Doping: Jaksche, Jörg

Profis und Amateure erzählen

Jörg Jaksches Geständnis, Juni 2007

Jörg Jaksches Dopingkarriere 1997 – 2006

Geboren: 
23. Juli 1976
Teams: 
1995, 1996
Amateur A-Klasse, Öschelbronn
 
Trainer Hans Holcer, Bundestrainer Peter Weibel
 
 
1997–1998
Team Polti, Teammanager Gianluigi Stanga
 
1998–2000
Team Telekom, Teammanager Walter Godefroot
 
2001–2003
Team ONCE, Teammanager Manolo Saiz
 
2004
Team CSC, Teammanager Bjarne Riis
 
2005–2006
Team Liberty Seguros, Teammanager Manolo Saiz
 
2007
Team Tinkoff Credit Systems, Teammanager Omar Piscina

Jörg Jaksche wurde mit seinem Team Liberty Seguros von der Tour de France 2006 ausgeschlossen. Sein Teammanager war kurz zuvor im Mai zusammen mit Dr. Eufemiano Fuentes verhaftet worden.

Jörg Jaksche leugnet wie alle anderen, die in Verdacht gerieten. Einige Zeit sah es auch so aus, als würde die komplette Affaire im Sand verlaufen. Die meisten Fahrer fanden wieder ein Team, wenn auch viele nur zweitklassige und die Sportgerichte der einzelnen Länder fühlten sich nicht zuständig, sahen sich ohne Handhabe oder wollten schlicht nicht einschreiten. Doch Jörg Jaksche wurde mürbe und entschloss sich nach langen Zögern auszusagen und mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren.

Im Juni 2007 gestand Jörg Jaksche Doping während seiner gesamten Profikarriere gedopt zu haben. Es war Doping, welches teamintern und systematisch stattfand, mit Einverständnis oder gar Unterstützung und Förderung der Teamoberen, auf jeden Fall nicht heimlich und vor den anderen verborgen.

„Ich bin Bella“, sagt Jaksche. „Es ist mein Blut, das dort in drei Beuteln gefunden wurde. Ich bin auch tatsächlich die ‚Nr. 20‘ aus den Akten, und ich war 2005 und 2006 Kunde von Doktor Fuentes in Madrid.“

das Geständnis

Am 2.7.2007 veröffentlichte der Spiegel das lange Gespräch mit Jörg Jaksche:

Bellas Blut
Von Lothar Gorris, Detlef Hacke und Udo Ludwig

Teil 1: „Skrupel gab es keine mehr“
Teil 2: „Die Telekom-Mannschaftsleitung wusste alles“
Teil 3: „Fuentes sprach von Doping wie vom Windelwechseln“
Teil 4: „Nur wer dopt, gewinnt“

Am 10. Juli wiederholt Jörg Jaksche im Schweizer Fernsehen im Rahmen der Sendung Club seine Aussagen, die in interessanter Runde diskutiert wurden.

Zusammenfassung einiger Aussagen aus den Spiegel-Artikeln:

Team Polti, 1997-1998

(…) SPIEGEL: Herr Jaksche, Sie haben Ihre Karriere als Profi vor zehn Jahren bei dem italienischen Team Polti begonnen. Teamleiter war Gianluigi Stanga, der schon seit 1983 Radrennställe führt. Heute ist Stanga Chef des Milram-Rennstalls, bei dem auch Erik Zabel fährt. Wann kamen Sie dort das erste Mal mit Doping in Berührung?
Jaksche: Bei der Etappenfahrt Paris-Nizza 1997, meinem ersten großen Rennen. Es lief ganz gut, auf einer Etappe hatte ich den Mont Ventoux in der Spitzengruppe überquert. Ich erinnere mich, weil es wirklich ein entscheidender Tag für mich war. Im Ziel kam Stanga auf mich zu und fragte: Was hast du genommen? Ich verstand nicht und fragte zurück: Was soll ich genommen haben? Wahrscheinlich dachte er, ich will mich über ihn lustig machen. Am Abend besuchte er mich auf dem Hotelzimmer, das ich mit Dirk Baldinger teilte. Stanga nahm mir Blut ab und maß meinen Hämatokritwert, um herauszufinden, ob ich Epo genommen hatte. Ich hatte einen 41er Wert, relativ niedrig. Ich schaute Baldinger an: Was macht der da? Was bedeutet das? Ist das gut oder schlecht? Stanga sagte nur: Dem Jaksche gebe ich einen Fünfjahresvertrag. Ich war wohl naiv.

