Doping: 2015 Nike Oregon Project

USA Doping Geschichte(n)

Affairen, Skandale

Nike Oregon Project – Alberto Salazar

doping-archiv.de: Nike Oregon Project Presse-Chronik 2019

Das Nike Oregon Project wurde im Jahr 2001 vom Sportausrüster Nike mit dem Ziel, USamerikanische Langläufer zu unterstützen, gegründet. Der ehemalige Marathonstar Alberto Salazar übernahm die Leitung.

In späteren Jahren wurden auch internationale Athlet*innen in die Trainingsgruppe aufgenommen. Salazar stieg zu einem der erfolgreichsten Marathontrainer auf.

Das Projekt mit Trainer Salazar sah sich bereits 2002 Dopinganschuldigungen gegenüber, nachdem bekannt wurde, dass den Sportler*innen ein Höhentrainingshaus, in dem sie Tag und Nacht unter Hypoxie leben und trainieren konnten, zur Verfügung stand. Das ermöglichte weitere Trainingskonzepte wie „des Live High – Train Low oder des Intermittend Hypoxic Trainings“ (himaxx.de, 9.8.2012). USADA und WADA schalteten sich ein, doch die Dopinganschuldigungen verliefen im Sande.

Anfang Juni 2015 veröffentlichten die BBC und ProPublica Doping-Anschuldigungen gegen Alberto Salazar. Ihnen sei bekannt geworden, dass mindestens 7 Athleten und/oder Staff-Mitglieder der USADA Informationen über Doping geliefert hätten. Danach gäbe es u.a. Hinweise auf Testosteron-Doping. Auch weiter zurückliegende Vorwürfe gegenüber Galen Rupp erhielten neue Nahrung.

Unter den Zeugen waren Steve Magness, ehemaliges Teammitglied, der von Testosterongaben berichtete und die beiden Athleten Kara und Adam Goucher, die Salazar beschuldigten, zum Konsum der Schilddrüsenhormone Thyroid und Cytomel gedrängt worden zu sein. Dafür seien falsche Ausnahmegenehmigungen beantragt worden.

BBC: Top athletics coach Alberto Salazar faces doping claims, 3.6.2015

ProPublica: More Athletes Say Track Coach Alberto Salazar Broke Drug Rules, 12.6.2015

Nach den Veröffentlichungen meldeten sich weitere ehemalige Mitglieder des Projektes mit entsprechenden Anschuldigungen. Lauren Fleshman erzählte in einem Interview, wie sie zur Einnahme von Asthmamitteln bewegt wurde.

ProPublica: Elite Runner Had Qualms When Alberto Salazar Told Her to Use Asthma Drug for Performance, 17.6.2015

runnersworld.com: Guide to the Doping Allegations Against the Nike Oregon Project, 19.6.2015

Die Testosteron-Anschuldigungen erhielten Nahrung durch die Aussage Don Catlins, ehemaliger Leiter des Anti-Doping-Labors an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, der bestätigte, dass nach Gründung des Oregon Projektes Salazar private Dopingkontrollen bei ihm in Auftrag gegeben hätte. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Trainer die Zeit des Nachweises erkunden wollte. Zudem erzählte der ehemaliger Physiotherapeut des Teams John Stiner von ständig mitgeführten Mitteln, die den Testosteronspiegel erhöhen können.

FAZ: Doping-Kontrollen in Eigenregie , 25.6.2015

dailymail.co.uk: What Alberto Salazar told massage therapist at their training base: ‚There’s a package you need to send me. It has to be kept cold‘, 16.6.2015

Die Geschichte erhielt insbesondere in Großbritannien ein großes Medienecho, da Marathonstar Mohamed (Mo) Farah unter Salazar trainiert, dem gegenüber aber von Seiten der BBC und ProPublica keine Dopingvorwürfe erhoben worden waren, der sich aber bis heute entsprechenden Fragen und Dopingvermutungen gegenüber sieht.

