Doping: 1968 Ludwig Prokop, 21.10.1968: Chemische statt Olympische Spiele?

1968 Univ.-Prof. Dr. med. Ludwig Prokop, Wien, über Doping im Sport

Krone, 6.8.2010:
Der am 6. August 1920 in St. Pölten geborene Bruder des „Handball-Zampanos“ Gunnar Prokop war Mitglied der IOC-Medizinerkommission sowie als Teamarzt bzw. Dopingexperte bei insgesamt 26 Olympischen Spielen dabei.

Sein Hauptaugenmerk galt aber neben der Erforschung und Kontrolle von Doping sowie der damit verbundenen Jagd auf Dopingsünder vor allem der Wissenschaft, die er mit Akribie, aber auch Herz („Ein bisschen Wein im Blut tut gut“) betrieb. Einer der legendärsten Sprüche von Dr. Prokop, der wie kein anderer Sport, Medizin und Wissenschaft verknüpfte, lautet: „Der Sport ist nicht dazu da, dass man länger lebt, ondern gesünder stirbt.“

Der Wiener Prof. Ludwig Prokop, Sportmediziner, geb. 1920, begann schön früh sich gegen Doping auszusprechen. Er gehörte immer zu den scharfen Kritikern der (deutschen) Sportmediziner, die solch eine klare Haltung z. B gegenüber der Anwendung von Anabolika vermissen ließen. Siehe hierzu auch
>>> L. Prokop, 1959: Doping .

Der vorliegende Aufsatz in der Zeitschrift Selecta vom 21.8.1968 (S. 2803, 2806-2808, 2810) gibt einen Überblick über das Dopingproblem der 60er Jahre, beschreibt die Gesetzeslage einschließlich der verbotenen Substanzen und Methoden. Er zeigt aber auch die unterschiedlichen Einstellungen und Praxen gegenüber einer medikamentösen Unterstützung der Sportler. Ludwig Prokop macht keinen Hehl aus seiner Antidopinghaltung und geht scharf mit seinen Sportarztkollegen ins Gericht, die keine Hemmungen haben in der Anwendung der unterschiedlichsten Mittel und damit seiner Meining nach ärztliche Ethik verraten.

Zitate:

Chemische statt Olympische Spiele?

Die Zeiten, in denen Sport ein unbefangenes Spiel mit fairem Kampf ohne kommerzielle Intentionen war, scheinen vorbei zu sein. Die Gloriole des Sieges und der horrende, in keinem Verhältnis zur Leistung mehr stehende soziale und wirtschaftliche Lohn sportlichen Erfolges zwingen den Athleten zu immer größeren Anstrengungen. Der Wettkampf ist unerbittlich hart; vor allem auf internationaler Ebene wird das Leistungsprinzip mehr und mehr auf die Spitze getrieben.

Die Möglichkeiten die Leistung auf biologische Weise weiter zu steigern sind jedoch schon weitgehend ausgeschöpft. Weder von den üblichen Trainingsmethoden noch von einer konditionsfördernden Lebensweise ist heute noch ein Leistungszuwachs zu erwarten, der über eine bestimmte Grenze hinausgeht. Dazu kommt, daß Konditionsarbeit und Training als physiologische Wege zur Höchstleistung nicht immer den gewünschten Erfolg bringen; dem Athleten dünken sie oft zu mühsam, weil sie von ihm harte Arbeit an sich selbst und Askese in seiner Privatsphäre verlangen.

Die praktische Konsequenz davon ist, daß der Sportler zu bequemeren Methoden Zuflucht nimmt, die ihm die notwendige „Siegform“ gewährleisten – zum Beispiel einige Tabletten. Leistungssteigernde Praktiken, die sich pharmakologische oder extreme psychologische Einflüsse zunutze machen, werden heute unter dem Begriff des Dopings subsumiert. Unter Doping ist demnach jeder Versuch zu verstehen, die Leistung mit Mitteln zu steigern. die normalerweise nicht oder in kleineren Dosen zugeführt werden. Die Art der Zufuhr ist dabei grundsätzlich belanglos.

