2011 Offene Briefe Dopingopfer betreff Hall of Fame

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2011 Briefwechsel zur Aufnahme ehemaliger DDR-Sportler in die Hall of Fame

Im April 2011 legte die Deutsche Sporthilfe eine neue Liste vor mit Sportlern, die in die Ruhmeshalle des Deutschen Sports der Hall of Fame am 20. Mai 2011 aufgenommen werden könnten.

Kandidaten sind u. a. Renate Stecher und Täve Schur, ehemalige höchst erfolgreiche und populäre DDR-Sportler.

Eine Gruppe anerkannter DDR-Dopingopfer*, wandten sich im April 2011 gegen diese Auswahl mit einem Offenen Brief. Die Deutsche Sporthilfe antwortete (der Brief liegt mir nicht vor). Ein zweiter Brief der Opfer folgte Anfang Mai.

*darunter: Andreas Krieger, Ute Krieger-Krause, Uwe Trömer, Bernd Richter, Yvonne Gebhardt, Brigitte Michel, Bernd Michel, Dagmar Kersten, Marie-Katrin Kanitz, Ines Geipel und Frank Hoffmeister (ehemaliger geförderter Sportler)

Der Briefwechsel:

1. OFFENE BRIEF AN DIE STIFTUNG DEUTSCHE SPORTHILFE IM HINBLICK AUF KANDIDATEN FÜR IHRE HALL OF FAME, 28.4.2011.PDF

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie Medien berichten, werden Sie am 20. Mai die neuen Kandidaten für Ihre Hall of Fame vorstellen. In diesem Zusammenhang sind, wie auch gemeldet, die beiden ehemaligen DDR-Athleten Renate Stecher und Täve Schur im Gespräch. Wir, eine Gruppe von DDR-Dopinggeschädigten, protestieren mit Nachdruck gegen diese Kandidaturen und fordern Sie zur Revision auf. Sicherlich steht die offizielle Leistungsbilanz der beiden DDR-Sportstars zunächst außer Frage. In Ihrem Stiftungs-Selbstverständnis für die Hall of Fame schreiben Sie jedoch, dass es Ihnen um ein „bleibendes Forum für Persönlichkeiten, die durch Leistung, Fairplay und Miteinander Vorbild geworden sind“, gehen würde. Dies scheint uns bei beiden auf keinen Fall gegeben.

So existiert in Zusammenhang mit Renate Stecher, geborene Meissner, beispielsweise wie im DLF vom25. 4. 2011 berichtet, ein früher Beleg in Sachen Dopingmissbrauch. Dr. Manfred Höppner alias IM „Technik“, seit 1974 zentraler Dopinginszenator im DDR-Sport, berichtete am 1. Oktober 1970 gegenüber seinem Führungsoffizier Neudel: „Die Anwendung von Anabolika erfolgt versuchsweise fast in allen Klubs natürlich nur bei einem ausgesuchten Personenkreis … Die Durchführung derartiger Versuche wurde mit dem Vizepräsidenten des Deutschen Turn- und Sport-Bundes der DDR, Genosse Orzechowski, abgesprochen und durch diesen genehmigt. In den nächsten Tagen erfolgt eine nochmalige Vergatterung der entsprechenden Ärzte … Indiskretionen erfolgen auch durch die Ärzte selbst, um offensichtlich ihr eigenes Prestige zu erhöhen und sich selbst interessant zu machen. So hat zum Beispiel Dr. Johannes Roth in der Bezirksleitung Gera der SED zum Ausdruck gebracht, dass die Renate Meissner und Wolfgang Nordwig nicht solche Leistungen vollbracht hätten, wenn er diese nicht mit entsprechenden Medikamenten versorgt hätte.“ Eine Praxis, die durch Aussagen ehemaliger Athleten aus der Sprint-Phalanx des SC Motor Jena bekannt ist, jedoch bis heute von Renate Stecher selbst strikt geleugnet wird. Wir fragen: Ist es legitim, dass eine Athletin Eingang in Ihre Ruhmeshalle erhält, die ihre vergiftete Vergangenheit so kategorisch verleugnet? Wie ist es zu erklären, dass die Deutsche Sporthilfe die über viele Jahre geleistete Aufarbeitung zum DDR-Sport und die unleugbare Aktenlage ohne mit der Wimper zu zucken derart hintergeht?

Was Täve Schur angeht, ist er so viel hochdekorierter Sportheld wie zentrale Propagandafigur des kriminellen DDR-Sports. Von 1959 bis 1990 saß er als Abgeordneter in der Volkskammer der DDR. Nach 1989 war er sportpolitischer Sprecher der SED-Nachfolgepartei PDS. Als es um die Klärung der schweren Hypotheken des DDR-Sports ging, war er im Bundestag eine unmissverständliche Stimme, die gegen die Aufklärung des Körperlaboratoriums DDR wie gegen eine Entschädigung der Opfer des DDR-Sports votierte. Wir fragen: Ist ein notorischer Geschichtsverleugner der richtige Kandidat für Ihre Ruhmeshalle? Wie kann der deutsche Sport seine Zukunft gewinnen, wenn er Personen inthronisiert, die das kriminelle Tun im DDR-Sport derart banalisieren und die Opfer kalt diskreditieren?