Es wurde schnell still um die Affaire. Von Seiten der USADA, der gegenüber nach Medienangaben 17 Personen das Nike Oregon Project belastet haben sollen, hüllte und hüllt sich in Schweigen. Allerdings soll die Agentur laut New York Times ein Jahr nach den ersten Veröffentlichungen im Jahr 2015 am 23.6.2016 Klage gegen den Endokrinologen Jeffrey S. Brown eingereicht haben. Brown betreute seit vielen Jahren Topsportler, u.a. auch Carl Lewis, und gilt als Experte für Schilddrüsenerkrankungen. Die Gabe der o.g. Schilddrüsenhormone soll auf ihn zurück gehen. Auch Galen Rupp wurde bereits rund um das Jahr 2006 entsprechend behandelt.
New York Times: U.S. Antidoping Agency Seeks to Depose Doctor Who Treated Top Track Athletes, 28.6.2016

Salazar und der Missbrauch von Medikamenten

Am 23. Mai 2017 veröffentlichte die US-Seite FloTrack den Zwischenbericht der USADA:
>>> Interim Report of the U.S. Anti-Doping Agency

Am 26.2.2017 berichtete die Sunday Times, dass die Gruppe Fancy Bears den oben erwähnten internen Bericht der USADA über deren Ermittlungen zu dem Nike Oregon Project gehackt habe:

The Sunday Times: Leaked doping report says Mo Farah was given risky treatment , s.u. .

Der Spiegel brachte ebenfalls einen Artikel:

Der Spiegel: Affäre um Nike-Athleten, Just dope it!, 4.3.2017, Zitate sind hier zu finden., s.u.

English Version, complete: Suspicions Surround Elite Nike Running Team

Am 7. März kam The Telegraph mit der Meldung, das FBI habe Ermittlungen aufgenommen.

The Telegraph: Exclusive: FBI joins probe into Mo Farah coach Alberto Salazar

outsideonline.com: Did the Salazar Investigation Just Go Big-Time?

Im März 2017 schaltete sich der britische Parlamentsausschuss Kultur, Medien und Sport, das committee for the Department of Culture, Media and Sport ein und lud für April Arzt Robin Chakraverty, der auch Arzt des britischen Leichtathletikverbandes ist und Mo Farah verbotene Injektionen verabreicht haben soll, zur Anhörung. (daily mail: Doctor who gave Sir Mo Farah controversial infusion will not be able to dodge quiz from MPs, 13.4.2017).

Die New York Times zitiert im Mai 2017 aus dem Bericht und schildert darin vor allem Aussagen des US-Langstreckenläufers Dathan Ritzenhein, der seit 2009 mit Salazar zusammen arbeitete. Ritzenhain schildert seine Erfahrungen mit dem großzügigen Umgang mit Nahrungsergänzungsmitteln und L-carnitine, verabreicht insbesondere durch den Arzt Dr.Brown, s.u..

NYT: ‘This Doesn’t Sound

Legal’: Inside Nike’s Oregon Project, 19.5.2017

Am 8. Juni 2017 ist zu lesen, dass die USADA gegen Mediziner Dr. Jeffrey Stuart Brown ein Dopingverfahren eröffnet. Ihm wird vorgeworfen, eigenständig und gemeinsam mit Alberto Salazar gegen Dopingregeln verstoßen zu haben. (New York Times, Doctor for Nike Oregon Project Runners Is Notified of Doping Allegations)

Urteile

Am 30. September 2019 verkündete das US-Amerikanische Schiedsgericht, die American Arbitration Association (AAA), Urteile zu Alberto Salazar und Dr. Jeffrey Brown. Beide erhielten je eine Sperre von 4 Jahren.

WADA-Code-Verrletzungen von Alberto Salazar:

(a)Administration of a Prohibited Method (with respect to an infusion in excess of the applicable limit),

(b)Tampering and/or attempted tampering with NOP athletes’ doping control process, and

(c)Trafficking and/or Attempted Trafficking of testosterone.

WADA-Code-Verletzungen von Dr. Jeffrey Brown:

1. Tampering with patient records under WADA (World Anti-Doping Agency) Code Art. 2.5 (2009 & 2015), which carries a sanction of 2 years WADA Code Art. 10.3.1 (2009), and 4 years under WADA Code Art. 10.3.1 (2015).

