Der BDR und Doping – einige Affairen und Geschehnisse

Doping im deutschen Radsport

Doping und der Bund Deutscher Radfahrer

Im Jahr 2007 wurden immer mehr Einzelheiten über Doping im deutschen Radsport der vergangenen Jahrzehnte bekannt, durch die auch der Bund Deutscher Radfahrer in ein fahles Licht geriet.

Es sind Entwicklungen, die Verdacht geweckt haben, die jetzt nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden können und die vermuten lassen, dass noch viel Unangenehmes nachkommen könnte. Doch schnell war es wieder ruhig geworden innerhalb des Verbandes. Die Beschäftigung mit dem Thema Doping scheint wieder auf Eis gelegt worden zu sein. Eine Untersuchungskommission war eingesetzt, die sich jedoch bald wieder auflöste und starke Differenzen zwischen der Kommission und dem BDR-Vorstand offenbarte.

Der seit Mai 2009 vorliegende >>> Abschlussbericht der ‚Expertenkommission zur Aufklärung von Dopingvorwürfen gegenüber Ärzten der Abteilung Sportmedizin des Universitätsklinikums Freiburg‘ gibt viele Hinweise, zumindest für die Öffentlichkeit, auf Verstrickungen von Ärzten und Trainern, die im Dienste des BDR standen und wirft generell Fragen auf dahingehend, inwieweit auch Funktionsträger in der Vergangenheit ein Dopingsystem gestützt haben.

Konkretisiert werden diese Fragen durch die  veröffentlichten Ergebnisse der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin.

Zur Rolle der Ärzte innerhalb der deutschen Verbände und damit auch des Radsportverbandes im Kontext der deutschen Dopingvergangenheit finden sich ausführliche Informationen unter >>> Deutsche Ärzte und Doping.

Dieter Quarz, Trainer und Antidopingexperte:

„Niemand, der Bestandteil des Systems ist, hat ein Interesse daran, dieses System aus dem Gleichgewicht zu bringen. In den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts habe ich sämtliche Instanzen der Trainerausbildung des BDR durchlaufen, von der Übungsleiterlizenz bis zum Diplom-Trainer-Zertifikat. Ich habe die Unterlagen vorsichtshalber noch einmal gesichtet: Es ist in der Tat nicht einmal das Thema Doping, geschweige denn Prävention, thematisiert worden.“ (Meutgens, Doping im Radsport, S. 123)

1989-1993 Statistiken und Maßnahmen im Vergleich
>>> Anti-Doping-Bericht der Bundesregierung 1994

1960er und 1970er Jahre

siehe auch
>>> Doping im deutschen Radsport 1950/60er Jahre
>>> Doping im deutschen Radsport 1970-1989

Bliesener, Diplomarbeit 1958:
„Die Frage (beim BDR) nach massiveren Mitteln wie z. B. Kokain, Pervitin, Arsen u.a. wurde sehr vorsichtig aufgenommen. Man könne nicht leugnen, dass sie hin und wieder Verwendung fänden, da sie aber verboten seien, schwiegen sich bei einem Dopingverdacht Trainer und Fahrer nachdrücklich darüber aus, um der Gefahr einer Disqualifikation zu entgehen. Man könne nichts dagegen unternehmen.“
In der direkten Befragung waren die Sportler („meist ehemalige und bekannte Kölner Berufsradfahrer“) Bliesener gegenüber weniger zurückhaltend, „Mittel wie Coramin, Cardiazol, Strychnin, Arsen, Sampatol, Ephedrin, Pervitin, Barbituralsäue und Kokain waren ihnen alle bekannt.“

1967 Karl Ziegler, Radsporttrainer: Doping im (Rad)Sport

Ende 1967 verfasste Radsporttrainer Karl Ziegler, kurze Zeit später Bundestrainer, einen ausführliche Vortrag zur Dopinggeschichte und -aktualität mit kenntnisreichen Beispielen aus dem Radsport, speziell zur Tour de France. Besonders hob er die Dopingneigung bei Amateuren hervor.

>>> Karl Ziegler: Doping im Sport – Erfahrungen aus der Praxis

In der BDR-Chronik „Tritt um Tritt“ von Schoppe/Ruttkus ist zu BDR-Präsident Erwin Hauck (1959-1970) nachzulesen:

Er hatte im August 1970 zur WM im englischen Leicester den Straßenamateuren Derlick, Koslar, und Muddemann vorgeworfen, unter Mithilfe ihres persönlichen ärztlichen Beraters, Dr. Assenmacher, gedopt zu haben. Daraufhin nachträglich genommene Proben waren negativ worauf der bereits schwer erkrankte Hauck bis zum 31.12.1970 um Beurlaubung bat, die auf Beschluss der LV-Präsidenten bis zur Neuwahl im März 1971 verlängert wurde.

Dr. Josef Assenmacher war prominenter Sportarzt am Kölner sportmedizinischen Institut von Prof. Wildor Hollmann. Er betreute über viele Jahrzehnte neben deutschen auch viele ausländische, insbesondere belgische Radsportgrößen. Er hatte sich bereits zu Beginn der 60er Jahre für Anabolikadoping ausgesprochen (Singler/Treutlein). In späteren Jahren wiederholte er mehrfach öffentlich, dass Spitzenleistungen im Radsport ohne Doping nicht machbar seien.

BDR-VERBANDSÄRZTE 60er/70er JAHRE: DAS SYSTEM ARMIN KLÜMPER/FREIURGER SPORTMEDIZIN

Prof. Dr. A. Klümper („Doc“), in den 60er und 70er Jahren Radsportverbandsarzt, erläuterte 1991 den Umgang mit positiven Fahrern:

„Ich will Ihnen sagen, wie wir es in den 60er Jahren im Radsport gemacht haben, und das gilt immer noch. Ich habe den Fahrern erklärt, daß ich sie nicht in die Pfanne hauen und ihnen das Brot wegnehmen will, sondern daß ich sie davor bewahren will, vor die Hunde zu gehen.

StZ: Was bei Tom Simpson, der 1968 tot vom Rad gefallen ist, nicht geklappt hat.
Klümper: Wir haben endlose Diskussionen gehabt, aber es war nichts zu machen, ich kam einfach nicht an ihn ran. (…) Wenn wir unsere Amateure erwischt haben, dann haben wir das nicht an die Öffentlichkeit getragen, sondern verbandsintern reglementiert. Er hatte dann die Wahl, sein Fehlverhalten öffentlich zu gestehen oder sich eine dreimonatige Grippe zuzulegen.“

>>> Prof. Dr. A. Klümper

Im September 2013 wurde bekannt, dass Armin Klümper in den 1970er Jahren ein eigenes Medikamentenprogramm zur Leistungssteigerung der BDR-Athleten entwickelt hatte. Der Verbandsarzt hatte 1975 für alle BDR-Kader einen „Grundplan“ entworfen, der die Einnahme von Vitaminen, Trinkampullen und Anabolika über das Jahr während des Trainings vorsah. Helfen sollte dies auch den Athleten, die sich für die Olympischen Spiele 1976 vorbereiteten (FAZ, 26.9.2013).

Vor der Grupe-Kommission 1977 bestätigte der ehemalige Bundestrainer des BDR Rudi Altig, dass während seiner Trainerzeit 1971-1975 die Fahrer Anabolika bekommen haben, zudem gab er zu, dass er die Hormone schon zu seiner aktiven Spotlerzeit konsumiert hatte (Digel, 2013).

Sportmediziner Gustav Raken, ebenfalls ehemaliger Verbandsarzt des BDR, hatte bereits früher von auffallenden Medikamentengaben aus Freiburg für Sportler berichtet und im August 2013 zugegeben, selbst Anabolika in Verbindung mit Klümper verabreicht zu haben.

“ Sportler, die bei mir in Behandlung waren, kamen aus Freiburg zurück und hatten die sonderbarsten Rezepte bekommen. Oder die Medikamente wurden gleich zu mir in die Praxis geschickt“ (Meutgens, S. 48)

„Ich war sozusagen der lange Arm von Klümper. Ich habe die Anabolika paketeweise von ihm zugeschickt bekommen und habe das Deca-Durabolin auf seine Anweisung den Radsportlern im Frühjahr gespritzt. Die standen dann einmal die Woche vor der Praxis und haben sich die Spritze abgeholt“. … „Ende der 70er-Jahre habe die Zusammenarbeit mit Prof. Klümper aufgehört, weil die Sportler sich dann in den Sportmedizinischen Instituten der Universitäten wie in Düsseldorf und Saarbrücken hätten behandeln lassen. Als Erklärung habe es geheißen, so könne man die Behandlung besser kontrollieren „und die Gefahr, dass da was passiert, sei nicht so groß“. (BR, 8.8.2013)

Die Angaben wurden Anfang März 2015 und abschließend im April 2017 mit einem Gutachten von Andreas Singler, erstellt im Auftrag der Freiburger Evaluierungskommission, präzisiert (A. Singler: Gutachten „Systematische Manipulationen im Radsport und Fußball“ (ergänzt im April 2017)).

[Es lassen] sich nun klare Aussagen treffen: Doping im Bund Deutscher Radfahrer lässt sich zweifelsfrei auch als direktes Verbandsproblem beschreiben. Der BDR hat nachweislich zwischen 1975 und 1980, dies zeigen die Akten der Staatsanwaltschaft im Betrugsprozess gegen Klümper eindrucksvoll, die Dopingmaßnahmen seines leitenden Verbandsarztes finanziert. … Klümper belieferte verbandsärztliche Kollegen, aber auch Trainer oder Pfleger des Bundes Deutscher Radfahrer quer durch die Disziplinen mit standardisierten Medikamentenkoffern, zu deren Inhalten auch das Anabolikum Megagrisevit gehörte. Darüberhinaus versandte er zu besonderen Anlässen wie großen internationalen Meisterschaften, Radsportrundfahrten oder Trainingslagern des Verbandes an mehrere andere BDRVerbandsärzte weitere Medikamente, die ausdrücklich für die Anwendung bei den jeweiligen Wettkampfereignissen oder Trainingslagern vorgesehen waren.  …

In das Verteilersystem der BDR-Medikamentenkoffer und der darüber hinausgehenden Sondermedikationen für wichtige Wettkämpfe und Trainingslager waren nach den Klümper-Abrechnungen mit dem BDR insgesamt mehr als ein halbes Dutzend Ärzte, mindestens zwei Bundestrainer und eine Reihe von Pflegern eingebunden, die alle in Besitz dieses Koffers kamen. Deren Namen sind bekannt …

In einem Fall ist sogar die Verwendung des BDR-Medikamentenkoffers in einem Radsport-Landesverband verbürgt. Es ist derselbe Landesverband Nordrhein-Westfalen, für den Klümper nach Aussagen des Zeitzeugen und früheren Landesverbands-Sportarztes Dr. Gustav Raken in den Jahren zuvor über längere Zeiträume die Verschickungen von Anabolika inklusive konkreter Verabreichungsanweisungen praktiziert hatte….

