Doping-Reform: Legalisierung von Doping

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Legalisierung von Doping

Die Dopingfreigabe ist ein uraltes Thema, wird aber angesichts der gegenwärtigen weltweit diskutieren Krise wieder häufiger in die Diskussion eingebracht und wird wie mir scheint, anders als früher oft nicht sofort empört zurück gewiesen.

Vor dem Hintergrund der Feststellungen, die Glaubwürdigkeit des Hochleistungssport sei so tief gesunken wie nie zuvor und das Doping-Kontrollsystem habe jetzt endgültig versagt, mehren sich die Stimmen, die ein radikales Umdenken fordern. Doping lasse sich niemals ganz ausrotten, daher gelte es, Doping zu minimieren unter Wahrung der Rechte der Sportler*innen und Berücksichtigung gesundheitlicher Aspekte. Dazu gehöre vor allem die Abkehr von der Forderung nach immer repressiveren Kontrollmaßnahmen und sportrechtlichen und staatlichen Sanktion.

Dieser Meinung sind auch viele Anti-Doping-Kämpfer, die nicht für die Legalisierung des Dopings eintreten, sondern andere Vorschläge haben wie z. B. die radikale Kürzung der Dopingliste, aber die Forderungen nach (bedingter) Freigabe basieren meist auf Ablehnung der repressiven Strukturen und Aktionen.

Die Vorschläge, die die Dopingfreigabe zum Thema haben, sind nicht einheitlich. Es wird auch kaum die uneingeschränkte Freigabe gefordert. Unterschieden wird meist zwischen Doping- und Medikamentenmissbrauch im Freizeitsport und im Elitesport. Der Schutz der Kinder- und Jugendlichen wird hoch gehalten, der saubere Athlet sollten eine Chance behalten und die dopenden Sportler*innen müssten vor gesundheitlichen Gefahren bewahrt werden.

Kontroversen gibt es dabei auch darüber, ob die Vorschläge Dopingmittel und -methoden, die nicht gesundheitsschädigend sind, frei gegeben werden könnten. Insbesonere Paul Dimeo entfacht hierzu heftige Diskussionen.

Allgemeinere Artikel zur Diskussion:
>>> Pro und Kontra Doping-Freigabe

Die Vorschläge wurden von den Autoren in den vorliegenden Texten nicht im Detail ausgearbeitet vorgestellt, sie weisen wohl auch deshalb viele Lücken und Widersprüche in der Argumentation auf, insbesondere in Fragen der Abgrenzung von der unkontrollierten Freigabe und der praktischen Umsetzung, denn kontrollierte Medikamentengaben durch Ärzte dürften häufig nicht eingehalten werden, medizinische Langzeituntersuchungen lassen sich manipulieren und neue Substanzen und Anwendungen werden weiterhin boomen.

Ich führe hier nicht die umfassende, auch alte Diskussion zum Thema auf, sondern zitiere nur neuere Stimmen zur Legalisierung des Dopings, da diese in der Absicht vorgebracht wurden, das gegenwärtige Anti-Doping-System zu entlasten und zu reformieren.

Als Hintergrund zu dieser Diskussion empfehle ich die Ausführungen von Christophe Brissonneau und Jeffrey Montez de Ocaz in ihrer Anfang 2018 erschienen Studie zu Doping in Frankreich ‚Doping in Elite Sports‘. Brissonneau interviewte viele Mediziner zu ihrer Haltung gegenüber Doping und Verabreichung von Medikamenten an Sportler*innen. Die Autoren fassen deren sehr unterschiedlichen Meinungen und Herangehensweisen im Vergleich zu anderen Studien in kompakter und verständlicher Form zusammen. Durch den Verzicht auf moralische Bewertung wird deutlich, wie breit gestreut und unterschiedlich von Ärzten gehandelt und argumentiert wird. Der Ruf nach Legalisierung bzw. Teillegalisierung des Doping kommt nicht selten aus medizinischen und pharmakologischen Kreisen mit dem Wunsch nach einer sinnvollen Gesundheitsvorsorge.


Walter Aeschimann, Schweizer Sporthistoriker und Journalist:
Die Legalisierung von Doping ist bedenkenswert, 17.7.22017

Walter Aeschimann spricht von ‚ritueller Empörung‘ aus Kreisen des organisierten Sports und offizieller Anti-Doping-Kämpfer, sobald es jemand wagt, davon zu sprechen, der Anti-Doping-Kampf sei gescheitert. Für ihn gilt,

dass ein «Doping-Obligatorium» für alle, die es im internationalen Sport zu etwas bringen wollen, längst besteht. Und dass der Anti-Doping-Kampf in seiner heutigen Form – trotz Milliarden von Forschungsgeldern, neuen Agenturen und hektischem Aktivismus – weitgehend wirkungslos geblieben ist. Der gegenwärtige Anti-Doping-Kampf ist im Wesentlichen eine Scheindebatte, inszeniert zur Täuschung einer breiten Öffentlichkeit. In Wahrheit besteht (noch) kein wirkliches Interesse an einer Lösung. …

