1994 Dopingdiskussion in der BRD

Das Thema Doping in der öffentlichen Diskussion 1990 – eine Annäherung

die Wiedervereinigung des Sports

1994 Doping in der Bundesrepublik Deutschland

Die Doping-Diskussion des Jahres 1993 setzte sich nahtlos in 1994 fort. Das beherrschende Thema in den Medien war das Doping- und Stasierbe der DDR.

das Erbe des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi)

Ende 1993 war die Stasiaufarbeitung innerhalb des Deutschen Sportbundes DSB, der Landesverbände und der Disziplinverbände noch recht unübersichtlich und von Widerständen geprägt (Wendezeit 1993). In den Funktionärsetagen und im Trainerbereich war die versprochene Klärung noch lange nicht beendet, im Athletenkontext war noch so gut wie kaum etwas geschehen.

Helmut Digel, DLV-Präsident, hatte im November 1993 im DLV-Präsidium erklärt, an der Spitze der DLV-Landesverbände gäbe es keine stasibelasteten Mitarbeiter mehr, die Überprüfung sei abgeschlossen, die der Bundestrainer bis zum Ende des Jahres. Bald könne mit der Aufarbeitung bei den Athleten begonnen werden.

„Der Sportwissenschaftler ließ keinen Zweifel daran, daß es eine Reihe von belasteten Athleten gibt. „Der DLV hat sich auf die Seite der Opfer zu stellen. Wer Schuld auf sich geladen hat, wer Informeller Mitarbeiter der Stasi war, kann nicht Mitglied im Verband sein. Wir haben eine Kommission eingerichtet, die in Sportwidrigkeitsverfahren Sperren ausspricht.“ (FAZ, 22.11.1993)

Andere Verbände hatten sich mit Angaben zurück gehalten.

Anfang März 1994 wurde die Berliner Gauck-Behörde in Sachen Strafverfolgung aktiv, nachdem sie in den Akten der Staatssicherheit „Hinweise auf Straftaten im DDR-Leistungssport, insbesondere das Doping bei Minderjährigen“ gefunden hatte.

Die Gauck-Behörde habe „die Entschlüsselung der Decknamen und die Offenlegung der anonymisierten Namen und Aussagen eingeleitet“, schrieb [Hansjörg] Geiger[, stellvertretender Leiter] weiter. Bei der Staatsanwaltschaft beim Kammergericht Berlin sei schon ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung gegen Verantwortliche und Sportmediziner der ehemaligen DDR anhängig. Mit der zuständigen Staatsanwaltschaft sei vereinbart worden, weitere bekanntwerdende Fälle diesem Verfahren zuzuordnen und beim Kammergericht nachzureichen. „Damit wird endlich auch unter strafrechtlichen Aspekten die inhumane und kinderfeindliche Praxis des Minderjährigen-Dopings verfolgt“, sagte Wilhelm Schmidt am Donnerstag in Bonn. Darüber hinaus bleibe allerdings noch ein weiterer wichtiger Fragenkomplex zu klären: nämlich, welche inoffiziellen Verbindungen, Dopingpraktiken und Handelskanäle es zwischen Ost- und Westdeutschland gegeben habe.“ (FAZ, 4.3.1994)

Einen Rechenschaftsbericht als Zwischenbilanz für die Verflechtung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und dem Leistungssport legte die Behörde Ende April 1994 vor.

„Darin wird detailliert nachgewiesen, daß sich die Stasl um alle und alles kümmerte. Es gab sogar einen zentralen Vorgang „Sportverräter“, In dem 63 Personen, die die DDR verließen, erfaßt waren. Da der BND bereits 1974 Kenntnls vom Doping In der DDR bekommen hatte, wurde ein strenger Geheimnisschutz von der Stasl organisiert.“ (Berliner Zeitung, 29.4.1994, FAZ, 30.4.1994).

DDR-Doping

Ende 1993, Anfang 1994 übernahm die Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) die Ermittlungen zu dem DDR-Doping, wobei die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaften in Berlin und den neuen Bundesländern zusammengetragen wurden. Als Grundlagen dienten zum großen Teil Strafanzeigen, die Professor Werner Franke gestellt hatte und Berichte der Gauck-Behörde über Erkenntnisse des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

rmittelt wurde bereits gegen Professor Hansgeorg Hüller, klinischer Pharmakologe an der Berliner Charité, Professor Rüdiger Häcker, FKS in Leipzig, Dr. Günter Rademacher, FKS, Professor Hans-Henning Lathan, Professor Hartmut Riedel und Dr. Manfred Höppner.

Die Ermittlungen litten zu diesem Zeitpunkt noch darunter, dass sich erst wenige Sportlerinnen und Sportler zu Zeugenaussagen bereit fanden. (FAZ, 28.01.1994) Da erwiesen sich die jahrzehntelang gelieferten Stasi-Unterlagen des Inoffiziellen Mitarbeiters (IM) ‚Technik‘ Dr. Manfred Höppner von besonderer Brisanz aufgrund weitreichender Informationsfülle. Die Unterlagen waren erstmals anlässlich einer Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestags in der Berliner Gauck-Behörde einzusehen. (Berliner Zeitung, 21.1.1004)

Berliner Zeitung, 8.4.1994:
Eine Reihe von Sportärzt(inn)en der DDR weigerte sich aus ethischeri Gründen strikt, anabole Steroide an Sportler, besonders an Minderjährige, zu Dopingzwecken zu verabreichen. Was allerdings nur einherging mit dem Ausscheiden aus dem System.

Innerhalb des Bereiches Leistungssport ist .. für die gesamte Beschaffung von derartigen Medikamenten verantwortlich. Die Mitarbeiterin der SHB Beriln … hat ihre Kündigung eingereicht mit der Begründung, daß sie die Verabreichung von Anabolen nicht mehr länger mit ihrem Gewissen vereinbaren könne, da die Leistungssportler dadurch erhebliche Schäden für die Zukunft erleiden würden. Beide Genossen wurden darauf aufmerksam gemacht, unbedingt dafür zu sorgen, daß nach dem Ausscheiden von dieser strengstens Stillschweigen zu wahren ist, da allein mit dem Ausscheiden dieses Problem nicht gelöst ist.“

Immer konkreter wurde das Ausmaß des Dopings, insbesondere des Minderjährigendopings in der DDR, immer schwerwiegender die Vorwürfe gegenüber Trainern, Funktionären und Ärzten, immer häufiger wurden gesundheitliche Schäden offenbar, die mit Doping in Zusammenhang gebracht werden konnten. Über die Suchfunktion der Berliner Zeitung mit den Stichworten ‚doping ddr‘ lassen sich in dieser Zeitung zwischen dem 1.1.1994 und dem 1.6.1994 über 30 Artikel finden, die über das DDR-Doping teils sehr ausführlich berichten, das Archiv der FAZ liefert 52 Treffer.

Insbesondere traf es den Schwimmsport, aus dem sich einige Sportlerinnen – Karen König, Rica Reinisch, Catherine Menschner – bereit erklärt hatten, ihre Erfahrungen zu schildern.

Mit den Erkenntnissen über das Doping, dem sie häufig unwissentlich und noch im Kindes- und Jugendalter ausgesetzt waren, stieg die Bereitschaft einiger ehemaliger Sportler, Klage gegen ihre damaligen Ärzte und Trainer zu erheben. Der erste, der es wagte, war der ehemalige DDR-Gewichtheber Roland Schmidt, der seine damaligen Sportärzte, Clubarzt Theodor Härtel (Meißen) und Verbandsarzt Hans-Henning Lathan (Leipzig) auf Schadensersatz verklagte (der Spiegel, 2.5.1994). Die Klage wurde jedoch abgelehnt, da dem Urteil das Staatshaftungsgesetz (StHG) der DDR zugrunde gelegt wurde. Danach konnten Funktionsträger nicht „für in der DDR im staatlichen Auftrag verursachtes Unrecht haftbar gemacht werden“. Es war bis 1997 der einzige Prozess, der durchgeführt wurde. Der Fall ging bis vor den Bundesgerichtshof (Urteil ist mir nicht bekannt.(Berliner Zeitung, 4.4.1997).

Während einige Sportler und Sportlerinnen mit ihren Dopingerfahrungen an die Öffentlichkeit gingen, entsetzt darüber, was ihnen unwissentlich angetan worden war, verdrängten andere das Problem, auch wenn entsprechendes Material vorlag. Zum Beispiel ließen Stasi-Unterlagen von Manfred Höppner, die 1990 teilweise veröffentlicht wurden, keine Zweifel daran, dass Heike Drechsler und Kristin Otto als Jugendliche ohne ihr Wissen gedopt worden waren. (1990, Manfred Höppner). Heike Drechsler, die trainiert wurde von ihrem ebenfalls belasteten Vater Erich Drechsler, und nach der Wende weiter aktiv und vor allem auch erfolgreich war, stritt auch noch 1993 die vorliegenden Fakten ab. Sie bezichtigte Brigitte Berendonk, die in ihrem Buch „Doping Dokumente“ einige Fakten zusammen getragen hatte, der Lüge, woraufhin diese auf Verleumdung klagte. Im März 1994 wurde Drechsler vom Landgericht Heidelberg unter Androhung einer Strafe von 500.000 Mark dazu verurteilt, die Behauptung, Berendonk habe gelogen, zu unterlassen und 6.000 zu zahlen. Heike Drechsler legte Widerspruch gegen dieses Urteil ein, nahm ihn aber 1995 zurück (Berliner Zeitung, 6.9.1995). Die Staatsanwaltschaft ermittelte 1994 weiter gegen Heike Drechsler und fünf von ihr aufgebotene Zeugen wegen des Verdachts des Prozessbetruges und der uneidlichen Falschaussage. (Wie diese Ermittlungen endeten, ist mir nicht bekannt.)