Unter Einbeziehung weiterer Ärzte wird in Singlers Studie das Doping minderjähriger Fahrer belegt:

Geradezu überbordend wurde die medikamentöse Zusatzversorgung dann auch im Bereich des Jugend- und Junioren-Radsports, wo ein in den bisherigen Rechnungen noch nicht erwähnter weiterer BDR-Sportarzt mit beachtlicher späterer Karriere als Anti-Doping-Sportmediziner als Adressat für Klümpers Medikamentenlieferungen u.a. mit Anabolika ausgewiesen ist: Professor Dirk Clasing (Universität Münster). … Die Batterie an anabolen Pharmaka war aufgeführt in einer Liste mit dem Titel „Gesamtausrüstung für die Jugend und Junioren an Herrn Doz. Dr. med. Clasing“:

• Hepagrisevit depot 3 x 10 Amp. Paare
• Testoviron depot 5 x 250 mg 3 Amp. A 1 ml.
• Testoviron depot 5 x 100 mg, 3 Amp. A 1 ml
• Primobolan depot 5 x 100 mg 3 Amp. A 1 ml
• Megagrisevit 5 x 9 Amp.paare
• Deca-Durabolin 5 x 50 mg

Clasing räumte 2015 auf Anfrage der Journalisten von sport inside ein, lediglich Megagrisevit von Klümper erhalten, das Anabolikum aber nicht eingesetzt zu haben.

Für Dirk Clasing, von 2002 bis 2007 Vorstandsmitglied der deutschen Anti-Doping-Agentur NADA, war die Anwendung von Anabolika auch 2015 nur bei Jugendlichen und Frauen ein Problem.

„Von sport inside befragt, wie er den von Klümper behaupteten Anabolika-Einsatz bei Jugendlichen und Junioren bewerte, vertrat Clasing die Auffassung, dass Anabolika bei Junioren nicht schädlich seien. Junioren seien, so Clasing, 18 bis 22,23 Jahre alt, „die können entscheiden was sie wollen, schaden tut’s nicht“. Der Mediziner räumte ein, dass Anabolika „Frauen und Heranwachsenden“, also Minderjährigen, schaden könnten.“

Zu den zahlreichen breit gestreuten Medikamentenkoffern schreibt die Badische Zeitung 2015 (Bad. Zeitung, 25.3.2015):

Unter den Empfängern solcher „Sanitätskoffer“ finden sich illustre Namen des deutschen Radsports. Karl Link zum Beispiel. Der Herrenberger wurde auf der Bahn 1964 bei den Spielen in Tokio Olympiasieger in der Mannschaftsverfolgung. Vier Jahre später sollte er mit dem Bahnvierer in Mexiko-Stadt Silber gewinnen. Später wurde Link Jugendtrainer im BDR, nach den Sommerspielen in München 1972 trat er die Nachfolge von Trainerlegende Gustav Kilian an. Doch damit nicht genug: Von 1987 bis 2007 leitete er den Olympiastützpunkt in Stuttgart. Wer welche Medikamente benötigte und für was, wurde alljährlich in sogenannten Koordinierungsgesprächen zwischen Ärzten und Trainern festgelegt. Teilweise, so geht es aus den Akten hervor, wurden Physiotherapeuten zu diesen Gesprächen dazu geladen. Die Sportler selbst blieben meistens außen vor. Möglicherweise sollten sie nicht wissen, was sie überhaupt verabreicht bekamen. Zugrunde gelegt wurde jeweils der „Einsatzplan“ des Sportlers, also die Wettkämpfe oder Rennen, an denen er teilzunehmen hatte oder wollte. Im Anschluss an diese Treffen, so erinnert sich ein Zeuge, „wurden die Lieferungen von Professor Klümper veranlasst“. Ergänzend hatten Trainer die Möglichkeit, „den Bedarf“ für spezielle Maßnahmen (Rundfahrten oder andere wichtige Rennen) bei Klümper abzurufen – oder sogar selber zu bestellen.

Bezahlt wurden alle Lieferungen Klümpers, die an Mediziner,Masseure und zwei Bundestrainer gingen, aus Fördermitteln des BMI, den „jährlichen Bundeszuwendungen im Rahmen der Jahresplanung für zentrale Sportmaßnahmen“. (WDR, 17.3.2015)

Insgesamt soll der BDR in den Jahren 1975 bis 1981 Rechnungen für „Medikamente und Pflegemittel“ in Höhe von 132 997,89 DM beglichen haben. Genauere Angaben hierzu fehlen jedoch.

Der BDR reagierte mit einem „klaren“ Statement: Bereits vor zwei Jahren sei der Verband auf dieses Thema angesprochen worden, sagte BDR-Generalsekretär Martin Wolf auf dpa-Anfrage. «Damals wie heute haben wir keine Informationen zu diesen 35-40 Jahre alten Vorgängen.»“ (dpa/rad-net, 2.3.2015)

Prof. Dr. Wilfried Kindermann, bis 2008 Leiter der Sportmedizin Saarbrücken und Prof. Keuls Nachfolger als Olympiaarzt, hat seine Ausbildung zum Sportmediziner in Freiburg erhalten. Damals, es müssen die 60er/70er Jahre gewesen sein, lernte er,

„dass der Radsport total dopingverseucht ist“.“Ich hatte in Freiburg zu Beginn meiner sportmedizinischen Laufbahn ein Schlüsselerlebnis, da hat mir ein Radsporttrainer berichtet, was so alles im Radsport üblich sei, er wollte mir wohl imponieren und mir zeigen, dass ich diesbezüglich ein Waisenknabe bin. Im Nachhinein bin ich ihm dankbar, denn seitdem ist der Radsport für mich tabu gewesen. Ich hab nie irgendwelche Betreuungsaufgaben im Radsport gemacht, ich habe meinen Ärzten hier in Saarbrücken am Institut der Universität klar gemacht, dass ich es nicht wünsche, dass meine Mitarbeiter Radsportler betreuen, abgesehen von den jährlichen Gesundheitsuntersuchungen im Rahmen der Landeskader.“ (Doping und die Freiburger Sportmedizin, Juni 2008, SWR BB)

>>> Prof. Dr. Wilfried Kindermann

1980er Jahre und später – Verbandsärzte

Prof. Armin Klümper und der Fall Gerhard Strittmacher

1984 musste der 23jährige Bahnradweltmeister Gerhard Strittmatter das Olympiateam verlassen und aus Los Angeles nachhause fahren. Ihm war im Labor von Manfred Donike das Anabolikum Decaduradolin nachgewiesen worden. Es herrschte helle Aufregung:

„Heinz Fallak, Chef de Mission der deutschen Mannschaft, vor den Rad-Weltmeister: „Den Aktiven, den Trainer und den Verband treffen keine Schuld. Es handelt sich eindeutig nicht um eine medizinische Manipulation zur Leistungsförderung.“

Strittmacher war bereits bei den Deutschen Meisterschaften Ende Juni in Büttgen bei Neuss positv getestet worden. Prof. Klümper hatte ihm das Anabolikum nach einer Verletzung gegeben. Konsequenzen hatte diese positive Probe nicht, denn der BDR akzeptierte die medizinische Behandlung von Verletzungen mit kleinen Mengen Anabolika. Es war jedoch klar, dass bei den Olympischen Spielen kein Nachweis sein dürfte. Daher wurde der Urin des Sportlers in der Zeitspanne bis zu den Spielen immer wieder auf Rückstände hin überprüft. Donike spielte mit. Als ein letzter Test fünf Tage vor dem Wettkampf deutlich machte, dass ein Wettkampftest positiv ausfällen würde, zog man den Sportler zurück. Der Grund dafür wurde öffentlich und schnell hatte man den alleinigen Schuldigen gefunden: Prof. Armin Klümper.

„Das ist ein Skandal, der uns zu Hause noch beschäftigen wird. Hier ist das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient mißbraucht worden.“ Auch Klümpers Kollege Keul stimmte in die Kritik mit ein: „Die angewendete Substanz durfte einfach nicht verabreicht werden. Es gibt bei der Verletzung von Strittmatter, einer Hüftprellung mit Beeinträchtigung der Muskulatur, andere Medikamente als Alternativen. Ich bin fest davon überzeugt, daß Strittmatter um eine sichere Medaille gebracht worden ist“. (Hamburger Abendblatt, 30.07.1984)

Auch Aktivensprecher der IOC-Athletenkommission, Thomas Bach spricht von einem Skandal und meinte

„dieser Fall bestärkt mich, darauf einzuwirken, in Fällen des Dopings künftig das Umfeld stärker untersuchen zu lassen. Man muß sich überlegen, ob man national jetzt Konsequenzen zieht.“

Hatte der Fall Konsequenzen?

„Fritz Ramseier, Sportwart des Bundes Deutscher Radfahrer, hat unterdessen ein Verfahren gegen Strittmatter angekündigt. Dabei geht es ihm weniger um eine Schuldzuweisung an den Radfahrer als um die Klärung der Rolle Klümpers. Ramseier sagte: „Zunächst müssen wir die Hintergründe dieses Vorganges aufhellen. Erst dann sind Aktionen gegen Klümper möglich.“ (Hamburger Abendblatt, 31.7.1984) Es sind mir allerdings keine Konsequenzen für Klümper bekannt.


Dr. Georg Huber

Manfred von Richthofen
über seine Arbeit als Vorsitzender der ad hoc-Kommission 1991:

„… ich kann ihnen sagen, mit welchen Verbänden die unangenehmsten Gespräche waren. Das war der Leichtathletikverband, das war der Schwimmverband und das war der Radsportverband. Das waren also nun mit Abstand die unangenehmsten Verbände und Verbandsführungen, muss ich ja korrekt sagen, nicht die ganzen… die eben uns gegenüber saßen und sagten, was wollen Sie eigentlich von uns. Wir verfügen nur über Trainer und Aktive, die einen sauberen Sport betreiben. Ihre Anschuldigungen sind unglaublich und wir werden das alles prüfen und auch prüfen, in welcher Form wir gegen Sie vorgehen.“

Dr. Georg Huber arbeitete als  Sportmediziner am Universitätsklinikum Freiburg. Schon lange war seine Prodoping-Haltung bekannt, doch erst im Mai 2007, nachdem er nicht mehr um ein Geständnis herum kam, wurden Konsequenzen gezogen.

Huber gestand in der Zeit von 1980 bis 1990 U-23-Straßenradfahrern (19-23 Jahre) das leistungssteigernde Hormon Testosteron verordnet zu haben.

Universität und Klinikum sehen sich nach erneutem Geständnis in ihrer rigorosen Aufklärungsarbeit bestätigt, 29.5.2007

Huber war allerdings nicht nur bei den Radsportlern aktiv. Er betreute seit 1972 (1978?) Straßenfahrer des BDR, zunächst als betreuender Arzt, seit 1982 als medizinischer Koordinator. Er war seit 1988 Verbandsarzt des Behindertensportverbandes und seit 1996 verantwortlicher Verbandsarzt des Deutschen Skiverbandes für den Bereich Leistungsdiagnostik. Von 1988 bis 2004 arbeitete er als betreuender Arzt bei den Paralympics und war ab 1980 zuständig für die Ausstattung der deutschen Olympia-Apotheken. Seit 1986 war er zudem aktiv als Anti-Doping-Beauftragter des Behindertensportverbandes und in der Medizinischen Kommission der Nationalen Anti-Dopingagentur. 2005 wurde er zum Sportarzt des Jahres gekürt.>>> Georg Huber

Laut dem Geständnis von Robert Lechner, Bahnradfahrer von 1984-1990, wurden die anabolen Steroide Andriol und Stromba gegeben.

