Journalismus und Doping:
Team Telekom und Doping: Skandalaufdeckung im Zwielicht

Im Artikel „Doping – Warum Sportreporter immer wieder die falschen Fragen stellen – und deshalb die falschen Antworten bekommen“, äußerte sich Ralf Meutgens kritisch über die häufig verharmlosende und oberflächliche Berichterstattung seiner Kollegen in Sachen Doping.

Aber auch der enthüllende, skandalaufdeckende Journalismus muss hinterfragt werden.

Am 12.6.1999 veröffentlichte der Spiegel Recherchen, die das Team Telekom mit teaminternem Doping in Verbindung brachten: „Die Werte spielen verrückt“ . Der Verlag bekam daraufhin große Probleme mit dem Team und der Staatsanwaltschaft. Nach den Doping-Enthüllungen ab dem Jahr 2006 schienen die im damaligen Artikel aufgestellten Behauptungen den Spiegel nachträglich zu rechtfertigen.

Doch es bestehen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der damaligen Recherche. Bereits am 22.2.2000 berichtete Ralf Meutgens in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von einem zweifelhaften Umgang mit einem der Hauptzeugen des Spiegels und von dem Bedarf angepassten Beweisen, Artikel s. u.:
FAZ: Die große Informantenverbrennung.

Eine umfassende Darstellung der Kontroverse zwischen Spiegel und Meutgens ist hier nachzulesen:
>>> anstageslicht.de: Die Informanten-Verbrennung, 13.11.2005

Siehe auch message-online.com: »Es waren keine Spekulationen«
message-online.com: Meutgens »Ein regelrechter sportjournalistischer Wahn«


Team Telekom und Doping, 2005

Der „Spiegel“ vor Gericht: Was die Zeitschrift unternahm, um einen Sportskandal zu inszenieren

Können Sportjournalisten noch in den „Spiegel“ schauen?

Die Frage ist spätestens seit den Vorkommnissen um einen vermeintlichen Düsseldorfer Doping-Dealer und nach den Artikeln über das vermeintliche Doping im Team Telekom, die den Sportzirkus im vergangenen Sommer bewegt haben, berechtigt. Als die Affären im Radsport im Juni des vergangenen Jahres dem Höhepunkt entgegensiedeten, wollte jeder der Erste sein, die Saubermänner vom Team Telekom vom Rad zu holen. Der „Spiegel“ hatte schließlich die Geschichte, hinter der alle her waren: Unter dem Titel „Die Werte spielen verrückt“ erschien am 14. Juni 1999 ein Artikel, dessen Tenor die Unterzeile zusammenfasste: „Im dopingverseuchten Radfahrer-Metier gab sich das Team Telekom als Oase des sauberen Sports. Jetzt bröckelt die Fassade. Aussagen und Unterlagen von Mannschaftsmitgliedern zeigen, dass auch Telekom-Fahrer nicht ohne die illegalen Schnellmacher auskamen.“

Mit dieser Geschichte, die auf den ersten Blick überzeugend anmuten konnte, fing sich der „Spiegel“ eine Gegendarstellung des Telekom- Radrennfahrers Jan Ullrich ein, für die das Blatt mehr als eine Spalte seines wertvollen redaktionellen Raumes opfern musste. Und an diesem Donnerstag wird vor dem Frankfurter Landgericht darüber verhandelt, was von den Vorwürfen des „Spiegels“ übrig bleibt. Eine einstweilige Verfügung gegen die damals erhobenen Vorwürfe hat der „Spiegel“ bislang nicht angefochten. Nun geht es dem „Team Telekom“ darum, die erwirkte Unterlassungerklärung zu bestätigen und eine Richtigstellung nebst Schadenersatz zu erwirken. Die einst sensationell aufgemachte Geschichte hat allen Glanz verloren. So geht es zu im Leistungssport Journalismus.