Erst 2008 konnte sich Heikle Drechsler dazu entschließen, mögliches Doping einzuräumen. Nun schloss sie nicht mehr aus, als Minderjährige unwissentlich gedopt worden zu sein (der Stern, 6.8.2008).

belastete Ärzte, Trainer

Die Überprüfung auf Stasi- und Dopingvergangenheit von Trainern, Funktionären und Ärzten war 1993 ein großes Thema. Der DSB rang mit einzelnen Verbänden im Anstellungskriterien und die Politik mischte kräftig mit. Langsam wurde es für die Öffentlichkeit ruhiger, doch noch immer bzw. immer wieder wurden Fälle bekannt, die Zweifel daran aufkommen ließen, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit ehrlich stattgefunden hatte und statt findet.

Insbesondere der Deutsche Schwimmverband musste sich immer wieder Fragen stellen. Zum Beispiel wurde die Vergangenheit des Schwimmtrainers Bernd Henneberg 1994 im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen um Doping ehemaliger DDR-Schwimmerinnen genannt. Henneberg war trotz heftiger Kontroversen nach den Olympischen Spielen in Barcelona 1992 im Jahr 1993 durch die DSB-Kommission entlastet worden und blieb weiterhin Trainer am Olympiastützpunkt Magdeburg.

Uwe Neumann, Schwimmtrainer

Uwe Neumann studierte in den 1960er Jahren an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig Sport mit Abschluss Diplomsportlehrer. Viele Jahre trainierte er Schwimmerinnen des SC Einheit Dresden, u. a. Ulrike Richter und Rica Reinisch.

Neumann ist von 1974 bis 1989 als informeller Mitarbeiter IM ‚Holbert’geführt. Ausführlich berichtete er über

„Athleten, Trainer, Betreuer, Physiotherapeuten oder Eltern von Sportlern … von „Vorkommnissen“ bei internationalen Wettkampfreisen und war natürlich auch Berichterstatter in Sachen „Unterstützende Mittel“. „

Neumanns Trainingsgruppe war Teil des DDR-Dopingprogramms im Schwimmen.

Nach der Wende profitierte er 1991 mittels der DSV-Aktion der Trainererklärungen (>>> 1991 Trainer-Erklärungen). Am Olympiastützpunkt Leipzig erhielt der DDR-Erfolgstrainer ab Oktober 1994 eine neue Stelle als Honorartrainer des DSV.

1994 geriet er jedoch in Zusammenhang mit den Äußerungen der ehemaligen Schwimmerin Rica Reinisch unter Verdacht, so dass zumindest einige Medienvertreter nachfrugen. Neumann bestritt alle Vorwürfe. Der DSB fand auch keine Anhaltspunkte für früheres aktives Doping, so dass Neumann seine Stelle antreten konnte. (FAZ, 19.11.1994)

Erst 1997 folgte nach Bekanntwerden seiner Stasiakten und damit erwiesener Stasitätigkeit seine Entlassung. Er wurde jedoch sofort vom SC Riesa (Sachsen) übernommen und konnte so seine Topathleten Katrin Jäke und Jens Kruppa, die ihm folgten, weiter trainieren. 1999 musste er einen Strafbefehl verbunden mit einer Geldbuße über 8 000.- DM wegen vorsätzlicher Körperverletzung durch Doping an Minderjährigen in neun Fällen entgegen nehmen. Das jüngste von ihm gedopte Kind war 10 Jahre alt gewesen. Neumann soll jetzt während der Vernehmungen gestanden haben. (Seppelt, Stück, Kinderdoping, S. 307 ff) 2009 konnte er wieder im Auftrag des Lndesportbundes Sachsen arbeiten.

Mehr Informationen zu Uwe Neumann

Dr. Hans-Joachim Wendler

Im März 1994 werden Vorwürfe gegen Sportmediziner Dr. Hans-Joachim Wendler laut. Nach der Wende hatte er von 1992 eine Stelle als Sportmediziner am Olympiastützpunkt Berlin erhalten. In den 70er und 80er Jahren war er leitender Sportmediziner beim SC Dynamo Berlin. Aus den Unterlagen Höppners ging nun hervor, dass Wendler aktiv am Doping beteiligt gewesen war, so soll der Dopingfall Ilona Slupianek auf sein Konto gegangen sein. 1994 behauptete er jedoch, nur ärztlicher Mitarbeiter gewesen zu sein. Einen Fürsprecher fand er 1994 im Leiter des Olympiastützpunktes Armin Baumert (2010 Vorsitzender der deutschen NADA), der harte Beweise forderte. Er sah den DDR-Sport einseitig angeprangert.

Baumert will solche Angriffe gerichtlich im Einzelfallverfahren geklärt wissen und wehrt sich dagegen, „daß noch 1994 der ganze Verdacht nur auf den Osten fällt. Wenn, dann bitte gesamtdeutsch. Das sage ich als Wessi“. Es könne nicht angehen, daß einerseits die Olympiasiegerin Claudia Pechstein von einem Empfang zum anderen gereicht würde, aber andererseits Mitarbeiter des Olympiastützpunktes angegriffen wurden. „Claudia Pechstein hätte in Lillehammer gar nicht an den Start gehen können, wenn die Arbeit von Herrn Wendler nicht gewesen wäre“, betonte Baumert.“ (Berliner Zeitung, 10.3.1994)

Keinerlei Berücksichtigung fanden in der Argumentation offenbar 1992 von Brigitte Berendonk zitierte Unterlagen.

Wendler verlor seinen Arbeitsplatz 1997, nachdem bekannt geworden war, dass er eine Vergangenheit als IMS ‚Peter Wilke‘ hatte. 1999 erhielt er für seine Dopingvergangenheit einen Strafbefehl über 6000 D-Mark. Ab 2001 arbeitet er als Leistungsdiagnostiker beim Landessportbund Sachsen-Anhalt bis er 2007 auf Druck des BMI entlassen werden musste.

Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“

Am 31. 05. 94 wurde der Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ veröffentlicht. Das DDR-Doping wird erwähnt. Es wird aber auch auf die Verantwortung hingewiesen, die das vereinte Deutschland hinsichtlich einer Aufklärung und Hilfe für die Geschädigten trage.

Zusammenfassen heißt es unter 7.4. Doping im DDR-Leistungssport, dass ein umfangreiches, staatlich angeordnetes und gelenktes Dopingsystem im DDR-Sport spätestens seit 1967 existierte. Schädliche Nebenwirkungen seien in Kauf genommen worden, eine Aufklärung der Athleten sei meist nicht erfolgt.

Das vereinte Deutschland nutzt zwar Hochleistungserfolge aus der DDR-Substanz, muß aber noch auf Jahrzehnte hinaus die Schulden in Milliardenhöhe bezahlen, die das Sportregime der SED hinterlassen hat. Vor allem aber bleibt die kaum meßbare Schuld an seelischen Schäden und Verkrümmungen, die Funktionäre und Mediziner den Sportlern zugefügt haben. Die Verstrickungen von Athleten, Trainern, Wissenschaftlern und Funktionsträgern mit dem MfS und den geheimen, von der Partei- und Sportführung angeordneten Doping- und Manipulationspraktiken gehören neben dem geduldeten Verrottungsprozeß der Sportstätten zu den Relikten, die den reibungslosen Vereinigungsprozeß zweier unterschiedlicher Sportorganisationen am meisten belasten. Dazu gehört im übrigen auch das oktroyierte Unschuldsbewußtsein.

Den in die deutsche Einheit hineinwirkenden internationalen Erfolgen von Sportlern, deren Karriere in der DDR begonnen hatte, stehen zahlreiche bittere Hinterlassenschaften gegenüber:

… — Leistungsdefizite und beeinträchtigte Vorbildfunktionen durch Dopingpraktiken

— Aufklärung und Aufarbeitung der Verstrickungen von Athleten, Trainern, Wissenschaftlern und Funktionsträgern über die von der Partei- und Sportführung der DDR angeordneten Doping- und Manipulationspraktiken, die berücksichtigen, daß solche Praktiken nicht nur in der DDR existierten.

Als Opfer des DDR-Regimes werden auch Opfer durch Doping genannt und mögliche finanzielle Entschädigungen skizziert:

Es ist, wenn möglich, aus Mitteln von Institutionen der früheren DDR ein Fonds einzurichten, der auf unbürokatische Weise bei Härtefällen Not zu lindern versucht und spezifisch Benachteiligten, für deren Ansprüche es [noch] keine rechtliche Grundlage gibt, hilft. Zu denken ist auch an Opfer des Dopings im DDR-Sport.