>>> doping-archiv.de: Robert Lechner

Nach dem Geständnis von Robert Lechner kündigte Verbandspräsident Rudolf Scharping eine konsequente Aufklärungsarbeit an.

«Unsere Maßnahmen werden durch zwei Säulen ergänzt: zum einen die weiterhin konsequente Anstrengung zur Aufklärung aller Fehler, Versäumnisse und Betrügereien in der Vergangenheit und zum anderen die konsequente Durchführung und auch Weiterentwicklung unseres Anti-Dopingprogramms.“

Gleichzeitig kündigte er an, eine Expertenkommission einzusetzen,

„die die Vergangenheit aufarbeiten sollen, unser Anti-Dopingprogramm überprüfen und – falls erforderlich – Empfehlungen für die Weiterentwicklung dieses Programms machen“ (sollen) (rad-net, 26.5.2008)

Die Kommission scheiterte. Bis heute liegen keine Ergebnisse vor (s. u.).

Einige Ergebnisse liegen aber durch die Expertenkommission zur Sportmedizin Freiburg vor, in deren Abschlussbericht festgehalten wird:

„Fest steht, dass Dr. Huber nicht nur 1987 sondern auch 1988 Radamateuren das seit 1984 im Sport verbotene Testosteron in der Form von Andriol® Kapseln zur unerlaubten Leistungssteigerung verabreicht hat. Die Testosterongaben waren damals zusammen mit Nahrungsergänzungsmitteln und Vitamingaben Bestandteil der Betreuung durch Dr. Huber und den Trainer Weibel. Dabei hat eine irgendwie geartete Aufklärung über Nebenwirkungen und Gefahren nicht stattgefunden. Gesprochen wurde dagegen über die leistungsfördernde Zunahme der Muskelmasse durch Anabolika und die Möglichkeit, die Regeneration nach hohen Leistungen zu beschleunigen.“

Damit wird bestätigt, dass Dr. Huber nicht isoliert gehandelt hat und dass innerhalb der BDR-Verantwortlichen bekannt war, wie gearbeitet wurde. Dies wird auch durch folgendes Zitat aus dem Abschlussbericht untermauert, sofern man davon ausgeht, dass hohe Funktionsträger eines Verbandes im Allgemeine davon unterrichtet sein sollten, wie auf unteren Ebenen gearbeitet wird:

„Eingeführt in die Dopingpraktiken wurde Jörg Müller durch seinen „Mentor“ im Verein. Lieferanten waren ältere Rennfahrer, die damit gedealt hatten. Von diesen Fahrern habe er auch gewusst, dass die damals spärlichen Kontrollen bei Wettkämpfen nicht zu fürchten seien, weil die Proben gar nicht oder nur in wenigen Einzelfällen oder nur in begrenztem Umfang analysiert würden. Die Situation 1986, vor der Weltmeisterschaft in Colorado, zeigt die lockere Handhabung der Kontrollen. Während des davor absolvierten Trainingslagers in München seien einige Proben Urin abgenommen worden. Diese wären nach Ansicht des Zeugen auf Grund der verschiedenen eingenommenen Leistungssteigerungsmittel auch nach dem damaligen Kenntnisstand sicher positiv gewesen. Passiert sei aber nichts. Bei den gutdotierten Kriterien in der Pfalz in den achtziger Jahren hätten zwar gelegentlich Kontrollen stattgefunden, aber auch bei diesen Rennen hätten die Fahrer gewusst, dass dabei nichts herauskomme. Bei der Coca-Cola-Trophy 1990 seien alle zwei bis drei Tage Kontrollen durchgeführt worden, aber kein Fahrer sei aufgefallen. Er selbst sei von einem Arzt zur Dopingkontrolle mitgenommen worden. Der Arzt sei einen Umweg gefahren und dadurch zu spät gekommen. Geredet habe man darüber nicht. Konsequenzen habe es auch nicht gegeben. Auch an dieser Schilderung der Kontrollpraktiken durch den Zeugen bestehen keine Zweifel.“

(Abschlussbericht Freiburger Expertenkommission, S. 34 ff)

Funktionäre, Trainer weitere Verbandsärzte des BDR

Entwicklungen, Dopingfälle, Untersuchungsberichte

PETER WEIBEL, BUNDESTRAINER DES BDR, AMATEURE UND U23

Osteopenie (Knochenschwund) ist eine Nebenwirkung von Corticosteroiden (Cortison). Dr. Stockhausen beschreibt einen Vorfall:

„Als junger unerfahrener Arzt hatte ich mich bemüht, die Rückenschmerzen eines Eliteradrennfahrers abzuklären. (..) Nach meiner Ankündigung, dass dazu eine sogenannte Beckenstanze notwendig sei, um eine Probe des Knochenmarks zu gewinnen, ereilten mich einige Anrufe von Kollegen, die mich davon überzeugen wollten, dass die Indikation für diesen Eingriff nicht gegeben sei. Sie haben mich „zu Recht“ überzeugt, da die Ursache für die Osteopenie bei den erfahrenen Kollegen bekannt war.“ (Meutgens, 2007, S. 161)

Jörg Müller fuhr als junger Radamateur unter Trainer Peter Weibel (Szene-Spitzname „Hormonzwiebel“). 1987 waren sie in Frankreich bei der Tour de l’Avenir unterwegs. Am 26. Mai 2007 berichtet er in der Süddeutschen Zeitung, dass er während jenes Rennens mehrfach Andriol, ein Testosteron-Produkt, erhielt. Peter Weibel ist auch 2007 noch Bundestrainer und betreut die U23-Fahrer. Christian Henn, Ex-Telekom-Fahrer bestätigt Müllers Aussagen, auch er habe Andriol und zusätzlich Cortison von Weibel erhalten. Jörg Müller gibt an, alle hätten es gewusst, Henn meint, zumindest der Zimmernachbar sei informiert gewesen.

Müller: „Uns war klar, dass im Osten gedopt wurde, also mussten wir auch etwas nehmen. Das Ganze lief damals in enger Abstimmung mit Professor Georg Huber von der Uniklinik Freiburg.“ Ob der BDR-Straßenvierer in Seoul gedopt gewesen sei, könne er nicht sagen, „ich war ja dann doch nicht dabei – aber in der Vorbereitung sicher.“ (SZ, 25.5.2007)

Der BDR wollte zu den Anschuldigungen Jörg Müller anhören, zumindest teilte R. Scharping ihm das im Juni 2007 mit. Im Februar 2009 war war jedoch noch nichts geschehen (SZ, 9.2.2009)

Am 31. Mai suspendierte der BDR Peter Weibel.

«Peter Weibel ist als U23-Trainer suspendiert. Das hat zur Konsequenz, dass er bis zur Klärung der Angelegenheit nicht ‚am Mann‘ arbeitet», sagte Burkhardt Bremer, Sportdirektor des BDR, der dpa. Zugleich sagte er: «Aber er ist weiter beim BDR angestellt und bekommt sein Geld. Die Vorwürfe gegen ihn sind bisher nicht bewiesen. Es handelt sich um eine ungeklärte Rechtslage.» (BDR, 6.7.2007)

Auch Prof. Huber wird suspendiert.

Barbara Wilfurth, Präsidentin Bay. RV:
„Meine beiden Söhne Markus und Matthias waren ja im Nationalkader. Mein ältester Sohn Markus hat dann alle sechs Wochen einen Umschlag mit Tabletten von der Uniklinik Freiburg zugeschickt bekommen. Er sagte dann aber: Das nehme ich nicht! (die MZ berichtete) Da weiß ich ja nicht, was drin ist. Ich selbst wäre damals darauf reingefallen und hätte die Tabletten geschluckt. Ein anderes Mal sind mein Mann und ich zur Deutschen Meisterschaft nach Gera gefahren. Damals war gerade der Festina-Skandal (Rad-Team, das während der Tour de France 1998 des systematischen Dopings überführt wurde/d. Red.) das große Thema. Ich habe mich ganz erschüttert an einen der Trainer, das war Mario Kummer (damals bayerischer Landestrainer, später sportlicher Leiter bei den Teams Telekom und T-Mobile), gewandt. Der meinte aber nur, wie blauäugig ich denn sei, zu glauben, dass es hier einen gibt, der nicht dopt. Das muss jeder mit seinem Körper verantworten, es geht ja um viel Geld, hat er gesagt.“
(Mittelbayrische 6.12.2008)

Es sollte aber nicht bei Müllers Dopinganschuldigungen bleiben. Markus Wilfurth, vielversprechender U23-Fahrer in den 90er Jahren, sprach davon, dass Peter Weibel und Georg Huber bekannt gewesen seien für ihre Prodopinghaltung. Markus wurde trotz seiner Erfolge nicht für die WM in Verona nominiert.

„Ich hatte mich immer eindeutig gegen Doping ausgesprochen. Auch wenn es dafür keinen Beleg gibt, habe ich noch heute das Gefühl, dass das mit ein Grund für Weibels Entscheidung war“, sagte Wilfurth. Er habe erfahren, dass andere Nachwuchsfahrer von Weibel dazu ermutigt wurden, Hubers Doping-Künste zu nutzen. (Mittelbayerische, 26.6.2007, MZ: Wilfurth-Interview, 30.6.07)

Patrik Sinkewitz bestätigte später die Vorlieben des Trainers mit seinem Geständnis, 2000 im Vorfeld der WM in Plouay, mit EPO-Doping begonnen zu haben. Es wird auch bekannt, dass Weibel sehr wohl das BDR-Präsidium informiert hatte und Ärzte Bescheid wussten, s. u. unter Sinkewitz. Weibel wird dazu im Februar 2011 auf morgenweb wie folgt zitiert:

„Von Patrik Sinkewitz, der die Sache damals ins Rollen gebracht und der ihn angeschwärzt hatte, hat Weibel seine ganz eigene Meinung: „Er hat vergessen, dass ich ihn damals erwischt und es beim Präsidium gemeldet habe. Nur ist dieser Bericht nicht mehr aufzufinden. Und dann hat er gesagt, dass ich es geduldet hätte.“

Er leugnet laut diesem Artikel auch nicht im Einklang mit ärztlichen Vorgaben in früheren Jahren Testosteron verabreicht zu haben:

„Er gibt auch unumwunden zu, dass einst Testosteron noch nicht auf der Dopingliste gestanden habe. Oder dass er in Trainingslagern in weiter Ferne bei Erkrankungen seiner Sportler durchaus selbst mal die Spritze gezückt habe – „allerdings nie ohne Absprache und Anweisung der Ärzte“ und immer im Sinne der Genesung und nicht mit dem Ziel der unerlaubten Leistungssteigerung.“ (morgenweb, 10.2.2011)

Im Juni 2008 ist die Causa Weibel noch immer nicht geklärt.