2. Administration of an over-limit L-carnitine infusion under WADA Code Art. 2.8 (2009 & 2015), which carries a minimum sanction of 4 years up to a maximum lifetime ban under WADA Code Art. 10.3.2 (2009) and WADA Code Art. 10.3.3 (2015).

3. Complicity in Salazar’s trafficking of testosterone under WADA Code Art. 2.8 (2009) and WADA Code Art. 2.9 (2015). Under WADA Code Art. 10.3.2 (2009), a complicity violation carries a minimum sanction of 4 years up to a maximum lifetime ban. Under WADA Code Art. 10.3.4 (2015), a complicity violation carries a sanction of 2 to 4 years.

USADA: AAA-Decision Alberto Salazar, 30.9.2019

USADA: AAA-Decision Dr. Jeffrey Brown, 30.9.2019

USADA: AAA Panel Imposes 4-Year Sanctions on Alberto Salazar and Dr. Jeffrey Brown for Multiple Anti-Doping Rule Violations, 30.9.2019

BBC: Alberto Salazar: Mo Farah’s former coach banned for four years for doping violations, 1.10.2019

Ende des Projekts:

Am 10 Oktober 2019 wurde bekannt, dass Nike das NOP schließen wird:

runnersworld: After Salazar Ban, Nike Shuts Down Oregon Project

Dem Entschluss ging eine weltweite intensive Pressediskussion voraus, die in Teilen hier nachverfolgt werden kann:

doping-archiv.de: Nike Oregon Project Presse-Chronik 2019

Trevis Tygart (USADA) im Interview zu den Ermittlungen und Urteilen

Trevis Tygart im Interview, ZDF 2.10.2019:, Zitate:

… Den Sportlern wurde also keine Chance gegeben, Medikamente oder verbotene Methoden von ihm oder seinem Arzt Jeffrey Brown abzulehnen. …

Alberto Salazar hat Experimente mit Testosteron unternommen, die nicht mit dem Gesetz vereinbar waren, wie unser Anti-Doping-Ausschuss ausgesagt hat. Er hat Testosteron ohne ein nötiges Rezept vom Arzt zu haben, an seinen eigenen Söhnen getestet und darüber Buch geführt und es als wissenschaftliches Experiment gesehen. Er hat es heimlich gemacht, um zu sehen, wie er die Dopingregeln umgehen kann. Es war sein Fahrplan sozusagen. Nicht nur dass Testosteron verboten ist, er wollte sehen, wieviel Testosteroncreme er auf die Haut von Personen auftragen kann, ohne dass Grenzwerte überschritten werden und ein positiver Dopingtest droht. Das geht auch aus Emails zwischen Alberto Salazar, dem Arzt Dr. Brown und hohen Verantwortlichen aus dem Nike Oregon Project hervor. Genug ist genug. Wir müssen für den sauberen Sport kämpfen und den Trainern und Ärzten im Sport aufzeigen, dass Experimente an Sportlern und das Austesten der Grenzen für Doping nicht tolerierbar sind.

Keiner der Athleten in Doha war involviert. Wie hatten Aussagen von Athleten im Nike Oregon Project, die zwischen 2010 und 2014 dabei waren, alle von ihnen haben uns ihre medizinischen Daten zur Verfügung gestellt. Sie müssen verstehen, die Athleten hatten wirklich keine Ahnung, was mit ihnen getrieben wurde, was ihnen gegeben wurde, welche Dosierung. Ob die Methoden verboten waren oder nicht, wussten sie garnicht. Sie wurden einfach zu dem Arzt geschickt und ihnen wurde gesagt, sie müssen auf ihn hören, ihm vertrauen. …