Es gab allerdings auch eine sich alternative Enquetekommission nennende Gruppe, in der prominente ehemalige DDR-Bürger mitarbeiteten, die davon überzeugt waren, dass die die verschiedenen Untersuchungskommissionen von rein westlichen Interessen geleitet würden und die ehemalige DDR das Opfer einer andauernden Hexenjagd sei. Aber auch hier konnte man laut Bericht der FAZ vom 18.6.1994 nicht leugnen, dass Doping gezielt eingesetzt wurde, auch weil es aufgrund der politischen Weltbühne nicht anders ging. Fazit einer Veranstaltung: „Man habe Doping nicht gewollt, aber am besten gekonnt.

Erforschung der DDR- und der BRD-Dpopingvergangenheit

Die Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ spricht zum einen von den bitteren Hinterlassenschaften des DDR-Regimes, zu den auch die historische Aufarbeitung gehört. Damit reihte er sich in die Forderungen ein, die Ende 1993 von verschiedenen Seiten laut geworden waren. Er spannte aber den Bogen in die ehemalige Bundesrepublik und fordert angesichts einer nicht zu leugnenden Dopingkultur im ehemaligen Westen auch deren Bearbeitung.

„Den in die deutsche Einheit hineinwirkenden internationalen Erfolgen von Sportlern, deren Karriere in der DDR begonnen hatte, stehen zahlreiche bittere Hinterlassenschaften gegenüber:

… — Leistungsdefizite und beeinträchtigte Vorbildfunktionen durch Dopingpraktiken

— Aufklärung und Aufarbeitung der Verstrickungen von Athleten, Trainern, Wissenschaftlern und Funktionsträgern über die von der Partei- und Sportführung der DDR angeordneten Doping- und Manipulationspraktiken, die berücksichtigen, daß solche Praktiken nicht nur in der DDR existierten.“

Die Formulierung ist vielleicht nicht eindeutig, aber man kann daraus die Forderung nach einer Untersuchung des westdeutschen Dopings ableiten.

Dopingkultur im Westen

Neben dem Staatsdoping der DDR waren in den vergangenen Jahren immer mehr Hinweise bekannt geworden, die zeigten, dass Doping im Hochleistungssport des Westens kein seltenes Gebaren war. Insbesondere die konsequenten Ausführungen Brigitte Berendonsk ließen keine Zweifel daran, zumal sie und ihr Ehemann Werner Franke bislang alle Prozesse, die sie führen mussten, gewonnen hatten. Das verbreitete Westdoping war zudem durch etliche Geständnisse von Athleten insbesondere der Leichtathletik aufgedeckt worden, aber auch der Gang in die Öffentlichkeit von Sportlerinnen wie Christel Justen und Claudia Lepping brachte zusätzliche Klarheit. Durch die nicht enden wollende Diskussion um das DDR-Doping wurde Druck geschaffen, das Westdoping näher zu beleuchten. Dabei stellte sich auch die Frage, was war in der Bundesrepublik über das Doping in der DDR bekannt? Das Meiste, wie Werner Franke hartnäckig behauptete? Wie eng waren die Beziehungen tatsächlich? Gab es einen Austausch unter Sportmedizinern?

Tiefschürfend gelang dies in den damaligen Jahren jedoch nicht, es blieb beim Ankratzen der Oberfläche.

So geriet im Zuge der DDR-Doping-Informationen Manfred Höppners der wohl bekannteste Westdeutsche Sportarzt Joseph Keul unter Erklärungszwang. Hatte er in den 1970er Jahren Anabolika-Doping in Westdeutschland Höppner gegenüber bestätigt und in den Folgejahren international bei seinen Arztkollegen auf die Verhinderung strenger Doping-Richtlinien hin gearbeitet und damit Erfolg gehabt?

„Großzügig habe Keul ihm „einen Koffer mit Medikamenten“ angeboten. Höppner lehnte ab, war von da an sicher, „daß uns die Westkollegen nie verraten würden“.“

Zudem habe es zwischen Keul und ihm, dem Stasispitzel, Gespräche über republikflüchtige Arztkollegen gegeben. (der Spiegel 21.3.1994, SZ 21.3.1994, sid 26.4.1994)) Anfang April nahm Höppner in einem anwaltlichem Schreiben an Keul seine Behauptungen zurück: er habe Keul nie Aufträge zur Auskunftserteilung über republikflüchtige Ärzte gegeben; Keul habe nicht bestätigt oder behauptet, in der BRD würden Anabolika allgemein eingesetzt und er beabsichtige nicht, darauf zu verzichten; Keul habe nicht auf eine Streichung internationaler Dopingrichtlinien hingewirkt und Keul habe ihm nie einen Medikamentenkoffer angeboten.

Hans Eggert schrieb in der Berliner Zeitung am 21.1.1994:

Ebensowenig wie in der westlichen Sportwelt [keine Stasi-Akten zur freien Einsicht gibt]. Hier war es bisher nur mutigen Sportlern oder Journalisten zu danken, wenn ab und an Spitzen der Doping-Eisberge sichtbar wurden. Und manche der Mutigen haben ihren Mut teuer bezahlt: mit Liebesentzug durch maßgebliche Herren der Sport- und Sponsorenwelt. So gesehen ist die derzeitige Sauberkeitsaktion deutscher Sportfunktionäre vielleicht gut gemeint, aber nicht besonders wirkungsvoll. Denn es fehlt — über den kostenlosen Bannspruch gegen alle ehemaligen Ostsünder hinaus — die ehrliche Frage nach Ursachen, nach Sinn und Unsinn von Höchstleistung im Sport. Entrüsten wir uns denn: über die perverse Sport-„Förderung“ in der DDR-Szenerie, über den großen Ben, den legendären, schnellgespritzten Sprinter aus Kanada, über Tenniscracks, nach deren Durchhaltesubstanzen kaum einer fragt — und über das ganze System, das Leistung braucht, um Geld zu machen. Tun wir das nicht mit aller Konsequenz, da ansonsten unser olympischer Unterhaltungsbedarf ungedeckt bliebe, dann sollten wir lieber die Klappe halten.

DLV-Präsident Helmut Digel nahm den Spilker-Prozess zum Anlass, ebenfalls zurück zu blicken, insbesondere dachte er dabei an die Leichtathletik. Digel selbst war bereits seit 1976 gut informiert über interne Dopingstrukturen und Vorfälle deutscher Verbände. Er war als Protokollant Teil der DSB-Kommission, die 1977 unter Leitung von Ommo Grupe die Manipulationen im deutschen Spitzensport rund um die Olympischen Spiele 1976 aufarbeiten sollte.

„Wer gegenüber der DDR eine historische Aufarbeitung der Doping-Vergangenheit fordert, muss dies auch im Westen tun.“… „Doping war damals [1970 bis 1990] als Kavaliersdelikt der Normalfall im Sport, und es kann nicht nur ein Trainer daran beteiligt gewesen sein.“ Das große Problem des DLV ist jedoch, dass viele Trainer aus dieser Zeit immer noch in Amt und Würden sind – und der Verband sie nicht ohne weiteres entlassen kann. „Sie sind praktisch unkündbar.“ … „Ich erwarte von denjenigen, die in den 70er und 80er Jahren diesen Mist gebaut haben, daß sie sich jetzt an der Aufklärung beteiligen und sich zu ihrer Vergangenheit bekennen.“ Das Motiv sei nicht Rache, versichert Digel. Es geht ihm eher um die Glaubwürdigkeit des neuen Konzepts der „sauberen Leichtathletik“… Wer sich darin engagiert, soll nicht durch eine unbewältigte Vergangenheit entmutigt werden. (Stuttgarter Zeitung, 26.2.1994)

Dopingreglement, Dopingkontrollen – internationales und nationales Wirrwar

staatliche Verpflichtungen, Regelungen

Mit einigen Jahren Verzug trat die Bundesrepublik am 28. April 1994 dem Europäischen Übereinkommen gegen Doping im Sport von 1989 bei.

Die einzelnen internationalen und nationalen Sportverbände konnten sich in ihren Anti-Doping-Reglements erheblich unterscheiden. Diese galten je für nationale und internationale Veranstaltungen, an denen das Internationale Olympische Komitee nicht beteiligt war oder deren Veranstalter vom IOC nicht anerkannt waren. Für die Sportveranstaltungen, die vom IOC unterstützt oder von den Nationalen Olympischen Komitees und internationalen Verbänden, die vom IOC anerkannt waren und somit an den Olympischen Spielen teilnehmen konnten, galt das Reglement des IOC.

Diskutiert wurde in Deutschland eine gesetzliche Verschärfung der Antidoping-Maßnahmen. Es gab hierzu Regelungen im Arzneimittelgesetz, da man davon ausgegangen war, dass Dopingmittel ‚in der Regel für medizinisch indizierte Anwendungen entwickelte Arzneimittel, die für Dopingzwecke mißbraucht werden‘, sind. Die „Hauptmißbrauchsformen, wie der Verkauf von Dopingmitteln in Fitneßzentren und der illegale Import“ wurden damit nicht erfasst.