SPIEGEL: Sie waren als Amateur Juniorenmeister im Straßenvierer und mit dem Nationalteam Vizeweltmeister der Junioren. Da gab es kein Doping?
Jaksche: Ich habe in meiner Zeit als Junior und als Amateur nie gedopt. Natürlich war es damals so, dass wir uns bei Rennen in Italien manchmal ganz schön wunderten. Da fährt man mit der kompletten Amateurnationalmannschaft, belegt am Ende Platz 160 bis 170 und fragt sich: Wie können normale Menschen so schnell fahren? Koffeintabletten oder ein paar Schlucke Cola mit Sekt gemischt, ein Aufputscher für die letzten Kilometer bis zum Ziel, oder eine Aspirin, das war bei mir alles. Nichts, was damals auf der Doping-Liste stand. Aber man gewöhnt sich daran, etwas zu schlucken, damit es dir morgen bessergeht. Man geht ins Höhentrainingslager nach Mexiko und bekommt die Zusammenhänge erklärt. Dass man in der Höhe trainiert, damit sich die roten Blutkörperchen vermehren, die den Sauerstoff transportieren. Und irgendwann kriegst du mit: Den gleichen Effekt kann man auch mit Medikamenten erzielen. So sammelt sich im Laufe der Jahre ein Mosaik medizinischen Wissens an. (…)

SPIEGEL: Konnten Sie mithalten?
Jaksche: Ich war gut in Form, ich kam locker die Berge hoch. Nach dem Training sagte ein Teamarzt von Polti, ich solle Vitamin B12, Folsäure und Eisen zu mir nehmen. Kein Problem, antwortete ich, das kaufe ich mir daheim. Nein, hieß es, das geben wir dir, und wenn du zu Hause bist, musst du dir die Spritzen selber setzen. So geht das los, das Fixertum, es ist ein fließender Übergang.

SPIEGEL: Wann wurde Ihnen das erste Mal Epo gespritzt?
Jaksche: Kurz vor der Tour de Suisse im Juni 1997. Wir waren in einem Hotel am Bodensee. Stanga sagte, er wolle jetzt anfangen mit der Behandlung. Er wollte herausfinden, was bei mir wirkt. (…) Ein Betreuer spritzte mir abends auf meinem Zimmer Epo. (…) In den nächsten Tagen bekam ich auch Medrol-Tabletten, die enthalten ein Hormon aus der Nebennierenrinde und wirken entzündungshemmend. Und auch Synacthen wurde ausprobiert, das fördert die körpereigene Produktion von Kortikoiden, es wirkt sehr schnell, man kann es gut für ein Tagesrennen nehmen oder bei wichtigen Etappen. Man fühlt sich zwar am Anfang des Rennens schlecht, etwas aufgequollen, als ob man zu viel Wasser getrunken hätte, aber nach 80 Kilometern macht es plötzlich klick. Das Problem war, dass ich überall am Oberkörper und auf den Armen kleine Pusteln bekam. Nach der Tour de Suisse ließ ich mich erst in Nürnberg behandeln; die Ärzte dort rätselten über die Ursache, ich konnte ihnen ja nicht sagen, was ich alles genommen hatte. Ich habe mich schließlich in Italien behandeln lassen, ich bekam wochenlang Antibiotika und war geschwächt. Im Scherz sagte Stanga: Na, hoffentlich bist du nicht allergisch auf Epo.
(…)

Jörg Jaksche konnte daraufhin nicht an der Tour de France 1997 teilnehmen. Anfangs war ihm die Doperei unangenehm, doch langsam gewöhnte er sich daran. Als sich wieder Erfolge einstellten, erhöhte Stanga das Gehalt und versprach bei guten Leistungen kostenlose Medikamente. Wer die Mittel besorgte, weiß Jaksche nicht.

Jaksche: (…) Mein Saisonplan war ganz auf den Juli ausgerichtet, auf die Tour de France. Zwei Wochen vor der Tour de Suisse habe ich mit der Epo-Kur begonnen. Jeden zweiten Tag 1000 bis 2000 Einheiten. Skrupel gab es keine mehr. Man bekommt ja beigebracht, dass es so schlimm ja nicht ist. Das, was ich machen musste, damit ich meinen Beruf besser erfüllen konnte, das habe ich gemacht. Die Logik ist: Du passt dein Leistungsniveau dem Rest an, weil jeder es tut. Im Radsport lebst du in einer Parallelwelt. (…)

Die Tour de France verlief anders als erwartet: Die Festina-Affaire nahm ihren Lauf. Die Fahrer hatten nach Jaksche kein Unrechtsbewusstsein, aber Angst vor der Polizei und dem französischen Anti-Doping-Gesetz.

