Radsport Doping-Geschichte
die 90er und später

die 90er, das EPO-Jahrzehnt, was kommt danach ?

Die 90er Jahre, die Lage spitzt sich zu

1998 gab es mit dem Festina-Skandal den großen Knall, es war nur der Endpunkt einer Entwicklung. Seit Ende der 80er Jahre, als Schreckensmeldungen über erste EPO-Todesfälle auftauchten, rumorte es im Radsport heftig. Vieles wurde erzählt und experimentiert, aber bei einigen hatte sich Unsicherheit breitgemacht. Jean-Christophe Currit (GAN), der intensives Doping zugab, berichtete:

„bei GAN sprachen wir Roger Legeay auf EPO an, auf GEWISS (ein italienisches Team), die wie der Teufel losgingen. Er bat uns nicht daran zu rühren, da es in den anderen Teams bald einen Toten geben werde.“

In anderen außeritalienischen Teams gab es entsprechende Befürchtungen weniger. Z. B. nahmen nach Voet die holländischen Festina-Fahrer EPO seit 1991, die anderen auf Betreiben des Arztes seit 1992. Immer noch und immer wieder galt es zu experimentieren, häufig unter dem Motto, viel hilft viel. Die therapeutischen Dosen wurden weit überschritten, das 100 bis 200fache war keine Seltenheit. Bruno Roussel (Festina) sprach später vom ‚peloton fou‘, vom durchgeknallten/ wahnsinnigen Peloton der Jahre 1994-98.

1999 gingen die 3 ehemaligen Radprofis Steven Rooks, Peter Winnen und Maarten Ducrot an die Öffentlichkeit und zerstörten die letzten Zweifel an den verbreiteten Dopingpraktiken. Die Sichtweise Winnens ist hier nachzulesen: Peter Winnen, seinen Erfahrungen, seine Ansichten.

Wie hoch war in den 90ern der Anteil der Fahrer, die EPO nahmen? Ernstzunehmende Äußerungen sprechen von 80 – 99%, Genaues weiß man (ich) nicht, doch die wenigen Fahrer, die später die EPO-Einnahme zugaben, bestätigen die weite Verbreitung. Dazu passt auch diese Notiz bei radsportnews vom 25. 5. 2000:

„Bei der Straßen-Weltmeisterschaft 1996 in Lugano in der Schweiz, wo EPO leichter zu kaufen ist als in Italien, sorgte die Anwesenheit der vielen Profi-Team-Helfer für einen Wirtschaftsaufschwung besonderer Art . Während der wenigen Tage der WM in Lugano im Oktober 96 wurde in den Apotheken EPO im Wert von über 6 Millionen DM verkauft.“

1991 sorgte das PDM-Team für Schlagzeilen. Die komplette Mannschaft zog sich wegen einer Infektion, die alle Fahrer heimsuchte, von der Tour de France zurück, mit dabei die deutschen Fahrer Falk Boden und Uwe Raab. Die Erklärungen wechselten binnen kurzer Zeit, mal soll es ein Virus gewesen sein, mal Bakterien, eine Lebensmittelvergiftung, Salmollen sind gefragt, das Essen in einem Hotel ist schuld, nur sind andere Teams, die ebenfalls da logierten, nicht betroffen. Bis heute lautet die offizielle Erklärung, dass das neue, leider verdorbenes Eiweißprodukt Intralipid daran schuld gewesen sein soll. Doch schnell kam ein allgemeiner Verdacht auf, dass es sich um eine Infektion durch schlecht gekühltes EPO gehandelt haben könnte, eine wohl bekannte Nebenwirkung. 1995/ 1996 wurde das Ausmaß der Dopingpraktiken während der letzten Jahre im und um das PDM-Team aufgedeckt. EPO spielte dabei eine große Rolle, auch einer der ersten Todesfälle, der auf dieses Mittel zurückgeführt wird, Johannes Draaijer, war Fahrer bei PDM. Näheres siehe unter : die Affäire PDM.

Eine französische Studie am Institut IRMES stellte ab den 90er Jahren eine signifikante Erhöhung der Renngeschwindigkeit in den wesentlichen Etappen- und Eintagesrennen fest. Dies könnte mit EPO zusammen hängen. Erstaunlich zudem, dass die Geschwindigkeit zunahm je schwieriger, gemessen an den Höhenmetern, die Rennen wurden. 28.5.2010: AFP, 20minutes

Dass die Dopingpraxis in den Verbänden allgemein bekannt war, bestätigt Gérard Nicolet in einem Interview am 26.7.1998 mit Le Monde, in dem er gleichzeitig das Nichtstun bzw. das Desinteresse Verantwortlicher begklagt. Gérard Nicolet ist Sportmediziner und war damals Vorstandsmitglied des FFC (franz. Radsportverband) und bereits seit 18 Jahren im Umfeld des Fahrerfelds aktiv sowie 12mal bei der Tour de France dabei.

„Erythropoetin (EPO) verändert grundlegend die Leistungsfähigkeit. Die letzten zwei, drei Jahre sind wir gegen die Wand gefahren. Die Fahrer hatten keine Wahl mehr, die Situation des « alle sind gedopt », eine verbreitete Meinung, wurde weitgehend erreicht. Noch schlimmer, man hat sich an das Anormale gewöhnt.

Seit einigen Monaten stelle ich in meiner Praxis fest, dass immer schlimmere Mittel verwendet werden. EPO ist leider ein klassisches Mittel geworden. Andere Mittel sind noch gefährlicher wie z.B. das PFC (Perfluorcarbon), Mittel, die auf unwahrscheinlichen Wegen in den Leistungssport hineingeraten. Die Fahrer besorgen sie sich außerhalb der Medizin, d.h. bei ihrer Anwendung sind sie dann ohne jegliche kompetente Hilfe.
(…)
Seit Monaten organisieren wir Meetings zum Doping-Thema. Ich versammle Leute um mich, aber offensichtlich sind sie wenig motiviert. Diese Affäre [Festina] erfüllt zumindest den Zweck eines deutlichen Warnzeichens. Aber als Arzt sage ich, wir sind gerade einmal in der Phase der Diagnose. Jetzt müssen wir weiter zur Phase der Behandlung.
(…)
Seit Monaten bearbeitet die Medizinische Kommission der FFC (Radsportverband) um Mégret mit uns das Thema. Dort läuft eine heftige Diskussion ab. Die Hauptidee ist, die medizinische Langzeituntersuchung (suivi médical) wiederzubeleben. Die Ärzte müssen Zugang zu allen relevanten Daten eines von ihnen betreuten Fahrers haben. Der Fahrer ist das letzte Glied in der Kette der Leistungsproduktion. Viele Personen tragen Verantwortung, aber nur die Fahrer sind die Opfer. Das ganze Umfeld muss sich in Frage stellen.“

einige Episoden

Eddy Plankaert (1988 Gewinner des Grünen Trikots der Tour de France):

„Ich habe EPO erst 1991 genommen. … Obwohl es viele gute andere Mittel gibt, ist EPO in der Tat ein phantastisches Mittel. … Ich habe es benutzt, als ich älter wurde und meine Kondition nicht mehr die allerbeste war. Durch EPO verspürte ich noch mal eine Leistungssteigerung von etwa 12 bis 15%. Wenn man EPO auf dem Höhepunkt seiner Karriere nimmt, wirkt es bestimmt wundervoll. … Heute arbeitet doch fast jeder Profi mit EPO und sie sind damit auch alle besser geworden.“ (Sport-Bild, 5.8.1998, Singler/Treutlein, Teil 2)

Einen guten Einblick bietet auch Rolf Järmann mit seinem Geständnis, das hier nachzulesen ist.

