Dopinghistorie: Anabole Wirkstoffe / Anabolika

Doping)Mittel und Methoden

Anabole Wirkstoffe / Anabolika

Siehe hierzu auch >>> 1953-1993 Anabolika-Reglements

Zu den anabolen Wirkstoffen zählen drei unterschiedliche Wirkstoffgruppen, die androgenen, anabolen Steroide, Anabolika genannt, die Prohormone und die Beta-2-Mimetika/ Beta-2-Agonisten, die nicht steroidal wirken.

Anabolika: Eine lange, nicht enden wollende Geschichte

Hobermann / Yesalis:
Die Geschichte der androgen-anabolen Steroide

Geschichte des Testosterons:
Eberhard Nieschlag, Susan Nieschlag: Testosterone deficiency: a historical perspective, 2014

Zu den anabolen, androgenen Steroidhormonen, Anabolika genannt, zählt man das männliche körpereigene Geschlechtshormon Testosteron und seine synthetischen Varianten. Anabol bedeutet, dass das Muskelwachstum, androgen, dass die sekundären Geschlechtsmerkmale, wie Bartwuchs oder tiefe Stimme, stimuliert werden.

Männliche Stärke wird seit Jahrtausenden und in vielen Kulturen mit der männlichen Sexualität in Verbindung gebracht. Entsprechend bekamen die männlichen Sexualorgane und -merkmale besondere Kräfte zugesprochen. Hodentransplantationen und -extrakte waren häufig Gegenstand von Experimenten zur Leistungssteigerung. Besonders hervor tat sich damit im 19. Jahrhundert der französische Physiologe Charles Edouard Brown-Séquard. 1889 teilte der 72jährige froh mit, dass es ihm gelungen sei, seinem körperlichen und geistigen Verfall während der letzten 25 Jahre mittels Injektionen drastisch entgegenzusteuern. Die Injektionen bestanden aus Sperma und aus flüssigen Hodenextrakten von Hunden und Meerschweinchen.

Von einer geheimnisvollen Substanz war zu jener Zeit auch bei den Sechstagefahren die Rede. Es war eine kristalliner Hodenextrakt, Spermin genannt, der von dem russischen Chemiker Alexandre Poehl 1891 isoliert worden ist. Eine Wirkung konnte wissenschaftlich nie nachgewiesen werden. Anders die Grazer Forscher Oskar Zoth und Nobelpreisträger Fritz Pregl, die im Selbstversuch mit flüssigem Extrakt aus Stierhoden experimentierten. Zoth meinte 1896: „Injectionen orchitischen Extractes befördern in ausserordentlichem Maassee die Wirkung der Muskelübung“. Er sah hier noch viel Potential:„Das Training von Sportlern bietet eine Gelegenheit für weitere Forschungsarbeiten in diesem Bereich und für eine praktische Beurteilung unserer experimentellen Ergebnisse.“ (Doping im Selbstversuch an Grazer Uni)

Erst in den 30er Jahren gelang es, die chemischen Strukturen der Sexualhormone zu entschlüsseln und 1935 das männliche Hormon Testosteron zu isolieren. Allerdings wurde von Seiten der Forschung in den 20er und 30er Jahren keine Verbindung zur Leistungssteigerung im Sport hergestellt, da es noch nicht gelungen war, das muskelaufbauende Potential der Steroide zu erkennen.

Andreas Singler konstatiert in seiner 2012 veröffentlichten Dissertation ‚Doping und Enhancement‘, in der er die Entwicklung des Dopingdiskurses in Deutschland analysiert in Bezug auf die Anwendung von Anabolika:

„Zurückgewiesen werden muss die in der Literatur zum Doping zumeist aufzufindende Annahme, dass anabole Steroide zunächst in den USA missbräuchlich im Sport angewendet wurden und dann erst nach Westeuropa gelangten (siehe etwa Hollmann und Hettinger 1990, 257). Nach John Zieglers glaubwürdig erscheinenden Angaben wurde in Russland mindestens seit 1954 mit Testosteron manipuliert. De Mondenard (1996, 57) datiert die ersten Anwendungen im russischen Gewichtheben bereits für 1952, dem Jahr der erstmaligen Teilnahme von Athletinnen und Athleten aus der Sowjetunion an Olympischen Spielen. Aber selbst die Annahme, dass Testosteron in den USA erstmals ab 1954 durch John Ziegler getestet und angewendet wurde, ist nicht bewiesen, denn Hoberman und Yesalis konstatieren: „„… schon in den vierziger Jahren sprach es sich unter Bodybuildern und Leistungssportlern herum, dass derartige synthetische Hormone den Aufbau der Muskulatur beschleunigen und ein intensiveres Training ermöglichen“ (Hoberman und Yesalis 1995, 87).“ (Singler, 2012, S. 44/45)