Jaksche: (…) Ich fragte Jens Voigt, der damals für die französische Gan-Mannschaft fuhr, was sein Team denn nun mache. Voigt sagte: Einer hat bei uns vorgeschlagen, alles entlang der Strecke zu vergraben und nach der Tour abzuholen. Wie die Kleinganoven haben wir uns damals verhalten. Bei uns im Team hatte jemand die Idee, das Epo in einem Staubsauger mit doppeltem Boden zu verstecken, den wir in unserem Bus während der Tour mit uns herumfuhren. Polti, unser Sponsor, produziert ja Haushaltsgeräte. In den Polti-Staubsauger passten die 10 000er Ampullen samt Kühlakkus rein. Ich kam abends nach den Etappen in den Bus und habe mich gespritzt. Während der Tour waren das jeden zweiten Tag 2000 Einheiten, zusätzlich Wachstumshormon, um besser zu regenerieren, und Insulin, damit sich die Kohlehydratspeicher schneller auffüllen. Aber nach zehn, zwölf Tagen war Schluss, das Risiko war zu hoch. (…)

Jörg Jaksche beendete die Tour auf Platz 18 und erhielt daraufhin einen gut dotierten Vertrag beim Team Telekom.

Team Telekom, 1999-2000

Anfang Januar 1999 traf sich das Team Telekom auf Mallorca.

(…)
Jaksche: Nach ein paar Tagen sprach mich ein Sportlicher Leiter während einer gemeinsamen Ausfahrt an. Er fragte mich, wie ich mich im Jahr zuvor auf die großen Rennen vorbereitet hätte. Ich erzählte ihm von meinen Trainingsplänen. Dann fragte er: Und andere Sachen? Ich habe ihm dann gesagt, was ich genommen hatte. Überhaupt kein Problem, sagte er, rede mit den Ärzten. „Sachen“, das war das Wort, das die Teamleiter benutzten.

SPIEGEL: Auch Godefroot?
Jaksche: Es gab eine Mannschaftssitzung im Konferenzraum des Hotels, wo sich alle Fahrer und die Teamleitung trafen. Godefroot besprach die Aufteilung der Prämien und sonstige Kleinigkeiten. Dann begann er ein wenig herumzudrucksen, in diesem merkwürdigen Deutsch-Flämisch. Er warnte davor, Sachen zu den Rennen mitzunehmen, das sei gefährlich geworden. Er sagte nicht, dass wir nichts mehr benutzen durften. Er sprach weder von Doping noch von Epo, aber für mich war klar, was er meinte. Nach fünf Minuten war das Thema durch, ohne Diskussion. Es war so eine Art beredtes Schweigen.

SPIEGEL: Was wusste Godefroot?
Jaksche: Die Mannschaftsleitung wusste alles. Es war ein fest installiertes System.

SPIEGEL: Die Fahrer wurden von zwei Ärzten der Freiburger Uni-Klinik betreut, Andreas Schmid und Lothar Heinrich. Haben die beiden die Medikamente auch besorgt?
Jaksche: Ja, die Freiburger waren aber keine Pillenfreunde. Sie haben gesagt: Wenn du etwas nehmen willst, nimm das, was etwas bringt und beherrschbar ist, also vor allem Epo. Den Kleinviehmist machen wir nicht. Sie wollten aufklären, helfen. Heinrich warnte mich sogar davor, Insulin zu nehmen, sonst könnte ich zuckerkrank werden. Bei den Ärzten kam ich mir sehr gut aufgehoben vor, nicht so wie bei Polti. (…)

Jörg Jaksche bezahlte in der ersten Saison 3000 – 4000 Mark für die Mittel direkt an die Ärzte, gelegentlich auch an Sportliche Leiter. Die Ärzte verdienten selbst nichts daran. Es handelte sich überwiegend um EPO und Wachstumshormone zu Regeneration. Der Hämatokrit wurde täglich gemessen.

SPIEGEL: Godefroot behauptet noch heute, nichts vom systematischen Doping gewusst zu haben.
Jaksche: Man muss davon ausgehen, dass er Bescheid wusste, denn so blind konnte niemand durch die Welt gehen. (…)

Die Tour de France 1999 fuhr Jörg Jaksche ohne Doping. Das Ergebnis war für alle unbefriedigend.