Die Gerüchteküche brodelte, Verdächtigungen und Vermutungen machten überall die Runde. Gérard Dine, bekannter französischer Arzt und Mitbegründer der medizinischen Langzeitbetreuung in Frankreich (suivi médical longitudinal) meinte auf die Frage, seit wann er vom EPO-Missbrauch wisse:

„Seit 1995. Aber leider gab es keine Beweise. Wir fanden damals bei Sportlern Hämatokritwerte von über 60. Derartige Werte deuten normalerweise auf Krankheiten wie Polyglobulie (eine abnorme Vermehrung der roten Blutkörperchen) hin. Allerdings in der Regel bei älteren Menschen. Bei einem 25-jährigen, gesunden Sportler weist ein solcher Wert auf die Einnahme von EPO hin.“ (Singler/Treutlein, Teil 2)

In einer Frontal 21-Sendung des ZDF in 2001 wird Dr. Wolfgang Stockhausen, 13 Jahre lang Mannschaftsarzt beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR), eine Liste vorgelegt, welche die Hämatokritwerte der GEWISS-Fahrer enthält, mit der sie bei der Tour de France 1995 unterwegs waren. Einige hatten Werte erheblich über 50 %, mit dabei Bjarne Riis und Guido Bontempi, beide heute sportliche Leiter. Die Werte Bontempis lagen bei 62 und 57,9 Prozent, Stockhausen dazu:

„Diese Werte habe ich in dieser Form noch nie gesehen, wenn das Blut nicht durch irgendwelche pharmakologischen Mittel beeinflusst worden ist. Ich kenne diese Werte bei sauberen Fahrern in dieser Höhe nicht.“

Der Gerichtspräsident im Festina-Prozess frug Michel Audran, Professor der Biophysik in Montpellier:

„Monsieur 60%, den man auch ‚la Vendage tardive du vélo’ nannte, dessen Name ich verschweige, hätte er die Tour 1996 gewinnen können, wenn sein Hämatokritwert die im folgenden Jahr von der UCI festgelegten Grenze von 50% nicht überschritten hätte?“ Audran: “Kein Ethik-Komitee würde uns gestatten, Experimente auf solche einem hohen Niveau durchzuführen. Die Thrombosegefahren sind zu hoch. Diejenigen, die ich durchgeführt habe, haben den Wert von 52 % nicht überschritten.“ (Liberation, 28.10.2000)

Aus den Buch ‚rough ride’ von Paul Kimmage (>>> Buchbesprechung):

1996 Furcht ging im Peloton um. Misstrauen überall. Zynismus regierte. Je mehr Journalisten frugen, je mehr wiegelten die Offiziellen ab. …Als der Winter anbrach war die überwiegende Meinung, dass etwas geschehen müsse. Am 23. Oktober war es soweit. Daniel BaaL (Präsident des Französischen Radsportverbandes) und Jean-Marie Leblanc (Generaldirektor der Ges. der Tour de France) äußerten in einem offenen Brief in der l’Equipe die Befürchtung, dass die Schlacht im Kampf gegen die Drogen verloren sei. Der Brief, der an der Sportminister Guy Drut und an den UCI-Präsidenten Hein Verbruggen gerichtet war, bat das Olympische Komitee und verschiedene staatliche Institutionen und internationale Vereinigungen dringend darum, ‚in die wissenschaftliche Forschung’ zu investieren, um die Glaubwürdigkeit der Dopingkontrollen wieder herzustellen. „Wir müssen die Entwicklung der verbotenen Praktiken stoppen, die die Gesundheit der Athleten Risiken aussetzt und den Sport verdächtigt.“ Der Brief betonte auch, dass es nötig sei, die Forschung bezüglich des Gebrauchs von Kortikoiden und Testosteron fortzusetzen, unabhängig von den damit verbundenen gesetzlichen Schwierigkeiten, und davon den Kampf gegen die fortgesetzten Anwendung von Anabolika außerhalb der Wettkämpfe zu intensivieren. … .

Am 25. Oktober, zwei Tage nach der Veröffentlichung des Briefes, vertraute Flavio Alessandri, ein ehemaliger Arzt des italienischen Nationalteams, einem Journalisten der Gazzetta dello Sport an, dass er vor ein paar Jahren mit Sandro Donati vom Olympischen Komitee an einer Studie gearbeitet habe über Drogenmissbrauch im Radsport, diese Studie aber nie aufgetaucht sei. Als der Journalist daraufhin Mario Pescante, den Präsidenten des CONI anrief, leugnete dieser alles.

Am 26. Oktober gab Walter Veltroni, ein bekannter Politiker bekannt, er wolle in Sachen verschwundenen Dossier nachforschen.

Am 28. Oktober erklärte er, das Dossier gefunden zu haben, aber der Inhalt sei zu allgemein um für die Öffentlichkeit interessant zu sein. …

Am 29 Oktober wurde das vollständige Dossier der Öffentlichkeit übergeben.

Am 8. November, am Vorabend der Bekanntgabe der Verlaufs des Giro d’Italia 1997, verlangte eine Fahrer-Delegation, mit dabei Gianni Bugno und Mauritio Fondriest, die Einführung von Bluttests für alle vor dem Start 1997.

1999 werden Unterlagen, die bei Conconi und Ferrari beschlagnahmt wurden, teilweise veröffentlicht. Die Listen der betreuten Sportler ist sehr lang, über 60 Fahrer, mit dabei viele bekannte Namen. Es werden auch medizinische Daten bekannt, die den Schluss nahe legen, dass vor allem EPO zu ihrer sportlichen Grundausrüstung gehörte. Alle leugnen, alle stehen unter Verdacht, ihre Glaubwürdigkeit ist weitgehend dahin.