Die Rolle Zieglers an der kometenhaften Karriere des Testosterons ist aber belegt. John Ziegler arbeitete in den 1950er Jahren in Summit, USA, für das Unternehmen und stand in engem Kontakt zu Bodybuildern und Gewichthebern. Er soll bereits vor 1954 verschiedene Präparate von Ciba an Sportlern getestet haben. Als Mannschaftsarzt der US-Gewichtheber bei den Gewichtheber-Weltmeisterschaften 1954 erfuhr er, dass Testosteron im russischen Gewichtheben weit verbreitet war. 1956 konnte er sich besser über den Testosteronmissbrauch der Russen während der WM in Moskau informieren. 1954 begann er erste Versuche mit Dianabol mit Bodybuildern und Gewichthebern, auch an sich selbst. Messbare Erfolge stellten sich 1959 ein. Damit begann der Siegeszug von Dianabol. Sein Konsum war nicht mehr zu kontrollieren. Weil die Kenntnisse über die Anwendung von anabolen Produkten im Spitzensport noch in den Kinderschuhen steckten, funktionierten die ersten Etappen der Einführung nach dem Prinzip von trial and error. Der Siegeszug des Testosteronproduktes wurde offenbar von Ciba unterstützt, denn innerhalb kurzer Zeit stieg dessen Umsatz weltweit signifikant an. Bereits bekannte schwere Nebenwirkungen wurden bagatellisiert. (W. Aeschimann, Dianabol und Ciba, 2016, Portrait John Ziegler)

Information aus der Biografie 2013 von Wildor Hollmann:
Bemerkenswerter noch ist Hollmanns Begegnung mit Mike Agostini, einem für Kanada startenden Sprinter aus Trinidad. Dieser habe bei einem Spaziergang im Olympischen Dorf 1960 in Rom plötzlich in die Tasche gegriffen und ihm eine Handvoll blauer Kapseln präsentiert: „Doktor, kennst du diese Pillen? Davon wird man außerordentlich schnell“, habe Agostini erläutert. Er, Hollmann, habe das nicht glauben können. Erst später habe er erfahren, dass es sich dabei um das Anabolikum „Dianabol“ gehandelt habe, dem ersten Steroid-Klassiker im Leistungssport. Schon in Rom wären laut Agostini Anabolika im US-Leichtathletik-Team verbreitet gewesen.
Agostini startete allerdings nicht in Rom. Deshalb fand diese Begegnung wohl schon 1959 bei den III. Panamerikanischen Spielen in Chicago statt, an denen Hollmann anlässlich eines Kongresses weilte – demnach war das CIBA-Präparat schon vier Jahre nach Entdeckung dieser chemischen Grundstruktur im internationalen Leistungssport angekommen. In Deutschland wurde es zu dieser Zeit noch klinisch erprobt.“
(dradio, 31.7.2013)

1968, Olympische Spiele in Mexiko
Arnold H. Beckett: „Nach dem 100 km-Zeitfahren, welches das holländische Team gewann, entdeckte einer der offiziellen Mediziner der niederländischen Delegation leere Anabolika-Ampullen im Abfall seiner Mannschaft. Die eingeleitete Untersuchung brachte eine große Menge angebrochener Ampullen im Gepäck eines Masseurs zutage, die, so dessen Geständnis, für das Radfahrteam bestimmt waren.“
(de Mondenard, Dict., S. 86)

Prof. Dr. Ludwig Prokop
„Viele Sportler, zum Beispiel Radrennfahrer, Schwerathleten, Fußballer, viele Leichtathleten, Skiläufer und Eisschnelläufer, werden fast routinemäßig auf den Wettkampf mit Medikamenten vorbereitet. Doch muß ein solches Doping sowohl aus medizinischen als auch allgemein sportlich-ethischen Grundsätzen abgelehnt werden.“
(Genannt werden folgende Präparate und ihre Hersteller: Cardiazol Knoll Ludwigshafen, Dianabol Ciba Wehr (Baden), Emdabol Merck Darmstadt, Pervitin Temmler Marburg, Sympatol Boehringer Ingelheim)
Selecta 10/43 S.2803 (1968)

