1959-1970 Aeschimann: Dianabol Dopingdiskussionen

Berichte, Beschreibungen, Analysen

Walter Aeschimann, Dopingdiskussionen am Beispiel von Dianabol (1959–1970), Text 2016


2016 veröffentlichte Walter Aeschimann in der Zeitschrift Traverse 2016/1 einen Text aus seinem „Dissertationsprojekt

‚Vom öffentlichen Konsum zur subversiven Praxis. Dopinggeschichte der Schweiz von 1900–1990′“

in dem er den Siegeszug des Steroids Dianabol beschreibt und aufdeckt, welche Rolle der Arzneimittelhersteller Ciba dabei spielte.

„Dianabol war das erste anabole Steroid, da auf dem Lifestyle-Markt und im Spitzensport eine massenhafte Verbreitung fand. Dies vor allem, weil es das erste hochwirksame künstlich hergestellte Steroid war, das in Tablettenform eingenommen werden konnte. Es wurde 1959 von der Ciba AG in Basel lanciert. Der Beitrag zeigt auf, wie das Produkt in der US-Bodybuildingszene getestet wurde, als in Basel noch Tierversuche liefen. Obwohl gravierende Nebenwirkungen schon ein Jahr nach der Einführung offensichtlich waren, bewarb das Unternehmen Dianabol weiterhin als harmloses Tonikum. Am Beispiel von Dianabol können Wechselwirkungen zwischen Doping und Spitzensport aufgezeigt werden. Nebenwirkungen wurden kleingeredet, führende Sportmediziner diskutierten den leistungssteigernden Charakter von Dianabol weg, obwohl sie es besser wussten. Die chemische Industrie schlich sich aus der Verantwortung. Doping wurde von jenen definiert, die dopten oder Doping zumindest förderten. Exemplarisch kann somit eines der Hauptprobleme der Dopingdiskussionen aufgezeigt werden, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet haben. Der Diskurs um Doping wird von einer interessierten Akteurskonstellation aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Medien und Sport monopolisiert.“

ZITATE:

Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie anabole Steroide den Weg in den Sport fanden und mit welchen Strategien deren Einsatz begründet oder verschleiert wurde. Der Prozess kann als «Machtstrategie» im Sinn der Diskursanalyse von Michel Foucault gesehen werden.8 Er kann aber auch als Geschichte der Verschleierung von Risiken, als Geschichte des grob fahrlässigen Umgangs der Wissenschaft und der Sportmedizin mit anerkannten Nebenwirkungen beschrieben werden, wie der Soziologe Ulrich Beck mit seinem Konzept der «Risikogesellschaft » aufgezeigt hat.

Der US-Arzt John Ziegler soll nach langen Tüfteleien 1955 den Wirkstoff erstmals synthetisiert und die Rechte 1956 an die Ciba AG in Basel verkauft haben. Die mir zur Verfügung gestellten Akten enthalten keine entsprechenden Belege. Als offizielle Erfinder teilen sich Chemiker aus den Laboratorien der Ciba Pharmaceutics Schweiz AG die Rechte. Sie gehörten zu jenem Team, das 1955 zuerst die Synthese von Metandienon im Wissenschaftsjournal Helvetica Chimica Acta skizzierte und als Erfinder des Patents in den USA aufgelistet ist. … Auch wenn Ziegler als Erfinder kaum infrage kommt, spielte er eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Dianabol im olympischen Sport. Seit den frühen 1950er-Jahren arbeitete er im Nebenberuf für die pharmazeutische bteilung des Ciba-Ablegers in Summit. Weil Ziegler regelmässig im bekannten York Barbell Club in Silver Spring trainierte, kam er in Kontakt mit der Elite der Gewichtheber und der Bodybuilder.

Ciba Summit belieferte Ziegler laut Fair schon vor 1954 mit den neuesten Testosteron-Produkten aus den Ciba-Laboratorien für experimentelle Zwecke. Es ist nicht belegt, welche Testosteronmixturen Ziegler den Sportlern im York Barbell Club verabreichte, aber sie waren offenbar nicht besonders effektiv. Bis die Resultate eindeutig waren, vergingen Jahre. Mitte 1959 begann Ziegler mit den Nachwuchsathleten Bill March und Tony Garcy eine Dianabol-Kur von 10 Milligramm pro Tag über mehrere Wochen. Dies war nach späteren Massstäben eine geringe Menge. … Der Glaube an die diese «tiny pink pills» nahm in der Folge so rasant zu, dass Ziegler die Kontrolle über deren Indikation verlor.

Als Ziegler das Steroid Dianabol erstmals an den Muskelmassen von US-Athleten testete, forschte ein Team des pharmazeutischen Departements der Ciba AG in Basel mit Dianabol an «männlichen, erwachsenen kastrierten Ratten». Es kam zum Schluss, dass Dianabol als «starkes anaboles Steroid» das Muskelwachstum fördere, nur «leichte Nebeneffekte» zeige und im oralen Einsatz im Vergleich zu anderen Verbundstoffen zudem «weit effektiver» sei. Als das Team in der Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift einen Artikel mit seinen Testresultaten veröffentlichte, war das Produkt schon auf dem Markt und ein Verkaufserfolg. Ein Jahr nachdem Ziegler die Pillen bei US-Bodybildern 1960 eingeführt hatte, stieg der Absatz um 53 Prozent an.