Es war ein System im Nike Oregon Project. Wir konnten feststellen, dass medizinische Experimente an Sportlern vorgenommen wurden mit hochgradig gefährlichen Medikamenten, nicht nur Testosteron sondern noch mit anderen verbotenen Dopingsubstanzen. Diese Mittel wurden den Sportlern ohne medizinische Notwendigkeit verabreicht, nur um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Und wenn dir dein Trainer das gibt und das Projekt oder dein Sponsor, mit dem du einen Vertrag hast, dir sagt, du sollst das nehmen, dann hast du kaum eine andere Chance, als das zu machen. …

Medienberichte Zitate

The Sunday Times: Leaked doping report says Mo Farah was given risky treatment

Der USADA-Bericht von 2016 liegt der Sunday Times vor. Danach wurde das Mittel, basierend auf dem Aminosäurenprodukt T-Carnitin auf speziellem Wunsch von Salazar von Trainer Steve Magness 2012 mittels mehrere Infusionen an Mo Farah und Galen Rupp verabreicht. Dass Mo Farah und Galen Rupp L-carnitine konsumierten, war zwar bereits seit Längerem bekannt, doch nun besteht der Verdacht, dass das Mittel über zahlreiche Infusionen mit insgesamt mehr als die von der WADA zulässigen 50 ml innerhalb von 6 Stunden verabreicht wurde.

Magness berichtete daraufhin von erstaunlichen leistungssteigernden Wirkungen, über die Salazar neben Galen Rupp sogar Lance Armstrong informierte. Später sollen 6 weitere Athleten zur Anwendung ermuntert worden sein.

Laut USADA gäbe es allerdings keine Beweise, dass tatsächlich die Dopingbestimmungen verletzt wurden.

Der Bericht macht jedoch deutlich, dass seitens des Projekt-Mediziners Dr. Jeffrey Brown den Sportler*innen Cocktails verschiedener Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel verabreicht worden seien, z. B. Schilddrüsenmedikamente und hohe Vitamin D-Dosen. Substanzen, die gesundheitliche Risiken bei Missbrauch bergen.

[The USADA-report] concludes with this long and damning verdict against the trainer and his medic: “Usada has found substantial and compelling evidence that Nike Oregon Project coach Alberto Salazar and Houston endocrinologist Dr Jeffrey Brown conspired to collude together in order to employ risky and untested alternative and unconventional (and sometimes potentially unlawful) uses of medical procedures and prescription medications (including both substances and methods prohibited and/or potentially prohibited under the rules of sport and those that were not) to attempt to increase the testosterone and energy levels and the recovery capacity of NOP athletes in order to boost athletics performance.

“Further, Usada has concluded that in so doing Dr Brown engaged in serial violations of professional, medical and ethical obligations to his patients, putting them at increased risk of injury to their health and wellbeing and in jeopardy of losing their athletic eligibility.”

Brown dementierte umgehend und sprach von fake news.

The Usada report says Dr John Rogers, a medic for the British athletics team, worked alongside Farah and Salazar for a number of weeks at a high-altitude training camp in the French Pyrenees before the Daegu championships.

In an interview under oath with Usada, Rogers told the investigators that his conversations with Salazar at the training camp had given him such “concern” that he wrote an email at the time to his medical colleagues at UK Athletics.

The Usada report says Rogers was told by Salazar about “off-label and unconventional” uses of the prescription medications calcitonin (to attempt to prevent stress fractures) and thyroxine (to boost testosterone levels) and of high doses of vitamin D and ferrous sulphate. …

Farah was not on thyroxine but was taking the other drugs, which are not banned by the World Anti-Doping Agency (Wada). Rogers immediately sought to stop him doing so. He had a medical condition that Salazar was unaware of which meant, according to Rogers, he should not have been prescribed vitamin D in such high doses or the calcitonin. The report notes that Farah continued using calcitonin until at least November that year.

Usada found that at least seven runners were prescribed thyroid medication after joining the project. The medical records of some of them, reviewed by Usada, indicate no need for the medication.

The report says: “Through attempting to control energy levels by changing thyroid hormone levels, Salazar sought an advantage that ethical coaches did not have and would never obtain.”

By the autumn of 2011 another supplement had been added to the list of performance-enhancing substances taken by the group: L-carnitine.