Das offizielle Ethos ist Fairplay, Chancengleichheit und die Maxime vom gesunden Geist in einem gesunden Körper. Der Widerspruch zwischen Selbstbild und Realität ist aber offensichtlich: Schmiergeldzahlungen für die Vergabe von Olympischen Spielen und Fussball-Weltmeisterschaften, Wettmanipulationen oder flächendeckende Dopingmentaliät, nicht nur in Russland. Der friedliche Wettkampf wurde von einer «entfesselten Siegerorientierung» und dem Rekordstreben verdrängt, eine «Totalisierung des Leistungssports» habe stattgefunden, wie der deutsche Soziologe Karl-Heinrich Bette schreibt. Dazu bedurfte es weiterer Akteure als Sportathleten und Publikum. …

Aeschimann analysiert die Antidopingpolitik und -rhetorik und kommt zu der Schlussfolgerung:

Dopingverbote sind ausserhalb des Leistungssports undenkbar. «In keinem anderen Bereich unserer Gesellschaft», sagt der Philosoph Christoph Asmuth, «sind die Kontrollen des privaten und des leiblichen Daseins von Personen derart rigoros.» Zugespitzt formuliert könnten im Leistungssport «prohibitive Phantasien ausgelebt werden, die ansonsten in der liberalen bürgerlichen Gesellschaft keinen Platz mehr finden.» Daraus folgert der Sporthistoriker Marcel Reinhold, der ein interessantes Buch über die «Kulturgeschichte der Anti-Doping-Politik» geschrieben hat, dass Doping im Grunde nur eine «Konstruktion» sei. Erst Anti-Doping-Politik habe letztlich Doping zu dem gemacht, was es heute ist, ein künstlich und willkürlich erschaffenes Betrugs-Konstrukt aus dem Inneren des Sportsystems.

Auf diesen Gedanken liesse sich ein alternativer Zugang zur Dopingproblematik entwickeln. Die Veränderungen müssen zuerst im Kopf beginnen. Der professionalisierte Spitzensport muss zwingend von der Idee und den realen Zuständen entflochten werden. Er muss auch vom sogenannten Breiten- oder Gesundheitssport entkoppelt werden. Es sind völlig unterschiedliche Grössen. Das bedeutet in der Konsequenz, die Tabuisierung von Doping ist aufzuheben, die Haltung zu Doping zu revidieren. Erst wenn sich die realen Zustände im gesellschaftlichen Bewusstsein etablieren, kann sich eine vernünftige Diskussion entwickeln. Dann können auch Lösungen bezüglich Legalisierung – wie immer die aussehen soll – angedacht werden. Dann wird auch die sinnlose und rechtlich höchst zweifelhafte Kriminalisierung der Sportathleten obsolet. Solange sich aber nostalgisch verbrämte Ideologien der Funktionärselite mit gütiger Unterstützung der Medien halten können und jeder andere Denkansatz belächelt wird, kann sich im Anti-Doping-Kampf kaum etwas ändern.

Zitierte Quellen:

Christoph Asmuth: Entgrenzungen des Machbaren?: Doping zwischen Recht und Moral

Marcel Reinold: Doping als Konstruktion


Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP), Heroldsberg:

die Zeit: „Dass Putin vom Staatsdoping wusste, überrascht nur Herrn Hoeneß“, 31.1.2018
sid: Sörgel: Dopingmittel-Freigabe im Topsport machbar ), 21.7.2013

Prof. Fritz Sörgel plädiert für eine Trennung in der Bewertung und Behandlung des Dopings im Hochleistungsbereich und im Freizeitsport. Einerseits darf seiner Meinung nach Doping nicht erlaubt werden, andererseits sei eine andere Betrachtung im Hochleistungssport, insbesondere dem mit Showcharakter angebracht. Aus seinen Worten spricht die Annahme, dass der Vorbildcharakter des Hochleistungssports enorm ist und man dem aber entgegen steuern könnte.

ZEIT ONLINE: Warum darf man Doping, wie einige unserer Leser leichtfertig fordern, nicht erlauben?
Sörgel: Weil es den Druck auf alle Sportler erhöhen würde, Doping zu nehmen, und die Gesundheit der Sportler auf noch breiterer Basis beschädigt wird. Eine noch schwerer wiegende Folge von Doping ist, dass es sich vom Sport in die gesamte Gesellschaft ausbreitet. Der Gedanke an höhere Leistung, der Wunsch, höher und weiter zu springen, überträgt sich auf den Breitensportler und letzten Endes auf den Schreibtischtäter. Der kann vielleicht mit Dopingmitteln auch mehr leisten, denkt er. Die schlimmste Folge einer Dopingfreigabe allerdings wäre die Verseuchung des Jugendsports.