Jaksche: Du hoffst von Tag zu Tag, dass das Tempo langsamer wird. Du musst dich mehr anstrengen, und du erholst dich schlechter. Ich konnte nirgends mithalten und kam mir komplett überflüssig vor. Zum Schluss hatte ich Angst, sogar auf einer Eisenbahnbrücke abgehängt zu werden. Letztlich war ich über den Sturz sogar froh, ich hatte eine Ausrede. Was willst du sonst sagen? Du fährst als Kronprinz los und kommst als 80. in Paris an. Ich habe mich über meine eigene Dummheit geärgert. Darüber, dass ich mir hatte Angst einjagen lassen. Dass ich der Depp war. Nach der Tour sollte ich im September Jan Ullrich bei der Spanien-Rundfahrt begleiten. Ich war in Form, aber meine Blutwerte waren niedrig. Mir war klar: Mit diesen Werten bin ich kaum hilfreich. Als ich in Spanien ankam, war die Versorgung schon organisiert.

SPIEGEL: Galt Godefroots Parole, keine Sachen zu den Rennen mitzunehmen, nicht mehr?
Jaksche: In Spanien konntest du dir die Epo-Spritzen an die Autoscheibe pflastern, und keiner hat dich angehalten. In Frankreich ging das nicht mehr.

SPIEGEL: Ullrich gewann, mit Ihrer Unterstützung. Warum mussten Sie trotzdem ein Jahr danach das Team Telekom verlassen?
Jaksche: Ich hatte eine Chance bekommen – und vertan. Ich hatte das System nicht begriffen und meine Freundin nicht mit Medikamenten nach Frankreich geschickt. Es war auch so, dass ich Anfang des Jahres noch ein guter Junge war, mein Hämatokritwert war niedrig, Godefroot sagte: Du bringst meine Mannschaft nicht in Gefahr.

SPIEGEL: Und das hatte sich geändert?
Jaksche: Ja. Nach dem Etappensieg von Giuseppe Guerini in L’Alpe d’Huez. Der Sieg bei der Königsetappe der Tour de France rettete Godefroot das Jahr. Offiziell hieß es: keine Sachen mit zu den Rennen! Aber in Wahrheit war es natürlich ganz anders. Wer bei einem Rennen nur mit einem Hämatokritwert von 44 auftauchte, war ein braver Junge, der bemitleidet wurde. Der mit 48 galt als knallharter Kalkulierer und der mit 49,5 als jemand, der das Team in Gefahr bringt. So krank war das. Es ging Godefroot nicht darum auszuschließen, dass jemand dopt, sondern dass er ungeschickt dopt. (…)

Jörg Jaksche bekam einen gut dotierten Zweijahresvertrag von Manolo Saiz, ONCE.

Team ONCE, 2001-2003

(…)
SPIEGEL: Was war anders bei Once?
Jaksche: Ich kam plötzlich in eine Art Familie, die dich beschützt und dir hilft. Und Saiz war der Boss dieser Familie, dem niemand widerspricht. Er hat immer gesagt: Ihr werdet nicht fürs Denken, sondern fürs Treten bezahlt.

SPIEGEL: Wie war das Doping organisiert?
Jaksche: Ich war komplett in der Hand der Mediziner und kann nicht einmal sagen, was die genau mit uns gemacht haben. Ich habe einfach nur meinen Arm hingehalten und mich spritzen lassen. Dir bleibt auch gar nichts anderes übrig. Außerdem gehst du davon aus, dass die dir nichts geben, was dich positiv machen würde. Das ist ja die Hauptsorge eines Radfahrers. Du schaust dir die Historie des Teams an und siehst: In zehn Jahren haben die immer auf ihre Fahrer aufgepasst. Also wird dir auch nichts passieren. Gut möglich, dass sie mir drei Jahre lang das volle Programm verabreicht haben. Ich weiß es einfach nicht. Und ich wollte es auch nicht wissen: Mir ging es gut, ich war gesund und hatte einigermaßen gute Ergebnisse. Es war so eine Art Rund-um-sorglos-Paket. (…)

Ende 2003 zog sich der Sponsor ONCE zurück und Jörg Jaksche wechselte zum Team von Bjarne Riis CSC.