Auch UK Athletics war involviert. Deren Arzt Barry Fudge verabreichte 2014 auf Salazars Wunsch hin eine Infusion,deren Umfang nicht bekannt wurde.

The Usada report acknowledges that it has not addressed in detail “Mo Farah’s involvement in the NOP L-carnitine programme”. It does say, however, that Salazar sent email instructions to Barry Fudge, a UK Athletics physiologist, to assist him in “preparing an L-carnitine infusion for Mo Farah to use prior to Farah’s marathon debut, set to occur in the London marathon” on April 13, 2014. The volume taken is unknown.

Another note in the report adds: “Oregon Project athlete Mo Farah received an L-carnitine infusion from British physician Robin Chakraverty in April 2014.” At the time Chakraverty was chief medical officer at UK Athletics.

UK Athletics said: “To our knowledge all doses administered and methods of administration have been fully in accordance with Wada-approved protocol and guidelines.”

Einen guten Überblick über diese Affaire gibt es hier:

letsrun.com: Leaked USADA Report From 2016 Says Alberto Salazar “almost certainly” Broke Anti-Doping Rules, Used Prescription Meds and Drug Infusions to Boost Performance

Spiegel online: Affäre um Nike-Athleten – Just dope it!, 4.3.2017

Im Sommer 2015 sprachen ehemalige Mitglieder des NOP in Interviews erstmals über dubiose Praktiken der Trainingsgruppe. Die Dopingfahnder der Usada nahmen daraufhin die Ermittlungen auf. Sie stellten E-Mails und ärztliche Aufzeichnungen sicher, sie vernahmen mehr als 40 Sportler, Trainer und Wissenschaftler und fassten die Ergebnisse in einem Report zusammen. Die Usada hat ihn für die Ärztekammer in Texas erstellt, da einer der NOP-Mediziner eine Praxis in Houston betreibt.

Der Bericht hat 269 Seiten, auf dem Deckblatt steht „vertraulich“. Es geht um Spritzen, Infusionen und Experimente mit Medikamenten. Die Autoren schreiben von „riskanten Prozeduren“, mit denen die „Testosteronlevel der Läufer erhöht werden sollten“ und die „gegen die Regeln des Sport verstoßen“. Dahinter steht der Vorwurf systematischen Dopings. Aus dem amerikanischen Traum scheint schmutzige Wirklichkeit geworden zu sein.

Dem SPIEGEL wurde der Report von der Hackergruppe Fancy Bears zugespielt, zusammen mit Hunderten E-Mails, PDF- und Word-Dokumenten aus den Usada-Ermittlungen: Sie legen das Ausmaß des Betrugs offen.

Als Sportler war Salazar gnadenlos zu sich selbst, und ähnlich gnadenlos ist er heute offenbar zu seinen Athleten. Ehemalige Sportler des NOP haben der Usada von „extrem harten Laufeinheiten“ berichtet. Wer im Training zu früh schlapp mache, sagten sie, werde von Salazar mit Nichtbeachtung bestraft.

Eine Athletin erzählte der Usada, wie sie einmal verletzt gewesen sei. Salazar habe ihr den Rat gegeben, „einfach durch den Schmerz durchzurennen“. Auf Anfrage teilt Salazar mit, er würde seine Athleten „niemals dazu bringen, sich selbst zu schädigen“.

Die Läufer des NOP verdienen rund 200.000 Dollar im Jahr, ein Traumgehalt für Leichtathleten. Die Stars im Team wie Rupp oder Farah dürften noch viel mehr bekommen. Laut dem Usada-Report entscheidet Salazar, welcher Athlet in seinem Team mitlaufen darf, wessen Vertrag verlängert wird oder wer gehen muss.

Er arbeite mit „Nötigung“ und „Abhängigkeiten“, schreiben die Ermittler. … Salazar soll seinen Sportlern verbieten, über die Mittel und Medikamente zu sprechen, die sie einnehmen. Auch untereinander sollen sie sich nicht darüber unterhalten dürfen. Und das offensichtlich aus gutem Grund.