Bekannt ist danach die großflächige Anwendung von Anabolika im Sport, vorwiegend in Kraftsportarten, schon ab den 1950er Jahren, anfänglich häufiger in Westdeutschland als in Ostdeutschland. Erstmals wurden sie wie andere Hormone 1967 von der UCI verboten, sofern kein ärztliches Attest vorgelegt wurde. Die medizinische Kommission des IOC sprach 1967 ebenfalls ein Verbot aus, sofern sie nicht ‚medizinischen Zwecken‘ dienten. Diese Beschränkungen wurden allerdings 1971 (oder 1970?) von der UCI wie auch vom IOC wieder aufgehoben, da keine Nachweisverfahren zur Verfügung stand. Die IAAF verbot die Anabolika 1970. Dieses Verbot wurde vom Deutschen Leichtathletikverband (DLV) kurz darauf übernommen. 1974 wurden sie erneut vom IOC geächtet, nachdem Nachweisverfahren entwickelt waren. Das Verbot galt aber streng genommen ausschließlich für Olympische Spiele, zum ersten Male für 1976.

Laut einer Befragung über Anabolika-Gebrauch bei den Olympischen Spielen 1972 nahmen 68 % aller Leichtathletik-Teilnehmer diese Mittel. 1974 führte der IAAF erste Kontrollen auf die synthetisch hergestellten Anabolika, die der Körper nicht selbst herstellen konnte, bei den Hallenweltmeisterschaften durch, das IOC folgte mit Kontrollen 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal.

Schwierigkeiten ergaben sich zudem in der Unterscheidung zwischen den synthetisch hergestellten Testosteronderivaten und dem körpereigenen Testosteron. Die angesprochenen Kontrollen bezogen sich nur auf die synthetischen Produkte. Ein Testosteronnachweis kam erst 1982 zum Einsatz. Dementsprechend nahm das IOC erst 1982 das körpereigene Hormon auf seine Verbotsliste. Zuvor war es damit von dem IOC nicht verboten (M. Berlioux IOC, de Mondenard, S. 1042).

Die Frage, ob und ab wann Anabolika verboten waren, ist somit nicht einheitlich zu beantworten. Für die deutschen Verbände lässt sich wohl sagen, dass bis auf den DLV keine anderen Anabolika auf ihrer Verbotsliste hatten, ja die meisten überhaupt keine Antidoping-Regularien besaßen bzw. sich auf Regularien ihrer Internationalen Verbände beriefen, die ebenfalls kaum Regularien hatten. (Siehe auch Dopingbestimmungen 1970er Jahre.) Erst 1993 sollen alle internationalen Verbände Anabolika verboten haben. Mehr Infos s. u. 1953-1993 Anabolika-Reglements – eine Zusammenstellung.

Lange galt die positive Wirkung der anabolen Steroide für den Ausdauersport als nicht gegeben, heute ist diese aber unumstritten. Bereits 1-2 Tage nach der ersten Injektion steigt die Motivation und die Bereitschaft längere und harte Trainingseinheiten zu absolvieren, auch wird die Regenerationszeit verkürzt. Seit den 80er Jahren wird Anabolikadoping auch in den Ausdauersportarten in großem Stil angewandt, Dutzende von Sportlern, darunter viele Marathonläufer, wurden in den letzten zwanzig Jahren überführt.

Das erste Nachweisverfahren für das körpereigene Testosteron wurde von Donike und Mitarbeitern entwickelt, nachdem bei der Nachkontrolle der Urinproben von den Olympischen Spielen in Moskau 1980 bei einer signifikanten Probenanzahl ein erhöhter Testosteronanteil festgestellt wurde, darunter viele Frauen. Bis dato war angeblich Testosteron als Dopingsubstanz nicht bekannt, nur die synthetisch hergestellten anabol androgenen Steroid-Varianten, die alle vom Testosteron abstammen. Bei den Panamerikanischen Spielen 1983 in Caracas wurden 24 Sportler bei Tests vor und während der Spiele überführt. Nach Bekanntwerden der ersten positiven Ergebnisse verließen einige amerikanische Sportler fast „fluchtartig“ die Spiele. Auf die IOK-Dopingliste kam Testosteron 1984 anlässlich der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles.