Aus dem staatlichen Recht können für Doping im Sport noch Bestimmungen des Strafgesetzbuches sowie des Betäubungsmittelgesetzes relevant sein. Die Bundesregierung hält besondere gesetzgeberische Maßnahmen nicht für erforderlich. Dagegen ist die Bundesregierung bestrebt, mißbräuchliche Einfuhr sowie Vertrieb und Benutzung anaboler Steroide und Wachstumshormone aus gesamtgesellschaftlichen, gesundheiillchen und drogenpräventiven Gründen verstärkt zu bekämpfen. Sie hat die Länder darum gebeten, sie in diesem Bestreben zu unterstützen. Außerdem sind bestimmte Schwerpunktmaßnahmen, die im einzelnen im Anti-Doping-Bericht aufgeführt sind, eingeieitet bzw. vorgesehen.“ (8. Sportbericht 1995)

Im Januar und Mai 1994 brachte die SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages einen Antrag auf Verschärfung des Arzneimittelgesetzes ein. Mit bis zu 5 Jahren Haft sollten diejenigen bestraft werden können, „die Arzneimittel unentgeltlich zu einem nicht indizierten Zwecke, beispielsweise Doping, weitergeben.“ Zudem sollten die Strafen für Doping an Minderjährigen verschärft werden.

„“Bestraft werden soll in Zukunft das dealende Umfeld, nicht aber der Sportler“. Als Beispiele wurden die Fälle der Leichtathletiktrainer Thomas Springstein und Reiner Föhrenbach genannt, gegen Staatsanwaltschaften bislang nicht hätten einschreiten können. Im Mittelpunkt des Antrags stehe der gesundheitliche Schutz der Menschen, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Mißbrauch auch von Anabolika und Wachstumshormonen mittlerweile ein gesamtgesellschaftliches Problem geworden sei. „Nur ein Prozent der registrierten Fälle betreffe den Spitzensport, der große Rest entfalle auf Freizeitsport, insbesondere Bodybuilding-Studios, Schulen und andere Einrichtungen, die sich dem Sport außerhalb der Vereine widmeten.“ (FAZ, 21.1.1994)

Der Antrag wurde bereits im Vorfeld der Sitzung des Sportausschusses, in der darüber diskutiert werden sollte, von den Regierungsfraktionen abgelehnt und nicht zur Diskussion zugelassen.

Die geforderte Änderung des Arzneimittelgesetzes betreffe vor allem den Freizeitsport der Bodybuildingszene und Fitneßstudios; der Sportausschuß befasse sich aber nur mit dem organisierten Spitzensport, argumentierten CDU/CSU und FDP. Also seien Jugend- und Gesundheitsausschuß zuständig.“ (FAZ, 22.4.1994) (Wie der Gesundheitsausschuss im Mai entschied, ist mir nicht bekannt)

1996 legte die SPD-Fraktion einen neuen Gesetzentwurf vor. 1998 kam es zu einer Änderung des Arzneimittelgesetzes.

sportrechtliche Regelungen

schwaebische.de/dpa, 9.11.2003:
Als „heilloses Durcheinander und absolutes Chaos“ hat Rechtsanwalt Richard Eimer auf dem von ihm organisierten 3. internationalen Sport-Recht Kongress die Rechtsprechung im deutschen Sport bezeichnet.
Auf Grund der unterschiedlichen Satzungen der einzelnen Verbände könne von einer gleichartigen Behandlung aller Fälle keine Rede sein. Die 150 Fachjuristen aus 13 Nationen sprachen sich aus diesem Grund am Samstag in Bonn einheitlich für eine Einführung eines neutralen nationalen Sport-Schiedsgerichts aus. Übergeordnet soll das internationale Schiedsgericht in Lausanne (CAS) für Berufungen zuständig sein.

Die Einführung eines Schiedsgerichts beim Deutschen Sportbund (DSB) bezeichnete der Anwalt als wichtigen Zwischenschritt. Als erster Verband nutzte der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) diese Einrichtung, die sich wohl vor allem mit Doping-Prozessen beschäftigen muss.
……………………………………………

Eine Zusammenstellung der Sanktionsregelungen bei Dopingvergehen der deutschen Sportverbände wurde im Anti-Doping-Bericht der Bundesregierung vom 15.6.1994 veröffentlicht:

>>> Gegenüberstellung der „Straf“·Bestimmungen der Spitzenverbände bei Dopingvergehen des Deutschen Sportbundes, Drucksache 12/7540, Anlage 6

Um die Regelungen und Urteile der einzelnen Verbände besser in Einklang zu bringen, wurde seit einiger Zeit die Idee eines nationalen Sportschiedsgerichts diskutiert, das für alle Streitigkeiten, auch Dopingangelegenheiten, zuständig sein sollte. Nach längerer Prüfung gab es im März 1994 eine Einigung, rechtliche Probleme seien ausgeräumt. lediglich die Finanzierung sei noch offen.

„Ein wichtiger Konflikt wäre mit einem nationalen Schiedsgericht allerdings nicht gelöst: die Diskrepanz zwischen nationalem und internationalem Recht.“ (Berliner Zeitung, 2.3.1994).

Es dauerte allerdings noch bis 2008, bis solch ein unabhängiges nationales Schiedsgericht seine Arbeit aufnehmen konnte (Karsten Mertens). (Welche Rolle das 2003 eingerichtete Sportschiedsgericht des DSB (siehe Kasten links) spielte, ist mir nicht bekannt.)

das IOC und weltweit verbindliche Regelungen

Lausanne 1994, IOC 8-Punkte-Programm:
– Erstens die Regeln und Verfahren bei Wettkampf- und Trainingskontrollen vereinheitlichen.
– Zweitens die jeweils aktuelle IOC-Liste der verbotenen Substanzen übernehmen.
– Drittens die Minimalstrafe bei schweren Dopingverstößen auf zwei Jahre festlegen.
– Viertens die Sanktionen der anderen Verbände anerkennen und keinen Gesperrten als Überläufer starten lassen.
– Fünftens nur vom IOC beglaubigte Labors mit den Testanalysen beauftragen.
– Sechstens die Kooperation mit allen sportlichen Partnern und Regierungen gegen den Handel mit Dopingsubstanzen verstärken.
– Siebtens Hilfsprogramme für bedürftige Verbände auflegen.
– Achtens Verbände, die sich den Anforderungen eins bis sieben nicht fügen, aus dem Olympischen Programm werfen.
(FAZ, 15.1.1994)

International waren die Regelungen noch uneinheitlicher. Schieds- und Wettkampfrichter gab es in jedem Verband, die Verfahren und Verbandsorgane unterschieden sich jedoch erheblich voneinander. Es gab auch bereits Sportschiedsgerichte, so z. B. bei der IAAF und den Court of Arbitration for Sport (CAS), der beim IOC angesiedelt war.

„Aber die Entscheidungen solcher Schiedsgerichte werden von Sportlern und Vereinen nicht immer akzeptiert. Sie gehen immer häufiger vor die staatlichen Gerichte, um ihre Startberechtigung bei Wettbewerben oder auch Schadenersatzforderungen durchzusetzen. Dem amerikanischen Leichtathleten Harry „Butch“ Reynolds wurden von einem Gericht in Ohio 27 Millionen Dollar zugesprochen. Man ist sich einig, daß dies nicht erfreulich ist. Die staatlichen Gerichte kennen sich mit den Eigenheiten des Sports nicht genügend aus. Es besteht die Gefahr einer in den verschiedenen Staaten voneinander abweichenden Rechtsprechung.“ (FAZ, Ulrich Fastenrath 26.1.1994)

Diskutiert wurde daher ein von Verbänden unabhängiges, aber von allen anerkanntes Schiedsgericht. 1994 kam es trotz kontroverser Diskussionen im Vorfeld zu einer grundsätzlichen Reform des CAS: CAS History, The 1994 reform.

Diese CAS-Reform war Teil eines ‚Anti-Doping-Konzeptes‘, das das IOC im Januar 1994 anlässlich seiner 100. IOC-Session seinen 33 internationalen Mitgliedsverbänden in Lausanne mit einem 8-Punkte-Programm zur Dopingbekämpfung vorgelegt hatte. Ziel des Programms war eine weitgehende internationale Einigkeit in der Dopingbekämpfung durch die Vereinheitlichung der Antidoping-Regelwerke nach IOC-Vorgaben zu erreichen. Vorgesehen wurde die Einführung einer Mindeststrafe von 2 Jahren bei einem ersten schweren Dopingvergehen. Sollten die vom IOC anerkannten Verbände das Regelwerk nicht anerkennen, drohte ihnen der Ausschluss von den Olympischen Spielen. (s.a.  , S. 14)

Das vom IOC vorgelegte Konzept wurde zwar mit der Unterschrift von 21 Verbänden als Erklärung verabschiedet, doch mehr als Augenwischerei sahen darin einige Beobachter nicht. Die FAZ schrieb am 14.1.1994:

Die Nachricht kommt vom Genfer See, aber sie könnte von Radio Eriwan verbreitet werden: „Im Prinzip“ ist die Olympische Familie einig, daß sie eine Harmonisierung der weltweiten Dopingbekämpfung ebenso nötig braucht wie eine unabhängige internationale Schiedsstelle, deren Urteile auch von staatlichen Gerichten akzeptiert werden. Aber in der Praxis ist der große Familienrat am Donnerstag im Olympischen Museum von Lausanne nicht ohne die Beschränkung auf rechtlich noch unverbindliche Grundsätze, ohne Kompromisse und Ausnahmen zur vielbeschworenen Einigung gekommen.