Spenden vom „Spiegel“

Die Vorgeschichte des vermeintlichen scoops begann ein Jahr vor der Publikation, Mitte 1998: Dieter Quarz, 32, aus Düsseldorf, ein Diplom- Trainer für Radsport und diplomierter Chemiker, engagiert sich seit langem im Kampf gegen Doping. Durch sein Vertrauensverhältnis zu zahlreichen Radsportlern wurde es ihm möglich, über Jahre die Praxis der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten im Radsport zu dokumentieren und zu analysieren, um über die daraus resultierenden Gefahren aufzuklären. Auch mit wissenschaftlich ausgerichtetem Training bemüht er sich, der Dopingmentalität im Radsport entgegen zu wirken. Sein Fachwissen und seine Verbindungen stellt er unter anderem der Redaktion des Fernsehmagazins „Monitor“ zur Verfügung, die – wie viele andere auch – Recherchen über Doping im Radsport anstellt. Durch diese Sendung wird Professor Werner Franke vom Deutschen Krebsforschungs-Zentrum (DKfZ) in Heidelberg – auch er Zeuge und Ankläger des Dopingmissbrauchs -, auf den jungen Mann aufmerksam, der sich im Hintergrund hält, aber offenbar großes Insiderwissen über die Radsportszene besitzt. Franke lädt Quarz zu einem „vertraulichen Vier-Augen-Gespräch“ nach Heidelberg ein. Er wolle ihn „aus dem Sumpf des Radsports herausholen“, sagt Franke, und ihm eine „berufliche Existenz sowohl im Wissenschafts- als auch im Sportbereich ermöglichen“. Derart geködert fährt Quarz im August 1998 tatsächlich nach Heidelberg. Doch das avisierte vertrauliche Gespräch ist keines, denn der Diplom-Trainer wird nicht nur von Professor Franke, sondern noch von zwei weiteren Herren erwartet. Der Professor hatte sich mit dem „Spiegel“ kurzgeschlossen. Quarz wird schnell klar, dass man ihm falsche Versprechungen gemacht hat. Was der Professor und der „Spiegel“- Redakteur Udo Ludwig ihm vorschlagen, hat mit einer abgesicherten beruflichen Zukunft nichts zu tun. Sie suchen einen Informanten, den Informanten, der das Team Telekom belastet. Erkenntlich zeigen will sich der „Spiegel“, von dem inzwischen jeder weiß, wie spendabel er sein kann, durch eine Umwegfinanzierung: Nicht Quarz direkt soll Geld erhalten, sondern das Deutsche Zentrum für Krebsforschung eine großzügige Spende. Ums Spenden geht es nicht nur in der Politik.

Dafür soll – wen wundert’s – das Material, das Quarz über Doping im Radsport gesammelt hat, den Weg zum „Spiegel“ finden. Der Betroffene, für den unklar bleibt, was zu seinem Wohl der Handel erbrächte, findet schnell den Weg zur Tür. Die Herren haben zwar einiges von seinem Material gesehen, doch ließ sich durch die von ihm vorgelegten Aufzeichnungen eine eindeutige Verbindung zwischen Doping-Vergehen und dem Team Telekom nicht herstellen. Bei diesem Treffen handelte es sich um den üblichen Versuch, einen Informanten „einzukaufen“. Das räumt der „Spiegel“-Redakteur Ludwig auf Nachfrage freimütig ein. Es „wäre zu viel für Franke gewesen“, den Doping-Rechercheur Quarz für sich zu gewinnen, sagt er, und: „Es war klar, dass der ,Spiegel‘ hier finanziell aushelfen musste.“ Allein, der Informant wollte nicht.

Quarz‘ Material, oder zumindest ein Teil davon, fand dann aber doch noch auf dubiose Weise den Weg zum „Spiegel“. In der Geschichte über das Team Telekom nämlich, der die große Gegendarstellung folgte, tauchten als vermeintlicher Beweis für Doping beim Team Telekom Medikationspläne von Radfahrern auf, als deren Urheber Insider Dieter Quarz erkennen. Die Grafik eines Hämatokrit-Verlaufs kann einer der betroffenen Fahrer, wie er auf Nachfrage erklärt, als die Aufzeichnung seiner Werte erkennen, von der nur der von zahlreichen Radsportlern als Vertrauensmann geschätzte Quarz wusste.