Team CSC, 2004

SPIEGEL: Warum sind Sie zum Team CSC von Bjarne Riis gewechselt?
Jaksche: (…) Mich hat beeindruckt, wie er aus Fahrern wie Laurent Jalabert oder Tyler Hamilton noch mal viel Leistung herausgekitzelt hat. Er ist ein Pragmatiker, versucht, immer das Maximale herauszuholen. Ich kannte Riis schon länger, er wohnt in der Nähe von Lucca. Anfang des Jahres 2004 haben wir uns zum Skifahren in Abetone verabredet. Wir sitzen also im Doppelsessel des Skilifts und unterhalten uns über den Rennkalender und kommen ganz nebenbei darauf zu sprechen, was man als Fahrer so machen kann, um seine Leistung zu steigern, so wie damals Pevenage bei Telekom. 2004 war ein schwieriges Jahr, die Geschäftsgrundlage hatte sich geändert. Es gab jetzt auch einen Test zum direkten Nachweis von Epo, es wurden auch Kontrollen in der Trainingsphase vorgenommen. Die ersten 50 der Weltrangliste mussten jetzt ihren Aufenthalt für Trainingskontrollen melden. Da hatte ich oft das Gefühl der Panik. Kann ich keine Leistung mehr bringen? Kann ich noch Geld verdienen? Wie erkläre ich meinen Leistungsabfall? Dahinter stand der Gedanke: Das ist ungerecht. Die ersten 50 werden kontrolliert, die anderen nicht. Deshalb suchst du irgendwann nach anderen Lösungswegen, um auf ein ähnliches Leistungsniveau wie bisher zu kommen.

SPIEGEL: Wie oft wurden Sie kontrolliert?
Jaksche: Die Trainingskontrollen waren nur sporadisch und eher lasch. Ich hätte einfach nur zur Tür gehen müssen, den Namen meines Bruders angeben, und die Kontrolleure wären wieder weggefahren. Ich bin nur sehr selten in der Trainingsphase überprüft worden. Bjarne und ich haben offen über mein Problem mit den Trainingskontrollen geredet.

SPIEGEL: Gab es bei Riis organisiertes Doping?
Jaksche: Riis wusste natürlich über Doping Bescheid, er sagte, was Sache ist. Ich glaube, er war in dem Zwiespalt, zwischen dem, was in seiner aktiven Zeit möglich war, und dem, was heute noch möglich ist. Es war eine Gratwanderung zwischen der Vision eines sauberen Radsports und dem Wissen, dass es ohne Doping nicht geht. Es gab dann die Möglichkeit, Synacthen zu nehmen und Sachen, die so halblegal sind, weil sie offiziell nicht auf der Doping-Liste standen. Aber der Zweck war der gleiche: Doping. (…)

SPIEGEL: Was nahmen Sie unter Riis?
Jaksche: Epo, aber nur bis Paris-Nizza, danach wurde es, wie schon gesagt, zu gefährlich. Zu Bjarne habe ich gesagt: „So, meine Leistung habe ich für dieses Jahr gebracht. Ich will jetzt kein Risiko mehr eingehen.“ Kortison haben wir dagegen praktisch über die gesamte Saison genommen. Das steht zwar auch auf der Doping-Liste, ist aber unter bestimmten Auflagen erlaubt – etwa wenn man eine Bescheinigung hat, Asthmatiker zu sein. So konnte man es zu den Rennen mitnehmen, ohne Angst vor einer Razzia zu haben. Kortison gab es zu den Rennen intramuskulär, weil es so den größten Effekt hat.

Jörg Jaksche fiel danach für den Rest des Jahres aufgrund mehrerer Brüche infolge aus. Als CSC in finanzielle Schwierigkeiten kam, wechselte er wieder zu Manolos Saiz, der mit dem Sponsor Liberty Seguros ein neues Team aufgebaut hatte.

Team Liberty Seguros, 2005-2006

(…)
SPIEGEL: Haben Sie jemals mit Saiz konkret über Doping gesprochen?
Jaksche: Nein, das war so ein Wir-wissen-worum-es-geht. Er hat auch den Namen Fuentes nie erwähnt, er sagte nur irgendwann, dass mich ein Arzt anrufen wird. Ich kannte Fuentes vom Hörensagen, er rief mich kurz nach Silvester an, es war kalt, ich war mit Freunden in den Bergen, ich ging nach draußen in den Schnee, weil ich ja nicht wollte, dass irgendjemand das Gespräch mithört. Fuentes sagte: Hallo, hier ist Eufemiano. Er schlug vor, dass ich mal nach Gran Canaria komme, wo er wohnt. Und dann bin ich runtergefahren.