Ihre Entscheidung in der Causa Stecher/Schur ist ein Irrweg. Verhindern Sie, dass Ihre Hall of Fame einmal mehr durch völlige Geschichtslosigkeit implodiert.

Mit freundlichen Grüßen

Eine Gruppe von DDR-Doping-Opfern, darunter: Andreas Krieger, Ute Krieger-Krause, Uwe Trömer, Bernd Richter, Yvonne Gebhardt, Karen König, Brigitte Michel, Bernd Michel, Dagmar Kersten, Marie-Katrin Kanitz, Ines Geipel

Berlin, den 28.04.2011

ANTWORT DER DEUTSCHEN SPORTHILFE

Die Süddeutsche Zeitung berichtete über die Antwort der Deutschen Sporthilfe und zitierte aus dem ebenfalls Offenen Brief von Werner Klatten, dem Vorsitzender des Kuratoriums, und dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Michael Ilgner:
SZ, 5.5.2011: ‚Es ist schwer, gerecht zu werten‘

Zitate aus dem Artikel:

„… ‚Unseres Ermessens nach fällt es vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts sehr schwer den Anspruch zu erheben, abschließend gerecht, ehrlich und fair zu werten. Wir selbst wollen diesen Anspruch zumindest nicht erheben.‘ Die Sporthilfe erklärte zwar, sie behalte sich vor, die Jury-Entscheidung auf Basis wissenschaftlicher Expertisen nachträglich auch zur Revision vorzulegen. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand gebe es allerdings zu keinem der 23 Kandidaten auf der Vorschlagsliste personifizierte, justiziable Belege für Verfehlungen, die einer Kandidatur widersprochen hätten. Die Dopingopfer hatten in ihrem Schreiben auf entsprechende Belege verwiesen.

‚Geschichtslos wäre es (…), die Erinnerung an die erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen und Sportler aus Ost und West aus Furcht vor kontroversen Diskussionen nicht aufzubereiten.‘ Weite Passagen des Textes sind indes getragen von einem gewissen moralischen Fatalismus. Nach Ansicht von Klatten und Ilgner reflektiere sich die Haltung eines Sportlers im Wettkampf nun einmal nicht unbedingt in seinem ganzen Leben. So hätten beispielsweise auch die bereits in die Hall of Fame aufgenommenen Willi Daume und Josef Neckermann ‚in den Augen mancher biografische Flecken‘. Gemeint ist damit: ihre NSDAP-Mitgliedschaft. Ihre späteren Leistungen hätten sie jedoch zu Symbolfiguren des deutschen Sports und der Gesellschaft gemacht. …“

ZWEITER OFFENER BRIEF AN DIE STIFTUNG DEUTSCHE SPORTHILFE IM HINBLICK AUF KANDIDATEN FÜR IHRE HALL OF FAME, 6.5.2011.PDF

Betreff: Zweiter Offener Brief an die Stiftung Deutsche Sporthilfe im Hinblick auf Kandidaten für Ihre Hall of Fame

An die Stiftung Deutsche Sporthilfe
Otto-Fleck-Schneise 8
60528 Frankfurt/Main
Berlin, den 6. Mai 2011

Zweiter Offener Brief an die Stiftung Deutsche Sporthilfe im Hinblick auf Kandidaten für Ihre Hall of Fame

Sehr geehrter Herr Klatten, sehr geehrter Herr Dr. Ilgner, sehr geehrte Damen und Herren,

ohne Frage begrüßen wir den Aufbau der „Hall of Fame des deutschen Sports“. Sie könnte ein moderner Symbolraum werden, eine notwendige Orientierung für Sport und Gesellschaft, gerade aufgrund der schweren Hypotheken des deutschen Sports. Aber es wird wohl nicht die Lösung sein, wie in Ihrer Replik vom 4. 5. 2011 auf unsere Kritik des Ruhmes-Projekts formuliert, dabei den Sport-Helden gegen den Fairplay-Sportler auszuspielen. Das ließe man sich vielleicht noch vom Deutschen Olympischen Sportbund oder einem Sportverband gefallen. Für die Deutsche Sporthilfe mit ihrem Ethikkodex aber wäre das klar das falsche Signal und bedeutete die Preisgabe ihrer Charta.

Für Ihr so schönes wie ernstes Vorhaben ist diese strategische Nebelkerze außerdem noch mehr als unpassend. Eine Ehrenhalle ist eine Ehrenhalle und keine Hexerei. Die Kriterien für diesen Ort sind von Ihnen klar bestimmt worden. Sportliche Leistung, Fairplay, Haltung und Vorbild gehören hier kategorisch zusammen. Und welchen Grund sollte es auch geben, diese eben nicht allein aufs Sieg-Programm ausgerichtete Messlatte nun ohne Not fallen zu lassen?