Der Niederländer Hein Verbrüggen, Präsident des Internationalen Radsportverbandes, setzte zwar seinen Namen unter die Erklärung. Aber seiner Organisation, die gerade die Höchststrafe beim ersten Dopingbetrug, etwa für Anabolikavergehen, von drei Monaten auf ein halbes Jahr heraufgesetzt hat, wurde das Jawort durch ein Zugeständnis erleichtert. Der Radsportverband hat zwei Jahre Zeit, die Zweijahresstrafe in seiner Satzung zu verankern. „Wir müssen Rücksicht nehmen auf die spezielle Situation dieser Sportart“, sagte de Merode, aber er deutete auch auf die Grenze der allgemeinen Toleranz. Falls die Radsportler nicht im Zeitlimit bleiben, droht Punkt acht der Vereinbarung: Ausschluß aus dem Olympischen Programm.

… IOC-Generaldirektor François Carrard teilte im Sinne, aber nicht im Auftrag der FIFA mit: „Es hat mit dem Fußballverband keine wesentliche Meinungsverschiedenheit gegeben, und deshalb sind wir zuversichtlich, daß wir uns einigen können.“ Einigen auf einen medizinischen Kodex, dessen endgültige Fassung von einer Arbeitsgruppe in den kommenden Wochen fertiggestellt und dann von allen Mitgliedern der Olympischen Familie ratifiziert werden soll.“

FAZ, 15.1.1994:
Das deutsche IOC-Mitglied Thomas Bach, Anreger und Angehöriger der Juristischen Kommission, hat Verständnis für Verbruggens Position: „Die gleichen Substanzen spielen in verschiedenen Sportarten oft unterschiedliche Rollen.“ Zum Beispiel Anabolika, sagt Verbruggen. Sie seien im 100-Meter-Lauf ein größerer Betrug als im Radsport, wo sie keine vergleichbaren Vorteile brächten. Also ärgert sich der Radsport-Präsident über den olympischen Fraktionszwang mit manchen anderen Sportarten, denen er sich an Ernsthaftigkeit in der Dopingbekämpfung um einiges voraus glaubt: „Wir müssen uns von Verbänden, die 400 oder meinetwegen 800 Tests im Jahr machen, nichts erzählen lassen. Wir haben jährlich rund 15 000 Dopingkontrollen in Wettkämpfen und im Training – und liegen in der Liste der positiven Fälle an vierzehnter Stelle.“ Ein gutes, wenn auch kein sauberes Zwischenergebnis.

Am 4./5. September 1994 verabschiedete das IOC in Paris seinen überarbeiteten Kodex. Er bezog sich auf Athleten, Trainer, Funktionäre und auf medlzinisch-physiotherapeutische Betreuer.

Die UCI reagierte und erhöhte sein Strafmaß ab dem 1. 11.1994 – ein wenig.

„Die neuen Strafen, die Profis und Amateure gleich behandeln, sehen beim ersten Verstoß eine Sperre zwischen sechs und zwölf Monaten vor, beim zweiten eine Sperre zwischen einem Jahr und zwei Jahren und beim dritten Verstoß den Lizenzentzug. Der ursprüngliche Strafenkatalog, bei dem ein Profi etwa beim dritten Dopingvergehen mit einer Sperre von 18 Monaten belegt wurde, gilt bis zum 31. Mai. In dem Zeitraum zwischen dem 1. Juni und dem 31. Oktober können bereits erhöhte Strafen ausgesprochen werden.“

Die UCI argumentierte, dass im Radsport eine Sperre von 12 Monaten das Karriereende bedeute. (FAZ, 25.4.1994)

Laut 9. Sportbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 1999 hatten 1997 erst 14 der 35 internationalen Verbände mit olympischen Sportarten das IOC-Regelwerk übernommen.

Einige Verbände behielten ihre eigenen Regelungen bis zur Einführung des WADA-Codes 2003 bei. Die UCI und die FIFA wehrten sich auch noch dagegen. So unterzeichnete die UCI erst im Juli 2004 kurz vor den Olympischen Spielen in Athen den Code. Ansonsten hätten ihre Sportler tatsächlich zuhause bleiben müssen. (>>> die Geburt der WADA)

Die Regelungen der nationalen Verbände orientierten sich im Allgemeinen an den Vorgaben der internationalen Fachverbände. Vorgaben bzw. Wünsche aus anderen Verbänden, auch dem DSB, fanden so in Deutschland wenig Gehör. Die damit verbundene Ungleichbehandlung dopender Sportler, brachte einige Unruhe in die Beziehung der Verbände und der Sportler untereinander, sowohl national als auch international. Insbesondere aus den Reihen des DLV, der sich gemeinsam mit der IAAF, als Vorreiter in Sachen Doping-Bekämpfung sah, kamen immer wieder kritische Anmerkungen gegenüber anderen Verbänden, wie z. B. gegenüber dem Fußball. (Rüdiger Nickel in Focus, 7.3.1994)

Dopingkontrollen

Gegenüber der IOC-Liste März 1993 erweiterte das IOC 1994 die therapeutischen Ausnahmen um zwei Schmerzmittel (Analgetika), um Dihydrocodein und Dextromethorphan.

Rege diskutiert wurde der verbreitete Gebrauch von Asthmamitteln im Sport, insbesondere im Wintersport.

Der Vorsitzende der Medizinischen Kommission des lOC, Prinz Alexandre de Merode, zeigte sich in einem Interview „verwundert über die hohe Anzahl asthmakranker Langläufer“. 60 Prozent der Olymplastarter sollen unter Asthma leiden. De Merode: „Das ist nicht normal.“ Das lOC wies alle Spekulationen zurück. „Wir müssen nicht von Doping sprechen“, meinte Dr. Patrick Schamasch, Medizinischer Direktor des lOG. „Wir waren nur ein wenig besorgt.“ 87 von 1 956 Athleten in Lillehammer ließen durch ihre Mannschaftsärzte erklären, daß sie unter Asthma leiden, an einem Tag waren es allein 31. lOC-Informationsdirektor Andrew Napler meinte vor der Presse: „Es gibt aus Sicht des IOC keinerlei Anlaß, daran zu zweifeln, daß die Langläufer die Medikamente benötigen. Das hat mlt Doping absolut nichts zu tun.“ Nach Aussagen von Medizinern leidet ein hoher Prozentsatz der Langläufer an sogenanntem Belastungsasthma. … Auch Donike äußerte sich verwundert über die hohe Anzahl der Asthmafälle im nordischen Skisport. Die normale Asthmaquote in der Bevölkerung liegt bei acht bis zehn Prozent. Dopingtests hatten 1992 die weite Verbreitung von Clenbuterol ausgewiesen. Glenbuterol ist ebenfails Bestandteil von Asthmamedikamenten und war den Leichtathletinnen Katrin Krabbe, Grit Breuer und Manuela Derr vom SC Neubrandenburg zum Verhängnis geworden. (Berliner Zeitung, 24.2.1994)

Seit Jahren wurde im internationalen Sport die Einführung von Blutkontrollen neben den Urin-Kontrollen diskutiert. Mit den Blutkontrollen wollte man ursprünglich dem Fremd- und Eigenblutdoping sowie der Anwendung von EPO auf die Spurt kommen. Doch lediglich Fremdblutdoping war erkennbar. Die FIS führte seit 1989 Versuchsreihen durch. Bei den Olympischen Spielen 1992 in Albertville und 1994 in Lillehammer war man immer noch nicht weiter. Lediglich zu Versuchszwecken konnte der Internationale Skiverband (FIS) 200 Proben nehmen, die in Oslo analysiert wurden.

„Wir haben einfach noch nicht genug Sicherheit“, sagt Merode. Sicherheitshalber werden den Skisportlern von einem der 143 Olympia-Ärzte nur vier Milliliter entnommen und gleich nach der Analyse vernichtet. „Denn Blut ist ein besonderer Saft, ganz anders als Urin.“ Davon gingen wohl auch die „Blutsauger“ in Lahti aus, wo einige Blutproben spurlos verschwunden sein sollen. Aber nicht etwa, wie auch Merode gehört hat, um „positive“ Ergebnisse zu unterschlagen. Die Finnen wollten durch die Blutanalyse nur herauskriegen, ob die Norweger vor den Wettkämpfen etwas Besonderes gegessen haben.“ (FAZ, 8.2.1994)

Die Entwicklung eines EPO-Test entwickelte sich derweil zu einer unendlichen, sehr fragwürdigen Geschichte. Das IOC hatte Professor Francesco Conconi, der beste Beziehung in die hohe Sport-Funktionärswelt (Beispiel Primo Nebiolo) unterhielt und selbst seit vielen Jahren praktizierender Dopingarzt war, mit der Entwicklung eines EPO-Tests beauftragt – ein Auftrag, der nie ein befriedigendes Resultat zeitigte. (Conconi und der EPO-Nachweis).

