2025 Marius Kusch Interview zu seiner Teilnahme an den Enhanced Games

>>> Süddeutsche Zeitung, 30. 10. 2025
Reden wir über Geld mit Marius Kusch
„Ich habe Nachrichten bekommen, in denen steht: ‚Das ist eine Schande!‘“

„Ich will wissen, was es bringt”


Zitate aus dem SZ-Artikel:

Marius Kusch nimmt an den „Enhanced Games“ teil. Dort ist Doping
explizit erlaubt. Nun spricht der Schwimmer über seine Motivation
und die Frage, was er mit dem Preisgeld machen will.
REDEN WIR ÜBER GELD MIT MARIUS KUSCH

… Der Schwimmer Marius Kusch, WM-Bronze-Gewinner 2022, war kürzlich der erste Deutsche, der seine Teilnahme bestätigte die Aufregung war immens.

SZ: Herr Kusch, reden wir über Geld. Sie werden an den Enhanced Games teilnehmen, über 50 und 100 Meter Schmetterling. Bei diesen Strecken gibt es je eine Viertelmillion Dollar für den Sieger plus je 250 000 Dollar für einen Weltrekord.
Marius Kusch: Der finanzielle Aspekt spielt sicherlich eine Rolle, vor allem Stabilität, die hatte ich davor nicht. …

Die Preisgelder sind bekannt. Ich kriege Gehalt und ein Stipendium, das ich eigenständig verwenden kann: Lebensunterhalt, Reisekosten, Physiotherapie und endlich auch Krankenversicherung.

Wegen der besseren Trainingsmöglichkeiten bin ich 2016 nach North Carolina gezogen. Zwei Jahre lang griff die deutsche Auslandskrankenversicherung, danach nicht mehr. In den USA hätte es 866 Dollar im Monat gekostet, die konnte ich mir bei 800 Euro im Monat von der deutschen Sporthilfe Förderung nicht leisten….

Ich bin im März 2022 nach Indiana gezogen, aus Kostengründen, und habe in einer Wohnung mit drei Studenten gelebt, alle Schwimmer. Miete: 350 Dollar. Ich hatte also ein bisschen mehr als 450 Dollar  für Auto, Sprit, Ernährung. Ich habe einen Sack Reis gekauft, zweieinhalb Kilo, Hühnchen und Gemüse in Großpacks. Einmal im Monat konnte ich auswärts essen, bei einer Hühnchen-Fast-Food-Filiale. …

Sie gewannen Ende 2022 WM-Bronze. Gab es da keine anderen Einnahmequellen?
Ich habe mich auf Social Media vermarktet und Jugendliche im Nordosten der  USA  trainiert. Also: Montag bis Freitag Training. Freitagabend in den Flieger nach New  York, oft noch zwei Stunden im Mietauto, Samstag und Sonntag jeweils den ganzen Tag gecoacht. Dann wieder ins Flugzeug, meist war ich nach Mitternacht daheim. Irgendwann sagst du: Ich bin 32, ich werde nicht jünger, es macht sich körperlich bemerkbar. …

Europameister 2019, Olympia-Teilnehmer 2021, WM-Bronze 2022 und Platz acht zwei Jahre später. Sie müssen doch von Ihrem Sport leben können!
Höre ich oft! Als Schwimmer weißt du, dass du kein Geld verdienen wirst. Freunde und Familie sehen den Sport als teures Hobby. Das halte ich aber für eine faule Ausrede. Das Geld ist da, es kommt nur nicht bei den Sportlern an. Man wird aus nicht besonders tollen Hotels zum Wettkampf gebracht und sieht Funktionäre aus Luxushotels kommen oder Business-Class fliegen. Bei den Enhanced Games habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass unsere Stimme was wert ist. Weil Verbände wie IOC, World Aquatics oder Deutscher Schwimmverband jetzt erklären müssen, warum das Geld nicht bei den Athleten landet. Wenn das alles also bedeutet, dass ich ein paar Jahre lang der Buhmann bin, ist das ein Preis, den ich gerne zahle wenn am Ende faire Bezahlung für alle Sportler auch im traditionellen Sport steht.

Was verdienen Sie denn bei den Enhanced Games?
… Sagen wir es so: Ich bräuchte im traditionellen Sport zehn bis 15 Laufbahnen. … Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich Vom reinen Sport leben.

Der traditionelle Sport muss unter allen Umständen sauber bleiben. Jeder, der sich nicht daran hält, sollte hart bestraft werden.

Was auch bekannt ist: Es halten sich nicht alle daran. Der neunmalige Olympiasieger Caeleb Dressel sagte vor Olympia  2024 auf die Frage, ob er Vertrauen in faire und saubere Wettkämpfe habe: „Nein, nicht wirklich!“
So sehr man an dieser Illusion festhalten möchte, dass es ein perfektes System ist, in dem alles sauber ist: So ist es leider nicht. Das wird einem irgendwann auch bewusst.

Wann wurde es Ihnen bewusst?
Man hört das natürlich, wenn man ein bisschen länger dabei ist. Und das Offensichtliche: Ein Kollege wurde Vierter; dann  stellte sich heraus, dass wer bei diesen Meisterschaften positiv getestet worden war. Die Medaille, die er deshalb bekam, wurde ihm per Post zugeschickt. Das ist doch eine Sauerei! Man quält sich, man opfert so viel und dann werden einem diese Momente genommen. Das kann extrem demoralisierend sein.