Gaben des natürlichen Testosterons sind nicht nachzuweisen, daher wird bei den Tests das Verhältnis Testosteron/Epitestosteron bestimmt, liegt der Testosteron-Kontrollwert über dem festgelegten Wert, muss der Sportler mittels einer Langzeitkontrolle nachweisen, dass er natürlicherweise einen erhöhten Testosterinspiegel hat. Dieser Test hatte schnell zur Folge, dass Epitestosteron zusätzlich eingenommen wurde, daher kam auch diese Substanz 1992 auf die Verbotsliste. Woraufhin das Schwangerschaftshormon hCG interessant wurde, um den Testosteronwert in den erforderlichen Grenzen zu halten. Bereits 1983 soll hCG auch im Radsport breite Anwendung gefunden haben.

>>> Deutsche Ärzte und die Diskussion um Anabolika

>>> 1950/1960er Jahre

>>> die 1970er Jahre, Diskussion um Anabolika

>>> die 1980er Jahre

>>> Doping in der DDR

In den letzten Jahren hat sich die Anwendung der Dopingmittel allerdings grundlegend geändert. Es wurde die Wirkung regelmäßiger kleiner Dosen entdeckt. Entweder wird damit ein in intensiven ‚Kuren‘ oder nach Höhentraining erreichter Pegel stabil gehalten (s. EPO) oder es genügen diese geringen Dosen um wie bei Testosteron eine Regenerationswirkung zu erzeugen, ohne dass ein Nachweis möglich wäre. Erreicht werden kann dies z. B. mit handelsüblichen Testosteronpflastern, die ca. 6 Stunden auf den Hodensack geklebt werden.

Heute werden die Bestleistungen vor allem in den kraftbetonten Leichtathletiksportarten aus den frühen 80er Jahren auf den Einsatz der Anabolika zurückgeführt. Dabei zeichnen die Enthüllungen der Dopingpraxis in der DDR ein schauerliches Bild vor allem was die Nebenwirkungen und Folgeschäden bei Frauen und Kindern anbelangt. Aber auch die Entwicklung in der Bundesrepublik jener Zeit ist geprägt von einer weitreichenden Dopingpraxis. Eine gute Dokumentation findet sich in den Büchern von Singler/ Treutlein  (Näheres siehe hier) und in Simon Krivec Dissertation, 2017.

Im Dezember 2002 wurde erstmals ein Dokument vorgestellt, mit dem bewiesen werden kann, dass auch in der UDSSR eine staatlich kontrollierte Anabolika-Forschung und Anwendung stattfand. (Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 11/2002)

Hein Verbruggen, langjähriger UCI-Präsident, Jahr unbekannt: „Ein Sprinter, der Testosteron nimmt, dopt um zu betrügen. Aber was soll man von einem Tour de France-Fahrer sagen, der, ohne Hoffnung je gewinnen zu können, danach greift, um in Paris anzukommen, um sein Gehalt, seinen Platz im Team zu sichern.“(de Mondenard, Dict., S. 1054)

Die Dopingdiskussion in den 70 und noch 80 Jahren war sehr intensiv, hauptsächlich ging es um die Verwendung von Anabolika. Die Meinungen waren gespalten, nicht wenige Sportfunktionäre, Sportler, Trainer, Politiker und vor allem führende deutsche Sportärzte waren für eine Freigabe. Erst nach den Olympischen Spielen 1976, die als Dopingspiele in die Geschichte eingingen, kam es zu dem öffentlichen und nach außen hin entgültigen Verbot der Substanzen. Es zeigte sich bald, dass auch danach mit großen Anstrengungen versucht wurde, mit Hilfe von wissenschaftlichen Untersuchungen und Testreihen die medizinischen Indikation auf breiter Basis zu rechtfertigen. Diese Forschungen wurden von der Bundesregierung mitfinanziert.

Zu den Nebenwirkungen der Anabolika gehören u. a. Akne, Körpergewichtszunahme, Herz-Kreislauf- und Leberschäden, Vermännlichung bei Frauen, bei Kraftsportlern wurde eine erhöhte Sterblichkeitsrate festgestellt. Auch auf die menschliche Psyche wirken die Hormone: erhöhte Trainingsmotivation, gesteigerte Libido, Stimmungsschwankungen bis hin zu erhöhter Gewaltbereitschaft, manischen Episoden, Depressionen und Abhängigkeit.