Ein ehemaliger Läufer des NOP erzählte den Dopingfahndern, dass Salazar bei sich zu Hause „einen Kellerraum voller Nahrungsergänzungsmittel“ habe. Der Coach pflege seinen Vorrat an Aminosäuren, Testosteronboostern und Mitteln zur Gewichtsreduktion – Pillen und Pulver, die er großzügig an seine Sportler verteilt haben soll.

Salazar erklärt, er wollte vermeiden, dass seine Athleten Nahrungsergänzungsmittel nehmen, die mit verbotenen Substanzen verunreinigt sind. Er habe die Mittel testen lassen und sie dann „aus Sicherheitsgründen“ bei sich aufbewahrt.

Bei jedem Dopingtest müssen Athleten ein Formular ausfüllen, die „Declaration of Use“ (DOU). Darin geben sie an, welche Präparate sie in den vergangenen sieben Tagen eingenommen haben. Die DOU-Protokolle von mehreren Läufern aus Oregon decken sich ziemlich gut mit dem Bericht über Salazars Kellerraum.

Danach schluckt Galen Rupp Calciumtabletten, Eisentabletten, Zinktabletten, Vitamin C, D und E, außerdem nimmt er das Asthmamittel Advair, gleichzeitig noch Combivent, ein Medikament, das die Atemwege erweitert. Und Cytomel, mit dem man sein Gewicht reduzieren kann. Er behandle damit Erkrankungen, teilt Rupp auf Anfrage mit, er leide an Asthma und Schilddrüsenunterfunktion.

Seine Teamkollegin Shannon Rowbury, die bei den Spielen in Rio Vierte über 1500 Meter wurde, listet in ihrer DOU vom 23. Mai 2016 35 Tabletten, Sprays und Pülverchen auf. Laut ihrem Protokoll nimmt sie ein Allergiemittel, es heißt Montelukast, außerdem noch ein Magnesiumspray, Molkenprodukte, ein Glukosegetränk, Schmerz- und Schlafmittel.

Coach Salazar sei „besessen vom Testosteronlevel seiner Athleten“, heißt es im Usada-Report. Er führe riskante Experimente durch, um bei seinen Sportlern die Produktion des Hormons zu erhöhen. Mit Vitamin D zum Beispiel. Die empfohlene Dosis für Erwachsene liegt bei 600 IE pro Tag, IE steht für Internationale Einheit. Die Pillen, die Salazar seinen Läufern gibt, enthalten laut Usada 50.000 IE. Er halte die Athleten an, sie mehrmals pro Woche zu schlucken.

Im Januar 2011 stieß Salazar auf eine Studie britischer Forscher. Es ging um ein neues Nahrungsergänzungsmittel namens Nutramet, das L-Carnitin enthält, eine Aminosäurenverbindung, die an der Energieproduktion in Muskelzellen beteiligt ist. Die Wissenschaftler behaupteten, L-Carnitin könne Ausdauersportlern einen Schub für den Schlussspurt geben. In dem Aufsatz war die Rede von einer Leistungssteigerung um bis zu elf Prozent.

Salazar hatte vom Hersteller erfahren, dass das L-Carnitin bis zu vier Monate genommen werden muss, bevor es wirkt. Dem Coach dauerte das zu lange, er beriet sich mit Doktor Jeffrey Brown, dem Teamarzt aus Houston. Salazar kam auf eine Idee: Könne man den Läufern L-Carnitin nicht per Infusion einflößen? Der Arzt hatte Bedenken. „Es könnte Probleme mit der Bauchspeicheldrüse geben“, schrieb Brown an Salazar. Die Antwort des Trainers: „Wir haben nichts zu verlieren.“ Auch einigen Athleten gefiel die Idee mit den Infusionen nicht. Salazar tippte los: „Ich glaube, dass ihr dadurch einen Vorteil von zwei bis drei Minuten bekommen könnt.“ Mail absenden, alle Zweifel weggewischt.

