Doping: 1978 Berendonk, Brigitte: Brutalisierung im Frauensport

Doping in der BRD- 1970er Jahre

Januar 1978 Vortrag von Brigitte Berendonk ‚Brutalisierung im Frauensport‘

Bereits 1969 versuchte Brigitte Berendonk, seit 1967 Mitglied der BRD-Nationalmannschaft und Olympiateilnehmerin, auf das sich immer weiter ausbreitende Doping mit anabolen Steroiden im Leistungssport hinzuweisen und warnte eindringlich vor den Folgen. Ihr Artikel in der Zeit >>> Züchten wir Monstren fand zwar viel Beachtung, doch an der Entwicklung änderte sich nichts. Nach den Enthüllungen rund um die Olympischen Spielen 1976 in Montreal brachte sie die verhängnisvolle Entwicklung erneut in einem Artikel >>> Der Sport geht über den Rubikon auf den Punkt. In der folgenden öffentlichen Debatte, die ihren Höhepunkt in der öffentlichen Anhörung des Deutschen Sportausschusses zum Thema Doping fand, konnte sie ihr Wissen (in schriftlicher Form) einbringen (>>> Protokoll).

Doch hatte Sie und alle anderen Dopinggegner, die nicht schwiegen, Erfolg? Offizielle Antidoping-Erklärungen der verschiedensten Ebenen und Gruppierungen des Sports sprachen sich im Laufe der Jahre 1977/1978 zwar vehement gegen Doping aus, doch die Praxis im westdeutschen Hochleistungssport der kommenden Jahre sah häufig anders aus.

Den folgenden Vortrag mit deutlichen Worten hielt Brigitte Berendonk im Januar 1978 vor Ärzten auf der Fortbildungsveranstaltung ‚Brutalisierung des Sports‘ des Westfälischen Sportärztebundes.

>> 1978_Brigitte Berendonk: Brutalisierung im Frauensport.pdf

Zitate aus dem Vortrag:

… Ein sehr viel schwerwiegenderes Problem ist natürlich der Kinder-Leistungssport, der besonders bei den Mädchen in einigen Disziplinen (Schwimmen, Turnen, Eiskunstlauf) die Regel geworden ist. Über die sozialen, psychischen und medizinischen Probleme dieser breitangelegten Drill-Aktionen, bei denen ja bestenfalls nur ein Mädchen von tausenden den Supererfolg erzielen kann, der solchen Kindheitsverlust und solchen Zwang – nach der Meinung vieler Leute – rechtfertigen könnte, ist schon viel geschrieben worden, auch von mir, – und wird auch von anderen Teilnehmern dieser Veranstaltung wohl sicher noch gesprochen werden. Einen Aspekt dieser Kinderdrills aber möchte ich hier doch wenigstens erwähnen, nicht zuletzt weil es zu meinem eigentlichen Thema überleitet. Das ist die irreversible Manipulation von Mädchen, die darin besteht, daß durch Gabe hoher Östrogendosen das pubertäre Größenwachstum gehemmt wird, was in den betreffenden Disziplinen eine Karriere verlängert, ja oft erst ermöglicht. Diese Behandlungen, – die ja auch durch die Propaganda einiger manipulationsfreudiger Kinderkliniker der breiten Öffentlichkeit so bekannt geworden sind, daß heute schon Väter in Kinderkliniken erscheinen und nach der Hormonspritze für ihre Töchter verlangen, bloß weil möglicherweise diese eine prognostizierte Größe von über 1,80 m erreichen, – diese Behandlungen gehören für mich in das Schreckenskabinett frankensteinscher Medizin, zur Fummelei am Menschen ohne sinnvolle Indikation, ohne – wie in diesem Falle besonders evident ist – auch nur halbwegs gesicherte Abklärung von Spät- und Nebenwirkungen.