Besonders gefährdet sind Jugendliche, deren Psyche und Physis noch am Entwickeln sind. So scheint der Anabolikakonsum den Entstehungsprozess der Serotonin-Produktion im Hirn dauerhaft zu schädigen, wodurch lebenslanges agressives Verhalten gefördert wird (wissenschaft.de, 25.11.2003). Auch schwere Depressionen mit Selbstmord von Jugendlichen sind bekannt ( New York Times, 26.11.2003)

Nachgewiesen sind auch nach jahrelangem Missbrauch anaboler Steroide schwere Nierenschäden, die sich nach Absetzen der Dopingmittel wieder besserten. (cumc.edu 10.2009)

2008 berichtete die Zeitschrift Sports Illustrated folgendes:
1975 führte der britische Mediziner G. Romaine Hervey (Universität Leeds) eine großangelegte internationale Studie durch, die angeblich als Ergebnis brachte, dass das verbreitete Anabolikum Dianabol selbst bei extem hohen täglichen Dosen von 100mg keine leistungssteigernde Wirkung hätte. Die Studie errang international eine hohe Aufmerksamkeit. Allerdings wusste Hervey nicht, dass sein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der Gewichtheber Tony Fitton, den Probanten die hohen Dosen ausgeredet, ihnen die Tabletten abgekauft und selbst weiter veräußert hatte.
(“The Godfather”, 17.03.2008)

Hinzu kommen Gefahren durch die illegale Herstellung. Da die meisten Produkte heute Schwarzmarktprodukte sind und aus dubiosen Quellen stammen, besteht zusätzlich eine Gefahr durch Verunreinigung und falsche Dosierung. Es wurde auch der Verdacht laut, dass langer Anabolika-Konsum Wegbereiter ist für eine spätere Abhängigkeit von Opiaten (Reuters, 24.3.2003).

2006 veröffentlichte Luitpold Kistler seine Doktorarbeit „TODESFÄLLE BEI ANABOLIKAMISSBRAUCH – TODESURSACHE, BEFUNDE UND RECHTSMEDIZINISCHE ASPEKTE„:

Insgesamt wurden 10 Personen mit gesicherter Anabolikaanamnese untersucht. Das  Alter der 10 Männer lag bei 28-45 Jahren (Mittelwert 33,7 Jahre). (…) Bei allen obduzierten Personen fand sich eine Herzhypertrophie mit einem Durchschnittsgewicht von 517g (423g-669g). Ferner konnten frische (n=5) und alte (n=4) Myokardinfarkte, chronisch-ischämische Myokardveränderungen (n=10) sowie eine Myokarditis (n=1) nachgewiesen werden. Die Koronararterien wiesen neben einer Arteriosklerose unterschiedlichen Schweregrades (n=9) in 2 Fällen thrombotische Verschlüsse auf. Im Bereich der A. carotis und der Aorta fanden sich gleichfalls arteriosklerotische Veränderungen.“

Kern schreibt zu Situation heute:

„Die Entwicklung von anabolen Steroiden mit immer kürzerer Nachweisbarkeitszeit hat den heutigen Spitzensport zu einem grotesken Katz- und Mausspiel zwischen Dopingfahndern und dopenden Sportlern verkommen lassen. Wird heute ein Athlet als positiv getestet, so ist das eher als „Dopingunfall“ zu werten, entstanden aus fehlerhafter Berechnung. Die Zahl der komplett „sauberen“ Athleten in den stark kraftsportbetonten Sportarten würde ich eher als gering einstufen. Antidopingkommissionen sind meist einen Schritt hinten nach, nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie unterschiedlich das Budget von Anabolika-Produzenten und deren Kontrolleuren ist.“

Ein schönes Beispiel für diese These ist der Fall der US-Radsportlerin Tammy Thomas (washingtonpost.com, 8.3.2003). Aber auch der jüngst sich entwickelnde Skandal um THG (Tetrahydrogestrinon) ein bekanntes, leicht verändertes Anabolikum, ein sog. Designer-Produkt, welches in den Laboratorien nicht entdeckt wurde, bestätigt Kern. Charlie Francis, ehemaliger Top-Trainer von Ben Johnson, beschreibt die Situation gut im Testosterone Magazine. Neue Designersteroide wurden im Oktober 2005 in Nahrungsergänzungsmitteln entdeckt (washingtonpost.com, 18.10.2005).