Die Durchführung von Wettkampfkontrollen richteten sich nach den jeweiligen Antidoping-Reglements der Verbände, national und international. Die für 1993 gemachten Ausführungen trafen 1994 noch weitgehend zu.

deutsche Trainingskontrollen

Die deutschen Trainingskontrollen unterlagen der Organisation der Anti-Doping-Kommission (ADK) des Deutschen Sportbundes DSB. Dieser fassste die Regelungen Anfang 1994 in einer Broschüre zusammen:

Broschüre „Doping-Kontroll-System (DKS)“ der Gemeinsamen Anti-Doping-Kommission (ADK) von DSB/NOK

Die Teilnahme der Verbände war freiwillig. Allerdings machte das Bundesministerium des Inneren (BMI) seine Förderung der Sportverbände von deren Teilnahme an dem Programm abhängig. Das hatte jedoch die Deutschen Eissportverbände und den Deutschen Eishocckey-Bund nicht daran gehindert, aus dem Programm wegen zu hoher Kosten aus zu scheiden. Eine ähnliche Kritik soll auch aus Sommersportverbänden gekommen sein.

„Der Kommission stehen im laufenden Jahr 1,15 Millionen Mark für Kontrollen zur Verfügung. Jeweils 180000 Mark zahlen der DSB, das Nationale Olympische Komitee für Deutschland und die Stiftung Deutsche Sporthilfe. Die olympischen Sportverbände zahlen einen Sockelbetrag von 5000 Mark. Zusätzlich kostet jede Probe die Verbände 100 Mark. Die Analysekosten in den Anti-Doping-Labors Köln und Kreischa trägt der Steuerzahler. Im laufenden Jahr rechnet man voraussichtlich mit mehr als 4000 Kontrollen.“ (FAZ, 29.3.1994)

Um nicht selbst alle Trainingskontrollen in den verschiedensten Weltgegenden, in denen sich die Athleten zum Training aufhielten, durchführen zu müssen, versuchte der DSB Verträge mit internationalen Verbänden und Ländern zu schließen, deren Kontrolleure die Kontrollen übernehmen sollten. Erste Vereinbarungen wurden Anfang 1994 mit der IAAF und Frankreich geschlossen (sid, 26.1.1994).

1997 wurden von allen olympischen Verbänden, mit Ausnahme der nicht vom Bund geförderten Verbände Deutscher Fußball-Bund, Deutscher Tennis-Bund und den Profis des Bundes Deutscher Radfahrer Trainingskontrollen durchgeführt. Nichtolympische Verbände beteiligten sich aus finanziellen Gründen nur vereinzelt. (9. Sportbericht der Bundesregierung, Antwort der Bundesregierung ‚Doping im Spitzensport und Fitnessbereich) (Über eine Diskussion um die Streichung von Fördermitteln für Verbände, die sich nach 1994 nicht am Trainingskontrollprogramm beteiligt hatten, liegen mir keine Informationen vor.)

Für die Analysen nationaler und internationaler Dopingproben aus Wettkampf- und Trainingskontrollen standen in Deutschland zwei Institute zur Verfügung. Neben Köln unter Leitung von Manfred Donike hatte im Februar 1994 das Labor in Leipzig unter Leitung von Klaus Müller die IOC-Akkreditierung erhalten.

der deutsche Leichtathletikverband gegen den Rest der Welt …

FAZ, 16.3.1994:
Primo Nebiolo, der Präsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF)…: „Keine andere Sportorganisation der Welt ist so vertraut mit der Erkenntnis, daß die künstliche Leistungssteigerung aus den Wettkämpfen eliminiert werden muß.“ Und kein anderes Mittel sei dabei so wirkungsvoll wie Kontrollen außerhalb der Wettkämpfe, versichert Staffan Sahlström während des ersten Welt-Anti-Doping-Seminars der IAAF, das an diesem Mittwoch in Heusenstamm zu Ende geht. …
1992 habe die IAAF lediglich 100 sogenannte Out-of-competition-tests vorgenommen. Im vergangenen Jahr waren es knapp 500 in 25 verschiedenen Ländern, in diesem Jahr sollen es rund 800 in 50 Ländern werden. Gegenüber 500000 Dollar 1993 investiere die IAAF 1994 mindestens 750000 Dollar.

Suttgarter Zeitung, 16.3.1994:
Vehement beklagen die Leichtathleten nämlich die Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten durch die sehr unterschiedlichen Dopingrichtlinien der einzelnen Sportverbände. Das Wort Boykott wollte Nebiolo zwar nicht in den Mund nehmen. Aber dass seine Leichtathleten den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta fernbleiben könnten…brachte er als Möglichkeit doch ins Spiel…. Ohne mit der Wimper zu zucken, ergänzte DLV-Präsident, man müsse glücklich darüber sein, daß der IAAF-Präsident sich verbal so weit vorwage. Die Leichtathleten, so Digel, sollten sich in der Tat „als letzte Möglichkeit vorbehalten, nicht zu Olympia zu gehen“.

Härte zeigte der DLV beim Kongreß des „1. Welt-Antidopingseminars“ der IAAF im März 1994. Er wolle, so DLV-Präsident Helmut Digel,beim IAAF 1995 in Göteborg beantragen, „daß bei Olympischen Spielen, Europa- und Weltmeisterschaften künftig nur Athleten starten dürfen, die den Nachweis erbringen können, daß sie auch außerhalb von Wettkämpfen auf Doping kontrolliert werden. Diese Forderung soll … für Athleten auf den ersten 20 Plätzen der Weitrangliste gelten.“ (Berliner Zeitung, 23.3.1994). Die Athleten sollten sich selbst mehr um den Nachweis ihrer Sauberkeit bemühen.

„Der DLV-Präsident denkt zwar nicht an eine Umkehr der Beweislast im juristischen Sinne, also an eine grundsätzliche Schuldvermutung und die rechtliche Pflicht der Sportler, ihre Sauberkeit hieb- und stichfest zu belegen. Doch die Athleten müßten, etwa nach dem Vorbild des deutschen Zehnkampfteams, das zahlreiche freiwillige Tests organisiert, aus eigenem Antrieb stärker zur Steigerung der Glaubwürdigkeit beitragen. „Nicht in der quantitativen Steigerung der Kontrollen ist dabei die Lösung zu suchen“, glaubt Digel, „es kommt vielmehr auf die Qualität unseres Kontrollsystems an.““ (FAZ, 14.3.1994)

Von der IAAF wurde Zustimmung signalisiert, allerdings mit dem Einwand, die Kosten dürften zu hoch werden für das benötigte professionelle Team, das die Sportler jederzeit und überall für unangemeldete Kontrollen erreichen müsste. Bei 204 IAAF-Mitgliedern, von denen die meisten nur ein ungenügendes eigenes Kontrollsystem aufrecht erhalten würden, wäre diese Aufgabe nur schwer durchzuführen. Am DLV würde es aber nicht hapern, denn „der DLV informiert uns vorbildlich, bis hin zum detaillierten Formblatt. Aber das machen eben nur wenige Verbände so gewissenhaft.“

Der DLV präsentierte seine Pläne auch während der Europameisterschaften in Helsinki und warb für seine Initiative. Es wurde jedoch schnell erkennbar, dass selbst innerhalb Europas kaum mit einer gemeinsamen Unterstützung zu rechnen war. (FAZ, 10.8./15.8.1994).

Wenige Tage bevor Digel in Heusenstamm gegenüber dem IAAF seine Ideen erstmals präsentierte, gab er in Paris Einblicke in seine Meinung über die Dopingpraxis der DLV-Athleten.

„Mehr als drei Viertel gehen den sauberen Weg konsequent. Aber wir glauben, daß es in den eigenen Reihen weiter Leute gibt, die manipulieren. Daß er von „drei Vierteln“ spreche, sei auf seine Informationen „aus Einzelgesprächen mit den betreffenden Disziplinen“ zurückzuführen. Dabei sei „die Grenze zwischen Substitution und Manipulation höchst kritisch“. Digel hat nach eigener Aussage die Abteilung Leistungssport im DLV angewiesen, Einzelgespräche zu führen. Ansonsten bezeichnete er das DLV-Kontrollsystem als das beste der Welt. (FAZ/sid, 14.3.1994)

In Heusenstamm nahm Digel seine Aussagen wieder zurück:

„Wenn ich sage, daß mehr als 75 Prozent der Athleten hinter unserer Politik stehen, dann wird daraus abgeleitet, daß 25 Prozent noch dopen. Dies ist in der Tat eine fatale Interpretation, und ich bitte darum, diese nicht zu verwenden“, sagte der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) beim Antidoping-Seminar des Weltverbandes IAAF in Heusenstamm. „Diese Äußerung war einfach dumm von mir, und ich halte die Zahlen für falsch, da ich sie nicht belegen kann“, versicherte Digel. (FAZ, 16.3.1994)

Die IAAF stand unter Reformdruck, kaum ein anderer Sport war über die Jahre so stark mit prominenten Dopingfällen belastet worden wie die Leichtathletik. Ob verbreitet Druck auf den Weltverband auch aus den Inneren Zirkeln ausgeübt wurde, ist eher zweifelhaft, einiges deutet daraufhin, dass vieles reine Antidoping-Rhetorik war. Aus Deutschland waren Reformvorschläge aufgrund der speziellen Situation zwar vorhanden, aber auch hier hatten Dopinggegner einen schweren Stand.