SPIEGEL: Wann?
Jaksche: Mitte Januar 2005. (…) Als Erstes sprach er von Anabolika, aber die wollte ich nicht, weil große Muskelpakete hinderlich sind in den Bergen. Dann künstliches Hämoglobin, irgendwelches Zeug aus Russland, tiefgefroren. Das war mir zu gefährlich. Dann kamen wir auf Epo, aber das wollte ich nicht wegen der Trainingskontrollen. Er sagte, dass er ein Mittel habe, um Epo-Doping zu vertuschen, das hat er mir später mal in so einer kleinen Pillendose mitgegeben, und das mixte man in den abgegebenen Urin. Fuentes hat quasi seinen gesamten Katalog aufgeblättert und mich gefragt, welches Risiko ich eingehen wolle. Mit Risiko meinte er das Risiko, erwischt zu werden, nicht das gesundheitliche Risiko. So kamen wir auf Eigenblut-Doping. (…)

SPIEGEL: Hat Fuentes Ihnen beim ersten Treffen auf Gran Canaria schon Blut abgenommen?
Jaksche: Ja, das war in meinem Hotelzimmer und lief ab wie bei einer Blutspende. Ich habe mich auf eine Couch gelegt, dann wurde die Kanüle angelegt, das Blut floss raus, und nach gut einer halben Stunde war ein halber Liter abgezapft. (…)

SPIEGEL: Wussten Sie von anderen Fahrern, die sich von Fuentes das Blut austauschen ließen?
Jaksche: Fuentes war ein Meister der Tarnung. Keiner seiner Kunden wusste vom anderen. Noch nicht einmal in unserem Team war genau bekannt, ob noch mehr Fahrer bei ihm sind. (…)

SPIEGEL: Wie liefen die Treffen ab?
Jaksche: Ich musste in einem Café in der Nähe warten (…) Fuentes persönlich setzte dann die Nadel an. Ich habe mir gedacht, du musst das jetzt machen, wenn du mithalten willst. Und da waren keine Quacksalber am Werk. (…) Und Fuentes war so ein Arzt, der dich aufgeklärt hat. Während das Blut rauslief, hat er erzählt, wie das Blut gekühlt und aufbewahrt wird. Das Gefährlichste, was passieren könne, sei, dass Bakterien ins Blut gelangen. Deshalb hat er viel Wert auf Hygiene gelegt. Mein Arm wurde immer mit rotem Desinfektionsmittel eingeschmiert, so als wollte er mir Gott weiß was aufschneiden.

SPIEGEL: Ist Blut-Doping unangenehmer als die Epo-Spritze?
Jaksche: Der Akt der Blutzufuhr an sich ist schon eklig. Auf der anderen Seite hast du ein reines Gewissen, du sagst dir: Okay, ich muss keine Angst haben bei der Kontrolle. Es sind keine gefährlichen Substanzen, es ist mein eigenes Blut. Für mich war das kein Doping. Für mich war es Anpassung an das System.

Das Proceder ist aufwändig und langwierig: Nach einer Blutentnahme von einem halben Liter benötigt der Körper vier Wochen zur Regeneration, Rennen können während dieser Zeit nicht bestritten werden. Das Blut ist normalerweise nur vier Wochen haltbar. Daher muss es regelmäßig ausgetauscht werden. Nach der Entnahme eines halben Liters wird nach einiger Zeit ein weiterer Liter abgenommen, der alte halbe Liter dann wieder dem Körper zugeführt. So können mit der Zeit mehrere Beutel je nach späteren Bedarf gelagert werden.

Den ersten Beutel ließ sich Jörg Jaksche zur Tour de France in Madrid geben, da er in Frankreich zu viel Angst vor Kontrollen und Razzien hatte.

Jaksche: Das war wie ein ständiger Ölwechsel. Bei mir hat es anfangs aber nicht so toll funktioniert, weil mich diese Rein- und Raustauscherei kaputtgemacht hat. Deshalb habe ich den Einsatz auf ein Minimum reduziert. Für zwei Klassiker, für das Rennen Paris-Nizza und für die Tour de France.

SPIEGEL: Und wie funktionierte das dann während einer Rundfahrt?
Jaksche: (…) Der hatte überall seine Mitarbeiter. 2005 führte die Tour durch Deutschland. Also bin ich im Frühsommer von Ansbach nach Bad Sachsa in den Harz gefahren. Dort hat mir ein Dr. Choina einen halben Liter Blut abgenommen. Zum verabredeten Termin am 8. Juli kam Choina dann nach Karlsruhe und hat es mir für den Rest der Tour zurückgegeben. Es dauert zwei Tage, bis sich das zugeführte Blut verstoffwechselt hat. Aber dann fühlt man sich einfach besser. Du merkst, dass du am Berg länger vorn mitfahren kannst. Du hast dabei nicht weniger Schmerzen, aber die Schmerzgrenze liegt höher. Denn in den Blutbeuteln ist ja mehr drin als die roten Blutkörperchen, die du zum Transport des Sauerstoffs brauchst: körpereigenes Wachstumshormon und Testosteron, Vitamine, Proteine. Das wirkt wie eine Verjüngungskur.