Die praktizierenden Ärzte waren nicht die einzigen, welche die Spezialität popularisieren sollten. Beliebt waren auch Vertreter von internationalen Organisationen, denen «Muster ins Reisegepäck» mitgegeben wurden, um «en passant Werbung für unsere Produkte bei den Regierungen zu ermöglichen», etwa Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Welternährungsorganisation (FAO).

Schon kurz nach der Lancierung des Produkts wurden starke Nebenwirkungen festgestellt, etwa Störungen der Leberfunktionen bei beiden Geschlechtern, Rückbildung der Hoden bei Männern oder «androgyne Effekte (Tieferwerden der Stimme), Zyklusstörungen und Akne bei der Frau». Dabei handelte es sich um «Erscheinungen, die sich auch nach Absetzen des Präparats nicht zurückbildeten». Ciba Basel wollte die Zyklusstörungen nicht durch eine Absetzung vor der Menstruation beheben, «da man damit den Hormoncharakter des Präparates zu stark unterschreiben würde», sondern riet aus «psychologischen Gründen», das Problem «durch die Wahl der richtigen Dosierung» zu lösen. Ciba erreichte gar, dass die Behörden in der Schweiz «bis zu einer Dosierung von 3 mg pro Tag» den freien Verkauf in Apotheken bewilligten, «als erstes Tonikum auf anaboler Basis». Die zum Teil irreversiblen Nebenwirkungen hinderten Ciba nicht daran, das Produkt weiterhin im grossen Stil zu bewerben. Um selbst Kinderärzte von Dianabol zu überzeugen, diskutierte man bei Ciba auch die Produktion von Dianabol in Tropfenform.

Aus den Novartis-Dokumenten geht vorerst kein direkter Zusammenhang zwischen Dianabol und Hochleistungssport hervor. Dass Ciba früh den Kontakt mit dem Spitzensport suchte, lässt sich hingegen belegen. Ciba hatte bereits anlässlich der Olympischen Winterspiele 1928 in St. Moritz Wilhelm Knoll, den Schweizer Sportmediziner und ersten Präsidenten der Internationalen Sportärztevereinigung, gratis mit Coramin beliefert. Coramin ist der Handelsname des Wirkstoffs Nicethamid aus der Gruppe der Analeptika, wirkt stimulierend auf Kreislauf, Nervensystem und Atmung und wurde 1924 in den Ciba-Laboratorien synthetisiert. An Coramin entzündeten sich unter den Experten frühe Dopingdiskussionen.

Für eine Testreihe belieferte Ciba 1967 die Forschungsabteilung der Eidgenössischen Turn- und Sportschule in Magglingen gratis mit Dianabol, wofür das Institut «Ciba Basel für die freundliche Zurverfügungstellung der Dianabol- und Placebotabletten» dankte.

Erst im Juli 1968 nahm sich der Verkaufs- und Werbeausschuss in Basel offiziell des Themas «Dianabol bei Sportlern» an.Die «internationale Fachpresse» habe berichtet, «dass die Anwendung von Anabolika bei angemessener Ernährung und adäquatem Training bei Gesunden die Entwicklung der Muskulatur und damit die sportliche Leistungsfähigkeit zu steigern» vermöge. Zehn Jahre nach ersten wissenschaftlichen Studien zum Thema Anabolika im Sport,40 acht Jahre nach den ersten Tests von Ciba Summit in der US-Gewichtheberszene mit Dianabol und ein Jahr nach der Testreihe am Sportinstitut in Magglingen mutet es seltsam an, dass man erst aus der Fachpresse vom Phänomen der Leistungssteigerung erfahren haben will.

Ciba reagierte wohl eher, weil sich Doping im Spitzensport nicht mehr verschleiern liess und zunehmend öffentlich wahrgenommen wurde. … Die Ciba-Werbeabteilung reagierte und verfasste «für interne Zwecke sowie zur Orientierung des Aussendienstes ein Exposé», das Richtlinien für «allfällige Anfragen der Laienpresse» enthielt und eine einheitliche Beantwortung definierte.42 Bei der Frage, ob die «Behandlung» mit Dianabol unter den Begriff «Doping» falle, stellte man sich auf den Standpunkt, dass die «Verantwortung über eine derartige Konditionierung von Sportlern […] letzten Endes dem zuständigen Sportarzt überlassen bleiben» solle.

Überwacht wurde die Strategie von Peter Imhof. Er war sowohl Ciba-Wissenschaftler als auch Mitglied der medizinischen Kommission des Schweizerischen Landesverbands für Sport (SLS). So war es nicht erstaunlich, dass er sich anlässlich eines Vortrags am Fortbildungskurs der Schweizerischen Gesellschaftfür Sportmedizin in Magglingen an die Sprachregelung von Ciba hielt …

Im Jahr 1982 nahm Ciba Dianabol vom Markt. «Wegen eines nicht ausreichenden therapeutischen Nutzens», wie die Firma dem Dopingkritiker und Molekularbiologen Werner Franke schrieb. Gemäss Hans Howald, dem Nachfolger von Schönholzer am Forschungsinstitut in Magglingen, stellte Ciba die Produktion von Dianabol auf sein Anraten hin aus «Imagegründen» ein.