Weibels Rechtsanwalt Alfred Karl Boltz aus Speyer sagt dazu: „Man verhandelt noch.“ Und zwar über den „Preis der wechselseitigen Freiheit“. Es geht beispielsweise um die Altersabsicherung für Weibel, der mehr als zwei Jahrzehnte in Diensten des BDR stand. Es sei eine komplexe Geschichte.“

Von Untersuchungen der Angelegenheiten durch den BDR wird nichts bekannt, von einer Aufarbeitung der Geschehnisse ist nichts zu bemerken und so scheint es glaubwürdig, wenn zu lesen ist,

„immerhin lässt der sonst so schweigsame Weibel doch Verbitterung durchblicken (- darüber nämlich, dass nur er und der Sportmediziner Georg Huber als „die Bösen“ dargestellt würden. Auch von Branchenkennern war immer wieder zu hören, dass Weibel nicht der alleinige Sündenbock sein wolle.“ (FAZ, 11.6.2008, Der Preis der wechselseitigen Freiheit).

Rudolf Scharping meinte am 12.11.2008 in der Anhörung vor dem Bundestags-Sportausschuss auf die Frage, ob Peter Weibel noch vom BDR bezahlt werde:

„„Ich werde Dopingbekämpfung nicht verwechseln mit Existenzvernichtung.“ Deshalb sei der von drei Herzinfarkten betroffene Schwerbehinderte nicht fristlos entlassen, sondern nur von allen Aufgaben entbunden worden. Sein Vertrag laufe Ende des Jahres aus.“ „Aus diesem Grund wird Herr Peter Weibel auch ordnungsgemäß am 31.12.2008 aus seinem Vertrag, der aus den Mitteln des Bundes Deutscher Radfahrer bis dahin bezahlt worden ist, ausscheiden.“ (Protokoll 60. Sitzung, FAZ, 12.11.2008)

Laut SZ vom 26.5.2010 lief Weibels Vertrag aber noch bis Ende 2009.


DAS GESTÄNDNIS DES RADSPORTLERS JÖRG PAFFRATH

Im Juni 1996 bei den Deutschen Meisterschaften wird Jörg Paffrath positiv getestet und für 6 Monate gesperrt. 1997 enthüllt er seine Doping-Karriere, die insgesamt 4 Jahre andauerte. Er dopte nach eigenem Vorgehen 4 Jahre lang, in denen er kaum ein Mittel ausließ. Niemals wurde er positiv getestet, erst bei den Deutschen Meisterschaften, als er seine Gesundheit schon ziemlich ruiniert hatte und kaum noch Leistung bringen konnte, schnappte die Kontrollfalle zu. Jörg Paffrath, werdender Vater, war froh aufhören zu können und gestand sofort. Ein Jahr später gab er in einem Spiegel-Artikel Einzelheiten öffentlich zu. Er wollte aufrütteln und andere Sportler warnen.

Doch niemand dankte ihm, im Gegenteil, aus den Radsportkreisen wurde er als ‚bekloppter‘, ‚geltungssüchtiger‘ Einzelfall abgetan.

Der BDR reagierte 1998 auf den Bericht und sperrte Jörg Paffrath lebenslang u. a. mit folgender Begründung:

„Strafverschärfend war hier zu berücksichtigen, dass der betroffene Sportler durch sein Verhalten nicht nur dem Ansehen des BDR schweren Schaden zugefügt hat. Es war auch zu berücksichtigen, dass bei dem radsportlichen Nachwuchs der Eindruck entsteht, dass nur mit Hilfe leistungssteigernder Medikamente ein Wettkampferfolg erzielt werden könne.“

2001 stellte Paffrath ein Gnadengesuch, das ohne Begründung abgelehnt wurde. 2003 hatte er mehr Erfolg, er wurde begnadigt, allerdings erst als er öffentlich erklärte, es täte ihm Leid, dass “ durch seine Aussagen damals der Eindruck entstanden sei, Doping sei im Radsport gang und gäbe und werde toleriert.“ Und vielleicht wurde die Entscheidung auch dadurch erleichtert, dass Paffrath eine Klage erwog.

>>> doping-archiv.de: Jörg Paffrath


UDO SPRENGER, BDR VIZEPRÄSIDENT

FAZ, 1.2.2012:
„Robert Deller, Oberstaatsanwalt in Aachen, … erinnert sich an einen Fall aus den neunziger Jahren, „in dem es deutliche Hinweise auf Dopingvergehen von zahlreichen involvierten Radsportlern gab“. Auch sie konnten im Rahmen der Ermittlungen lediglich als Zeugen vernommen werden. Keiner wurde rechtlich belangt. Deller ist sicher, dass er bei einer anderen Gesetzeslage zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.“

Am 25. Juni 2007 wurde ein ehemaliger Betreuer des Teams Nürnberger in der Sendung Report Mainz befragt. Er berichtete über Dopingpraktiken in seinem ehemaligen Team, das bis 2003 bestand. Er will anonym bleiben. Ein weiteres ehemaliges Teammitglied hatte parallel dazu schriftlich die teaminternen Dopingpraktiken gestanden und angegeben, dass die Teamleitung davon gewusst hatte und mittels schwarzer Kassen die Dopingmittel verwaltete. Der Betreuer bestätigte dies in der Sendung. Manager und sportlicher Leiter war damals Udo Sprenger, ehemaliger Drogenfahnder beim BKA und jetzt Vizepräsident des BDR:

»Der Manager kann an dieser Stelle sich nicht komplett rausziehen, weil definitiv er die Mittel, die finanziellen Mittel dafür bereitgestellt hat, die Abrechnungen dafür übernommen hat. Diese Kasse diente ja auch in erster Linie auch dazu, dann entsprechend, ich sage mal, durch die normalen Finanztransaktionen, sich die Beschaffung dann auch zu finanzieren.« (Report Mainz, 25.6.2007)

Dass im Team Nürnberger gedopt wurde, erwähnte Bert Dietz bereits am 21. Mai 2007 in seinem langen Doping-Geständnis in der ARD, allerdings ohne Namen zu nennen.

Udo Sprenger leugnete alles und erstattete Anzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung.

Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden eröffnete aufgrund der Vorwürfe ein Ermittlungsverfahren.

Der BDR bemühte und bemüht die Unschuldsvermutung und ließ den Vize in Amt und Würden.

Am 30.4.2008 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungeverfahren gegem Udo Sprenger eingestellt hat,

„ausgeschlossen werden könne anhand der durchgeführten Ermittlungen «ein systematisches Doping unter Mitwirkung des Beschuldigten Udo Sprenger oder eines anderen Mitgliedes der Teamleitung. Für die Existenz ’schwarzer Kassen‘ haben sich keinerlei konkrete Hinweise ergeben. Das Ermittlungsverfahren gegen Udo Sprenger war daher einzustellen»“. (dpa, 29.4.2008)


VERBANDSÄRZTE DR. HEINZ LÖBL, DR. ROLAND MÜLLER

Manfred von Richthofen, Vorsitzender der ‚ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen‘ 1991:
Es gab namhafte Sportführer, die vom Doping profitieren wollten und die deshalb Sportler aus der DDR bewusst integrierten. Ganz besonders der damalige Leichtathletik-Präsident Helmut Meyer. Und die Ost-Athleten haben dem DLV dann ja auch tatsächlich frischen Wind gegeben. Aber auch im Radsportverband mit dessen Präsidenten Werner Göhner war das so. Der Radsport war damals noch unbeschädigt, und wir haben ihm die ersten Kratzer verpasst. Göhner sagte damals, das ganze Thema werde ‚aufgebauscht‘.
die Zeit, 20.2.2009: „Es ist verharmlost und vertuscht worden“

>>> mehr Infos

In der Report Mainz-Sendung  vom 25.6.07 kamen weitere Zeugen zu Wort, welche die beiden Sportärzte Dr. Heinz Löbl und Dr. Roland Müller schwer belasteten. Beide sollen in der DDR aktiv Sportler gedopt haben, Müller ist als Stasi-Spitzel bekannt. Der Zeuge Uwe Trömer, ehemaliger Bahnradfahrer, will den BDR mehrmals zur Sache Löbl angesprochen haben, erhielt aber nie eine Antwort. Trömer ist anerkanntes DDR-Dopingopfer und heute schwer krank. (Report Mainz, 25.6.2007, Märkische Allgemeine, 3.8.2007)

In einer Pressemitteilung vom 26.6.2007 behauptet der BDR von der Vergangenheit der beiden Ärzte nichts gewusst zu haben, in den benutzen Unterlagen würden beide namentlich nicht genannt. Dr. Müller und Dr. Löbl seien vom Veranstalter beim Bundesligarennen „Erzgebirgsrundfahrt“ in Chemnitz eingesetzt worden, weil sie dem Verein nahe stehen.:

„Der BDR hat allen Vereinen und seine Landesverbänden empfohlen, die beiden Ärzte künftig nicht mehr einzusetzen.

„Seit dem vergangenen Jahr sind wir dabei, ein lückenloses Netz von Ärzten zu schaffen, die bei unseren Veranstaltungen bundesweit eingesetzt werden. Damit wollen wir solche Fälle künftig ausschließen. Doch das geht nicht von heute auf morgen.“ „

Zudem habe der BDR „in Gesprächen und Schriftwechseln Herrn Trömer mehrfach Hilfe angeboten und gewährt.“ (rad-net, 26.6.2007)

Ein Jahr später, wieder bei der „Erzgebirgsrundfahrt“, ist Dr. Heinz Löbl erneut bzw. noch immer als Rennarzt dabei. Roland Müller (Heidenau) war vor Ort aber nicht aktiv eingesetzt. (FAZ, 7.7.2008)

Am 9.11.2008 wiederholt Uwe Trömer seine Vorwürfe und berichtet, dass der BDR immer noch nicht reagiert, sich nicht bei ihm gemeldet habe. (dradio, 9.11.2008)


SYLVIA SCHENK, BDR-PRÄSIDENTIN VON 2001-2004

Rolf Wolfshohl:
„Athleten von mir, die zum Nationalkader gehörten, sind vom Bund Deutscher Radfahrer zu ärztlichen Routineuntersuchungen zur Universitätsklinik nach Freiburg geschickt worden. Als sie wiederkamen, brachten sie einen Karton voller Medikamente mit. Grüne, rote und weiße Pillen, für morgens, mittags und abends.

Die Ärzte hatten meinen Fahrern gesagt, wenn sie die nach einem vorgegebenen Schema einnähmen, könnten sie Leistungssteigerungen von 15 bis 20 Prozent erwarten.

Ich habe es erlebt, wie einer meiner Schützlinge, als er von mir zu den Profis abgewandert ist, vor drei Jahren in diesen Strudel hineingeriet: Das ist das Ergebnis, wenn einer glaubt, Tabletten helfen, die Leistung zu steigern. Und am Ende ist der Sportler nicht nur der Buhmann, sondern körperlich ein Wrack und ein Fall für die Psychiatrie.

(der Spiegel, 28.6.1999)

Siehe zu diesen und folgenden Punkten
2016 Andreas Singler (Mitarbeit: Lisa Heitner): Doping beim Team Telekom/T-Mobile: Wissenschaftliches Gutachten zu systematischen Manipuationen im Profiradsport mit Unterstützung Freiburger Sportmediziner.