ZEIT ONLINE: Wie bekommt man den Sport so sauber wie möglich?
Sörgel: Der Aufwand, der betrieben werden müsste, ist so immens, dass man es nicht finanzieren kann. Ich bin schon lange für die Ausgliederung des Hochleistungssports, insbesondere aller Sportarten mit Showcharakter. Die sollten außerhalb des Sports tätig sein und selber entscheiden, ob sie überhaupt einen sauberen Sport wollen. Der „richtige“ Sport, also der Breitensport, wäre zu reformieren und mit neuen Ideen zu befruchten. Freilich eine Herkulesaufgabe.

ZEIT ONLINE: Ist das nicht zu pessimistisch? Kann man mit Strukturreformen der Antidopingpolitik nicht viel erreichen?
Sörgel: Im Hochleistungssport nicht, da geht es um zu viel Geld.

Für Fritz Sörgel ist die Dopingmittelfreigabe unter ärztlicher Aufsicht machbar.

Sörgel plädierte dafür, Spitzen-Athleten aus gemeinnützigen Sportvereinen und von allen staatlich geförderten Sportveranstaltungen auszuschließen. Wenn etwa der jamaikanische Ausnahmesprinter Usain Bolt und andere Top-Athleten auf ihren eigenen Sportfesten „unter ärztlicher Aufsicht verbotene Substanzen nehmen, finde ich die Dopingmittel-Freigabe machbar“, so Sörgel. Der sechsmalige Olympiasieger Bolt ist bislang nie positiv getestet worden.

„Die, die dann richtige Sportler sehen wollen, gehen zu Veranstaltungen, die von den Verbänden streng geprüft und staatlich gefördert werden“, erläuterte Sörgel sein sportpolitisches Modell. „Wer diese neue Wettkampfform nicht will, bleibt bei den Zirkusnummern gedopter Sportler.“ Zugleich will Sörgel die Profisportler zu höheren Zahlungen bei der Krankenversicherung verpflichten. „Sonst muss die Allgemeinheit dafür aufkommen, wenn sie sich kaputt spritzen.“


Daniel Louis Meili, Leistungspädagoge und Trainer des Nationalen Komitees für Elite-Sport (NKES) / Swiss Olympic:

Daniel Louis Meili: Deklarieren statt verschleiern – «Doping sollte unter klaren Kriterien erlaubt sein» , 14.12.2017

NZZ: Daniel Louis Meili „Dopingproblematik auf den Kopf gestellt“, 7.7.2017

Daniel Louis Meili sieht angesichts des Dopingkontrollsystems, das auf ganzer Linie versagt hat und zudem sehr viel Unklarheit darüber besteht, was tatsächlich alles eingeworfen wird und welche Wirkungen damit verbunden sind, nur eine Möglichkeit:

„Der einzige Weg, die Glaubwürdigkeit des Leistungssports wiederherzustellen, ist „Doping zu akzeptieren und alle Athleten zu verpflichten, die verwendeten Substanzen offenzulegen.“

Die Glaubwürdigkeit des Sports werde keinesfalls durch immer schärfere Strafen erreicht.

Der einzige Weg, die Glaubwürdigkeit des Leistungssports wiederherzustellen, ist, Doping zu akzeptieren und alle Athleten zu verpflichten, die verwendeten Substanzen offenzulegen. Zukünftig sollte also gelten: Nur wenn die Urin- und Blutwerte nach der Kontrolle mit der zuvor eingereichten Selbstdeklaration übereinstimmen, wird der Titel zugesprochen, der Rekord anerkannt und die Siegprämie ausbezahlt. So einfach ist das. Es braucht zur Förderung der Glaubwürdigkeit jedenfalls nicht noch mehr Gesetze, Überwachung und eine Sport-Polizei. Nicht das Spritzen, Schlucken oder Inhalieren soll bestraft werden, sondern das Verheimlichen. …

Der einzige Weg, die Glaubwürdigkeit des Leistungssports wiederherzustellen, ist, Doping zu akzeptieren und alle Athleten zu verpflichten, die verwendeten Substanzen offenzulegen. Zukünftig sollte also gelten: Nur wenn die Urin- und Blutwerte nach der Kontrolle mit der zuvor eingereichten Selbstdeklaration übereinstimmen, wird der Titel zugesprochen, der Rekord anerkannt und die Siegprämie ausbezahlt. So einfach ist das. Es braucht zur Förderung der Glaubwürdigkeit jedenfalls nicht noch mehr Gesetze, Überwachung und eine Sport-Polizei. Nicht das Spritzen, Schlucken oder Inhalieren soll bestraft werden, sondern das Verheimlichen.