EPO-Folgeprodukte, Blutersatzstoffe

Viele behaupteten in den folgenden Jahren, die EPO-Ära sei vorbei. Es schien so nach 1998, als würden die Sportler weniger darauf zurückgreifen. Dr. Wolfgang Stockhausen, Verbandsarzt beim BDR, erzählt, dass nach der Festina-Affaire die Betreuer aufgefordert wurden,

„keine weiteren Enthüllungen zuzulassen. Bei der Radweltmeisterschaft im gleichen Jahr wurden die Betreuer aufgefordert, alles „Mögliche“ zu tun, um keine weiteren Vorfälle zuzulassen. Was damit gemeint war, habe ich dann bei der Hämatokritkontrolle durch die UCI erkennen müssen. Entgegen der üblichen Regel, vor der Blutentnahme zur Bestimmung des Hämatokritwertes eine Zeit von höchstens 10 Minuten zu gewähren, nach der sich die von der UCI benannten Sportler im Kontrollraum einzufinden hatten, wurde eine Vorlaufzeit von 45 Minuten gewährt. Diese Zeit ist ausreichend, um einen Hämatokritwert zu manipulieren. Nach Austausch mit meinen Kollegen aus den anderen Nationen musste ich erfahren, dass diese Vorlaufzeit für alle Mannschaften eingehalten wurde.“ (R. Meutgens, 2007, S. 165)

Die Vorkommnisse um den deutschen U23-Fahrer Patrick Sinkewitz während der WM 2000 in Plouay lässt die Vermutung zu, dass die Festina-Affaire selbst innerhalb von Verbänden keinen nachhaltigen Einfluss auf das Dopingverhalten hatte: der BDR und Doping

Martial Saugy, Leiter des Schweizer Doping-Labors in Lausanne, meinte bereits 2002, dass vorschnell behauptet wurde, die EPO-Ära sei vorbei. Er habe zwar festgestellt, dass die Blutwerte der Fahrer sich generell wieder denen der normalen Menschen annäherten, aber die Leistungen haben nach einem Überraschungseffekt rasch wieder das alte Niveau erreicht. Das mache ihn stutzig. Wahrscheinlich haben die Sportler gelernt, es rechtzeitig abzusetzen.

„Würden wir mehr außerhalb von Wettkämpfen kontrollieren, gäbe es deutlich mehr positive Fälle. Aber es besteht auch die Möglichkeit, dass Dynepo und andere Medikamente der Zukunft bereits im Umlauf sind.“ Allerdings glaubte er, „die Zeit des organisierten Dopings über Teams und Ärzte im Radsport“ sei vorbei. „Heute würden die Mittel punktuell eingesetzt, und es seien die Fahrer selbst, die den Schwarzmarkt organisierten“.

Dabei scheint die Schweiz weiterhin für viele Ausländer interessant als Beschaffungsland zu sein, hier sei das Angebot besonders gross. (NZZ am Sonntag, 22.9.2002).

Ob dies zutrifft? Der THG-Skandal, die Fuentes-Affaire und Aussagen andere Experten lassen erkennen, dass das moderne Doping der Hochleistungsathleten, man kann es auch als High-Tech-Doping bezeichnen, immer noch und immer wieder von Ärzten und Wissenschaftlern betrieben wird, vielleicht außerhalb der Teams aber nicht selten in schönster Gemeinsamkeit mit Trainern und Betreuern (s.u.). Die obersten Teamverantwortlichen  wissen natürlich von nichts – wie gehabt.

Bald tauchten auch Blutersatzstoffe auf, die beunruhigten. Sind sie im großen Stil im Einsatz, nehmen es bereits die Besten oder ist alles nur Gerücht?

Künstliches Blut ist schon einige zeit auf dem Markt, es sind perflorierte Kohlenwasserstoffe, PFC, die Sauerstoff binden und somit die Funktion der roten Blutkörperchen übernehmen können. Sie sollen von Radfahrern ausprobiert worden sein. 1998 gab es große Aufregung, als zwei Schweizer Ärzte in Lausanne an die Öffentlichkeit traten und erklärten, dass Mauro Gianetti in ihrer Klinik mit dem Tode ringe aufgrund von PFC, beide Ärzte hatten bei der Waadtländer Staatsanwaltschaft Klage wegen Körperverletzung gegen Unbekannt eingereicht. Sie wollten warnen. Doch der Radrennfahrer leugnete, drohte mit einer Verleumdungsklage und einer Schadensersatzforderung. Dann wurde es ruhig um den Fall. Allerdings sorgten die Radprofis dafür, dass sich die Gefährlichkeit des Mittels herumsprach, sie warnten sich untereinander mittels Flugblättern. Heute ist Gianetti sportlicher Leiter.

Nach W. Schänzer ist PFC wahrscheinlich nicht sehr leistungssteigernd, zudem schwer anzuwenden, daher dürften diese Produkte wenig Zukunft als Dopingsubstanz haben.

Interessanter sind die Medikamente, die aus einer Salzlösung aus Rinderhämoglobin bestehen, Oxyglobin heißt das Mittel, das für Hundeanämie nach Flohbefall entwickelt wurde, Hemopure, ist das Nachfolgeprodukt für Menschen (auch „vernetzte Hämoglobine“ genannt). EPO regt die Bildung roter Blutkörperchen an, Hemopure ersetzt diese. Die Wirkung beider Produkte dürfte ähnlich sein. Hemopure wird unmittelbar vor dem Wettkampf intravenös injiziert, die Ausdauerleistungsfähigkeit erhöht sich schlagartig und bereits nach wenigen Stunden lässt die Wirkung wieder nach. Damit sind auch die Blutkontrollen am Morgen vor Wettkämpfen in diesen Fällen sinnlos, sie müßten direkt nach den Rennen durchgeführt werden.

Doch Hemopure hat nur in Südafrika eine Zulassung für die Behandlung an Menschen. Da stellten sich viele Insider die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen diesem Produkt und der Beliebtheit des Landes als Trainingsplatz gibt. Angeblich sollen auch einige Rekorde bei den Olympischen Sommerspielen in Sydney darauf zurückzuführen sein. Und Bengt Saltin, Leiter des dänischen Anti-Doping-Verbandes, weiß angeblich aus sicherer Quelle, dass Hemopure im Jahre 2000 auch bei der Tour de France eingesetzt wurde. (Spiegel, 33/2000). Jesús Manzano berichtet in seinem großen Dopinggeständnis von entsprechenden Gaben u. a. während der Tour de France 2003 (siehe hier) . Wilhelm Schänzer hebt aber als Nachteil hervor, dass sehr große Mengen notwendig wären. Das Risiko ist ähnlich wie bei einer Organtransplantation, es kann zu einer Immunreaktion bis hin zu einem Schock kommen.

Das Nachweisverfahren für PFC ist kompliziert aber für Hemopure recht einfach, damit könnte dessen Einsatz minimiert werden.

In diese Medikamentenkategorie gehört auch RSR-13 (noch nicht zugelassen), mit dessen Hilfe der an das  Hämoglobin gebundene Sauerstoff optimiert wird. Besonders im Radsport soll damit bereits während der frühen klinischen Testphasen experimentiert worden sein. Ein Nachweisverfahren existiert, ob es angewandt wird, weiss ich nicht.