Am 24. September 2004 tritt Sylvia Schenk als Präsidentin des BDR zurück. Mitschuld an dieser Entwicklung hatte der Fall Christian Lademann. Bei einer Untersuchung an der Universität Freiburg am 8. Juni 2004 erwies sich ein Blutwert des Bahnfahrers als auffällig. Dr. Olaf Schumacher informierte nach zwei Tagen Bundestrainer Bernd Dittert, der wiederum einige Tage später BDR-Sportdirektor Bremer davon in Kenntnis setzte.

„Laut einem internen Protokoll des BDR fragte Bremer den Arzt Schumacher daraufhin, „ob wir gegen den Sportler rechtliche Schritte und/oder ein Verfahren einleiten können und die Untersuchungswerte des Arztes als Beweismittel anwendbar seien“. Nach Bremers Aussage verneinte Schumacher dies. Stattdessen entschied man sich gemeinsam, den Fall intern mittels Kontrolle der Blutwerte zu beobachten.“

Die Präsidentin des Verbandes und die NADA wurden nicht informiert.

Nach Sylvia Schenk hätte der Fahrer aber entsprechend der Antidopingbestimmungen des BDR nicht in den Olympiakader aufgenommen werden dürfen. Und auf jeden Fall hätte Frau Schenk und die NADA sofort eingebunden werden müssen, so erfuhren beide erst nach den Olympischen Spielen von der Angelegenheit. (Stern, 28.5.2007). Die in diesem Artikel erhobenen Vorwürfe gegen Dr. Schumacher, wonach er die Verdachtsmomente verschwiegen hätte, musste Sylvia Schenk später in einem gerichtlich erzielten Vergleich zurücknehmen. Der Arzt machte u.a. die ärztliche Schweigepflicht geltend. Allerdings wurden die Blutparameter an Bernd Dittert weitergegeben, s.o.. (ARD, 17.8.2007).

Am 23. September wirft Sylvia Schenk das Handtuch und tritt mit sofortiger Wirkung als Präsidentin zurück. (sid, 25.9.2007)

>>> Sylvia Schenk:

Würden Sie sagen, daß Sie 2004 an dieser Problematik gescheitert sind?
Wenn man das als Scheitern bezeichnen will, kann man das so nennen. Es gab damals einen Hinweis des Mannschaftsarztes an den Sportdirektor, daß die Blutwerte eines Fahrers den Verdacht auf Epo nahelegten. Wenn so etwas gegenüber der Präsidentin über Monate verschwiegen wird und der betroffene Athlet zur Nominierung für die Olympischen Spiele vorgeschlagen wird, dann ist es das genaue Gegenteil von dem, wofür ich stehe: hundert Prozent Transparenz. Ich hätte damals die Nada und das NOK informiert. Sportdirektor und Teamarzt wollten lieber schweigen. Das nährt doch genau jenen Generalverdacht: Wichtige Hinweise werden verschwiegen.

2007 BMI Projektgruppe Sondermittel Doping

Am 30. Mai 2007 wurde von Bundesinnenminister Schäuble die Projektgruppe Sonderprüfung Doping eingesetzt. Am 20. Dezember 2007 wurde der Abschlussbericht der Öffentlichkeit übergegeben.

„Die Prüfung der Projektgruppe umfasste die Frage, inwieweit Fördermittel des Bundes mit den im Jahr 2007 in der Presse bekannt gewordenen Dopinggeständnissen von Athleten, Ärzten und Trainern in Zusammenhang gebracht werden können und welche Konsequenzen aus den gewonnenen Erkenntnissen für die zukünftige Ausgestaltung der Förderung zu ziehen sind.“

>>> Abschlusbericht Projektgruppe Sonderprüfung Doping 2007

Zum BDR gibt es u.a. folgende Aussagen:

Beim BDR wurden verschiedene Auffälligkeiten bei der Beschaffung und Abrechnung von Medikamenten und medizinischen Leistungen festgestellt. Dabei handelte es sich um das verbotene Medikament „Furosemid“, das Potenzmittel „Cialis“ und insgesamt 18 Rechnungen über xpresszustellungen von dem damaligen BDR-Verbandsarzt Dr. Georg Huber an verschiedenste Adressaten.

Zum Medikament „Furosemid“ (Entwässerungsmittel) erklärte der BDR zunächst mit Stellungnahme vom 23. August 2007: „Es wird geprüft, ob es evt. versehentlich auf die BDR-Rechnung gesetzt wurde und möglicherweise gar nicht geliefert wurde.“ Auf Nachfrage der PG D am 12. November 2007 äußerte sich der BDR dahingehend, dass es sich um ein Medikament des Notfallkoffers handele, das nicht unbedingt für Athleten gedacht sei, sondern möglicherweise auch für Trainer, Betreuer oder Journalisten Anwendung finde.

Zum Potenzmittel „Cialis“ erklärte der BDR zunächst mit Stellungnahme vom 23. August 2007: „Es liegt der Verdacht nahe, dass es zu einer falschen Rechnungsstellung durch die Apotheke gekommen ist. Wir werden dies schnellstmöglich prüfen.“ Auf Nachfrage der PG D am 12. November teilte der BDR mit E-Mail vom 13. November 2007 mit: „Nachforschungen bzgl. der bestellten „Cialis“ Tabletten haben bisher kein weiteres Ergebnis rbracht.“


2007 UNABHÄNGIGE EXPERTENKOMMISSION ANTI_DOPING

Am 26.5.2007 kündigte BDR-Präsident Rudolf Scharping nach den Wirren um Dr. Georg Huber und Bundestrainer Peter Weibel an, eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen.

„Unabhängig davon haben wir entschieden, eine unabhängige Kommission einzurichten; unanhängig heißt, dass wir anerkannte Fachleute in diese Kommission einladen, die die Vergangenheit aufarbeiten sollen, unser Anti-Dopingprogramm überprüfen und – falls erforderlich – Empfehlungen für die Weiterentwicklung dieses Programms machen. Professor Dr. Fritz Sörgel vom Institut für medizinische und pharmazeutische Forschung in Nürnberg wird ein Mitglied dieser Kommission. Er war der Sachverständige der Staatsanwaltschaft im Falle des Leichtathleten Dieter Baumann. Weitere unabhängige Sachverständige werden hinzukommen.“ (rad-net, 26.5.2008).

Ab 11./12. Juli sollte die Kommission die Arbeit aufnehmen.

dpa: BDR vergibt Vorsitz der Anti-Doping-Kommission:

„Stephan Netzle, Richter am Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne, übernimmt den Vorsitz der unabhängigen Anti-Doping-Kommission des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR). Dies teilte BDR-Präsident Rudolf Scharping in Frankfurt mit. Stephan Netzle ist Jurist mit internationaler Ausbildung und Abschlüssen in der Schweiz und in den USA. Seit 1991 ist Mitglied im Schiedsgericht des Sports in Lausanne sowie in verschiedenen anderen juristischen Tätigkeiten des internationalen Sports.

Außerdem gehören der ehemalige Schwimm-Olympiasieger und Weltmeister Michael Groß, Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer, der Kanu-Weltverbands-Präsident Ulrich Feldhoff, der Mediziner Fritz Sörgel und der Sportbiologe Dirk Clasing sowie der ehemalige Bundesminister Kurt Bodewig dem Gremium an. «Der BDR kann es sich schlicht nicht leisten, sich nicht aktiv um Aufklärung zu kümmern», erklärte Netzle die Bemühungen, Licht in das Doping-Dunkel im Radsport zu bekommen. «Es ist ein Muss, dass man selbst die Initiative ergreift.»

Ziel sei es nicht, im Sinne einer Staatsanwaltschaft oder der Polizei dem einzelnen Fahrer «auf die Schliche zu kommen, damit er bestraft wird. Wenn unser Bericht bei möglichen disziplinarischen Maßnahmen hilft, umso besser», betonte Netzle. «Ich hoffe sehr, dass die Kommission Erkenntnisse sammelt, die in gerichtlichen Verfahren eine Rolle spielen», ergänzte BDR-Chef Scharping.“

Im September 2007 ist das Projekt gescheitert. Woran dies genau lag, bleibt etwas im Dunkeln, den Schwarzen Peter schoben sich die Parteien gegenseitig zu.

Tagesspiegel, 13.9.2007: Gerangel ums Geld:

War die Kommission nun aufgelöst oder nicht?

„Aber ist die Kommission jetzt überhaupt aufgelöst? Selbstverständlich, sagt Sörgel, sie habe ja immer nur aus Netzle, Groß und ihm bestanden. Sie existiert weiter, heißt es dagegen aus BDR-Kreisen. Denn sie habe immer schon aus sieben Personen bestanden, nur drei seien zurückgetreten. Die vier anderen allerdings seien von dem Trio gleich zum Beirat degradiert worden. Diese Einschätzung empört Sörgel: „Wer so etwas behauptet, lügt.“ Scharping habe Netzle, Groß und ihm vier Personen als Beirat aufgezwungen. Zu dem Quartett gehört auch der frühere Verkehrsminister Kurt Bodewig. „Wir haben alle vier abgelehnt, vor allem Bodewig“, sagt Sörgel. „Was soll der dort? Ich bin dagegen, dass Geld für so eine wichtige Kommission an einen Parteikollegen weitergeleitet wird.“

Der BDR verkündet nach dem Scheitern der Kommission:

„Das wahrscheinliche Ausscheiden der Herren Dr. Netzle, Dr. Groß und Professor Dr. Sörgel aus der Anti-Doping-Kommission wird nichts daran ändern, dass der BDR seine Anti-Doping-Maßnahmen auch in Zukunft unabhängig überprüfen lassen wird. Auch die konsequente Verwirklichung des seit 2006 laufenden Programms gegen Doping geht weiter und stand zu keinem Zeitpunkt in Frage.“ (rad-net, 8.9.2007)

In dieser Erklärung fehlen jetzt Hinweise auf die Fortführung der Aufklärung der Vergangenheit. Ergebnisse liegen auch nicht vor.


2008 BUNDESSPORTAUSSCHUSS:
Überprüfung der Bundesfördermittel für den BDR für 2009

Nach der Mountainbike-DM in Singen wurde bekannt, dass keine Dopingkontrollen stattfanden. (FAZ, 6.10.2008) Wie der BDR später bekannt gab, fehlten die finanziellen Mittel.

Dieser Kontrollmangel und die zuvor festgehaltenen Befunde der BMI-Projektgruppe Sonderprüfung Doping (s.o.) brachten dem BDR heftige Kritik ein und der Ruf nach Streichung der öffentlichen Mittel für 2009 wurde laut. Auf der 59. Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages wurde BDR-Präsident Rudolf Scharping aufgefordert auf der nächsten Ausschusssitzung am 12. November die Anti-Doping-Politik seines Verbandes darzustellen. (JW: Bericht über die Sitzung)

Winfried Hermann, Bündnis90/die Grünen stellte einen Antrag auf Fördermittelstopp für 2009:

Beim Haushaltstitel 684 11 (”Zentrale Maßnahmen auf dem Gebiet des Sports”) werden die vorgesehenen Ausgaben für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) gestrichen. Stattdessen werden die nicht benötigten Mittel für die Dopinganalytik, Anti-Dopingforschung sowie für die Dopingprävention verwendet. (>>> der Antrag)

Am 12.11.2008 auf der 60. Sitzung des Sportausschusses ist Rudolf Scharping anwesend und trägt die Position des BDR vor.