Salazar entschied, dass ein Kotrainer die erste Infusion bekommen sollte, als Probelauf. Das Ergebnis war in Salazars Sinn. Am 1. Dezember 2011 meldete er sich per E-Mail bei Lance Armstrong, der sich damals als Triathlet versuchte und mit dem NOP trainierte: „Lance, ruf mich an. Wir haben es getestet, und es ist wirklich unfassbar.“ Er setzte auch mehrere Nike-Manager in Kopie, etwa den damaligen Firmenchef Tom Clarke.

Laut dem Usada-Bericht sollen von 2011 an mindestens fünf Läufer des Nike Oregon Projects L-Carnitin-Infusionen bekommen haben, darunter auch Rupp. In dem Report heißt es, die Sportler seien „Versuchskaninchen“ gewesen.

Die Recherchen der Usada ergaben, dass eine Apotheke in der Nähe von Houston die entsprechenden Infusionsbeutel für die Läufer hergestellt hatte. Die Fahnder sind im Besitz eines Formulars aus der Apotheke vom 4. Januar 2012, danach wurden vier 100-Milliliter-Beutel mit L-Carnitin vorbereitet. Am darauffolgenden Tag bekam Rupp von seinem Arzt eine Infusion.

Die Ermittler halten es für „sehr wahrscheinlich“, dass Rupp von Brown „eine Infusion von mehr als 50 Millilitern L-Carnitin“ erhalten hat. Beide hätten damit „gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen“. Rupp müsste gesperrt werden.

Seit Jahren, auch das zeigt ihr Report, soll Salazar auf Schilddrüsenhormone schwören. Die Mittel heißen Levoxyl, Thyroxin und Cytomel. Brown soll den Athleten die Medikamente verschrieben haben, obwohl sie gar nicht unter einer Schilddrüsenerkrankung leiden würden.

Der SPIEGEL hat [Perikles Simon] ihm E-Mails von Salazar vorgelegt. „Dieser Trainer betätigt sich als Alchemist, Drogenbeschaffer und Hormonpanscher am Athleten“, sagt Simon, „er gehört unmittelbar gesperrt, da gibt es keinen Grund für ein Zögern.“ Für die Usada ist die Sache komplizierter. In ihrem Vorhaben, die Läufer aus Oregon zu überführen, haben sich die Dopingjäger mit einem mächtigen Gegner angelegt: Nike, dem größten Sportartikelkonzern der Welt, Umsatz: 29 Milliarden Euro.

Dokumente zeigen, dass der Konzern den Ermittlern das Leben so schwer wie möglich gemacht hat. Im Juni 2015 baten die Fahnder Salazar, ihnen alle Aufzeichnungen, Dokumente und E-Mails zukommen zu lassen, in denen die Wörter „Testosteron“, „Testoboost“ oder „Testo“ vorkommen. Salazar weigerte sich. Sein Anwalt richtete der Usada aus, dass die E-Mails seines Mandanten auf dem Server von Nike lägen und im Besitz der Firma seien. Da könne man nichts machen, sorry.

Die Ermittler wandten sich daraufhin an den Konzern. Es begann ein Streit zwischen den Anwälten von Nike und der Usada. Nike teilte den Ermittlern mit, man habe nichts gegen eine Kooperation, allerdings wolle man mit der Usada „einen Vertrag über Geheimhaltungsbestimmungen“ abschließen.

Die Verhandlungen waren zäh, sie zogen sich über Wochen. Am 21. Januar 2016 reichte es dem Usada-Anwalt William Bock, in einer E-Mail an einen Nike-Vertreter machte er sich Luft: „Würden wir auf die Forderungen von Nike eingehen, hätte Nike die Möglichkeit, unsere Ermittlungen zu stören oder zu verzögern. Nike hätte auch die einseitige Kontrolle über Dokumente, die bereits im Besitz der Usada sind, und könnte uns verbieten, diese in einer Anhörung einzusetzen.“

Nike weist die Anschuldigungen zurück. Man habe die Ermittlungen „nicht behindert“ und würde „Doping nicht tolerieren“, sagt ein Firmensprecher. Nike habe der Usada auch „Tausende Seiten an Dokumenten“ überlassen. Das stimmt. Allerdings geht aus internen E-Mails der Usada hervor, dass die Ermittler die Unterlagen für „dürftig“ und „längst nicht ausreichend“ hielten.