2000/2001 tauchte Darbepoetin alfa (NESP, Aranesp) auf, eine von EPO abgeleitete Substanz. Diese Weiterentwicklung hat den Vorteil, dass die erwünschte Wirkung mit einer geringeren Dosis als mit herkömmlichem EPO erreicht werden kann. Johann Mühlegg wurde der NESP-Mißbrauch nachgewiesen. NESP ist allerdings wesentlich länger und einfacher nachzuweisen als EPO. Es gibt aber ernstzunehmende Stimmen, die davon ausgehen, dass einige Todesfälle auf die Verwendung von Aranesp zurückgehen könnten. In den Jahren 2003 – 2005 starben mindestens 10 Radsportler am plötzlichen Herztod oder Herzversagen. Nachdem umfassend kontrolliert wurde, besserte sich die Situation wieder etwas.

Kontrolltechnisch wesentlich mehr beunruhigten in der Folgezeit weitere EPO-Nachfolgeprodukte wie Dynepo (Epogen, Epoetin delta) und ein von Hoffmann-La Roche weiterentwickeltes CERA (Continous Erythropoiesis Receptor Activator). Auch sie wurden wie EPO zur Behandlung von Anämie infolge chronischer Niereninsuffizienz oder Chemotherapie bei Krebspatienten. Sie sollen die Muskeln mit noch mehr Sauerstoff als EPO versorgen. Die Nebenwirkungen sind denen von EPO vergleichbar. Gerüchten nach wurde Dynepo bereits bei der Vuelta 2002 eingesetzt, obwohl es offiziell noch nicht auf dem Markt war. 2007 wurde bei Michael Rasmussen während der Tour de France Dynepo nachgewiesen, doch da der Test noch nicht anerkannt war, konnte keine Sanktion ausgesprochen werden (Link). Anfang 2008 stellte das Kölner Antridoping-Labor einen validen Dynepo-Test vor (Int J Sports Med 29, 1-6, 2008). Auch dieser Test wurde von der WADA nicht anerkannt. Warum bleibt unklar. Für Prof. Horst Pagel, Lübeck, gilt:

„“Wir könnten ja längst alle Epo-Formen nachweisen, aber der Wada geht es um business as usual. Erwischt werden sollen nur ein paar Athleten. Die präsentiert man dann zur Beruhigung des Publikums als die Bösen. Der große Rest kann in Ruhe weitermachen wie bisher.“ (Stern, 14/2008).

Ende des Jahres 2008 wird Dynepo vom Markt genommen, daher bestehen wenige Chancen, dass der Test noch angewandt wird. Die Fahrer wird es freuen: Epo-Spezialist Prof. Dr. Wolfgang Jelkmann, Lübeck:

„Ich weiß aus Insider-Kreisen, dass sich zur Zeit die Rennställe hektisch mit Dynepo für die nächsten Jahre eindecken.“ Mehr noch: Befreundete Trainer aus Nordrhein- Westfalen berichteten ihm, dass sie sogar Nachwuchsfahrer beobachtet hätten, „wie die in der Ecke standen, und sich Dynepo unter die Haut gespritzt haben“. “ (Lübecker Nachrichten, 12.10.2008)

Das CERA-Präparat von Hoffmann-La Roche Mircera befand sich im ersten Halbjahr 2004 noch in der Phase II der klinischen Forschung und wurde 2007 unter dem Handelsnamen Mircera zugelassen.  Dieses Medikament hätte den Vorteil, dass bereits eine Dosis für eine dreiwöchige Rundfahrt genügte. (le Monde, 1.7.2004). Erste Hinweise auf die Verwendung durch Sportler erhielten Drogenfahnder bereits Anfang Mai 2004 in Italien nach einer großangelegten Doping-Razzia „Oil for Drug“ im Sportlermilieu, die auch sehr viele Radfahrer umfasste. Zu Beginn der Tour de France 2008 stand dann ein anerkanntes Testverfahren zur Verfügung, womit ein Überraschungscoup gelang. Nach 2 Wochen gab es 4 des Mircera-Dopings überführte Fahrer. Anschließende Nachtests mit feineren Bluttest-Verfahren brachten nochmals positive Fälle.

Vielleicht finden sich auch bereits Laboratorien, die dimere EPO-Produkte illegal herstellen und Sportlern zur Verfügung stellen?  Ralf Meutgens:

„Denn seit Jahren ist bekannt, dass dimeres, also doppeltes Epo um ein Vielfaches wirkungsvoller ist als herkömmliches, monomeres Epo. Ein Forschungsteam der Harvard-Universität in Boston hat 1997 in einem Versuch zwei Epo-Moleküle an den Enden zusammengefügt, um diese Theorie zu bestätigen. Über dieses Experiment hinausgehende Präparate gibt es bisher offiziell nicht. Andreas Breidbach, einer der führenden Analytiker im Bereich Epo und Nachfolgemedikamente, (er arbeitet im Anti-Doping-Labor Los Angeles, das den THG-Skandal aufdeckte) kennt diese Forschung und die Forscher. „In Tierversuchen hat dieser Wirkmechanismus bereits beeindruckend funktioniert. Ähnlich wie bei dem Designer-Steroid THG dürfte es bei genügend krimineller Energie und ausreichender Finanzierung kein Problem sein, dimeres Epo zu produzieren, um es im Leistungssport zu missbrauchen.“ (sportgericht.de, 18.8.2004)

Martial Saugy glaubte 2002 durchaus (s.o.) an die Möglichkeit, dass Dynepo und andere Medikamente der Zukunft bereits im Umlauf waren. Es gäbe im ehemaligen Ostblock genügend Wissenschaftler und Labors, um modernste Mittel herzustellen. „Es tönt verrückt, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass Formeln gestohlen und Medikamente schwarz hergestellt werden.“ (NZZ, 22.9.2002) Die UCI sprach jedenfalls bereits vor der Tour de France 2002 eine Warnung bezüglich Dynepo aus. Doch selbst im Mai 2004 hatten die Fahnder weltweit davon noch keine Probe zur Analyse vorliegen, so Olivier Rabin von der WADA (NZZ, 9.4.2004). 2008 gab es dann erste Kontrollen, die auch promt zu positiven resultaten geführt haben (EPO-Nachweis).

