2004 Ärzte und Unabhängigkeit

Die Rolle der Ärzte im Dopingkomplex und Suchtproblematik

Doping und Sportmedizin: eine unzertrennliche Ehe?

Hochleistungssport ohne Sportärzte ist nicht mehr denkbar ebenso wie das Thema Doping untrennbar mit Ärzten verbunden ist. Doch haben Sportärzte überhaupt eine Wahl im Spannungsfeld der Erwartungen und finanziellen Zwänge?

In einem le Figaro-Artikel vom 18.2.2004 wird dieser Frage nachgegangen:
La difficile indépendance des médecins sportifs

Wenn auch die geforderten Massnahmen im Detail Frankreich spezifisch sind, dürfte der hier angsprochene Konflikt auf andere Länder übertragbar sein und die Diskussion darüber muss generell geführt werden.

Unabhängigkeit der Sportmediziner – eine Utopie?

Schutz der Profi-Sportler vor möglichen krankmachenden Konsequenzen ihrer Berufsausübung’

mit solch offensichtlicher Klarheit definiert das beratende nationale Komitee für Ethikfragen (le Comité consultatif national d’éthique) die Aufgabe der Mediziner, die für Teams im Hochleistungssport tätig sind.  Doch die Ehe zwischen dem medizinischen Berufsethos und den Gesetzen des Sportbetriebes bereitet  den  beteiligten Medizinern manchmal Kopfzerbrechen, wie auch anderen Leuten der Vereine (Clubs), hervorgerufen durch die Ansprüche, die von den Wettkampfergebnissen ausgehen. Alle sind mehrfachem Druck ausgesetzt. Von nun an arbeiten die Behörden übrigens  mit Vorrang daran, die Aufgaben der Club-Mediziner zu präzisieren und den Rahmen zu bestimmen innerhalb dessen gearbeitet werden muss. In den letzten Jahren wurde der Anti-Doping-Kampf wahrlich zu regelmäßig behindert, zum einen durch die Abhängigkeit der Ärzte vom Arbeitgeber, zum anderen durch die  medizinische Schweigepflicht, das manchmal schwer wiegt.  Aber auch durch die allzu leichte Vermengung medizinischer Betreuung mit der Hilfe zur Leistungssteigerung.

Die notwendige Unabhängigkeit der Mediziner

Prinzipiell ist der Arzt da um die Gesundheit des Athleten zu schützen und er kann in keiner Weise verantwortlich gemacht werden für die sportlichen Resultate.

„Aber in einigen Sportarten sieht man immer noch, wie die medizinischen Kräfte nach einem Sieg Prämien entgegen nehmen. Dies ist z.B. eine Art, mit der dafür gedankt wird, dass einem geschwächten Spieler ermöglicht wurde, bei einem wichtigen Spiel weiterzuspielen,“ so Doktor Éric Jousselin, Chefmediziner des ‚Institut national du sport et de l’éducation physique‘.

Das nationale Komitee zur Vorbeugung und Verhinderung von Doping (le Comité de prévention et de lutte contre le dopage (CPLD)) und der Vorstand der Ärztekammer (le Conseil de l’ordre des médecins) fordern seit einem Jahr die Einführung eines ordnungsgemäßen Arbeitsvertrages, um damit die Unabhängigkeit der medizinischen Entscheidung auch dann zu garantieren, wenn der Mediziner von einem Club oder einem Verband bezahlt wird.

„Wir wollen nichts mehr zu tun haben mit Teams, die einfach so mal einen Mediziner einstellen, der weitläufig verwandt ist mit einem Fahrer, um dessen Betreuung sicherzustellen und diesem dann irgendetwas gibt,“ so ein Kenner der Milieus.

Gegenwärtig scheint es jedoch so zu sein, dass die vereinbarten Verträge an einer Hand abzuzählen sind.

Ein anderer Teil dieser Sanierungsbaustelle ist der, dass das CPLD dafür kämpft, dass das medizinisches Personal (soignants), das bei Teams vollbeschäftigt ist, mindestens ein sportmedizinisches Diplom aufweisen muss, am besten sogar ein Diplom eines Spezialstudiums (1).

„Die Absicht dabei ist, den Clubs entgegenzuarbeiten, die manchmal die Tendenz haben  junge Mediziner einzustellen, die noch unerfahren sind oder noch wenig Selbstvertrauen besitzen, um so besser Druck ausüben zu können,“ redete Éric Joussellin Klartext.