Hierbei handelt es sich aber sicher noch um marginale Exzesse einiger in diesen Disziplinen besonders erfolgsfaschistischer Länder, ein auch durch Geheimhaltung und Konspiration vor der Sportöffentlichkeit noch weitgehend verborgenes Problem. Das ist bereits seit einigen Jahren anders bei der in breiter Front in den Frauensport eingebrochenen Praxis des Dopings mit androgenen anabolen Hormonpräparaten; ein Thema, dessen Behandlung Sie sicher von mir erwartet haben, und in der Tat das Thema, das ich zur Zeit für das bedrohlichste Problem im Frauensport halte, bei dem ich mich nicht zuletzt aber auch deshalb engagiere, weil ich selbst Disziplinen betrieben habe (Diskuswerfen, Kugelstoßen, Fünfkampf), die inzwischen fest in der Hand der mit solchen Präparaten hergestellten Inter-sexe sind. Anabolika-Doping ist aber keineswegs auf die – allen offenkundigen kraftbetonten Disziplinen beschränkt: nein, Anabolika, meine Damen und Herren, werden nachweislich auch im Sprint und im Sprung, bei Ruderinnen und Schwimmerinnen, und wer weiß wo inzwischen sonst noch, eingesetzt. Brutalisierung, inhumaner Zwang, Menschenmanipulation wird meines Erachtens nirgends so deutlich wie am Beispiel des Anabolika-Dopings bei Frauen.

Nach der polnischen Diskuswerferin Rosani (1976 bei den Olympischen Spielen) ist in diesem Jahr als bisher prominentester Fall die DDR Kugelstoßerin Ilona Slupianek-Schoknecht des Anabolikadopings- überführt worden. Dabei ist – bei dem unzureichenden Kontrollsystem – das Erwischtwerden allerdings 50 zufällig-ungerecht, daß einem diese 50 Angeprangerten fast schon wieder leid tun können.

Glaubt irgend jemand hier denn im Ernst, daß die anderen Stoßerinnen und Werferinnen der DDR, der Sowjetunion, daß Fibingerova und Eva Wilms keine Anabolika genommen haben?! Die Schadenfreude hierzulande, besonders bei den bundesdeutschen Sportjournalisten, über einen „Einbruch“ der DDR ist unangebracht, ist scheinheilig. Leichtathletinnen der Bundesrepublik haben ebenfalls Anabolika-Doping getrieben – und das z.T. auch offen eingestanden wie die Silbermedaillengewinnerin von Montreal, die Mainzer Sprinterin Annegret Boller-Kroninger. Die von mir in der Presse erhobenen Vorwürfe des Hormon-Dopings bei Frauen im DLV sind mir übrigens von dem wohl besten Kenner der deutschen Doping-Szene, dem Freiburger Sportmediziner Prof. A. Klümper (Freiburg), dem langjährigen Arzt vieler Athletinnen – u.a. auch von Eva Wilms – ausdrücklich, konkret und schriftlich bestätigt worden: „Ein ganz anderes Kapitel ist die Anabolikagabe an weibliche Athleten. Der Schilderung Ihrer Fälle – betr. Doping der Sprinterinnen und Werferinnen – habe ich nichts hinzuzufügen, auch nicht hinsichtlich der Erwähnung von Eva Wilms, Beatrix Philipp und dem zuständigen Trainer Gehrmann. Herr Gehrmann ist sicher das typische Beispiel des Trainers bzw. Verantwortlichen, der um jeden Preis Erfolg haben will.“ Das ist das Urteil eines Arztes des DLV über einen Trainer des DLV und über die Sportler in des Jahres 1977, das öffentliche Vorbild der sportbetreibenden Mädchen dieses Landes. Und mit dieser ärztlichen Erklärung, – die ja bereits bis an die Grenze des Schweigepflichtparagraphen § 300 geht, – die übrigens auch durch Aussagen anderer Ärzte im DLV-Bereich gestützt wird, sollte nun wohl auch das Märchen von den Leistungsexplosion der Eva Wilms durch die tolle anabole Nebenwirkung, die angeblich das von ihr favorisierte Antibabypillenpräparat enthalten soll, endgültig in das große Reich der albernen Ausreden und Ablenkmanöver verwiesen werden. Dieses Alibi-Märchen, das so breitwillig von Funk, Fernsehen und vielen Gazetten verbreitet worden war – und übrigens einen mißverstandenen SELECTA-Bericht 1973 über einen Vortrag des Münsteraner Pharmakologen Prof. F. Kemper als Grundlage hatte, ist inzwischen ja auch von einigen der namhaftesten deutschen Gynäkologen und Endokrinologen wie Prof. Lauritzen (Ulm) und Prof. Hammerstein (Berlin) als haltlos entlarvt worden (Medical Tribune 50, 20, 1977).