>>> das Protokoll der 60. Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages

Der Antrag auf Streichung der Fördermittel wird abgelehnt.


BURCKHARD BREMER, LEISTUNGSSPORTDIREKTOR

Siehe zu diesen und folgenden Punkten
>>> 2016 Andreas Singler (Mitarbeit: Lisa Heitner):
Doping beim Team Telekom/T-Mobile: Wissenschaftliches Gutachten zu systematischen Manipulationen im Profiradsport mit Unterstützung Freiburger Sportmediziner.

Am 12. November 2008 war der Bund Deutscher Radfahrer vor den Sportausschuss des Deutschen Bundestages geladen worden um über die Dopingsituation im Radsport und insbesondere die getroffenen Maßnahmen des Verbandes zu berichten. Speziell die fehlenden Dopingkontrollen bei der Deutschen Meisterschaft im Mountainbike-Marathon hatten bestehende Zweifel an einer glaubwürdigen Antidopingpolitik des Verbandes unterstrichen. Letzlich ging es bei dieser Anhörung (Berichterstatter war Rudolf Scharping) um die Rechtfertigung der Bundesmittel. Der Antrag auf Behandlung war von Bündnis90/Die Grünen gestellt worden.

Winfried Hermann begründete in seinem Statement den Antrag u. a. wie folgt:

„Es ist inzwischen belegt worden, dass in Freiburg über Jahre hinweg das komplette Telekom Team gespritzt wurde und auch ein Blutaustausch stattgefunden hat. Sie sagen sich nun: „Was haben wir damit zu tun, denn das Telekom Team ist nicht der BDR?“. Entschuldigen Sie einmal, es war doch fast identisch mit den Nationalmannschaften, denn dieselben Ärzte und Trainer von damals waren alle dabei. Zum Teil haben Sie sich sicherlich von den Leuten getrennt, aber beispielsweise ist Ihr Sportdirektor immer noch der Gleiche. Was ich damit sagen möchte ist, dass in der Linie der Verantwortung immer noch ganz viel Kontinuität herrscht. Sie haben vor einigen Wochen noch mit Herrn Jörg Schuhmacher in Varese gearbeitet.“ (Protokoll der 60. Sitzung des Sportausschusses, s.u.)

Burckhard Bremer strengte daraufhin eine Unterlassungsklage gegen Winfried Hermann an. Winfried Hermann reagierte seinerseits mit einer Klage vor dem Berliner Landgericht. (SZ/23.12.2008, Interview Hermann, 15.4.2009). Am 16. April unterlag Bremer.

«Das Landgericht hat entschieden, dass die Äußerung Hermanns vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei» Der Sportpolitische Sprecher seiner Partei hatte den seiner Meinung nach nicht konsequenten Anti-Doping-Kurs des BDR auch an der Personalie des Sportdirektors Bremer festgemacht, der «in den heißen Zeiten des Dopings in dieser Funktion war». (dpa, 16.4.2009, JW, 16.4.2009)

Der Streit ging in Revision. Am 27. April 2010 entschied das Berliner Kammergericht gegen Bremer (Aktenzeichen 9 U 112/09).

„Hermann hatte in einem SZ-Interview vom 15.11.2008 dem BDR-Präsidenten Rudolf Scharping vorgeworfen, vor dem Sportausschuss des Bundestags darüber geschwiegen zu haben, dass beim BDR „in vielen Bereichen noch mit dem alten Personal gearbeitet wird: mit dem Sportdirektor Burckhard Bremer, der schon in den heißen Zeiten des Dopings in dieser Funktion war‘. Zu der Doping-Affäre um den früheren Bahnradfahrer Christian Lademann stellte das Gericht nun fest, Bremer habe den „Dopingverdacht vertuscht“ und „weder die damalige Präsidentin des BDR, Frau Schenk, noch die Nada informiert“. [Es]“sei sogar die Aussage wahr, Bremer „sei an einem Doping-Vorfall beteiligt gewesen“. (W. Hermann, 7.5.2010, SZ, 8.5.2010)

Erneut ging Burckhard Bremer in Revision und verlor wieder. Anfang August 2010 beschied das Berliner Kammergericht (Geschäfts-Nr. 9U112/09)

„Bremer habe in der Dopingaffäre um Bahnfahrer Christian Lademann ‚(sicherlich neben anderen Personen im BDR) nichts veranlasst, um sich davon zu überzeugen, dass der Sportler die ihn zur Teilnahme an den olympischen Spielen (2004) berechtigenden Leistungen ohne Zuhilfenahme unerlaubter Mittel erbracht hat‘.“ (eisenberg-könig.de, 7.5.2010, SZ, 3.8.2010)

Im August 2010 unterlag Burkhard Bremer in einem weiteren Rechtsstreit. Der Saarländische Rundfunk hatte behauptet, Bremer habe vom EPO-Doping des Fahrers Patrick Sinkewitz 2000 bei der WM in Plouay gewusst. Sinkewitz war wegen auffälliger Blutwerte unter dem Vorwand Grippe nachhause geschickt worden. Bremer hatte gegen den Saarländischen Rundfunk geklagt, doch nach dem Urteil des Hamburger Landgerichts

„kann das für den Leistungssport zuständige Präsidiumsmitglied des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) dem Saarländischen Rundfunk nicht verbieten zu äußern, dass Bremer frühzeitig Kenntnis von Dopingpraktiken des Rennfahrers Patrik Sinkewitz gehabt hat.“… „Nach dem Ergebnis der Vernehmung des Zeugen Peter Weibel steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass dieser den Kläger während der Weltmeisterschaft im Jahr 2000 in Plouay telefonisch über erhöhte Hämatokritwerte informiert hat.“ … „Nach Rücksprache mit Bremer als seinem Ansprechpartner im BDR-Präsidium habe er Sinkewitz mit der offiziellen Erklärung, Sinkewitz habe eine Grippe, nach Hause geschickt.

Dieser Sachverhalt begründe die Kenntnis des BDR-Sportdirektors davon, dass Sinkewitz Doping mit EPO vorgenommen habe. Bei beruflich mit der Materie vertrauten Personen wie dem BDR-Sportdirektor entspreche die Kenntnis von derartigen Hämatokritwerten dem Umstand, dass er von den Dopingpraktiken des Radfahrers Sinkewitz wusste.“ (Mehr zu diesem Vorfall s.u.) (SR, 13.8.2010, SZ, 18.8.2010)

Bremer legte Berufung gegen dieses Urteil beim Oberlandesgericht Hamburg ein. Dieses Mal gab das Hamburger Landgericht Bremer recht. So

„darf der Sender sowie der verantwortliche Redakteur nicht weiter behaupten, dass Bremer von den Doping-Praktiken des Radfahrers Patrik Sinkewitz gewusst habe. … [Bremer] war aber in einem Prüfungsverfahren für den Sportausschuss des Deutschen Bundestag entlastet worden. So wurde festgestellt, dass sich Bremer regelkonform verhalten und keine dopingrechtlichen Vorgaben verletzt habe.“ (rad-net, 14.6.2012)

Neben diesen Verfahren hatte Bremer versucht dem Bundestagsabgeordneten Peter Danckert die Aussage zu verwehren, er, Bremer, habe sich in dem vom Verband offenbar vertuschten Dopingfall Patrik Sinkewitz bei der Junioren-WM 2000 in Plouay nicht korrekt verhalten. Das Landgericht Hamburg hatte die Unterlassungsklage Bremers zurrückgewiesen, im Oktober 2011 bestätigte das Oberlandesgericht dieses Urteil: FAZ, 1.11.2011.

RADSPORTLER PATRICK SINKEWITZ,
Auffälligkeiten während der WM in Plouay 2000

Am 30. Mai 2007, noch bevor Patrik Sinkewitz mit der positiven Testosteron-Probe auffiel, erklärte Sylvia Schenk in der Süddeutschen Zeitung, was ein BDR-Funktionär ihr zugeflüstert hätte: Der 20jährige Fahrer wurde im Jahre 2000 von der WM in Plouay (Frankreich) nicht wie offiziell erklärt, wegen einer Erkältung heimgeschickt, sondern aufgrund auffälliger Blutwerte. (SZ, 18.7.2007) Unklar ist, wann Sylvia Schenk davon erfuhr und ob Sie damals, sofern dies in ihre Amtszeit fiel, etwas in der Sache unternahm.

Als der positive Test während der Tour de France 2007 bekannt wurde, erklärte Rolf Aldag, Sportlicher Direktor bei T-Mobile, dass er im Mai von Sylvia Schenk von den Plouay-Verdachtsmomenten erfahren und daraufhin bei BDR-Sportdirektor Burkhardt Bremer nachgefragt hätte.

„Bremer sagte mir deutlich, dass gegen Sinkewitz bei der WM 2000 in Plouay nichts Auffälliges vorgelegen hat“, berichtete Aldag. Sinkewitz sei zwar vor sieben Jahren als U23-Fahrer nach dem Zeitfahren in Plouay vom BDR zurückgezogen worden, „aber nur, weil er krank war“. (Tagesspiegel, 19.7.2007)

Am 2. September 2006 richtete der Journalist Ralf Meutgens an den Vorsitzenden des BDR Rudolf Scharping schriftlich u.a. folgende Fragen:

– Trifft es zu, dass der Fahrer Patrik Sinkewitz vom Wettkampfort wegen Krankheit zurück nach Hause geschickt worden ist?

– Trifft es zu, dass im Vorfeld bei ihm intern ein überhöhter Hämatokritwert gemessen wurde, was der eigentliche Grund für die Heimreise war?

Die Antwort Scharpings lautete:

„Die in Ihren weiteren Fragen verpackten Vermutungen in Richtung Manipulation können wir nicht bestätigen.“ (Offener Brief, 25.11.2007)

das Geständnis des Patrik Sinkewitz

Dr. Wolfgang Stockhausen
viele Jahre betreuender Verbandsarzt im Radsport:
„Alle wissen Bescheid. Präsidenten, Funktionäre, Politiker, Trainer, Betreuer, Masseure, Physiotherapeuten, Ärzte, Mechaniker. Aber wenn es einen Sportler erwischt, sind alle erstaunt und entsetzt. Zuvor passten nicht genug von ihnen auf die Siegerfotos. Jetzt gibt man sich enttäuscht. Der Sünder wird fallengelassen.Jetzt braucht er Hilfe. Eben noch war er ein Held, jetzt wird er zum Verbrecher. Diese Hürde ist viel zu hoch, um dem Doping abzuschwören. So kommt keiner aus eigenen Kräften aus dem Dopingsumpf heraus.
Alle, die von Doping wissen, nicht nur die Sportler, müssen sich bekennen.“
(Doping im Radsport, S. 166)

Am 23. November 2007 gesteht Patrik Sinkewitz, dass er im Vorfeld der WM 2000 mit EPO gedopt hatte und aus diesem Grund seine Blutwerte auffällig waren.