Im Allgemeinen scheint es jedenfalls nicht schwer zu sein, an neue Produkte zu gelangen wie folgendes Zitat nahelegt:

Die ersten Anabolika lernte ich bei Sportlern kennen, bevor sie auf dem Markt erschienen … Vor fünfzehn Jahren erhielt ich bereits PFC ganz offen um es an Ratten zu testen,“ fährt Alain Duvallet (direction régionale Ile-de France Jeunesse et Sports) desillosioniert fort. Nach ihm ist nichts leichter, als beim Hersteller mit dem Briefkopf eines Forschungslaboratoriums ein Produkt anzufordern. Der Hersteller achte nicht darauf, das sei nicht seine Aufgabe. “Man weiss an welcher Hochschule sich der Athlet John Smith sich die Produkte beschaffen wird“, erklärt z.B. Jaques Piasenta, Trainer der Sprinterin Christine Arron. (siehe hier)

Offen wird auch darüber sinniert, dass Hersteller selbst ihre Produkte noch vor der Marktfreigabe zum Testen an Sportler bzw. Teams weitergeben (le Figaro, 24.9.2003), wie es im Falle von EPO bereits in den 80er Jahren gewesen zu sein scheint. Zitat aus einem Interview mit Prof. Fritz Sörgel, Direktor des Institutes für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Nürnberg-Heroldsberg:

„Bei einer Razzia beim Giro d’Italia 2001 wurde beim italienischen Radprofi Dario Frigo das Mittel Hemassist gefunden. Für Fahnder eine erschreckende Beute. Denn das Blutersatzpräparat war nie offiziell auf dem Markt, und der Hersteller hat es noch in der klinischem Erprobung zurückgezogen. Es muss also direkt aus dem Forschungslabor an einen Dealer gekommen sein. Darum meine ich: Nichts ist unmöglich.

Auch im Fall von Hemassist? Hat die Dopingmafia also schon einen Zugriff direkt in die Forschungslabors?

Im Fall von Hemassist gehe ich jedoch eher von Diebstahl aus, da eine gemeinhin als seriös angesehene Firma dieses Präparat entwickelte. Bei der gleichen Razzia wurde noch ein anderes Testpräparat entdeckt. Dabei handelte es sich aber um eine kleine Biotec-Firma für die es natürlich reizvoll sein könnte, gewissermaßen umsonst klinische Tests jenes Stoffes zu bekommen, der im Endeffekt ähnliche Wirkungen wie das Epo hat, nämlich mehr Sauerstoff für den Muskel und damit mehr Leistung erzeugen sollte. Früher oder später werden wir gerade in diesem Bereich Todesfälle sehen, wenn bestimmte gentechnologische Produkte außerhalb der Industrieländer wie wild in die Körper der Sportler gespritzt werden. Die Sportler sind für diese Kriminellen einfach auch hervorragende „Versuchsobjekte“, ehrgeizig genug, alles mit sich und ihrem Körper machen zu lassen, um Erfolg zu haben, und oft auch sehr naiv – um es vorsichtig auszudrücken.“ (der Tagespiegel: Menschenversuche, 20.10.2003)

(Anmerkung: Meldungen zufolge, soll sich der Inhalt der Flasche von Frigo mit der Aufschrift Hemassist als Kochsalzlösung entpuppt haben, für dass er 1.5 Millionen Lire gezahlt habe. Doch es scheint mir aufschlussreich, dass in diesem Interview keine Zweifel an der Tatsache an sich aufkommt.)

Im Jahr 2008/2009 sieht die Situation noch wesentlich komplexer aus, denn die Entwicklungen rund um EPO sind für Laien kaum noch zu überblicken und stellen auch die Fahnder vor weitere Probleme. Horst Pagel, EPO-Analytiker, Lübeck, sagt hierzu, Juli 2009:

„direkte Epo-Nachweise sind de facto schon seit geraumer Zeit nicht mehr möglich. Es sind inzwischen geschätzte 140 verschiedene EPO-Präparate weltweit im Umlauf;­ sie stammen auch aus Ländern wie China, Indien, Vietnam, Kuba, Argentinien oder den baltischen Staaten. Sie haben allesamt keine Zulassung für Europa und können aber leicht über das Interent bezogen werden. Sportler, die diese so genannten Epo-Biosimilars clever mischen, können praktisch nicht überführt werden.“ „Denn jedes Epo ist im Detail anders. Wir können natürlich jede Epo-Variante prinzipiell nachweisen (wenn uns denn entsprechendes Referenz-Material zur Verfügung steht).“ Aber das sei schwierig bei den vielen weltweit vorhandenen Medikamenten. „Um die Sache gerichtsfest zu machen, müsste also bei jedem einzelnen Athleten auf jedes einzelne Epo-Präparat getestet werden.“ „Mit anderen Worten: Jeder positive Epo-Nachweis ist immer ein Zufallsbefund! Die ganze „Show“ dient einzig und allein der Beruhigung des Publikums.“ „Hinzu kommt die Problematik, dass die Firmen bei der Zur-Verfügung-Stellung von Referenzmaterial mauern, und zwar alle, ausnahmslos.“

Wie schwierig sich die Situation rund um den EPO-Nachweis noch 2023 darstellt, zeigen Fälle wie um den  australischen Mittelstreckenläufer Peter Bol. Im Vorfeld der Urteilsfindung geriet die angewandte Epoanalysemethode in die Kritik. Verschiedene Experten zweifelten die Exaktheit der Interpretationen die der SAR-PAGE-Test verlangt, an. Die WADA wurde mehrfach aufgefordert, für Klarheit zu den EPO-Tests zu sorgen, um Fehlurteile zu verhindern.

Altes, Bewährtes, Suspektes, Neues – alles ist möglich

Da das Wissen über die Wirkungsweise der einzelnen Mittel stetig wuchs, ergeben sich auch neue Anwendungen mit alten Substanzen. So scheinen z. B. Wachstumshormone allein weniger wirksam zu sein, als ursprünglich angenommen, doch in Verbindung mit anderen Medikamenten sind sie hilfreich.

Martial Saugy, Leiter des Antidopinglabors in Lausanne,

„geht deshalb davon aus, dass Wachstumshormone heute als Booster für andere Produkte eingesetzt werden. Die Wirkung von EPO kann damit beispielsweise potenziert werden. In den Labors ist davon nichts zu sehen. Doch die Dopingfahnder arbeiten auch mit Informanten aus den infizierten Sportarten. Diese berichten, dass Anabolika, vor allem Testosteron, gross im Aufschwung seien. Saugy glaubt, dass es dabei nicht um den Aufbau von Muskelbergen geht, sondern um die Erholungsfähigkeit. Mit Cocktails aus EPO, Anabolika und Wachstumshormonen in kleinen Dosierungen könnte diese markant verbessert werden. Das wäre eine Erklärung dafür, dass Radrundfahrten wieder gefahren werden wie aneinander gereihte Eintagesrennen. …

Kleine Dosierungen können auch eine Möglichkeit sein, den Kontrolleuren ein Schnippchen zu schlagen. Das hat eine Untersuchung in den USA gezeigt. Beim Testosteron zum Beispiel wird das Verhältnis zum Epitestosteron im Körper gemessen. Ist es höher als 6 (heute ist es 4, Maki), gilt die Probe als positiv. In der Durchschnittsbevölkerung liegt dieser Wert aber bei 1,5. Die amerikanische Studie ergab, dass heute auffallend viele Sportler einen Wert zwischen 1,5 und 6 aufweisen. «Darunter sind viele, die manipulieren», mutmasst Saugy. Es gibt heute eine Messmethode (IRMS), mit der nachgewiesen werden kann, ob Testosteron von aussen zugeführt wurde. (Siehe auch der Testosteron-Nachweis, Leistungssteigerung mit Testosteron)