Wie verführt man Mädchen zum Doping? Wie die Sprinterin Annegret Boller-Kroninger bekannte, lief bei ihr die ganze Doping-Aktion in mehreren Stufen ab. Sie begann bezeichnenderweise mit Aufwärm- und Animiervortrag des aus der DDR gekommenen und offensichtlich den dortigen Dopingpraktiken sehr stark nachtrauernden – Dr. A. Mader (Sporthochschule Köln) an, der eigens dazu – privatissime und gratis (?) nach Berlin kam. (Bei solchen Aktionen ist Dr. Mader offensichtlich von seinem Chef, Prof. W. Hollmann, gedeckt, der derweil im Hintergrunde seine Hände in akademischer Unschuld waschen kann.) Die beabsichtigte Wirkung wurde dann auch prompt erzielt: Annegret Kroninger war bereit, zur Droge zu greifen, und ließ sich Dianabol verschreiben. Daß bei dieser Athletin anschließend – alleingelassen – in der Universitätsklinik Mainz verschlechterte Leberfunktionswerte registriert wurden, interessierte dann schon keinen mehr. Nach Erklärungen des Vorsitzenden des zuständigen DLV-Landesverbundes Rheinhessen, Willi Oehlenschläger, haben hohe DLV-Funktionäre von diesen Aktionen gewußt, und DLV-Leistungsreferent Blattgerste und DLV-Vizepräsidentin Ilse Bechthold haben versucht, die Athletin zum Stillschweigen darüber zu bewegen.

Das Hormon-Doping bei Frauen müßte allein schon wegen der bekannten teratogenen Wirkung dieser Substanzen verboten sein: Wer wollte denn wirklich Mißbildungen der Leibesfrucht einer aktiven Sportlerin verantworten? Und tiefgreifende Mißbildungen – genitale wie Schamlippen-Verwachsungen und Klitoris-Hypertrophien bis zur Bildung eines Pseudo-Penis, aber auch nicht-genitale – sind bei der Zufuhr androgener Hormonpräparate in der Schwangerschaft ab der 3. Woche in der Literatur in Vielzahl beschrieben worden, sind eigentlich unausweichlich.

Spätestens heute ist klar, daß auch in unserem Land der Frauensport in einigen Disziplinen unter Doping-Zwang geraten ist. Das zum Werfen begabte Mädchen, das zu einem Nachwuchslehrgang fährt, muß wissen, daß man von ihr die Bereitschaft zum Anabolika-Doping geradezu erwartet: „Wie, du nimmst keine Anabolika? Dann bist Du selbst schuld, wenn du es nicht schaffst!“ So ein hoher DLV-Funktionär bei der Olympia-Qualifikation 1976 zu Liesel Westermann. Es ist nun genau das eingetreten, was der frühere Kugelstoßtrainer der Frauen, Gymnasialprofessor H.J. Kofink, bereits im August 1972 in seinem Protest- und Kündigungsschreiben an den DLV und das Nationale Olympische Komitee schrieb: „Sie werden die Verantwortung dafür zu tragen haben, wenn … der Anabolika-Mißbrauch auch auf Mädchen übergreifen wird. Ich finde die Haltung des NOK ausgesprochen zynisch.“ Eine inzwischen erfÜllte Prophezeiung!

Irgendwann dämmert vielleicht auch bei den Athleten die Erkenntnis, daß sie inzwischen längst Objekte einer pharmakogenetischen Selektion geworden sind. Wie kornisch-verzweifelt wirkt doch die Klage eines bekannten Kugelstoßers: „Bei mir schlägt das Zeug nicht richtig an!“ Oder, wie bei der Sportgerichtsverhandlung gegen Walter Schmidt herauskam, ist K.-H. Riehm nicht zuletzt deshalb der beste Hammerwerfer, weil, so ein Ausspruch des DLV-Trainers Leverkühne, bei ihm „die Anabolika- Wirkung am besten“ ist? Nicht nur Talent und natürliche Trainierbarkeit, sondern das Ansprechen auf bestimmte Drogen bestimmt heute vielfach den Erfolg. Umgekehrt muß jemand, der gegen solche Dopingmittel besonders empfindlich ist (gerade bei synthetischen Steroidhormonen ist das ja bekannt), heute jede Hoffnung auf Olympische Spiele und dergleichen hohe Ziele von vornherein fahren lassen. Drogenverträglichkeit ist gefragt, eine besonders makabre Komponente des manipulierten Spitzensports.