Er gab an, von EPO und dessen Wirkungen und Verbreitung gehört zu haben. Er habe sich danach erkundigt, unter anderem auch bei Trainer Peter Weibel. Dieser habe ihm EPO zwar nicht direkt empfohlen aber auch nicht davon abgeraten. Er solle nur aufpassen. Sinkewitz besorgte sich das Mittel Wochen vorher (in Deutschland?) In einer Apotheke. Hier habe er das rezeptpflichtige Medikament ohne Probleme erhalten und es sich danach selbst gespritzt,

„war ja nicht sehr schwer. Einfach unter die Haut in den Oberarm. Wie eine Impfung, da kann man nichts falsch machen.“

Nach Sinkewitz wusste der Bundestrainer davon und habe dann regelmäßig im Trainingslager die Blutwerte gemessen. Rechtzeitig vor der WM wurde dann mit EPO abgesetzt. Die Ärzte wurden nicht eingebunden, aber nach Sinkewitz hätten sie wissen müssen, was läuft.

Vor und nach dem WM-Zeitfahren waren die Blutwerte grenzwertig, so dass er, s.o., nachhause geschickt wurde. Ein Arzt wurde nicht zu Rate gezogen. (SZ, 23.11.2007)

Nach Angaben des BDR waren in Plouay offiziell dabei:

Der damalige Präsident Manfred Böhmer, dessen Vize Fritz Ramseier, 2. Vize-Präsident Olaf Ludwig, BDR-General-Sekretär Werner Wenzel und BDR-Pressesprecher Rolf Bläser.

Die sportliche Leitung hatten Rudi Altig, Hans Hindelang und der jetzige Generalsekretär Martin Wolf. Als Teamärzte waren Roland Kretsch (Bochum), Olaf Schumacher und Lothar Heinrich anwesend. Georg Huber wird nicht aufgeführt.

Der BDR forderte nach eigenen Angaben nach diesem Geständnis Herrn Weibel zu einer Stellungnahme auf. Dieser habe erklärt, so wäre es nicht gewesen, im Gegenteil, er habe dem Fahrer nach der Kenntnisnahme eines zu hohen Hämatokrits im Vorfeld der WM „mehrmals gedroht, ihn aus der Mannschaft zu schmeißen“, sollte er zu verbotenen Mitteln greifen. (BDR, 25.11.2007, FAZ, 3.12.2007).

Im Juni 2008 scheint die Angelegenheit für den BDR abgeschlossen. Scharping: die Vorkommnisse in Frankreich seien auch für den Fall Weibel nicht mehr interessant. (FAZ, 11.6.2008)

Im Abschlussbericht der Freiburger Expertenkommission werden die Vorgänge in Plouay präziser beschrieben:

„Wie sich aus dem der Kommission vorliegenden Schriftsatz der den Trainer vertretenden Anwaltskanzlei vom 29. November 2007 ergibt, waren die Hämatokritwerte von Patrik Sinkewitz nach dem Training in Hockenheim und vor der Abreise nach Plouay mit 48% und 49% im kritischen Bereich. Die Messungen seien nach den Angaben des Trainers aufgrund einer Anweisung des BDR erfolgt, wonach Trainer und behandelnde Ärzte Blutkontrollen zur Feststellung von Unregelmäßigkeiten beim Hämatokritwert durchzuführen hatten. Bei der nochmaligen Kontrolle der Fahrer in Plouay habe Patrik Sinkewitz einen Hämatokritwert zwischen 52% und 54% gehabt. Dies habe der Trainer nach seinen Angaben dem BDR (Herrn Bremer) mitgeteilt. Auftragsgemäß habe er sich danach mit den Ärzten in Verbindung gesetzt, um durch medizinische Maßnahmen eine Senkung des Wertes zu erreichen. Nach Blutentnahme durch die Ärzte Dr. Schumacher und Dr. Kretsch und Durchführung von Plasmaexpander- und Glucoseinfusionen sei der Wert wieder auf 49% gefallen. Zusätzlich sei das Krankenhaus in Plouay aufgesucht worden, um exakte Kenntnisse über den tatsächlichen Hämatokritwert zu erhalten. Nachdem der Wert unter 50% gefallen sei, habe man Patrik Sinkewitz für das Zeitfahren gemeldet. Weil sich nach dem Rennen wieder ein Wert von 50% ergeben habe, sei Patrik Sinkewitz nach Rücksprache mit Herrn Bremer vom BDR nach Hause geschickt worden. Unklarheit besteht nur darüber, ob der Trainer Mitwisser und Mithelfer bei dem diesen Werten zugrunde liegenden EPO-Doping war, wie dies der Anwalt von Patrik Sinkewitz im Schriftsatz vom 15.11.2007 an das Bundessportgericht vorgetragen hat, oder aber, ob er intensiv bestrebt war, das eigenmächtige Dopen von Patrik Sinkewitz zu verhindern, wie dies sein Anwalt vorträgt.“

Hieraus geht deutlich hervor, dass Trainer, Funktionäre und spätestens nach den Infusionen auch die Ärzte von dem EPO-Doping gewusst, es vermutet oder befürchtet hatten.


DAS GESTÄNDNIS DES PETER WEIBEL

Im Mai 2010 wird der Untersuchungsbericht bestätigt und es wird klar, dass die Darstellung des BDR nicht richtig war.

Peter Weibel hatte vor dem Hamburger Landgericht die Aussagen Sinkewitz bejaht und ausgesagt, dass schon während der WM in Plouay alle anwesenden BDR-Funktionäre einschließlich der Verbandsärzte über den Dopingverdacht informiert waren. Sinkewitz sei im Auftrag des Präsidiums nachhause geschickt worden. Dies habe er auch in seinem Jahresbericht kurze Zeit nach der WM so dargestellt. 2007 hatte der BDR noch verlauten lassen, Burckhard Bremer und Teamarzt Dr. Olaf Schumacher hätten die damaligen Äußerungen Weibels mit eidesstattlichen Erklärungen vor dem BDR zurück gewiesen. Weibel hatte gegenüber Schumacher angeblich 2007 behauptet, der Arzt hätte 2000 bei Sinkewitz maskierende Substanzen angewandt. (dradio, 22.5.2010, SZ, 26.5.2010)

Im August 2010 stellte die Pressekammer des Landgerichts Hamburg fest,

„Weibel habe … glaubhaft ausgesagt, dass ihm bei dem Radrennfahrer Sinkewitz schon während der Trainingsphase erhöhte Hämatokritwerte aufgefallen seien, die bei der Weltmeisterschaft im Jahr 2000 sogar noch weiter nach oben gegangen seien, und dass die Ärzte Werte festgestellt hätten, die nicht mehr zu vertreten gewesen sein. Hiervon habe er seinen Vorgesetzten, Bremer, in Kenntnis gesetzt. Nach Rücksprache mit Bremer als seinem Ansprechpartner im BDR-Präsidium habe er Sinkewitz mit der offiziellen Erklärung, Sinkewitz habe eine Grippe, nach Hause geschickt. Dieser Sachverhalt begründe die Kenntnis des BDR-Sportdirektors davon, dass Sinkewitz Doping mit EPO vorgenommen habe.“ (mehr zu B. Bremer s.o., SR, 13.8.2010)


ARZT Dr. YORCK OLAF SCHUMACHER

Der Freiburger Sportmediziner Yorck Olaf Schumacher gehörte 2000 zu den BDR-Verbandsmedizinern und war in Plouay vor Ort. Schumacher bestritt über mögliches Doping von Sinkewitz informiert oder an einer Vertuschung beteiligt gewesen zu sein. Mit einer eidesstattlichen Erklärung widersprach er dem saarländische Rundfunk, der anderes behauptet hatte und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen den Sender.

2010 belastete aber Peter Weibel in seiner Zeugenaussage vor dem Landgericht Hamburg nicht nur Burkhard Bremer sondern gab an auch Yorck Olaf Schumacher seien die erhöhten Blutwerte von Sinkewitz bekannt gewesen. So ist es auch im Abschlussbericht der Freiburger Expertenkommission nachzulesen wie oben zitiert:

„Bei der nochmaligen Kontrolle der Fahrer in Plouay habe Patrik Sinkewitz einen Hämatokritwert zwischen 52% und 54% gehabt…. Nach Blutentnahme durch die Ärzte Dr. Schumacher und Dr. Kretsch und Durchführung von Plasmaexpander- und Glucoseinfusionen sei der Wert wieder auf 49% gefallen.“

Schumacher bestand aber darauf nichts gewusst zu haben und mit den Infusionen lediglich einen Magen-Darm-Infekt behandelt haben zu wollen. (S, 53/54)

Nicht deckungsgleich sind damit die Aussagen zu Sinkewitz Beschwerden:

„Der Arzt Schumacher hatte im Dezember 2007 auch auf SZ-Anfrage bekräftigt, er habe Sinkewitz bei der WM 2000 zwar ‚zweimal wegen eines Magen-Darm-Infektes behandelt‘, aber ganz sicher nicht an einer Vertuschungsaktion mitgewirkt (wie generell an keinem Dopingbetrug). Von einem Magen-Darm-Infekt erwähnte Weibel vor Gericht nichts – er sprach aber von der vorgeschobenen Grippe.“ (SZ, 18.8.2010)

Dr. Schumacher gehört der Experten-Kommission an, die an der Entwicklung und Auswertung des biologischen Passes der UCI beteiligt ist.


2010 / 2011 ÜBERPRÜFUNG DER VORFÄLLE UM BREMER; SINKEWITZ UND LADEMANN

Für den BDR sieht wenig Handlungsbedarf, Antidopingbestimmungen seien nicht verletzt worden. Es wurde aber ein unabhängiger Jurist eingesetzt, der die Vorgänge und Aktenlage überprüfen soll. Bis Ende Oktober 2010 sollte ein Ergebnisbericht vorliegen. Im Januar 2011 wurde diese Expertise vorgelegt. Bremer wird darin von allen Vorwürfen freigessprochen. Der ‚unabhängige‘ Gutachter entpuppte sich dabei allerdings als Bruder eines beim BDR festangestellten Mitarbeiters woraufhin dessen Unabhängigkeit von einigen Empfängern schwer in Zweifel gezogen wurde.

„Schenk, Juristin, Sportbeauftragte der Anti-Korruptionsorganisation Transparency und gleichfalls von Bremer verklagt, sagt zu dem Gutachten: ‚Nicht mal die Fakten sind richtig dargestellt.‘ So erwähne der Gutachter einen ‚angeblich mit mir geschlossenen Vergleich vom 21.8.2007 als Anerkennung der auf Antrag von Bremer erlassenen Einstweiligen Verfügung vom 5.6.2007‘. Schenk sagt aber, sie kenne ‚gar keinen Vergleich vom 21.8.2007 und in Sachen Bremer wurde keine Einstweilige Verfügung erlassen, schon gar nicht im Juni 2007‘.