Selbst bei EPO ist der Nachweis mit der franz. Methode (Urin) nur eindeutig, wenn grosse Mengen gespritzt werden. Dann verschwindet nach einiger Zeit sogar das körpereigene Hormon und wird durch das künstliche ersetzt, was in der Analyse deutlich sichtbar ist. Wird aber ständig sehr wenig gespritzt, kann sich im Organismus ein fliessendes Gleichgewicht einstellen. Saugy nennt diesen Zustand Steady State. «Das macht die Analysen sehr schwierig.» Jacques de Ceaurriz, der Leiter des nationalen französischen Anti-doping-Labors, meint, dass die Radsportler auch gelernt haben, ihre Kuren richtig zu terminieren. «Heute konzentrieren sich viele Fahrer auf einen oder zwei Saisonhöhepunkte. Da bleibt ihnen genügend Zeit, sich mit verbotenen Mitteln aufzubauen und dann ’sauber‘ an den Start zu gehen.»(NZZ am Sonntag, 5.10.2003, Im Spitzensport wird nun suptiler gedopt, interessanter Artikel über gegenwärtiges und zukünftiges Doping).

Bestätigt wurde dies durch Antoine Vayer, der auf die Feststellung, man könne doch mittlerweile EPO nachweisen, meinte:

„Nicht, wenn es sich um Mikrodosen handelt und wenn 24 Stunden zwischen Einnahme und Kontrolle liegen. Das ist zwar in gewisser Weise ein Spiel mit dem Feuer, aber so funktioniert es. Solange das Zeitfenster von 24 Stunden respektiert wird, bleiben die Tests solcher Fahrer unauffällig.“ (TOUR, 4/2004)

Da passten die Meldungen im Februar 2004 wonach EPO-Doping sehr wohl noch aktuell oder wieder im Kommen war. Die medizinische Langzeituntersuchungen in Frankreich und die Bluttests der UCI erbrachten in 2003, wie im Februar 2004 bekannt wurde, bei fast 30% der Fahrer französicher Teams und bei 70 spanischen Fahrern Hinweise auf EPO-Doping. Der französiche Verbandsarzt schlug im Sommer Alarm und die UCI intervenierte beim spanischen Verband, der nun verstärkt Kontrollen durchführen will, Termine werden angekündigt, die Auswahl der Fahrer bleibt dem Zufall überlassen.

(siehe hierzu auch die von der UCI für 2004 angekündigten >>> verschärften Kontrollmaßnahmen)

Am 5.8.2007 veröffentlichte die Neue Züricher Zeitung dann eine Langzeit-Analyse des Lausanner Antidoping-Labors, wonach das Dopingverhalten bezogen auf EPO und Blutdoping im Peloton gut nachvollziebar wurde:

„1996: Es wird nicht kontrolliert; über 80 Prozent der Fahrer verwenden EPO.

1997 bis 1999: Die Festlegung eines Hämatokrit-Grenzwertes verunsichert die Sportler, die Zahl der Doper ist leicht rückläufig.

2000: Jeder weiss inzwischen, wie man den Hämatokrit manipuliert. EPO wird wieder breiter angewandt.

2001: Ein EPO-Test wird eingeführt und hat dramatische Konsequenzen. «Vor der Tour de France 2001 war der Peloton praktisch sauber», sagt Pierre-Edouard Sottas. In der dritten Woche war aber wieder eine Zunahme auszumachen – es ging um den Sieg, und offensichtlich hatte man die Grenzen des Tests bereits erkannt.

2002: Zu Beginn ist die Prävalenz noch tief, gegen Ende Jahr steigt sie deutlich.

2003: In der Vuelta profitieren die Fahrer von der laschen Haltung der Spanier. «Man kann fast von flächendeckendem Doping sprechen», sagt Sottas. Der Grund: EPO in Mikrodosen und Transfusionen mit Fremdblut sind nicht nachweisbar.

2004/2005: Ein Test für Fremdblut-Transfusionen wird eingeführt; Tyler Hamilton und Santi Perez fliegen auf. Das führt zunächst zu einem Schock, doch dann wird mit Eigenblut manipuliert. Dennoch sinkt die Prävalenz: Rund 50 Prozent der Fahrer manipulieren, doch unter den besten ist der Anteil höher. Die Werte an der Vuelta liegen erneut über jenen anderer Rennen.

2006/2007: Mit der Operación Puerto wird der spanische Blutsumpf trockengelegt. Die Zahl der Doper ist so klein wie nie mehr seit 2001. Weniger als ein Viertel der 180 zur Tour de France 2007 gestarteten Fahrer pedalen mit manipuliertem Blut. Allerdings sagt Sottas: «Unter den ersten 30 des Gesamtklassements ist die Prävalenz höher als in den hinteren Rängen.» (NZZ, 5.8.2007).

Die Kontrollanalytik, das Kontrollverhalten und die Erfolge polizeilicher Ermittlungen zeigen somit Erfolge. Die Entwicklung über die Jahre zeigt aber auch deutlich, dass jede Lücke genutzt wird.

Bleibt anzumerken, dass alles nicht dadurch leichter wird, dass die Entwicklung dahingeht, Patienten z. B. Implantate unter die Haut zu setzen, mit deren Hilfe der Körper angeregt wird, permanent (durch Hypoxia inducible factors (Hif) – Stabilisatoren) EPO zu produzieren, damit soll den Patienten die auf Lebenszeit notwendigen Medikamentengaben erspart werden. Sogenannte HIF-Stabilisatoren sind in der klinischen Erprobung.

Funde bestätigten zudem die Renaissance der Anabolika. So wurde bei Tammy Thomas, amerikanische Radsprinterin, WM- Zweite 2001, ein Anabolikum gefunden, uralt, vergessen, neu aufgelegt und nicht gesucht. Die Washington Post berichtet, wie die Entdeckung gelang: Drug Testers Have Designs on New Steroid. Hunderte von Anabolika wurden in den siebziger Jahren hergestellt, die meisten verschwanden wieder vom Markt, aber so manches könnte irgendwo im Umlauf sein, unbemerkt, von keinem Test erfasst.