Herangekommen waren die „Spiegel“-Redakteure Udo Ludwig und Matthias Geyer an diese Unterlagen bei einem zweiten Treffen mit Dieter Quarz, in das dieser einwilligte trotz der unerfreulichen Begegnung in Heidelberg. Man traf sich am 8. Juni 1999 in Düsseldorf, eine Woche, bevor die umstrittene „Spiegel“-Geschichte erscheinen sollte. Es gehe ihnen lediglich um die „wissenschaftliche Absicherung zu einem Artikel über Doping im Radsport“, hieß es. Quarz, der ein sehr gutgläubiger Mensch ist, gibt den Redakteuren Material aus einem Vortrag über ebendieses Thema mit. Es geht darin in Fallbeispielen ums Doping, es sind aber keinerlei konkrete Zuordnungen zu einzelnen Fahrern oder Teams enthalten. Wenig später bekommt Quarz ein Manuskript eines Artikels zu sehen, der im „Spiegel“ hernach erscheinen soll. Auch das mag ihn verärgern, es muss ihn aber nicht stutzig machen, denn er weiß nichts von dem Zusammenhang, den der „Spiegel“ durch „seine“ Grafiken, eigene Bildunterschriften und Andeutungen im Text im Hinblick auf das Team Telekom konstruiert. Eine der Grafiken etwa wird vollkommen falsch untertitelt: Die „Winterkur“ eines vermeintlichen Telekom-Fahrers ist in Wirklichkeit ein authentisches Beispiel für einen Medikationsplan, wie er in Trainingslagern fernab der Heimat von Radprofis befolgt wird. Nur eine solche neutrale Darstellung hat Quarz autorisiert, falls das Magazin auf seine Angaben zurückgreifen sollte. Im Gespräch mit den „Spiegel“-Redakteuren fordert er Änderungen an dem Manuskript, doch seine Einwände werden ignoriert. Er hat keine Macht mehr über sein Material. Doch seine Bereitschaft, den „Spiegel“ mit Informationen zu versorgen, wird Quarz noch übler vergällt.

Am Tag nach der Veröffentlichung des „Spiegel“-Artikels über Doping und das Team Telekom, am 15. Juni 1999, brechen Kriminalbeamte auf Geheiß der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft aufgrund einer Anzeige von Professor Franke aus Heidelberg die Wohnung von Quarz auf und nehmen dessen Aufzeichnungen nebst PC und Notebook zur Beweissicherung mit. Er wird nun selbst verdächtigt, etwas mit Doping zu tun zu haben. Franke hatte die Anzeige gegen Quarz am 7. Juni aufgesetzt, einen Tag bevor dieser Besuch von den „Spiegel“-Redakteuren Ludwig und Geyer erhalten hatte. Franke erhob, wie er auch in einem Rundfunk-Interview sagte, den Vorwurf, Quarz habe gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen und mit Dopingmitteln gehandelt. Der Informant, den man zur Mitarbeit nicht gewinnen konnte, der akribische Doping-Aufklärer, der bei einer dubiosen Sache nicht mitmachen wollte, sieht sich nun also denunziert als Doping- Dealer.

Während solchermaßen gegen Quarz ermittelt wird, setzt der „Spiegel“ auf seine Weise nach: Für die nächste Ausgabe des Magazins kündigen Agenturen die Fortführung der Berichterstattung über „Doping im Team Telekom“ an. Diese sollte unter anderem in einem Interview mit Quarz bestehen, das ebenfalls unter äußerst dubiosen Umständen zustande gekommen wäre: Aus Quarz‘ wissenschaftlichen Einlassungen über das Doping bei dem Treffen mit den „Spiegel“-Redakteuren in Düsseldorf hatte man auf die Schnelle einen Text gebastelt, der wiederum vorrangig „Doping im Team Telekom“ zum Thema hatte. Damit hätte sich Quarz tatsächlich der Staatsanwaltschaft als Zeuge der Anklage oder Mitwisser dunkler Machenschaften empfohlen. Bis jetzt hatte er übrigens weder von Franke die Fahrtkosten nach Heidelberg noch vom „Spiegel“ ein Informations-Honorar erhalten, sich dafür aber eine Menge Ärger, nicht nur mit den durch die Polizei erschreckten Nachbarn, eingehandelt.