Befangenheit wittern auch andere Beteiligte. ‚Peinlich‘, sagt SPD-Politiker Peter Danckert, selbst Jurist und in einen Rechtsstreit mit Bremer involviert, Kollege Hermann urteilt: ‚Das ist eine interessensgeleitete anwaltliche Stellungnahme.‘ Die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada teilte mit, der Eindruck möglicher Befangenheit sei bereits in einem Gespräch mit dem BDR ‚problematisiert worden‘. “ Auch Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses zeigte sich irritiert. (SZ, 15.1.2011)

>>> Das Gutachten von Prof. Dr. iur. Holm Putzke zum Nachlesen.

2010 und 2011 stand erneut die finanzielle Zuwendung durch das Bundesinnenministerium auf dem Prüfstand. Die Fraktion der Grünen wollte mit Hilfe einer Anfrage an die Bundesregierung Näheres zur ‚Bezahlung eines Funktionärs des BDR aus Zuwendungen des BMI vor dem Hintergrund eines verschleierten Dopingfalles‘ erfahren.

„Man wolle wissen, wie viel Geld seit dem Fall Lademann 2004 an BDR bzw. Bremer geflossen ist – und auch, welche Konsequenz aus den Urteilen ‚bezüglich Rückzahlung von Bundesmitteln durch und Auszahlung von zukünftigen Bundesmitteln an den BDR‘ gezogen werde.“ (SZ, 28.8.2010)

>>> Kleine Anfrage der Grünen vom 31.8.2010: Bezahlung eines Funktionärs des Bundes Deutscher Radfahrer aus Zuwendungen des Bundesministeriums des Innern vor dem Hintergrund eines verschleierten Dopingfalles

Das Bundesinnenministerium sah im Juni 2011 keinen Handlungsbedarf und verzichtete auf eine Kürzung der Zuwendungen.

„[Christoph Bergner] berief sich dabei auf ein Gutachten des Bundesverwaltungsamtes, das im Zusammenhang mit Verdachtsmomenten in den Fällen Patrik Sinkewitz (2000) und

Christian Lademann (2004) nicht zweifelsfrei von Doping-Vergehen ausgeht. Daher werde von zuwendungsrechtlichen Konsequenzen Abstand genommen, sagte Bergner, der einräumte, selbst Zweifel an der Entscheidung gehabt zu haben. «Aber ich kann meinem Hause nicht empfehlen, eine Rückzahlungsforderung zu stellen, die vor Verwaltungsgerichten keinen Bestand hätte», sagte der CDU-Politiker.“ (dpa, 29.6.2011)


WEITERE VERTUSCHUNGSFÄLLE?

FAZ, 1.2.2012:
„Mitten im Gespräch machte der Jurist eine Pause. Er holte tief Luft und ließ Dampf ab: „Natürlich wissen wir, dass es sich hier um eine Schweinebande handelt!“ Eine Schweinebande? Es geht um eine Gruppe lizenzierter Sportler, Radfahrer, die nicht in der vordersten Reihe stehen, aber Geld bei ihren Wettkämpfen verdienen. Mit Betrug, wie man landläufig sagen würde, weil ihnen Doping zu unterstellen ist. Einem aus dieser „Schweinebande“, Herrn K., flatterten jedenfalls die Nerven, als der Dopingkontrolleur schellte. In Panik rief K. seinen Teamchef an, Herrn F., einen mehrmals wegen Dopings Gesperrten. Dessen fachmännischer Ratschlag: Nicht aufmachen!
Den Ablauf dieser Szene kann man nachlesen – im Protokoll einer Telefonüberwachung, die Teamchef F. galt. Der Wortlaut ist dem Bund Deutscher Radfahrer (BDR) bekannt. Auch deshalb hat die Anti-Doping-Kommission des Verbandes eine Bestrafung des Sportlers K. gefordert. Niemand glaubt ernsthaft, K. habe nur eine Phobie vor dem Dopingkontrolleur gehabt. Vielmehr trieb ihn die Sorge, über die Auswertung seiner Urinprobe als positiver Typ entlarvt zu werden. Doch so offensichtlich dieser Fall auch ist: Das Bundessportschiedsgericht (BSSG) des BDR stellte das Verfahren ein.“

Gab es neben Sinkewitz und Lademann weitere Fälle von Fahrern mit auffälligen Blutwerten?

Ralf Meutgens bittet im September 2006 Rudolf Scharping um Beantwortung folgender Fragen:

Weiter erwähne ich in meinem Schreiben einen ähnlich gelagerten Fall (interne Hämatokritmessung von 54 Prozent) eines anderen Radsportlers bei einer WM in einem anderen Jahr.

– Sind Sie sicher, dass es sich hierbei nicht auch um eine Manipulation gehandelt hat?

– Welche Funktionäre waren in diese Fälle involviert?

Vielleicht möchten Sie diesen Vorfall in Anbetracht der fortschreitenden Enthüllungen im organisierten deutschen Radsport noch einmal aufgreifen. (Meutgens, 25.11.2007)

Eine Antwort erfolgte nicht.

Umstritten ist auch der Fall Stefan Schumacher. Nach der WM 2007 in Stuttgart wurde bekannt, dass bei ihm vor der WM verschiedene Blutparameter auffällig waren. Er galt als deutsche Siegerhoffnung. Eine Durchfallerkrankung soll der Grund gewesen sein. Der BDR und die UCI gaben grünes Licht, die NADA meldete aber Zweifel an. Prof. Sörgel sprach sogar den Verdacht auf Manipulationen mit Blutdoping aus.

Am 26. 11. 2007 legte Schumacher seine Werte offen. Stimmen die Angaben in der FAZ, dann hätte Schumacher auf jeden Fall nach dem Reglement der UCI eine Schutzsperre von 2 Wochen erhalten müssen:

“ Für Stefan Schumacher wurde zweimal ein Hämatokrit von 50,5 (Mittelwert 50,5) und Hämoglobinwerte von 16,9 und 17,3 (Mittelwert von 17,1) festgehalten.“

Stattdessen wurde die NADA öffentlich gerügt, sowohl von Schumachers Anwalt als auch vom BDR. Die Zweifel wurden aber nie ausgeräumt.(FAZ, 28.11.2007, NADA, 28.11.2007, der Spiegel, 10.1.2009)

Stefan Schumacher wurde durch Kontrollen während der Tour de France 2008 positiv auf CERA (Mircera) getestet und für zwei Jahre gesperrt. 2013 legte er ein umfassendes Geständnis ab, erklärte aber angesprochen auf seine WM-Werte, dass diese auf eine schludrige Erfassung zurück zu führen seien, die Anschuldigungen hätten damals nicht gestimmt (der Spiegel 14/2013).


2006 – 2011 DOPINGAFFAIRE UM ARZT TILMAN STEINMEIER UND DAS CROSS-TEAM ‚STEVENS-RACING‘

Am 6. Oktober 2006 wurde durch die Süddeutsche Zeitung bekannt, dass der langjährige Arzt des Hamburger Cross-Teams ‚Stevens-Racing‘ Tilman Steinmeier drei Fahrer des Teams (Fabian Brzezinski, Jens Schwedler, Johannes Sickmüller) mit Epo, Andriol und Synacthen versorgt haben soll. Mehr Informationen >>> siehe hier. Der Arzt hatte einen Strafbefehl über 39.000 Euro wegen Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz erhalten. Die drei Sportler mussten zwar eine Geldbuße in Höhe eines MOnatsgehalts bezahlen, wurden strafrechtlich aber nicht belangt, da ihnen Betrug nicht nachgewiesen werden konnte. Das heißt aber nicht, dass damit auch sportrechtliche Verfahren hinfällig waren.

Der BDR hatte bereits 2007 Akteneinsicht beantragt, dies wurde abgelehnt, allerdings erging telefonisch

„der Hinweis an den BDR, dass Akteneinsicht in die Ermittlungsverfahren gegen die Radsportler gewährt werden könnte.“

Mit dem Tipp wollte die Staatsanwaltschaft dem Verband auf die Sprünge helfen: „Von Bedeutung ist auch, dass die Akten letztlich identisch aufgebaut waren. Insbesondere war die Sachakte in dem Verfahren gegen Dr. S. in Kopie als Beiakte Bestandteil in dem Ermittlungsverfahren gegen die betroffenen Radsportler.“

Der BDR reagierte jedoch nicht und blieb untätig.
Die NADA wurde erst 2010 aktiv, nachdem sie zuvor von Schwierigkeiten sprach, die sich aus der deutschen Gesetzeslage ergäben – Schwierigkeiten, die so aber nicht existierten.

„Ein erster Antrag der Nada ging hier am 8. Januar 2010 in dem Verfahren gegen den betroffenen Arzt ein. Diesem Antrag hat die Staatsanwaltschaft am 18. Januar 2010 stattgegeben.“ (dradio, 6.11.2010, FAZ, 14.10.2010)

Im Februar 2011 hatte der BDR noch immer keine sportrechtlichen Verfahren gegen die drei Fahrer eingeleitet. Alle waren noch aktiv, Jens Schwedler als Sportlicher Leiter, Fabian Brzezinski als Betreuer von Nachwuchssportlern. Jetzt ergriff die NADA die Initiative und setzte dem BDR ein Ultimatum. Sollte der Verband nicht aktiv werden, übernimmt die NADA die Fälle.

„Der Nada-Code legt fest, dass ein Verband innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntwerden eines Dopingverstoßes, sprich: nach Erhalt der Ermittlungsakten, Disziplinarverfahren einleiten muss – oder aber den Verzicht auf Dopingsperren begründen. Käme es so weit, dass die Nada dem BDR den Fall entzieht, wäre das ein einmaliger Vorgang; der Verband dürfte sich auf die Rückzahlung von Fördergeldern einrichten.“ (dradio, 6.2.2011)

Am 18.2.2011 wird bekannt, dass der BDR drei sportrechtliche Verfahren eingeleitet hat. (dradio, 18.2.2011)
Im Dezember 2011 lag allerdings immer noch keine Ergebnis vor (dradio, 1.12.2011). Im Januar 2012 wurde dann durch die Journalisten Anno Hecker und Ralf Meutgens bekannt, dass die Antidoping-Kommission des BDR zwar eine Bestrafung der drei Sportler gefordert hatte, aber dass das Bundessportschiedsgericht des BDR die drei Verfahren im Januar eingestellt hatte.

„In einem Fall reichte angeblich eine Tankquittung als Beleg für ausreichende Zweifel. Der Kassenbon soll beweisen, dass sich der befragte Radfahrer am Tag der Mittelvergabe an einem anderen Ort befunden hat.

Entscheidend aber war wieder eine Diskrepanz zwischen staatlichen und sportjuristischen Mitteln: Der Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft weigerte sich, dem BDR zur Verfügung zu stehen. Eine schriftliche Anfrage hat er nie beantwortet. Wieder reichten allein die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft dem BDR nicht aus. Die Athleten gelten nun weiterhin als unschuldig.“ Die NADA akzeptierte allerdings diese Entscheidung nicht und reichte Klage beim Deutschen Schiedsgericht gegen die Urteile des BDR ein. (FAZ, 1.2.2012)

Zusammenstellung Monika