Im Oktober 2003 begann in den USA ein Skandal, der bis heute die amerikanische Profisportwelt schwer erschüttert: Etliche Hochleistungssportler hatten das speziell zu Dopingzwecken hergestellte anabole Steroid Tetrahydrogestrinone (THG) eingenommen. Dieses Mittel soll nach Don Catlin eine Variation des alte Steroids Norbolethone sein, das bei Tammy gefunden wurde (Reuters, 28.7.2004). Es war den Fahndern bislang nicht bekannt und ein Nachweisverfahren konnte erst entwickelt werden, nachdem ein Trainer eine entsprechende Probe an die USADA (US-amerkikanische Antidopingagentur) geschickt hatte. Charlie Francis, der Trainer von Ben Johnson, spricht bereits 2001 von dieser Praxis der Designerprodukte:

„In a review of the negative tests after the Sydney Olympics, the drug testers saw a suspicious compound on many of their tests and began to investigate. Some months later they identified the compound as Genabol. By the time a test was developed, the word was out and the athletes moved on to newer products. Currently, clandestine labs are producing designer versions of known anabolic compounds which are synergistic with other untestable agents such as GH and EPO.“ (Testosterone Magazine, 26.10.2001)

Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Fund nur die Spitze des Eisberges ist, dass es noch weitere ähnliche, eigens designte Substanzen zu finden gilt, so auch der amerikanische Anabolikaexperte Charles Yesalis, der meint, dass wer etwas anderes meint, auch an den Weihnachtsmann glaube.

Dimitrios Bitis, Köln, zu dem Trend, dass Anabolika verstärkt als Designer-Drogen auf den Markt kommen:

„Designer-Steroide sind ein Begriff für Wirkstoffgruppen, die vom Chemiker zusammenziseliert werden. Meistens oral, eigentlich Injektionen auch. Und ich bin der Meinung: Es existieren sehr viele Designer-Steroide. Zwar sind nicht viele im Umlauf, aber: Die Top-Athleten, wenn sie wissen, wie es funktioniert: Dann sind sie bestimmt nicht von der Roten Liste ernährt, die jedes Dopingkontrolllabor im Schrank hat. Und das suchen auch die meisten Athleten: Sachen, die nicht nachweisbar sind. Schnell sauber werden. Das ist es halt, das ist der Knackpunkt.“ (Deutschlandfunk, 2.3.2003)

Matthias Kamper, Leiter der Dopingbekämpfung des Sportwissenschaftlichen Institutes SWI in Magglingen im März 2004:

„Ich vermute, dass es noch andere so genannte Designersteroide wie THG gibt. Im Internet stösst man auf Firmen aus dem Osten, die ganze Fabriken aufbauen für die gezielte Steroid-Produktion. Dort kann man die Ware gleich kiloweise bestellen. Es ist chemisch betrachtet relativ einfach, aus einer Grundstruktur wie zum Beispiel Testosteron Seitenketten zu verändern und daraus neue und noch unbekannte Substanzen herzustellen, die nicht sofort erkannt werden können.“

Aufgrund der Nachweisbarkeit von EPO erlebte auch eine alte Methode eine große Renaissance, das Blutdoping: Bluttransfusionen vor den entscheidenden Wettkämpfen entweder mit Eigenblut oder mit Blut von Kollegen, Freunden, Teammitgliedern, die dieselbe Blutgruppe besitzen. So konnte am Antidopinglabor in Lausanne anhand der Blutparameter 2003 festgestellt werden, dass drei große Radsportteams dieses Verfahren angewandt hatten. (Libération, 22.12.2003) Bestätigt wurden diese Praktiken durch die Aussagen von Jesús Manzano, ehemals Kelme. Verbessern läßt sich die Wirkung noch durch die Einahme von EPO während einer Zeit, in der das Risiko einer entsprechenden Kontrolle minimal ist. Das so angereicherte Blut zapft man sich oder einem Spender ab, trennt Plasma und Blutkörperchen, gibt das Plasma gleich zurück und injiziert sich zum rechten Zeitpunkt die Konserve. Das Fehlen des Plasmas hat den Vorteil, den indirekten EPO-Nachweis zu unterlaufen. (NZZ, 23.9.2004)

Es gab Gerüchte, dass diese Methode mit Eigenblut auch bei der Tour de France 2005 von einigen Teams direkt vor den entscheidenden Etappen angewandt wurde (radsport-news, 6.10.2005). Wir wissen heute durch die Aussagen von Jörg Jaksche, dass dies stimmte. Und die über 200 gefundenen Blutbeutel in der Praxis von Dr. Eufemiano Fuentes belegen, dass auch 2006 Eigenblutdoping hoch im Kurs stand.

Charles Yesalis:
„Ich schrieb schon vor Jahren, dass es Sportwissenschaftler gibt, die wie Geier auf den Bäumen sitzen und nur darauf warten, dass neue medizinische Entdeckungen aus den Firmen bekannt werden.“
(NYT, 9.12.2004)

Nach Ralf Meutgens wurden Anfang des neuen Jahrtausends rund achtzig Präparate in der Szene gehandelt, die leistungssteigernd wirken sollen und für die es kein Nachweisverfahren gibt und Prof. Wilhelm Schänzer, sagt:

„Nach allem, was wir wissen, werden im Hochleistungssport mehr Wirkstoffe eingesetzt, als wir vermuten. Ob die angestrebten leistungssteigernden Effekte wirklich erreicht werden, ist in vielen Fällen fraglich. Vor den auch irreversiblen Nebenwirkungen kann nur eindringlich gewarnt werden.“ Dazu R. Meutgens weiter: „Im Umfeld des Radsports wird derzeit eine erhöhte Rate an Fehlgeburten und behinderten Neugeborenen beobachtet. Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen die Väter Leistungssportler sind.“….. (FAZ, 13.7.2000)

So trifft immer noch und immer wieder zu, was Walter O. Frey 1999 am Beispiel der Hormone darlegte:

„ … Was zum Beispiel die Hormone anbetrifft, werden sie in der Medizin niemals in solch hohen Dosierungen angewendet wie bei den Sportlern. Kommt dazu, dass die Wissenschaft keinerlei Forschung betreibt, was die Risiken dieses Tuns anbelangt. Die Sportler werden in dieser Situation gewissermaßen zu Laborratten. Es wird an ihnen ausprobiert, was passiert, wenn jemand gewisse Medikamente in extrem hohen Dosierungen über lange Zeit nimmt. Der Arzt, der dopt, kann sich bezüglich der Risiken auf keine gesicherten Erkenntnisse stützen. Sein Wissen um die Auswirkungen beschränkt sich einzig und allein auf die Erfahrung, die er mit seinen eigenen Athleten gemacht hat. Langzeitfolgen können noch aus einem weiteren Grund nie analysiert werden: Man schreibt ja am besten nichts auf, damit sie einem nichts beweisen können, wenn man ertappt wird . .“

Wenn man denn ertappt wird, die Wahrscheinlichkeit war und ist wohl eher als gering einzustufen. Jean-Paul Escande, langjähriger Vorsitzender der französischen Antidoping-Kommission, äußerte sich bereits 1996 zu den Kontrollen klar:

„… eine alte Methode, die vor 10 Jahren nützlich war, aber heute streut man den Leuten damit nur Sand in die Augen. Doch man verspricht uns: wir werden die Kontrollen verstärken. Eine schöne Sache, das zu verstärken, was nicht funktioniert, um bessere Ergebnisse zu erhalten. Durch Verstärkung weckt man keine Toten auf! „