Viele Sportler, zum Beispiel Radrennfahrer, Schwerathleten, Fußballer, viele Leichtathleten, Skiläufer und Eisschnelläufer, werden fast routinemäßig auf den Wettkampf mit Medikamenten vorbereitet. Doch muß ein solches Doping sowohl als medizinischen als auch allgemein sportethischen Grundsätzen abgelehnt werden.

Schlechte Sieger

Von der biologischen Seite her gesehen ist Doping ein unnatürlicher und unter Umständen lebensgefährlicher Weg zur Bestform. Fachleute schätzen, daß in den letzten zehn Jahren mittelbar (etwa im Falle des Boxers Elze) oder unmittelbar (wie bei den Radfahrern Jensen und Simpson) sicher über 100 Todesfälle dem Doping zuzuschreiben sind. Überdies widerspricht Doping jeder sportlichen Fairness. …

Weder der Sportarzt noch der Sportfunktionär darf sein Gewissen damit beruhigen, daß aus der sogenannten „nationalen Indikation“ gedopt wird; Sieg um jeden Preis für das eigene Land. Allerdings hat sich der Spitzensport in den letzten Jahren immer mehr zu einer Art totalen Krieges entwickelt, durch den indirekt auch die Überlegenheit des politischen oder wirtschaftlichen Systems eines Landes dokumentiert werden soll.

Gesundheit und Leben der Athleten rangieren hinter dem Erfolg; wie in einem Krieg die Soldaten, werden sie mehr oder weniger bedenkenlos geopfert. Das zeigt am besten der Ausspruch eines Sportarztes eines totalitären Staates, der mir wörtlich sagte: „Es ist doch im Prinzip gleich, ob jemand im Krieg für sein Vaterland fällt, oder im Sport seine Gesundheit opfert. Die Hauptsache ist, er hat dem Vaterland gegenüber seine Pflicht erfüllt.“

Leider geben sich heute auch Ärzte für den Doping-Rummel her. Einige Sportätzte tun es aus Vereinsfanatismus, andere aus rein kommerziellen Überlegungen, wenige auch aus Unkenntnis. Mancher Arzt verstößt gegen das primum nil nocere aber auch nur, weil er dem Druck der Funktionäre oder Athleten nicht standhalten kann und nicht „in Ungnade“ fallen will.

„Adäquate Dosis“ möglich

… Ein Experten-Komitee des Europarates hat nach langwierigen Beratungen in Straßburg 1963 das Doping so definiert: „Doping ist die Verabreichung oder der Gebrauch unphysiologischer Substanzen in jeder Form und physiologischer Substanzen in abnormer Dosis oder auf abnormen Weg an gesunden Personen dem einzigen Ziel der künstlichen und unfairen Steigerung der Leistung für den Wettkampf.“

Der reine Ersatz fehlender oder verausgabter Stoffe, etwa Traubenzucker, Calcium, Lezithin, Phosphate, Eiweißverbindungen und Vitamine, ist demnach kein Doping.

In der internationalen derzeit gültigen Definition heißt es: „Wird eine notwendige Behandlung mit Substanzen vorgenommen, die auf Grund ihrer Dosis, Natur oder Anwendung die Leistung des Athleten im Wettkampf künstlich oder unfair steigern könnten, gilt dies als Doping und schließt die Wettkampffähigkeit aus.“

Diese Definition hat einen schwachen Punkt: Der Begriff der adäquaten Dosis kann selbst unter seriösen Fachleuten sehr unterschiedlich ausgelegt werden, Dies gilt allerdings nur für Mittel, die nicht expressis verbis auf der internationalen Liste stehen.

Dr. Armin Klümper, 8.1970:
„Es ist oft notwendig, Medikamente bei Verletzungsschäden zu verabreichen. Darüberhinaus gibt es auch Erkrankungen, wie zum Beispiel einen Schnupfen, der einer Behandlung bedarf. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Doping, da die normale Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden soll und weder die Absicht, noch die Möglichkeit besteht, eine über das normale Maß hinausgehende Leistungssteigerung zu erreichen.“
(die Zeit, 7.8.1970)

Viele Ärzte glauben sich vor ihrem Gewissen so rechtfertigen zu können, daß sie dem Betreuer oder Sportler zuvor ein Mittel in die Hand geben, ihm aber sagen, daß sie sich offiziell davon distanzieren müßten und daher auch keinerlei Verantwortung übernähmen. Doch schon der Arzt, der tatenlos zusieht, wie Athleten sich dopen, verstößt durch dieses laisser-faire gegen die ärztliche Ethik.