Die Vorteile sind nach Meili:

? Erstens wird die Rechtsgleichheit wiederhergestellt (die Unschuldsvermutung gilt auch für Sportler).

? Zweitens werden Gelder, die der überdimensionierten und hinterherhinkenden Dopingjagd zugeflossen sind, frei und können in die Ausbildung von Nachwuchstrainern investiert werden.

? Drittens erhält die Trainingslehre (Umfang, Methodik und Regeneration) wieder ihre zentrale Bedeutung.

Die von Hilflosigkeit geprägte Dopingdiskussion lenkt ab und raubt dem Sport, was wir bei Kindern so gerne beobachten: die intensive pure Lebensfreude. Wer den Sport wirklich fördern will, darf nicht die Leistungssteigerung unter Verdacht stellen, sondern muss der Heimlichtuerei den Boden entziehen.


Gert G. Wagner, Professor für VWL TU Berlin, Vorstandsmitglied des DIW:

die Zeit: Doping freigeben? Ja, jetzt und kontrolliert!, 26.2.2013:

Für Gert G. Wagner steht die Basis des Anti-Doping-Kampfes auf tönernden Füßen. Die Verbotsliste reizt zudem dazu, immer neue Mittel zu entwickeln und anzuwenden und die Möglichkeiten der Ausnahmegenehmigungen auszureizen und illegal zu nutzen. Er sieht Verbesserungsmöglichkeiten in der Doping-Freigabe mit Medikamentenpass.

Wer Doping bekämpfen will, etwa um der Jugend ein Vorbild zu bieten, muss sich den Kern des Problems klarmachen. Dazu gehören nicht nur die medizinischen, juristischen und pädagogischen Dimensionen, sondern vor allem die Ziele und Anreize, die Hochleistungssportler haben. Deswegen können auch Ökonomen und Sozialwissenschaftler etwas dazu sagen und zur Lösung des Problems beitragen….

Warum sind Unterschiede in der Sportausrüstung, etwa bei der Qualität der Schuhe, erlaubt, aber Medikamente und andere Maßnahmen der ärztlichen Kunst nicht? Schuhe sind ja nicht Teil des menschlichen Körpers und trainieren kann ein Sportler sie auch nicht.

Auch die Trainingsmöglichkeiten unterscheiden sich zum Beispiel in armen und reichen Ländern. Schlechtes Training muss also nichts mit Faulheit zu tun haben. Warum werden diese Ungerechtigkeiten hingenommen, nicht aber Ungleichheiten bei Medikamenten und Therapien?

Die offizielle Antwort lautet: Weil Doping die Gesundheit der Athleten schädigt. … Warum nun darf oder soll ein Athlet seinen Köper durch exzessives Training und brutalen Wettkampf schädigen, nicht aber durch Doping?

Die Antwort der Sportfunktionäre und Sportwissenschaftler lautet: Weil das Doping-Verbot zu den Regeln des Sports gehört, haben Wettkämpfer sich daran zu halten. Basta. Nur Dank seiner vollkommenen Regelhaftigkeit eignet sich der Wettkampfsport als pädagogisches Vorbild. Basta. Aber bewiesen ist das nicht.

Die Doping-Verbotsliste ist nicht nur ein massiver Anreiz, sich Neues auszudenken, sie hat auch noch die Nebenwirkung, dass sie Intransparenz fördert. Wer etwas Neues entdeckt hat, erzählt es nicht weiter. Schweigen verschafft ja einen individuellen Vorteil. So durchziehen Vermutungen und Gerüchte seit Jahrzehnten die Welt des Leistungssports. Ein gutes pädagogisches Vorbild sieht anders aus.

Nur ein radikaler Systemwechsel könnte Abhilfe schaffen: die Freigabe von Doping mit einer Pflicht einen Medikamenten-Pass zu führen; es wäre also eine kontrollierte Freigabe. In den Medikamenten-Pass sind alle Medikationen und Therapien einzutragen. Und wem nachgewiesen wird, dass er etwas nicht eingetragen hat, der wollte sich offensichtlich einen Vorteil verschaffen, und wird deswegen bestraft. …

Neuentwicklungen, die heimlich durchgeführt würden, wären plötzlich hochriskant. Und die Öffentlichkeit könnte darüber entscheiden, ob sie bestimmte Sportarten und bestimmte Sportler noch für gut und bestaunenswert hält. Die Jugend könnte sich an sauberen Sportlern orientieren; vielleicht sogar an denen, die nicht gewinnen, weil sie auf bestimmte Medikamente und Therapien bewusst verzichten. …

Monika