Ein Treffen in Hamburg

Nach all den vernichtenden Erfahrungen mit dem Hamburger Magazin bekam Quarz noch einmal Besuch vom „Spiegel“. Am 17. Juni taucht der Redakteur Udo Ludwig bei ihm auf, drei Stunden vor Quarz‘ erster Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft. Im Schlepptau hat Ludwig den Justiziar des „Spiegels“. Die beiden sichern Quarz volle juristische Unterstützung zu, wollen aber vor allem, dass er eine eidesstattliche Versicherung abgibt. Der verunsicherte Quarz ist angeschlagen, aber standhaft genug, das Ansinnen abzulehnen. Er vertraut sich einem Neusser Rechtsanwalt an. Es gibt kein Interview für den „Spiegel“ und keine eidesstattliche Versicherung. Quarz ist nicht der Kronzeuge, den das Blatt braucht. Doch es gibt in dieser Sache noch einmal ein Treffen mit allen Beteiligten auf höchster Ebene in Hamburg.

Quarz erinnert sich, wie „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust bei diesem Treffen am 14. Juli 1999 auf die Wirrnisse um die Dopinggeschichte reagierte. Sein Blatt war mit dem Vorwurf, das Team Telekom verdiene sein Saubermann-Image nicht, in Vorlage getreten, konnte nicht nachlegen und nun läuft die Telekom Sturm: Aust wird wohl klar, dass die Geschichte, die er in gutem Glauben gegenüber seinen Freunden Sommer und Kindervater, dem Chef und dem Pressesprecher der Telekom, als journalistisch seriös verteidigt hatte, so nicht der Wahrheit entsprach. Der „Spiegel“-Chef ersucht den von Quarz eingeschalteten Anwalt um Hilfestellung gegen die Telekom. Der Anwalt lässt die Antwort offen.

Während man sich in Hamburg über derlei Gesichtspflege den Kopf zerbricht, kommt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf schnell auf den Trichter, dass der von ihr ins Visier genommene vermeintliche Doping- Dealer Quarz unbescholten ist. Am 17. August 1999 teilt sie seinem Anwalt mit, das Verfahren wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz gegen Dieter Quarz sei eingestellt.

Doch damit ist die Geschichte der gescheiterten Enthüllung noch nicht zu Ende: Dieter Quarz, der Informant, der dem „Spiegel“ nicht willfährig war und von Professor Franke einem falschen Verdacht ausgesetzt und öffentlich als derjenige vorgeführt wurde, der für die ganze Affäre verantwortlich sei, hat zwischenzeitlich ein fünfstelliges Angebot einer anderen Publikation ausgeschlagen, die ihn ebenfalls als Doping- Kronzeugen verpflichten wollte. Seine Familie hätte das Geld gut gebrauchen können. Doch weigert sich Quarz, der als Letzter leugnen würde, dass Doping im Radsport ein flächendeckendes Problem ist, ganz einfach, konkrete Schlüsse zu ziehen, wo sie nicht zu ziehen sind. Sein falscher Freund Franke hält sich in seinen Bewertungen zu aktuellen Dopingfällen im Radsport neuerdings vornehm zurück. Er hat sich öffentlich auf die Seite von Lothar Heinrich geschlagen, dem Arzt des Teams Telekom, den er allein wegen „seines Auftretens und seiner Intelligenz“ nicht im Verdacht haben mag, jemals Dopingmittel verabreicht zu haben. So sagte es Franke im „Badischen Tagblatt“. So ändern sich die Zeiten. Der „Spiegel“ fühlt sich derweil von der Telekom verschaukelt und ärgert sich, die Jahrhundertgeschichte des Sportjournalismus vergeigt zu haben. Für das Team Telekom teilt Joseph Fesenmair, der Justiziar der Telekom, mit, dass „alle rechtlichen Anprüche“ vor den Landgerichten in Hamburg und Frankfurt anhängig seien. Die Verhandlung in Frankfurt beginnt an diesem Donnerstag.

RALF MEUTGENS

Es kommt zu einer außergerichtlichen Einigung.

Vielen Dank für das Überlassen des Artikels.

Beitrag von Monika, 2.2004, letztes Update 4.2020