Und 2003 hörte sich das dann so an:

„Die Kontrollen sind unwirksam. Das ist als ob man eine Geschwindigkeitsmessung ankündigt mit der Angabe des genauen Orts, bei der auch noch ein rotmarkierter Polizist mit den Armen gestikuliert um zu warnen. Man kann nur bitter werden wenn man die Anzahl der Leute betrachtet, die mit Produkten erwischt wurden und die extrem geringe Anzahl der positiven Kontrollen. Woher weiß man heute von der Häufigkeit des Dopings? Weil der Zoll die Typen erwischt. Währenddessen weisen die Urinproben nichts auf.“ ( >>> Jean Paul Escande)

>>> Offener Brief von Pat McQuaid an Lemour und Pound, 3.7.2006

Bob Stapleton, T-Mobile, nach dem positiven Befund der A-Probe von Patrik Sinkewitz am 18.7.2007:
„Ich bin sehr, sehr enttäuscht. Aber es existiert eine ganz miese Kultur des Dopings im Radsport, und es wird Jahre dauern, um sie zu ändern.“
der Spiegel, 18.7.2007

Antoine Vayer scheint recht gehabt zu haben mit seiner Vermutung:

„Die Heuchelei ist schlimmer als damals (1998). Alle Welt tut so, als habe sich die Lage gebessert, dabei geht es gerade so weiter. …  2003 darf als das Jahr betrachtet werden, in dem so gut wie alle wieder angefangen haben sich zu dopen. …“ (TOUR 4/2004)

Die Affaire Operacion Puerto um den einflussreichen Teamleiter Manolo Saiz und Sportarzt Eufemiano Fuentes, Ende Mai 2006 ins Rollen gekommen und erst 2022 zu einem unbefriedigenden Ende gekommen, zeigte die neuen Dimensionen auf und bestätigte Vayer. Beispielhaft ist das im Zuge der Ermittlungen gefundene Doping-Tagebuch von Taylor Hamilton für das Jahr 2003, in dem kaum ein Mittel fehlt: NZZ, 27.8.2006. (>>> Operación Puerto)

Wie ist die Situation heute?

Eine Zusammenfassung auf doping-archiv kann ich nicht bieten. Einzelhinweise bieten die doping-news.

Abzuwarten bleibt weiterhin, welche Rolle u.a. das Gen-Doping, vor dem häufig und gerne gewarnt wird, spielen wird? Ist es bereits zur Anwendung gekommen? Die Experten streiten sich. Bereits die Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, die am 1. 1. 2003 in Kraft trat, beinhaltete vorsorglich das Verbot dieser Methode, etliche Gelder gingen und gehen in die Entwicklung von Nachweismethoden.

Offen bleibt auch die Frage, was ist bei den vielen Freizeitsportlern, Amateuren, Profis, die nicht auf eine medizinische Hightec-Betreuung zurückgreifen können, geschieht, wird bei ihnen der unkontrollierte Konsummix weiter zunehmen? Die aktuellen Sanktionsmeldungen von Amateursportlern aus Italien lassen nicht erkennen, dass Doping in diesen Kreisen  gering sein könnte.

Dieser Text wurde zum allergrößten Teil im Jahr 2007 geschrieben. Bis heute hat er viele Ergänzungen erfahren. Die Entwicklungen nach 2007 wurden allerdings hier nicht mehr ausführlich aufgenommen.

2011 und insbesondere 2012 wurden über das Doping im Team Telekom/T-Mobile und insbesondere durch die von der USADA ausgesprochene lebenslange Sperre Lance Armstrongs detailliertere und exaktere Erkenntnisse zur Dopingrealität in den letzten 15 Jahren bekannt. Manches was im obigen Text erwähnt ist, erscheint damit als falsch oder blauäugig oder wird bestätigt.

Ich werde das alles so stehen lassen, ist es doch Ausdruck von Sein und Schein während dieser Jahre.

Um diese Diskrepanz aus heutiger Sicht besser erkennen zu können, habe ich das nach Jahren geordnete
>>> Dossier über das Doping im Team Telekom/T-Mobile angelegt.

Weniger aufwändig aber mit vielen Informationen und Links versehen ist das
>>> Dossier über Lance Armstrong und Doping.

Hingewiesen sei damit auch auf das
>>> Dossier Doping-Affairen / -Prozesse im Radsport.

Großes Dankeschön an Inga für ihr Vertrauen und an Werner, Christine und Ralf für ihre Unterstützung.

Quellen und weiterführende Literatur:

D. Baal, Tour de France, 2004
R. Bastide, Doping, 1970
Y. Bordenave/ S. Simon, Paroles de Dopés, Saint-Amand-Montrond 2000
H. Born, Das waren noch Zeiten, Zürich 1990
Ch. Brissonneau/ O. Aubel/ F. Ohl, L’Épreuve du dopage, Paris 2008
J. Chiotti, De mon plein gré!, Paris 2001
J.-P. de Mondenard, Dictionnaire du dopages, Paris 2004
J.-P. de Mondenard, Dopage, Paris 2000
J.-P. de Mondenard, Drogues et Dopages, Paris 1987
J.-P. de Mondenard, 36 Histoires du Tour de France, Paris 2010
J.-P. Escande, Des cobayes, des médailles, des ministres, Paris 2003
M. Gamper/ J. Mühlethaler/ F. Reidhaar, Doping, Zürich 2000
J. Hobermann, Sterbliche Maschinen, Aachen 1994
J. Kern, Das Dopingproblem, Wien 2002
P. Kimmage, Rough Ride, London 1998
T. Koomen, 25 Jaar Doping, 1974
É. Maitrot, Les scandales du sport contaminé, 2003
E. Menthéour, Secret défonce, Paris, 2000
R. Meutgens, Doping im Radsport, 2007
Ch. Penot, Pierre Chany, l’homme aux 50 Tours de France, Saint Malo 1996
V. Moeller, The Doping Devil, 1999/2008
R. Rabenstein, Radsport und Gesellschaft, Hildesheim 1996
B. Roussel, Tour de vices, 2001
A. Singler/ G. Treutlein, Doping im Spitzensport, Teil 1, Aachen 2000
A. Singler/ G. Treutlein, Doping, Teil 2, Aachen 2001
G. Spitzer, Doping in der DDR, 1998
UCI, 40 years of fighting against doping, Lausanne 2001
W. Voet, Gedopt, Berlin 1999
L. Woodland, Halbgötter in Gelb, Bielefeld 2003

die wichtigsten Internet-Seiten:

cyclismedopage
dopinginfo.de
Schwimmverein Limmat Zürich
ärztezeitung.de
sportgericht.de
dopingnews.de
radsportnews.com
cyclingnews.com
cyclingworld
Neue Züricher Zeitung
Libération, Dossier Festina
LeMonde
Leistungssport.com
nethorizon
arthur73 dopage et sport

Beitrag von Monika