Gerhard Treutlein, 2009:
„Nicht ohne Grund hat sich der Hochschulsportverband ADH, der für sich immer erhebliche Progressivität in Anspruch nahm, meinem Antrag auf Bemühungen um die Abwahl des FISU- und IAAF-Präsidenten Nebiolo verweigert. Nebiolo war mit einiger Wahrscheinlichkeit einer der größten Betrüger im internationalen Sport; auch der DLV ist nie gegen ihn vorgegangen, obwohl Nebiolo wegen seiner Betrügereien als Präsident des italienischen Leichtathletikverbands zurücktreten musste.“

Ein klares, wenn auch kleines Signal hätte der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband (ADH) setzen können. Auf der Vollversammlung des ADH im März 1994 hatte Gerhard Treutlein, ADH-Disziplinchef der Leichtathleten die Abwahl von Primo Nebiolo als Präsident des Internationalen Universitätssportverbandes (FISU) gefordert. Nebiolo, auch Präsident der IAAF, sei als aktiver Mitgestalter an der „Mauer des Schweigens“ und „Kaschierer“ bei aufgetretenen Dopingfällen nicht tragbar. Der Antrag wurde von der Vollversammlung als „sportpolitisch nicht durchführbar“ abgelehnt. (FAZ, 28.3.1994)

Nebilo war in den 1980er Jahren Präsident der IAAF und des Italienischen Leichtathletikverbandes FIDAL. In dieser letztgenannten Eigenschaft war er tief in dessen Dopingkultur verstrickt. Ende 1988 musste er deshalb und wegen weiterer Betrugsfälle sein FIDAL-Amt niederlegen, blieb aber Chef der IAAF.

In der Sackgasse:
Es ist, als habe sich das Rad der Geschichte zurückgedreht. Die Leichtathletik, die so eng mit dem Fortschrittsstreben verknüpft ist, meldet Stagnation und Rückschritt. In den meisten Disziplinen ist die Maxime des Höher-Schneller-Weiter nur noch Makulatur. … Auf der Suche nach einer neuen Weltanschauung haben die zur Bescheidenheit gezwungenen Funktionäre modische Schlagworte entdeckt: Wettkampfspannung statt Rekordhatz, Ästhetik statt Leistungsdruck. Doch gleichzeitig fehlen der Sportart Stars, die das saubere Image verkörpern – der Leichtathletik droht der Absturz in die Belanglosigkeit und damit die ökonomische Krise. … Die Leichtathletik bezahlt die Strafe für jahrzehntelangen Betrug. … Selbst der talentierteste Sportler und der größte Trainingsaufwand können den Verzicht auf pharmakologische Unterstützung nicht wettmachen. … Auch wenn die Sportfestveranstalter die Marken für die Weltrekorde verschämt beiseite geräumt haben und die Fernsehmoderatoren wortreich um das Thema Doping herumreden – der Zuschauer ist aufgeklärt. Jede sportliche Höchstleistung wird kritisch beäugt, schließlich werden die Zweifel an der Sauberkeit doch immer wieder bestätigt. der Spiegel, 8.8.1994 

Der DLV versuchte im Laufe des Jahres einige seiner Vorschläge im Inland umzusetzen.

Dazu gehörte die Idee, dass an deutschen Meetings nur Athleten/Athletinnen zugelassen würden, die eine bestimmte Zahl unangemeldeter und negativer Dopingtests nachweisen könnten.

„Für deutsche Leichtathleten aufgrund des umfangreichen Kontrollsystems hierzulande keine Schwierigkeit, für viele Ausländer sehr wohl. Digel sprach von einer „Bringschuld“ und glaubte, mit Hilfe der Sportfest-Organisatoren Athleten zwingen zu können, sich selbst um Tests und ihren Nachweis zu kümmern, notfalls Druck auf ihre Verbände auszuüben. Wer Geld verdienen wolle, müsse eben auch zeigen, daß er „sauber“ sei.“

Diese Forderung wurde jedoch von den Meeting-Direktoren verworfen. „Man könne nicht die Aufgaben der Verbände übernehmen, stellte ihr Sprecher Rudi Thiel, der Chef des Berliner Stadionfests Istaf, fest.“

Intern setzte das DLV-Präsidium die ‚Athleten-Vereinbarung‘ durch, in der Rechte und Pflichten beider Seiten geregelt wurden.

„Der Athlet erkennt die Regelungen der DLV-Satzung, der Wettkampfordnung (WKO), der Deutschen Leichtathletik-Ordnung (DLO), der Rechts- und Verfahrensordnung des DLV sowie die Dopingbestimmungen des Deutschen Sportbundes und die IAAF-Bestimmungen, einschließlich der Doping-Richtlinien der IAAF, als für sich verbindlich an.“ Nur durch dieses komplexe Regelwerk könne der DLV „eine geschlossene Satzungskette vom Weltverband über den nationalen Verband, Landesverband und Verein bis zum Athleten herstellen“, sagt Prokop. Das sei für die Ahndung von Dopingvergehen besonders wichtig. An anderer Stelle des Vertrages muß sich der Sportler noch einmal ausdrücklich verpflichten, die Dopingbestimmungen einzuhalten, die Dopingbekämpfung des DLV offensiv zu unterstützen und sich Dopingkontrollen zu unterziehen. Davon macht der DLV eine Nominierung für die Nationalmannschaft abhängig.

Auch das materielle Geben und Nehmen wird, erstmals in dieser Form, schriftlich fixiert. Der Verband verspricht seinen Leichtathleten umfassenden Service…. (FAZ, 25.11.1994)

Zitat aus einem Helmut Digel-Interview, FAZ 22.4.1994

Wie legitimiert sich überhaupt ein Hochleistungssport, in dem Höchstleistungen kaum noch in den Rahmen ethischer und moralischer Prinzipien passen?
Diese Legitimation wird immer schwieriger, weil der Hochleistungssport heute Betrug, Aggression, Manipulation begünstigt. Denn es geht ja um viel Geld. Der Sport muß zeigen, daß er diese Selbstzerstörungselemente erkennt und nicht verdrängt. Dagegen müssen wir einen Leistungssport setzen, der unter kulturellen und pädagogischen Gesichtspunkten wieder Vorzeigefunktion für die Gesellschaft hat. Und das geht nur über positive Athletenbilder, über die stärkere Orientierung auf das eigentliche Ereignis des Wettkampfes und dessen Spannung, weg vom Rekord. Mit einer bloßen Rekordorientierung hat zum Beispiel die Leichtathletik langfristig kaum eine Überlebenschance.

Doping und Stasi überlagern den Sport und überfordern die Sportführer. Wie soll das weitergehen?
Beides ist aufs engste verknüpft. Die meisten Sportverbände können das Stasi-Problem lösen, weil sie einen soliden Weg der Überprüfung gewählt haben. Das gilt für die ehrenamtlichen Führungsgremien und Trainer. Bei den Athleten gibt es immer weniger, die noch zu Stasi-Zeiten aktiv waren. Das ist eine Sache von zwei, drei Jahren. Natürlich wird es weiter Akten geben, die ernüchternd sind. Aber das allgemeine Bild wird sich dadurch nicht ändern. Das Sportsystem der DDR war ausgesprochen diffizil gesteuert durch die Staatssicherheit.

Und wie sieht die Zukunft der Dopingvergangenheit aus?
Wir haben geglaubt, das Problem mit der Nichtverfolgung für Sportler lösen zu können. Daß es auch weiterhin Führungskräfte im Sport geben würde, die wußten, daß in beiden Systemen gedopt wurde, war eigentlich jedermann klar. Das wird durch die Enthüllungen nur deutlicher.

Haben Sie Verständnis für Klagen aus dem Osten, die „Wessis“ führten sich jetzt auf wie die heilige Inquisition und hätten doch selbst genug Dreck am Stecken?
Ich habe Verständnis für Athleten, Trainer, auch Funktionäre aus den neuen Ländern, die sagen: Es ist ungerecht, daß nur auf uns herumgehackt wird, während der Westen darüber fast in Vergessenheit gerät. Aber es irritiert mich, daß ein Forscher wie Professor Franke in Presseorganen der neuen Länder diffamiert wird. Das scheint mir inquisitorisch. Denn eines ist klar: Es wurde mit Kindern experimentiert, sie wurden betrogen, und es waren menschenverachtende Handlungen. Da muß jeder an einer Aufklärung interessiert sein. Auch die Athleten, auch im Osten.

Zweifel am und im Deutschen Schwimmverband

International und national wurde die Dopingsituation in China heftig diskutiert. 1993 fielen, soweit bekannt, 24 chinesische Sportler/innen mit positiven Kontrollen auf. 1994 waren es 31 Fälle. Eine Frage, die insbesondere in Deutschland aufkam, war, wollte und konnte China vom DDR-Dopingsystem profitieren? Einige Trainer fanden nach der Wende in dem Riesenreich eine neue Stelle. Insbesondere der Deutsche Schwimmverband DSV wetterte gegen die chinesischen Zustände. International hatte sich auch eine Front gebildet. Die Trainer von 18 westlichen Schwimmverbänden hatten sich im September zusammen geschlossen und eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie ein weltweit vereinheitlichtes Vorgehen forderten.