Enthemmt, sonst nichts

Die heute gebräuchlichen Dopingmittel wirken äußerst komplex; ob sie den körperlichen Leistungsstandard zu heben vermögen, ist recht zweifelhaft. Überdies kennt man derzeit kein Medikament. das nicht auch ungünstige Nebeneffekte hat.

Über 200 verschiedene Mittel werden in den internationalen Listen namentlich aufgeführt; in der Praxis spielt jedoch nur eine kleine Zahl eine Rolle. Am häufigsten verwendet werden:

– Narkotika, vor allem Morphium und Cocain;
– Amphetamine, z. B. Pervitin, Stenamin, Benzedrin;
– pflanzliche Alkaloide wie Strychnin und Ephedrin;
– Analeptika und ähnlich wirkende Substanzen.

Zu den Dopingsubstanzen gezählt werden auch Kardiaka, Respirotonika, Psycholonika, Vasodilatantien sowie theoretisch Corticosteroide und Sexualhormone.

Anabolika werden im Kraftsport wie Gewichtheben, Ringen, Boxen, Werfen usw. oft in enormen Dosen, auch von Frauen, konsumiert. Rein theoretisch müßten sie bei gesunden Athleten als nicht physiologisch und damit als unerlaubte Unterstützung angesehen werden; doch sind sie derzeit aus zwei Gründen nicht auf die Dopingliste gesetzt worden:

– Sie erbringen keinen unmittelbaren Vorteil für den Wettkampf.

– Sie nachzuweisen, ist sehr schwierig.

Etwas aus der Reihe fällt etwas der Alkohol. Schützen pflegen vor dem Wettkampf oft beachtliche Mengen davon hinunterzuschütten. Als Grenze ist vom Internationalen Fünfkampfverband eine Blutalkoholkonzentration von 0,4 0/00 festgesetzt worden.

Sehr umstritten ist die Zulässigkeit der Lokalanästhetika, um einen Kämpfer schmerzfrei zu machen. …

Glasiger Blick

Für die Mehrzahl der Mittel ist folgendes typisch: Zunächst wird zwar die Leistungsfähigkeit in qewissem Ausmaß verbessert; dann aber laufen unkontrollierbare Gegenregulationen ab. … Da die Wirkung unsicher und durch die jeweilige vegetative Ausgangslage Schwankungen unterworfen ist, lassen sich die Dopingmittel nur schwierig dosieren. Erfahrungsgemäß wird dann oft die Dosis erhöht; Folge davon sind schwere Zusammenbrüche oder gar Tod. Bei Gewöhnung oder Sucht verlassen sich die Athleten immer mehr auf die Wirkung der Mittel, vernachlässigen die physiologisch Wettkampfvorbereitung, das Training, so daß es zumindest im Sport abwärts geht.

Gedopte Sportler zeigen ein charakteristisches psychisches Verhalten. Sie wirken wie berauscht oder wie Somnambulen, sind kaum ansprechbar und haben einen eigenartig glasigen, verlorenen Blick. Auffallend große Leistungsschwankungen innerhalb kurzer Zeit sowie schwere Zusammenbrüche sind ebenfalls verdächtig für den Gebrauch von Dopingmitteln.

Theoretisch zählt auch die Gabe von Sauerstoff, wie sie in verschiedenen Sportarten, z. B. Fußball, mancherorts üblich ist, zum Doping. …

„Der Wiener Sportarzt Dr. Prokop und sein Mitarbeiter Dr. Tischer machten bei umfassenden Doping-Studien eine verblüffende Entdeckung, die wie kaum eine andere Feststellung demonstrieren kann, welch unwägbare – Faktoren die Berechnung der Grenzen des Hochleistungssports einstweilen noch immer völlig aussichtslos erscheinen lassen.
Die beiden Wiener Medizinmänner verabreichten über 100 Testsportlern „Wunderpillen“. Daraufhin verbesserten 72 Prozent von ihnen ihre Leistungen: Die Versuchsathleten hatten nicht gewußt, daß es sich bei den „Wunderpillen“ um völlig harmlose Tabletten aus Milchzucker und Talkum handelte.“
(der Spiegel, 7.9.1960)

Doping für Gläubige

Das stärkste Argument gegen das Doping liefert der Placeboversuch. Es wurde einwandfrei bewiesen, daß man bei Sportlern auch mit Milchzucker und Talkumtabletten sowohl Kraft- als auch Dauerleistungen erhöhen kann. Voraussetzung ist jedoch, daß der Athlet an das verabfolgte „Wundermittel“ glaubt.