Beispielhaft für die Situation sich auch der Skandal um 11 griechische Gewichtheber/innen im Frühjahr 2008. Aus China wurde Methyltrienolon eingeführt, ein hochgefährliches in den 60 er Jahren entwickeltes Anabolikum, dem in Griechenland weitere Stoffe beigemischt wurden (Greece: doping scandal saves lives) .

Schwierig wurde die Diskussion auch dadurch, dass, wie im Falle des Anabolikums Nandrolon, unter Wissenschaftlern ein Streit gärt, wie viel und unter welchen Bedingungen der Körper selbst für eine erhöhte Nandrolonproduktion sorgt.

Helfen soll nun wieder das Steroidprofil im Rahmen eine Biologischen Passes. Bekannt ist hier der Blutpass, anhand dessen kontinuierlich notierte Blutparameter Aufschluss geben sollen über mögliche Anwendungen verbotener Mittel und Methoden. Ähnliches wird über Steroidparameter im Urin versucht. Diese Methode ist schon seit Jahrzehnten in der Diskussion. Insbesondere Manfred Donike versuchte hierüber bereits in den 1980er Jahren und insbesondere Anfang der 1990er Jahre Dopingnachweise zu anabolen Steroiden zu erhalten.

Seit 2014 ist das Steroidprofil Teil des Biologischen Passes. Siehe hierzu

>>> WADA: Athlete Biological Passport

Die Nachweisverfahren haben sich aber generell verbessert. So lassen sich Steroide 2016 über einen wesentlich längeren Zeitraum nachweisen, als noch vor wenigen Jahren, wodurch Nachtests von Proben früherer Jahre Nachweiserfolge versprechen. „So hat laut Mario Thevis die Analyse etwa bei Anabolika einen regelrechten Quantensprung gemacht: „Dass beispielsweise bei anabolen Steroiden die Nachweisbarkeit von wenigen Tagen auf mehrere Wochen bis sogar wenige Monate ausgeweitet werden konnte, was dann insbesondere bei den jetzt anstehenden und durchgeführten Nachtests zum Erfolg geführt hat“.“ (DLF, 22.5.2016)

Prohormone

Seit 1998 stehen auf den Antidopinglisten alle Prohormone, das sind die Vorstufen des körpereigenen Testosterons. Im Handel sind sie vor allem in den USA und Australien und über das Internet sind sie leicht bei uns zu erhalten. Die Wirkungen und Nebenwirkungen sind prinzipiell denen der anabolen Steoride vergleichbar, wenn auch deutlich geringer einzustufen. Obwohl sie bei uns verboten sind und offiziell nicht erworben werden können, werden sie im Freizeitsport und Fitnessbereich häufig empfohlen und angeboten.

Immer wieder werden auch Nahrungsergänzungsmittel gefunden, die Spuren von anabolen Steroiden und Prohormen aufweisen, daher ist davor zu warnen.

Beta-2-Mimetika / Beta-2-Agonisten

Diese Substanzen werden gelegentlich noch unter dem Begriff Anabolika genannt, aber im Allgemeinen werden sie unter dem Oberbegriff ‚anabole Wirkstoffe‘ aufgeführt. Die bekannten Namen sind Clenbuterol, Salbutamol und Terbutalin. Sie wurden für Asthmatiker entwickelt, Clenbuterol ist auch bekannt als Rindermastmittel, hier wird es verwandt um das „Vieh fleischiger und somit schneller schlachtreif zu machen.“ Nun schlachtreif sollen die Sportler nicht werden, aber sie profitieren davon, dass die Muskelmasse lange erhalten bleibt, besonders nach Steroidkuren, und eine fettverbrennende Wirkung entfaltet wird. Sie können auch eine Reihe von Nebenwirkungen hervorrufen wie Nervosität, Übelkeit Schwindel, Hyperglykämie, Blutdruckschwankungen u. Ä.. Bei Sportlern kann es so leicht zu einem Überlastungssyndrom führen, da der Körper durch die Dauerstimulation des sympathischen Nervensystem die notwendige Regeneration nicht bekommt.

Kraft- und Ausdauersport profitieren gleich, wobei im Ausdauersport die beste Zeit der Anwendung 2-3 Monate vor Beginn der Wettkämpfe liegt. Schon weil die Mittel sehr gut nachweisbar sind, vermeidet man ihre Einnahme während der Wettkampfzeit.

