Doping: Casties, Jean François – Radsport

Profis und Amateure erzählen

Jean François Casties – Amateure in Zugzwang

Der ehemalige Elite-Amateur-Fahrer Jean François Casties berichtet in einem Interview aus dem Jahre 2000 mit dopage.com seine Erfahrungen:
Au niveau amateur, les cyclistes prennent tout et n’importe quoi !

DIE AMATEURE NEHMEN ALLES, EGAL WAS

Waren Sie während ihrer Amateurzeit mit Doping konfrontiert ?
Jeder Radfahrer ab einem bestimmten Niveau wird von einem Tag auf den anderen mit Doping konfrontiert. Selbst wenn die meisten Verantwortlichen der Sportinstitutionen heuchlerisch sagen, dass das Doping nur zu einen geringen Teil im Radsport und im gesamten Sport vorkommt, musste ich während meiner aktiven Zeit feststellen, dass Doping zum Sport gehört und dass viele Sportler sich dopen.

Was mich sehr bedrückt, ist, dass sich gegenwärtig die Sportler, die Profis werden wollen, schon als Amateure dopen. Dieses wilde Dopen ist sehr gefährlich, da die Leute alles nehmen, egal was.  (…)

Welche Produkte werden hauptsächlich bei den Amateuren genommen?
Als ich Elitefahrer war, waren die wichtigsten Produkte die Corticosteroide und die Amphetamine, die absolut üblich sind im Radsport. Sie sind dermaßen Bestandteil des Radsports, dass die Jungs sie nicht wirklich verstecken. Sie sind so normal, dass einige meiner Kollegen sie auch am Abend zum Ausgehen nehmen.

Während der letzten Jahre bemerkte man trotzdem einen Unterschied im Milieu, da einige schon EPO oder Wachstumshormone hatten. Um diese Produkte wurden mehr Geheimnisse gemacht, da EPO, das noch nicht so verbreitet ist in der Amateurszene, wirklich Vorteile bringt.  (…)

Haben sie Dopingprodukte genommen oder waren Sie versucht welche zu nehmen ?
Ich nahm niemals welche außer ein oder zwei Guronsan vor einem Rennen. Ich habe mir niemals eine Injektion gegeben. Man muss wissen, dass auf dem Elite-Niveau bei den Amateuren sich 90 bis 95% des Pelotons bereits eine Injektion gegeben haben, wobei diese nicht unbedingt verbotene Substanzen beinhalten sondern z. B. Vitamine.  (…)

Einige Mediziner sprechen bei Sportlern, die sich dopen, von Suchtverhalten. Was denken Sie darüber? 
Ich stimme zu, denn da ist bereits die Geste des Sichspritzens. Es scheint mir nicht normal, sich Spritzen zu setzten ohne viele Fragen zu stellen, selbst wenn sie nur Vitamine enthalten. Einige brauchen unbedingt ihre Injektion: Sie würden selbst Wasser per Spritze trinken, wenn sie könnten.

So nehmen sie Vitamine und nach und nach kommt anderes hinzu; nach ihren Karrieren bekommen sie Entzugserscheinungen und sie beginnen Amphetamine, den Pot Belge zu nehmen, greifen zu harten Drogen und kommen nur schwer davon los. Einige nehmen sie von Zeit zu Zeit und so wie sie oder ich bei bestimmten Gelegenheiten trinken, nehmen sie darüber hinaus noch unerlaubte Mittel.

Wie kam es, dass Sie nicht in Versuchung gerieten zu dopen?
Ich war schon versucht. Stark versucht, denn es ist nicht leicht zu sehen, wie weniger starke Kerle als du Profis werden. (…) Aber ich hatte das Glück einen Kurs an der Universität zu belegen: Ich hatte andere Lebensperspektiven als nur das Radfahren und ich glaube, das war es, warum es mir gelang Stopp zu sagen. Dennoch möchte ich betonen, dass die Leute, die sich dopen, Leute wie du und ich sind, die Teil eines Systems sind und der Verband Teil dieses Systems ist, egal was man sagt. (…) Man sollte aufhören auf den Fahren rumzutrampeln und ein wenig höher hinschauen, denn der Teufelskreis überfordert viele Fahrer. Ich kenne einige, die mit der Ausbildung aufhörten direkt nach dem Abitur: Am Anfang hätten sie geschworen, niemals zu dopen. Aber von einem Tag auf den andern, wenn dir jemand etwas vorschlägt, nimmst du davon und sagst dir: „Nur ein Mal.“ Aber wenn du siehst, dass es funktioniert, beginnt der Teufelskreis.