SPIEGEL: War die Tour 2005 eine Tour der Eigenblut-Doper?
Jaksche: Irgendwann wird dir klar, dass das, was du machst, keine Sonderbehandlung ist. Ich hatte mich mit meinem eigenen Blut gedopt und trotzdem weiterhin die gleichstarken Gegner. (…)

2006 hatte sich Fuentes ein neues System zugelegt. Damit wurde das Blut zentrifugiert und auf minus 80 Grad eingefroren. 10 Jahre lang kann so das Blut gelagert werden und das umständliche Entnahmeverfahren entfällt. Jörg Jaksche ließ sich so mehrmals im Winter, einmal pro Monat, in Madrid Blut abnehmen.

Doch dann gab Saiz die Zusammenarbeit mit Fuentes auf, da einer seiner Fahrer mit einem zu hohen Hämatokrit aufgefallen war. Jörg Jaksche arbeitete aber privat und auf eigene Kosten mit dem Arzt weiter zusammen.

Jaksche: (…) Er sagte mir, was ich zu zahlen habe: 10.000 Euro für die erste Rate. Die habe ich ihm überwiesen. Das Komplettprogramm mit allem Drum und Dran sollte 30.000 Euro kosten. Wir haben nicht großartig verhandelt, der Preis erschien mir fair, er musste die Geräte bezahlen, seine Helfer, außerdem ging er ja auch ein gewisses Risiko ein.

Fuentes und Saiz wurden am 23. Mai 2006 verhaftet. Saiz hatte 30 000 € und 28 000 SF bei sich. Damit wollte Saiz wahrscheinlich Rest-Schulden aus dem Jahr 2005 bei Fuentes bezahlen.

Jaksche: (…) Saiz hatte Probleme mit einem Spitzenfahrer aus seinem Team, der zu Beginn des Jahres zu Liberty Seguros gewechselt war und einen sehr schlechten Frühling hatte. Der Fahrer und sein Manager, der seit fünf Jahren auch mein Manager war, hatten Saiz unter Druck gesetzt. Sie wollten eine bessere medizinische Betreuung, und Saiz ließ sich darauf ein, er war in einer Zwickmühle: Der Spitzenfahrer ist teuer, Saiz musste sich vor seinen Sponsoren rechtfertigen.

(…) Saiz ist wegen dieses Fahrers zurück zu Fuentes, deswegen musste er die Schulden bezahlen, deswegen flog alles auf.

(…) Jaksche: Die Angaben in den Akten stimmen nur zum Teil. Die Nr. 20 gehörte zum Beispiel bis 2005 einem anderen Fahrer. Die spanischen Ermittler gehen davon aus, dass ich auch unter dem Namen „Jorge“ geführt wurde, was nicht stimmt. Und es hat sich außerdem herausgestellt, dass es keinerlei Filmaufnahmen von mir gibt. Was die spanische Polizei gefunden hat, war eine Visitenkarte von Doktor Merino Batres, dem Helfer von Fuentes. Batres ist über 70 Jahre alt und ein bisschen senil. Bei jedem Treffen hat er sich immer wieder neu vorgestellt und auch jedes Mal erzählt, dass er zum Skifahren nach Tirol fährt. Der war so durcheinander, dass er sich Codenamen und dazugehörige Nummern auf einer Visitenkarte notieren musste, und die wurde gefunden bei der Razzia. Ich will nichts zerreden, aber man muss schon sagen, dass die spanische Polizei merkwürdig schlampig gearbeitet hat, die wollten vor der Tour noch schnell etwas raushauen.

SPIEGEL: Hat es Sie überrascht, wer alles auf der Liste steht?
Jaksche: Ja. Aber noch mehr hat mich überrascht, wer alles nicht draufsteht – bei all dem Wissen, das jetzt bekannt ist. Es gibt auch unterschiedliche Versionen dieser Liste, plötzlich fehlten Namen. Da hat es eine Selektion gegeben. Am Ende standen fast nur die Fahrer aus meinem Team Liberty Seguros drauf und ein paar große wie Ullrich oder Basso.
(…)

2007

Das Team Liberty Seguros wird nach dem Eklat aufgelöst. Jörg Jaksche bekommt einen Vertrag beim Team Tinkoff, da man angeblich keine Beweise gegen ihn hat. Allerdings boykottieren einige Rennveranstalter die ehemaligen Fuenteskunden. Er ist unzufrieden und erwägt, öffentlich, aufzuhören. Das Gerücht verbreitet sich, er wolle auch gestehen. Daraufhin melden sich drei seiner ehemaligen Sportdirektoren bei ihm: Gianluigi Stanga, Bjarne Riis, Manolo Saiz.