Der stille Zwang zum Doping hat auch noch eine nicht unwichtige psychisch-moralische Konsequenz für den einzelnen Sportler: er muß lügen! Die Lüge wird von Staat und Verband geradezu von ihm erwartet. Die Courage jener Athleten, die sich selbst bezichtigen, wurde nicht anerkannt, weder von den Verbänden, noch von ihren Kameraden. Die von Manfred Ommer, Uwe Beyer und Walter Schmidt wohl erwartete Solidarisierung und Ehrlichkeit blieben aus: Feigheit und Opportunismus dominierten.

Die „öffentlichen Bekenner“ wurden vielmehr als Dissidenten geächtet, von der schweigenden, weiter dopenden Mehrheit ihrer Kameraden und von ihrem Verband verhöhnt und mit sportrechtlichen Strafverfahren überzogen. Der DLV brachte nach der ersten Diskussionsrunde im ZDF seine Nationalmannschaftsmitglieder durch einen Stillschweigeappell-Brief auf Vordermann. … Es ist grotesk, wenn ein Weltmeister und Vorbild der Jugend wie der Gewichtheber Rolf Milser vor den Fernsehkameras die Anabolika-Einnahme abstreitet, während sein Sportarzt sich kopfschüttelnd-besorgt über seine schlechten Leberfunktionswerte äußert. Wer zum Beispiel geneigt war, dem Olympiasieger im Diskuswurf MacWilkins sein leicht errötendes „Nein“ auf die Frage des ZDF-Sportstudiomoderators, ob er „das Zeug“ nehme, zu glauben, sollte eben auch zunächst die Schilderung des Experten Prof. Klümper kennen: „MacWilkins selbst flüchtete aus Montreal in unser Trainingslager nach Trois Riviers, weil er Angst hatte, daß er in einer Voruntersuchung eventuell der Einnahme von Dopingmitteln überführt werden könnte.“

Der Schwall von Versprechungen, Grundsatzerklärungen, Anti-Doping-Charten etc., der von Sportverbänden, staatlichen Stellen, dem deutschen Sportärztebund, dem NOK und wem sonst noch alles – im letzten Jahr abgelassen wurde, hat sich längst als unglaubhafte – weil unverbindliche – Verbalaktion, ja geradezu als Verdeck- und Ablenkmanöver herausgestellt. Die Lage sieht heute so aus: Die Schotten sind wieder dicht, und es wird kräftig weitergedopt! An die bekannten Doping-Sünder und ihre Beihelfer traut man sich – wegen des Drecks am eigenen Stecken – nicht heran! Die sogenannten Kontrollen – so lächerlich wirkungslos, wie sie z.Z. durchgeführt werden – sind eine einzige Farce. Man hat (das läßt ’sich leicht bezeugen, meine (Damen und Herren) längst ein Informationssystem geschaffen, in dem jedem Beteiligten hierzulande bekannt gemacht worden ist, welche Mittel nachzuweisen sind und wielange sie vor dem Wettkampf abzusetzten sind: Ein Verfahren, das Verbandssportärzte wie Prof. Keul schon vor Jahren – Manfred Ommer hat es via Fernsehen der Nation geschildert – praktiziert haben: Absetztermine – vom Sportarzt der versammelten Mannschaft durchgegeben – in Anwesenheit der – in der Öffentlichkeit so unschuldig tuenden Verbandsfunktionäre: Schmiere stehen, meine Damen und Herren, Mithelfen beim Betrug: ganz neue Aspekte für die moderne sportmedizinische Tätigkeit!

Solange der harte Kern der Doping-Promoter weiter im Amt ist, solange das ganze System, einschließlich der geldgebenden Ministerien wie dem Bundesinnenministerium, zwar sehr wohl vom Hormen-Doping weiß, das bewiesenermaßen zum Teil sogar auf illegalem Wege – d.h. unter Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz vor sich geht; solange man also wissend, aber duldend, schützend, ja sogar fördernd die Hand darüber hält, solange auch der Kreis der national-opportunistischen Doping-Sympathisanten im Sportjournalismus dominiert, solange besteht auch keine Hoffnung, daß sich hier etwas ändert.

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