Am Ende bleibt der Usada nur, die Läufer aus Oregon zur Dopingkontrolle zu bitten. So oft wie möglich. Rupp musste in der vergangenen Saison 14-mal antreten, Centrowitz 17-mal. Beide gaben dabei auch Proben ab, die die Dopingfahnder misstrauisch machten.

Am 14. Januar 2016 empfing der Usada-Wissenschaftsdirektor Matthew Fedoruk eine E-Mail aus seiner Abteilung für Testergebnisse. Bei Rupp habe man „einen erhöhten T/E-Wert im Vergleich zu früheren Proben“ festgestellt, schrieb eine Usada-Mitarbeiterin. Ein stark ungleiches Verhältnis zwischen Testosteron und Epitestosteron gilt als Hinweis auf Doping. Fedoruk ordnete weitere Untersuchungen an. Was dabei herauskam, ist nicht bekannt. Rupp teilt mit, niemals Testosteron genommen zu haben.

Wenige Wochen vor den Spielen in Rio diskutierten die Usada-Mitarbeiter in einem internen E-Mail-Verkehr über eine Dopingprobe, die Centrowitz abgegeben hatte. Es ging um den Hämoglobingehalt und um Retikulozyten. „Sein Blutprofil ist verdächtig“, schrieb ein Usada-Wissenschaftler am 15. Juni 2016. Die Fahnder einigten sich darauf, Centrowitz „in den kommenden zwei Wochen“ ein weiteres Mal testen zu lassen. Ob das geschehen ist, geht aus den E-Mails nicht hervor.

Fest steht: Zwei Monate später wurde Centrowitz in Rio Olympiasieger. Im Finale über 1500 Meter war er so überlegen, dass er das Läuferfeld vom Startschuss bis ins Ziel anführte. Centrowitz erklärt, er sei von der Usada bezüglich der Dopingprobe nie kontaktiert worden. Er habe sich „einem sauberen Sport verschrieben“.

Usada gegen Nike – die schärfsten Dopingjäger gegen die Weltfirma -, wie dieser Kampf ausgehen wird, ist ungewiss. Auf Anfrage teilt die Usada mit, dass man zum Nike Oregon Project derzeit keinen Kommentar abgebe. „Die Ermittlungen dauern an“, sagt ein Sprecher.

Der Usada-Report ist als „Zwischenbericht“ gekennzeichnet, ob es irgendwann einen Abschlussbericht geben wird, wollen die Ermittler auch nicht sagen. Offene Fragen gibt es genug.

So ist zum Beispiel seit längerer Zeit bekannt, dass Salazar häufig Androgel bei sich trägt, eine Testosteronsalbe, die man auf den Körper auftragen muss. Der Trainer behauptet, er leide unter Hypogonadismus, einer Störung der Hoden. Die Krankheit sei eine Spätfolge seines harten Trainings als Marathonläufer, er sei auf das Medikament angewiesen.

Allerdings ist es auch Trainern nicht erlaubt, Substanzen zu nehmen, die auf der Dopingliste stehen. Es sei denn, die Betreuer haben eine „vertretbare Rechtfertigung“ dafür, so steht es im Wada-Code. Salazar hat der Usada im Frühjahr 2016 mehrere Schreiben seiner Ärzte vorgelegt, allerdings kaufen ihm die Fahnder die Geschichte mit den Folgeschäden nicht ab. Sie glauben an einen ganz anderen Zusammenhang.

Ehemalige Athleten von Salazar haben ausgesagt, dass der Trainer vor wichtigen Wettkämpfen eine „gängige Praxis“ habe. Kurz vor dem Start gebe er Rupp eine Massage. Die anderen Läufer hätten sich über die Behandlungen immer gewundert, weil Nike dafür extra professionelle Masseure angestellt hat. Salazar würde aber darauf bestehen, Rupp persönlich zu massieren. …