Die Reaktion kann dann aber doch nicht sein: Dopt mal alle fröhlich los wie bei den Enhanced Games!
Noch mal: Das stimmt nicht!

Wie läuft es dann?
Die ersten Tage im Oktober waren vor allem Tests: Blutbilder, Biomarker. Ich habe also erst mal Daten bekommen, die ich vorher nicht hatte. Dazu: zwei unabhängige Untersuchungen bei Kardiologen, ob mit dem Herzen alles in Ordnung ist. Basierend auf diesen Tests kriegt jeder Sportler eine Empfehlung …

. Ich bekomme Essen, das in puncto Nährstoffen perfekt auf mich  abgestimmt ist. Dann: Training. Es gibt ein Gerät, das einen 3D-Avatar erstellt. Man macht Übungen, bei denen es um Beweglichkeit und Explosivität geht. Ergebnis bei mir: Ich habe eine kleine Diskrepanz, der rechte Arm zieht 20 Prozent stärker als der linke. Oder beim Absprung: Was passiert mit dem linken Knie, was mit dem rechten? Man dreht eins ein und verliert an Sprungkraft. Man hat die Daten und denkt: Boah, krass! Dann: Regeneration, also auch Höhenkammern, Eisbäder, Infrarotsauna. … Für den mentalen Bereich haben wir Psychologen an der Seite. Man muss leider sagen: Ich werde zum ersten Mal als Sportler behandelt, wie man sich das erträumt.

Gegenleistung: Sie nehmen, was Ihnen vorgesetzt wird.
Stimmt nicht. Es gibt die Berichte, dass wir Sportler keine Autonomie hätten. Das ist nicht richtig; ich kann komplett frei entscheiden und ich werde meinen Weg so genau wie möglich dokumentieren.

Was nehmen Sie aktuell?
In diesem Jahr noch gar nichts. Erst von Januar an in Abu Dhabi kann unter ärztlicher Aufsicht mit dem Protokoll begonnen werden, begleitet von einer klinischen Studie. Das ist natürlich unbefriedigend, keine konkreten Zahlen zu kennen. Weil es noch keine gibt. Das Protokoll wird Zwölf Wochen vor den Meisterschaften beginnen, also etwa im Februar 2026.

Ich werde genau dokumentieren, was ich nehme also alle Substanzen auflisten, und zwar für alle sichtbar auf meinem Instagram-Kanal. Über Dosierungen werde ich nicht sprechen, weil: Es soll keine Empfehlung oder Anleitung für Amateursportler oder Otto Normalverbraucher sein. Bei uns findet alles unter ärztlicher Aufsicht statt, wir werden rund um die Uhr überwacht.

„Ärztlich begleitet“ erinnert an die ganz dunklen Zeiten des Dopings, an Staatsdoping.
In den dunklen Zeiten ging es um was anderes. Um illegales, systematisches Zwangsdoping, oft sogar bei Minderjährigen, ohne deren Wissen oder Zustimmung. Das war Missbrauch, kein Sport. Bei den Enhanced Games ist die Ausgangslage komplett anders. Jeder ist volljährig, aufgeklärt und trifft Entscheidung selbstbestimmt; mit legalen Medikamenten. Das ist Gegenteil von dem, was früher passiert ist. Mir ist wichtig zu betonen: Es geht nicht um blinde Leistungssteigerung, sondern um Transparenz und die Frage, wie man mit wissenschaftlicher Begleitung das Beste aus seinem Körper herausholen kann. Sicher und offen, nicht heimlich und gefährlich.

Machen Sie es sich nicht zu einfach? Fürchten Sie keine Spätfolgen?
Natürlich nehme ich das Thema ernst. Ich wäre nie Teil eines Projekts, das langfristige Risiken ignoriert. Ich lasse Blutbilder und Herzuntersuchungen machen. Gesundheit steht an erster Stelle. Wenn meine Werte nicht stimmen oder Risiken auftauchen, werde ich nicht starten. So einfach ist das.

Welche Mittel stehen überhaupt zur Verfügung?
Ausschließlich Medikamente, die von der US-Behörde Food and Drug Administration (FDA) zugelassen und auf dem Markt verfügbar sind. …

Warum wollen Sie überhaupt leistungsfördernde Mittel nehmen?
Zuallererst tatsächlich: Neugier. Ich will wissen, was es bringt. Wie gut ich sein kann.

Natürlich will ich wissen, was ich aus mir rausholen kann, aber die Gesundheit hat die höchste Priorität, da werde ich sehr darauf achten. Ich werde einige Dinge hinter den Kulissen erleben und dieses Wissen dann auch auf dem Instagram-Kanal vermitteln. Wieder für alle sichtbar.

Wie waren die Reaktionen aus dem Umfeld?
Ich habe Nachrichten bekommen, in denen steht: „Das ist eine Schande!“ Oder: „Du kannst jetzt kein Vorbild mehr sein!“ Aber genauso viele, in denen es heißt: „Endlich spricht mal wer darüber, endlich geht jemand offen damit um, endlich ist jemand ehrlich!“ Es ist völlig okay, anderer Meinung zu sein. Die Leute müssen mir nicht zustimmen. Was ich mir wünsche, dass sie meine Perspektive akzeptieren und meine Beweggründe verstehen — nach allem, was ich erlebt habe.
Ich kann jetzt zum ersten Mal meinen Eltern, die immer für mich da waren und mich immer unterstützt haben, etwas zurückgeben. Ich werde zum ersten Mal in der Lage sein, sie öfter zu mir nach Florida zu holen. Das fühlt sich sehr gut an.