Gegenwärtig“, hofft Michel Rieu, wissenschaftlicher Berater des CLPD, „wird die Schaffung eines nationalen medizinischen Direktoriums an der Seite des DTN (Direction technique nationale) vielleicht dazu beitragen, dass für immer dieser Bereich von der anarchischen Galaxie der Pseudomediziner, Physiotherapeuten und andere Doktoren, die im Orbit gewisser Athleten kreisen, geklärt und gereinigt wird.“

Hindernis medizinische Schweigepflicht

Die Bindung der Mediziner an dieses weiterhin gültige Prinzip ihrer medizinischen Berufsordnung erlaubt es praktizierenden Experten, die bei einem Athleten eine Anomalie bei den Laborwerten oder anderen Untersuchungen feststellen, zur Zeit nicht, den Trainer, den sportlichen Leiter und noch nicht einmal direkt den Verbandsmediziner davon in Kenntnis zu setzen.

„Die einzige Möglichkeit besteht darin, wie es das Gesetz vorschreibt, die medizinische Stelle zur Vorsorge und der Prävention gegen Doping zu informieren, welche künftig in jeder Region vorhanden sein wird, die so dem Sportler zur Hilfe kommen kann“, präzisiert Bruno Sesboue, Präsident der französischen Gesellschaft für Sportmedizin (la Société française de médecine du sport). Praktisch wird diese Vorschrift kaum eingehalten.

Fakt ist, dass das Gesetz des Schweigens noch immer nicht nur den Kampf gegen den Handel mit verbotenen Mitteln behindert, sondern auch den Schutz der Sportler. So denken die Verantwortlichen darüber nach, einen Kompromiss zu finden, der von allen medizinischen Berufssparten akzeptiert werden kann.

„Um die Vorrechte des medizinischen Personals zu stärken, könnten wir ihnen z.B. in der Zukunft die Möglichkeit eröffnen, Atteste auszustellen, die einem Sportler bescheinigen, nicht zur Sportausübung in der Lage zu sein.,“ schlägt Michel Rieu vor. „Dieses Dokument hätte den Vorteil, den Sportler vor einer Gefahr zu schützen, der er sich unwillkürlich aussetzt, ohne dass der Allgemeinheit der Diagnosegrund bekannt gemacht würde, so wie die Arbeitsmediziner es bereits können.“

Doping auf Rezept

Die extremen Anstrengungen, die Athleten auf sich nehmen, sei es im Training oder im Wettkampf, äußern sich oft in ‚hormonellen Defiziten’, die einige Mediziner in den 90er Jahren glaubten legitimerweise mit Injektionen verbotener Mittel ausgleichen zu dürfen. (…)

Seit einigen Jahren steigt die Anzahl der Sportler, die mit Kortikosteroiden oder Salbutamol gegen Allergien, chronisches Asthma oder Entzündungen – verschreibungspflichtig – behandelt werden, was die Sportpolizei  befürchten lässt, dass unter dem Mantel der medizinischen Indikation eine große Anzahl verbotener Substanzen Einzug hält.

„Die Lösung wäre, die Untersuchungen zu erhöhen sobald wir mit verdächtigen Fällen konfrontiert sind, um herauszufinden, ob die Diagnose aufgrund genauer Untersuchungen gewonnen wurde“,nimmt Michel Rieu an, denn dass ist sicher nicht immer der Fall.

„Da die Leistung direkt in Beziehung steht zum Trainingsumfang, stößt man immer auf dieselbe Gleichung“, analysiert Éric Jousellin: „bei mehr als zwei Einheiten pro Tag ist es unumgänglich die Chemie einzubeziehen und gewisse ‚Pfleger‘ meinen, dass es besser wäre die Sportler zu begleiten als dass sie sich allein kaputtmachen. Das wichtigste ist, nicht wieder zu diesem Spiel zurückzukehren, denn der Mediziner verliert sehr schnell die ganze Kontrolle über die Situation. Das geschieht immer noch.“

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(1) mir ist unklar, ob hier nur von Medizinern die Rede ist, oder ob hier auch das andere medizinische Personal gemeint ist. Möglicherweise wird hier auf die Soigneurs Bezug genommen, die persönlichen Betreuer  von Fahrern, die oft keinerlei medizinische Ausbildung haben, aber als Masseure, Betreuer und ‚Mädchen für alles‘ wichtige Funktionen ausüben und in vielen Fällen die engsten Vertrauten der Sportler sind. Die Dopinggeschichte des Radsports ist reich an Beispielen, in denen dieser Personenkreis eine wichtige Rolle spielt. Der jüngste Dopingfall um den langjährigen COFIDIS-Pfleger Boguslaw Madejak veranlaßte die französische Regierung noch vor Paris-Nizza 2004 einen Erlass durchzusetzen, der den französsichen Teams auferlegt, mindestens zwei diplomierte Physiotherapeuten anstelle der ‚dubiosen‘ Soigneurs einzustellen.