Wenn ein Sportler keine andern Optionen hat als das Radfahren, wird er früher oder später der Versuchung erliegen ?
Ja, das denke ich oder er hat eine phänomenale moralische Stärke, denn man beginnt von Geld zu träumen, von der Tour de France, davon im Fernsehen auftreten zu können. Alle hoffen auf ein Minimum an Ruhm.  (…)

Gibt es im Umfeld der Amateure Lieferanten?
Vor Kurzem gab es in Narbonne eine Festnahme, durch den ein Netzwerk aufgedeckt wurde. Letztes Jahr wurde in Poitiers ein weiteres Netz bekannt, weshalb es gegenwärtig ein paar Schwierigkeiten gibt sich mit Produkten einzudecken, aber die Leute wissen, wo sie sich hinwenden müssen und dass, wenn ein Netz zusammenbricht, woanders ein neues entsteht.

Der Unterschied bei den Amateuren ist, dass sie keine Mediziner haben, die sie betreuen und dass sie alles nehmen, egal was. Ich kenne einige, die Mittel ausprobiert haben ohne zu wissen, worum es sich handelt. Einige versuchen den Pot belge und wenn er ihnen nicht stark genug ist, fügen sie etwas Kokain hinzu: das geschieht immer so über den Daumen gepeilt.

Glauben Sie, dass alle Amateur-Radsport-Clubs mit Doping zu tun haben?
In vielen Amateurclubs kümmern sich die Fahrer um ihre Angelegenheiten und die Leitung hat kaum Ahnung. In meinem Club z. B., dem Club routiers des quatre chemins de Roanne, gab es niemals jemanden der mir zu irgendetwas geraten hätte. In der Mannschaft sagte man uns, es wäre besser ein mittelguter Fahrer zu bleiben als sich zu dopen. So bleibt es dem Fahrer überlassen, die Wahl zu treffen, aber aus dem Club heraus gab es keinen Druck auf die Fahrer, sich zu dopen. In diesem Milieu ist diese Haltung wirklich anerkenneswert, aber ich denke trotzdem, dass es auch andere Amateurclubs gibt, die so funktionieren, selbst wenn es auf dem Profiniveau völlig anders aussieht.

Träumen Sie immer noch von der Tour de France?
Der Radsport bringt mich nicht mehr zum Träumen. Ich folge der Tour de France mit Abstand. Diejenigen, die gewinnen, lassen mich nicht Träumen, denn ich weiß was im Verborgenen geschieht. Im Gegenteil, ich bewundere diejenigen, die nichts nehmen, selbst wenn ich nicht weiß, wer das ist.

Das Fahrradfahren ließ mich träumen als ich klein war, aber die Institutionen und die Fahrer haben meinen Traum zerstört. Gegenwärtig habe ich keine Lust, die Rennen zu verfolgen aber auf der anderen Seite war das für mich konstruktiv: Ich habe gelernt, dass man Leuten nicht vertrauen kann. Es ist trotzdem schade, dass man im Sport misstrauisch sein muss um nicht betrogen zu werden, dass man sich fragen muss, ob eine Leistung wirklich bewundernswert ist oder ob es Betrug ist.  (…)

Sind Sie optimistisch was den Kampf gegen Doping anbelangt?
Für mich beginnt der Kampf gegen das Doping in der Prävention, da die Kontrollen immer mehr oder weniger unklar sind: einige Fahrer wissen vorher, dass es eine Kontrolle geben wird oder sie kennen die Produkte und wissen was zu machen ist um die Kontrolle zu überstehen. Ich sah Kerle voll mit Cortikosteroiden zur Kontrolle gehen, wissend, dass sie nicht entdeckt würden. (…)

Die Vorbeugung läuft nur über die Erzieher, die den Jungen und den Eltern den Geist des Sports neu nahe bringen müssen.

Man muss den Jungen beibringen, zu den Besten zu werden im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten und nicht in Abhängigkeit von anderem. Für mich gibt es eine Grenze zwischen gesundem Sport, in dem man sein Bestes gibt und einem Sport auf hohem Niveau, bei dem die finanziellen Fragen die Oberhand über die moralischen gewinnen.