Neben dem Grundsätzlichen bleiben nach Ihrem Schreiben aber noch ein paar andere Fragen: So halten Sie in einem Punkt fest, dass Ihre Vorschlagsliste „Ergebnis einer breiten Umfrage unter den deutschen Spitzensportverbänden und Sport-Journalisten“ gewesen sei. Was aber haben die an diesem Prozedere Beteiligten als echte Informationen zu den Kandidaten an die Hand bekommen? Genauer: Auf welcher Informationsbasis wurde Ihre Vorschlagsliste letzten Endes abgenickt?

Und warum ist unser konkreter Einspruch aus dem ersten Offenen Brief, bei dem es um Täve Schur und Renate Stecher ging, nicht konkret aufgenommen worden? Um in Sachen DDR-Sport nicht immer wieder bei minus Null anzufangen: Es ist unnötig, uns über „Brüche“, „menschliche Verstrickungen“ oder „Irrtümer“ aufzuklären. Wir haben in der DDR gelebt. Wir wissen um Zwangsbindungen und durchbrochene Lebensgeschichten. Es geht nicht um die Diskreditierung einzelner, auch nicht um so etwas wie reine Leere, sondern endlich um das Wahrnehmen längst berichteter historischer Fakten.

So existieren beispielsweise etliche Belege zum frühen Friedensfahrt-Doping. Etwa berichtete der Schwimmverbandsarzt Lothar Kipke (Deckname „Rolf“) der Stasi, dass die Erfolge der „Sportler Schur und anderer nicht erstrangig im sportlichen Können zu suchen sind, vielmehr in den durch Dr. Israel erfolgreich angewandten Methoden des Dopings.“ Neben der fragwürdigen sportlichen Spitzenleistungsbilanz von Täve Schur bleibt es dann umso rätselhafter, warum ausgerechnet ein Vollblutpropagandist und Denunziant, der mehr als drei Jahrzehnte in der Volkskammer der DDR mitwirkte, noch heute den Mauerbau 1961 und den Einmarsch der Sowjets 1956 in Ungarn emphatisch befürwortet, dem Geheimdienst zuarbeitete, sich vehement gegen die Aufklärung des kriminellen DDR-Sports stark machte und dessen Opfer kalt verhöhnt, nun unbedingt Eingang in die Ruhmeshalle des deutschen Sports finden soll.

Bereits 1997 wurde durch die Stasi-Akte von Klaus Huhn, alias „Heinz Mohr“, Treff vom 25. 08. 1961, öffentlich, dass der Radelmeister Täve Schur seinen damaligen Sportkollegen Klaus Ampler der geplanten DDR-Flucht verdächtigte. Ampler wurde daraufhin vor den Weltmeisterschaften 1961 in der Schweiz aus der DDR-Mannschaft ausgeschlossen. Eine fingierte Krankheit wurde zum offiziellen Grund für Amplers Startverzicht.

Im Zusammenhang mit Renate Stecher sind neben dem Stasi-Bericht Manfred Höppners alias IM „Technik“ vom 1. 10. 1970, in dem auf den Dopinggebrauch der Spitzensprinterin Stecher verwiesen wird, noch die Auskünfte des Trainingskollegen Michael Droese im „Spiegel“ vom 13. 4. 1998 als Belege von Belang. „Dass alle die Tabletten nehmen mussten, sei schlimm genug gewesen. Doch dass einige wie die dreimalige Olympiasiegerin Stecher die Dreistigkeit besäßen, alles abzustreiten, erzürnt ihn maßlos: `Wir haben doch darüber geredet.`“ Psychologisch unschwer nachzuvollziehen, weigert sich ein Großteil der ostdeutschen Siegercrew bis heute anzuerkennen, dass auch sie Betrogene des DDR-Zwangssystems waren. Doch wird nicht genau diese Art Verleugnung zum kompletten Fehlschuss für Ihre Ruhmeshalle? Was soll Ihr wertvolles Unterfangen werden – eine spezielle Versammlung der Antistimmen von sportlicher Leistung, Fairplay, Haltung und Vorbild?

Natürlich sind wir bereit, den begonnenen Disput in einem persönlichen Gespräch fortzuführen. Gern auch darüber, ob die Deutsche Sporthilfe eine Möglichkeit sieht, die behinderten Kinder des DDR-Sports – ein Erbe des Zwangsdopings – nachhaltig zu betreuen. Es muss ja vielleicht kein Gesetz bleiben, dass Ihr Herz allein für die Goldkinder des Sports schlägt.

Mit freundlichen Grüßen

Eine Gruppe von DDR-Doping-Opfern, darunter: Andreas Krieger, Ute Krieger-Krause, Uwe Trömer, Bernd Richter, Yvonne Gebhardt, Brigitte Michel, Bernd Michel, Dagmar Kersten, Marie-Katrin Kanitz, Ines Geipel und Frank Hoffmeister(ehemaliger geförderter Sportler)