Jaksche: (…) Bjarne Riis zum Beispiel sagte mir, er könne mir nicht helfen, er könne ja nichts dafür. Und er sagte, dass es ihm leidtue. Alle behaupten immer, dass der Radsport mafiös sei. Aber dieser Vergleich stimmt nicht. Die Mafia kümmert sich um ihre Leute, um ihre Familien. Wenn einer zurückbleibt, muss er sich keine Sorgen machen. Wäre der Radsport eine Mafia, würden sie sagen: Halt ein Jahr lang deine Klappe, und danach stellen wir dich zu guten Konditionen wieder ein. Aber der Radsport ist nicht mafiös, der Radsport ist skrupellos.

Stanga meldete sich sogar während des Spiegel-Interviews. „Er sagt auch, dass sich alle Teamleiter demnächst zusammensetzen wollten und er sich für eine Amnestie einsetzen werde, damit die Fuentes-Fahrer wieder starten dürfen. Nur noch die deutschen Teams, Gerolsteiner und T-Mobile, verhinderten, dass die Operación Puerto endlich ad acta gelegt werde. Stanga droht ihm nicht, er kann ihm nicht drohen, womit auch? Jaksche hat nichts mehr zu verlieren.“
(…)

Jaksche: (…) Ich weiß, dass diese Entscheidung sehr weit reichende Konsequenzen haben kann. Ich habe Angst davor und immer noch Zweifel, ich werde sie auch haben, wenn die Geschichte erschienen ist. Ich mag Bjarne und Stanga und die anderen, ich möchte ihnen keinen Schaden zufügen. Bjarne steckt dieses Jahr 500.000 Euro in das Anti-Doping-System seines Rennstalls CSC. Das ist sein persönliches Geld und nicht, wie bei T-Mobile, das Geld eines Konzers.

SPIEGEL: Warum macht Riis das erst jetzt?
Jaksche: Weil er begriffen hat, dass sich etwas ändern muss, denn sonst geht der ganze Sport vor die Hunde. Natürlich ist das eine wirtschaftliche Entscheidung, natürlich will er weiter Geld verdienen mit seiner Firma. Aber es waren auch wirtschaftliche Gründe, die ihn früher dopen ließen: Nur wer dopt, gewinnt. Nur wer gewinnt, kommt in die Medien. Nur wer in den Medien ist, macht seine Sponsoren glücklich. Nur glückliche Sponsoren geben auch im nächsten Jahr noch frisches Geld. (…)

SPIEGEL: Warum haben Sie gedopt?
Jaksche: Radfahren an sich ist nicht schön. Es tut immer weh. Der Sport ist mit sehr viel Schmerz, körperlichem Schmerz, verbunden. Das Training ist der Versuch, deine Leistungsfähigkeit so zu steigern, dass du nicht abgehängt wirst, und damit es nicht so wehtut, gab es erst Kortison, dann Epo, und heute gibt es frisches Blut. Radfahren ist ein schwieriger Sport. Als Fußballer kann man 90 Minuten lang wie ein Trottel übers Feld laufen, dann schießt du in der Verlängerung das entscheidende Tor und bist ein Held. Im Radsport wird man bei 99 von 100 Rennen abgehängt, auch wenn du alles gibst. Es tut weh, die ganze Zeit, und man hat trotzdem nur selten Erfolg.

SPIEGEL: Würden Sie weiter dopen, wenn Sie nicht auf der Fuentes-Liste stünden?
Jaksche: Ich würde es wahrscheinlich tun, so egoistisch bin ich schon. Obwohl sich natürlich jeder normal denkende Mensch sagen muss: Das kann so nicht weitergehen, weil irgendwann alle Sponsoren weg sind. Aber angenommen, ich wäre nicht auf der Liste, und ich würde trainieren wie verrückt, und trotzdem hängen mih alle ab, gerade bei den großen Rennen, dann hätte ich keine Chance ohne Doping. Wenn du weißt, dass sich der Radsport nicht grundsätzlich geändert hat, wovon auszugehen ist, dann musst du weitermachen. Es ist pervers, aber das Doping-System ist gerecht, weil alle dopen. Radsport ohne Doping ist nur gerecht, wenn wirklich niemand mehr dopt. Mir hat ein Fahrer erzählt, dass es wegen der Trainingskontrollen Deals geben soll zwischen ein paar Mannschaften und dem Weltradsportverband. Da muss man annehmen, dass es kein generelles Umdenken gibt. Das hat mir dieser Fahrer stolz erzählt. Da wusste ich: Nichts hat sich geändert.

(…)

Zusammenfassung von Monika