufgrund der europäischen Datenschutzbestimmungen nur begrenzte Zeit gespeichert. Diese Praxis stößt in den USA auf Kritik:
>>>   dailymail: EXCLUSIVE: Sport’s drug-busters are ‘destroying’ the kinds of crucial information that helped to catch Alberto Salazar as anti-doping agency are criticised for deleting personal data for tens of thousands of athletes, 19.8.2023