Bei unseren Versuchen konnten 72 % der Testpersonen ihre Leistung statistisch signifikant verbessern; das ist wegen der Suggestibilität der Spitzenathleten auch verständlich. Allein der Suggestiveffekt einer Injektion ist beachtlich; er übertrifft mitunter die Wirkung blinder Tabletten. Der Placeboversuch leitet über zu dem schwierigen und umstrittenen Problem des „psychischen“ Dopings. Dieses besteht in der Anwendung von extremen Suggestivmethoden und Hypnose. Zweifellos spielen gewisse suggestive Momente beim Wettkämpfer immer eine große Rolle; sie sind an sich nicht unerlaubt. Man denke nur an den unerhört suggestiven, wenn auch sehr ambivalenten Einfluß des Publikums. Dagegen widerspricht der Einsatz von Hypnose – im Fußball und Schwimmen wurde das versucht – jeder sportlichen Fairness. Es ist klar, daß ein Schwimmer als vitaler Indikation heraus sich voll ausgibt, wenn man ihm vorher suggerierte, er werde von einem Hai verfolgt. Die Hypnose schränkt den Willen ein; die Persönlichkeit, die im Sport den Ausschlag geben sollte, wird praktisch ausgeschaltet und der Mensch damit zu einer ferngesteuerten Muskelreflexmaschine degradiert.

Sportlich kriminell

In allen europäischen Ländern wurden in den letzten Jahren energische Schritte gegen das Doping unternommen. Das erste Eingreifen von Sportärzten und Funktionären in die Doping-Praxis hatte dabei allerdings sehr unangenehme Folgen für die Dopinggegner. Nach dem Prinzip „Haltet den Dieb“ versuchten finanziell interessierte Kreise (zum Beispiel im Radsport) durch Presseattacken gegen die Dopingfeinde, gemeingefährliche Drohungen und Bestechung das Geschehen zu verschleiern. Falsche eidesstattliche Erklärungen, Schwindel mit Urinproben und andere kriminelle Handlungen sind in diesem Zusammenhang nicht außergewöhnlich.

Inzwischen wurden Dopingbestimmungen in die Wettkampfreglements eingebaut, Kontrollen durchgeführt, Strafsanktionen, Disqualifizierung und unter Umständen strafrechtliche Verfolgung angedroht. Diese Maßnahmen haben schon die ersten Resultate erbracht. So ist nach A. Dirix, Löwen, in Belgien seit Einführung von Dopingbestimmungen die Rate der positiven Testergebnisse im Professional- Radsport von 1965 auf 1966 von 37,5 auf 27 %, bei den Amateuren von 23 auf 14,5 % zurückgegangen.

Trotzdem bedarf es noch großer Anstrengungen auf internationaler wie nationaler Ebene, nicht nur von der medizinischen, sondern auch von der rein sportlichen und pädagogischen Seite her. Denn letzten Endes ist Doping primär ein sportlich-ethisches Problem. Dopen ist nicht immer sehr schädlich. Aber es ist allemal unfair, wenn der gewinnt, der den besseren Chemiker hinter sich hat.

Literatur:

– Doping of Athletes, herausgegeben vom Council of Europe, Straßburg 1964. – XV. Internationaler Kongreß für Sportmedizin, Tokio 1964.
– Prokop, L.: Congrès International de Médecine Sportive, Luxemburg 1956, 1967.
– Ders., Radbauer, F.: Bericht vom XVI. Weltkongreß für Sportmedizin, Hannover 1966.
– Dirix, A.: Société Médicale Belge d’Education physique et de Sport, Louvain 1967.
– Machata, G. in: Doping aus ärztlicher Sicht. Sonderdruck d. Österr. Sportärzteverbandes, Wien 1968