Im Sport dürfen sie bei nachgewiesener Asthmaerkrankung (ärztliches Attest, Eintrag in den Gesundheitspass) als Spray benutzt werden. 2017 gilt:

Salbutamol darf bis zu einer maximalen Dosis von 1600 µg pro 24 Stunden (je nach Präparat bis zu 8 Hübe bzw. bis zu 16 Hübe am Tag) inhaliert werden. Alle 12 Stunden dürfen maximal 800 µg Salbutamol (je nach Präparat bis zu 4 Hübe bzw. bis zu 8 Hübe am Tag) inhaliert werden.

2020: „Beta-2-Agonisten werden zur Behandlung von Asthma eingesetzt. Für ihre Anwendung muss je nach Zugehörigkeit zu einem Testpool ein Antrag auf Medizinische Ausnahmegenehmigung (TUE) gestellt werden. Die Wirkstoffe Salbutamol, Salmeterol und Formoterol können ohne eine Medizinische Ausnahmegenehmigung inhaliert werden.“ (NADAmed)

Ist das leistungssteigernde Potential dieser Medikamente, ebenso wie das der Corticosteroide, der Grund für die hohe Asthmatikeranzahl unter Hochleistungssportlern, handelt es sich um Gefälligkeitsatteste oder sind Sportler aus anderen Gründen verstärkt anfällig für diese Krankheit? Diese Fragen führen regelmäßig zu spannungsgeladenen Diskussionen. Eine 2020 veröffentlichte Übersicht und Auswertung von 34 Studien zur leistungssteigernden Wirkung von Beta-2-Agonisten (Asthmamittel) bei gesunden Sportler*innen führte zur Empfehlung, die Asthmamittel nur Sportler*innen mit Asthma zu gestatten: bmj Journals: Review: Can ?2-agonists have an ergogenic effect on strength, sprint or power performance? Systematic review and meta-analysis of RCTs, Pharmatzeutische Zeitung: Asthma-Medikamente steigern Kraft und Sprints

Wie hoch sind die zulässigen Konzentrationen? Über diese Frage kam es während der Tour de France 2002 zu heftigen Kontroversen zwischen Hein Verbruggen, dem UCI-Präsidenten und der Welt-Doping-Agentur WADA, nachdem bei Igor Gonzales de Galdeano eine Salbutamol-Konzentration festgestellt wurde, die nach den Anti-Doping-Bestimmungen der WADA nicht mehr zulässig und somit als Doping zu betrachten ist. Auch in Frankreich galt dieser Grenzwert aber nicht für die UCI, sie kannte keine Grenzwerte und der WADA-Code galt noch nicht verbindlich für die Verbände. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen UCI/Verbruggen und WADA/Pound. Galdeano wurde für in Frankreich für Rennen in Frankreich für 6 Monate gesperrt und Verbruggen gab wütend seinen Posten im Anti-Doping-Weltverband auf.

Ende 2017 führte der hohe Salbutamol-Befund von Christopher Froome für Aufregung. Während der Vuelta 2017, die er als Sieger beendete, wurde bei ihm eine Salbutamol-Konzentration weit über dem Grenzwert gemessen. Froome, von dem bekannt war, dass er angeblich unter Asthma leidet, beehauptete die Dosis hätte erhöht werden müsse , da es ihm sehr schlecht gegangen wäre, allerdings sei es unverständlich, warum der Urinwert so hoch ausgefallen sei. Die öffentlichen und medialen Reaktionen auf diesen Fall ließen jedoch erkennen, dass kaum jemand eine Dopingabsicht verneinte. Zumal im Falle von Salbutamol auch der Verdacht hinzu kommt, das Medikament könne als Maskierungsmittel eingenommen werden (Ross Tucker: Brief thoughts on Froome’s salbutamol result, ).

Jahr für Jahr gibt es im Hochleistungssport mehr Asthmatiker, die alle entsprechende ärztliche Atteste vorlegen können. Wer nun ist wirklich krank und wer nicht? Misstrauen ist immer dabei und wird auch offen ausgesprochen. (Haase et al, The influence of exercise and dehydration on the urine concentrations of salbut amol after inhaled administration of 1600 ?gsalbutamol as a si ngle dose in re lation to doping analysis).

WADA-Informationen zu Asthma, Asthmamedikamenten und medizinischen Ausnahmegenehmigungen (TUE):

WADA: HISTORICAL PERSPECTIVE: Asthma + TUE, 2014

WADA: Medical Information to Support the Decisions of TUECs – Asthma, 2019

Monika