„Der Schwimm-Weltverband, die FINA, wird dringend aufgefordert, dieses Ziel mit allen technischen und finanziellen Mitteln zu verfolgen. Dave Johnson, der kanadische Cheftrainer, betonte, das Problem sei kein chinesisches. Der australische Trainer Paul Quinlan sagte aber: „Wie soll man Trainingskontrollen in einem Land durchführen, in den man vor der Einreise lange auf Visa warten muß?“ Sein australischer Kollege Don Talbot nannte die jetzige Situation so schlimm wie noch nie in seiner Laufbahn. Jeder, der gewinne oder einen Weltrekord schwimme, werde des Dopings verdächtigt.“

„Nach den Vorstellungen der Coaches sollen mehrere positive Fälle in einem Land gar zu einem zeitweisen Ausschluß aus dem Weltverband führen. Außerdem müssen die Protokolle, aufgrund derer bei Wettkämpfen nach Dopingsubstanzen gesucht werde, erneuert werden. Die Grundlage sei 20 Jahre alt. … 1993 sollen weltweit nur zwölf Trainingstests organisiert worden sein, im WM-Jahr 1994 wurde die Zahl von der FINA mit „etwa 100″ angegeben. Für den Deutschen Schwimm-Verband hat Schwimmwart Ralf Beckmann unterzeichnet. Vertreter Chinas oder Ungarns haben das Papier nicht unterschrieben. Sie waren aber auch nicht gefragt worden.“ (FAZ, 13.9.1994)

Hartmut Oeleker, Trainer des deutschen Rekordschwimmers Michael Groß, argumentierte ähnlich, ließ aber keine Zweifel daran, dass China der Gegner war. Deutsche Sportler, selbst wenn sie erfolgreich waren, seien sauber, dürften daher keineswegs unter Dopingverdacht fallen wie zur Zeit Franziska van Almsick, deren Leistungen häufig misstrauisch hinterfragt wurden. Nicht zuletzt auch wegen der langen Diskussionen um ihren Trainer Dieter Lindemann, dessen Einbindung in das DDR-Dopingsystem bekannt war, der aber dennoch einen bedingten Freibrief, wie andere Ex-DDR-Schwimmtrainer auch, durch die DSB-Prüfkommission erhalten hatte.

„Doping sei bei ihr kein Thema, da „jeder sieht, wieso sie schnell ist. Sie hat keine Muskelpakete, sondern Technik. Ihre Pickel seien für eine Pubertierende, die zudem täglich mehrere Stunden im Chlorwasser verbringt, nicht ungewöhnlich.“ (FAZ 12.9.1994).

Der DSV handelte. Laut Spiegel warb er für einen Boykott des Weltcups in Peking, der daraufhin abgesagt wurde. Schwimmwart Ralf Beckmann habe für die Deutschen gar die Vorreiterrolle reklamiert: „Wir wollen bei einer Veranstaltung inmitten des Dopingnestes nicht dabei sein.““ Diese Haltung stieß angesichts der eigenen unklaren und zweifelhaften Haltung des DSV bei Beobachtern auf Kritik. Glaubwürdigkeit sähe anders aus, denn im Gegensatz zum DLV hatte sich der DSV bislang nicht um eine eigene Aufarbeitung der Vergangenheit bemüht.

Gegenseitige Anschuldigungen und Verdächtigungen bestimmten das innerverbandliche Klima. Nicht zuletzt heizte die Anstellung des Trainers Uwe Neumann vorhandene Zweifel an. (der Spiegel, 5.12.1994)

Die FAZ kommentiert am 26.4.1994:

Kontrolle ist dabei gut, denn Vertrauen ist beim Schwimmen schon längst untergegangen. Doch Kontrolle ist, wo Kompetenz fehlt, längst nicht alles. Ob Beschuldigte oder Überführte, Erfolgreiche oder Erfolglose – auf ihr Präsidium sind viele deutsche Schwimmer nicht gut zu sprechen. Versichert wird viel, beruhigt noch mehr, getan nichts. In dem Bestreben, Konflikte zu vermeiden, formt DSV-Präsident Klaus Henter jeden Vorfall zum großen Konflikt. Eine Kommission zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit? Nicht nötig, der Nichtverfolgungs-Beschluß des Deutschen Sportbundes zu alten Dopingfällen scheint Klärung genug. Mit dieser Haltung werden nicht nur Opfern des DDR-Dopingsystems Hilfen verweigert, sondern auch Täter und Mitläufer um die Chance zur Einsicht gebracht. Solange die offizielle Haltung zwischen Vernebeln und Aussitzen angesiedelt ist, werden dem DSV die Skandale erhalten bleiben.

Dopingvorfälle alt und neu

Die offizielle Dopingfallstatistik aus Köln und Kreischa für 1994 liegt mir nicht vor. Der 8. und der 9. Sportbericht der Bundesregierung erwähnen beide nur eine Statistik bis 1993. Der FAZ vom 30.5.1995 ist aber zu entnehmen:

Zwar hat sich die Zahl der ermittelten Dopingsünder im deutschen Spitzensport im Olympiajahr 1994 gegenüber 1993 verdoppelt: Insgesamt 34 Tests im Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln waren positiv. Aber die Erhöhung sei im wesentlichen auf Radsport, Gewichtheben und Leichtathletik zurückzuführen, sagte Donike bei der erstmals gemeinsam mit den Ergebnissen aus Kreischa vorgestellten Jahresstatistik. Die Trainingskontrollen der Anti-Doping-Kommission ergaben 1994 dagegen nur einen positiven Fall. „Dieses magere Ergebnis ist für mich der Beweis für die abschreckende Wirkung der Trainingskontrollen“, sagte Donike. Insgesamt 2297 dieser Tests wurden in seinem Institut untersucht, in Kreischa waren es 1542. Mehr als 90 Prozent hatten eine Vorwarnzeit von weniger als 24 Stunden.

DLV Dopingvorfälle

Prozess gegen Jochen Spilker und Hans-Jörg Kinzel – das Hammer-Modell

Im September 1993 wurden nach dreijährigen Ermittlungen die Trainer Heinz-Jochen Spilker und Hans-Jörg Kinzel vor dem Erweiterten Schöffengericht des Amtsgerichts Hamm angeklagt. Beide hatten in Hamm unter jungen Leichtathletinnen ein Dopingsystem – das Hammer Modell – etabliert. Als Spilkers Fehler hatte sich erwiesen, die Deutsche Juniorenmeisterin Claudia Lepping anzuheuern. Die Leichtathletin ging an die Öffentlichkeit. Zudem wurde aus Kanada durch die Anhörung im Fall Johnson bekannt, dass Spilker sich mit Doping bestens auskannte. Im Februar 1994 wurde Spilker zu 12 000 DM und Kinzel zu 750 DM wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz verurteilt. (Urteil vom 21.2.1994) Besondere Aufmerksamkeit in den Printmedien erregte diese Verurteilung nicht.

Singler/Treutlein halten fest:

„Beim Prozess vor dem Hammer Amtsgericht wurde dann im Februar 1994 durch die Aussage von Hans-Jörg Kinzel noch deutlicher, dass es in der Bundesrepublik in verwandten Arbeitsbereichen unter Trainern so etwas wie eine nationale Doping-Konkurrenzsituation, hier zwischen Staffel-Bundestrainer Thiele und Vereinscheftrainer Spilker, gegeben haben muss. Nicht drohende Entlarvung durch höhere Verbandstrainer war dabei die Ursache für Abschottung, sondern die Wahrung des auf eigene Initiative erarbeiteten Doping-Know-hows durch Jochen Spilker. Dieser dürfte sein Wissen um Anabolikadoping von Charlie Francis, dem Trainer Ben Johnsons, maßgeblich bezogen haben, während als Wolfgang Thieles Quelle von Zeitzeugen häufiger der DDR-Sprinttrainer Horst Hille benannt wird. Dopingsolidarität gab es also anscheinend über Grenzen hinweg, sogar über gesellschaftliche Systemgrenzen.“

>>> mehr Informationen zur Dopingaffaire Heinz-Jochen Spilker

Spilker war 1993 Rechtswart des Landessportbundes Thüringen und war bis 2012 Vize-Präsident des Landessportbundes Thüringen.

Anzeige Brigitte Berendonk gegen Armin Klümper im Fall Birgit Dressel

Der prominente Sportarzt/Sporttraumatologe Armin Klümper betreute in den 1980er Jahren Leichtathletin Birgit Dressel, die 1987 verstarb. Eine exakte Ursache ihres Todes konnte nicht festgestellt werden, doch als gesichert gilt, dass sie an einem durch Medikamente ausgelösten toxisch-allergischen Schock starb – über 100 verschiedene Präparate wurden bei ihr zuhause gefunden. Dr. Klümper hatte in Vernehmungen zugegeben, Birgit Dressel anabole Steroide verschrieben zu haben, aber nur aus medizinischen Gründen, zur Nachbehandlung einer Kieferhöhlenentzündung.

Diese Begründung Klümpers wurde vielfach angezweifelt. Brigitte Berendonk hatte in ihrem Buch ‚Doping-Dokumente‘ verschiedene schwere Vorwürfe Klümper gegenüber erhoben, auch Birgit Dressel betreffend. Klümper reagierte damals auf diese Veröffentlichung mit einer Klage. Der Arzt unterlag, allerdings wurde ihm darin Recht gegeben, dass es keine Dokumente gäbe, wonach er Birgit Dressel Anabolika zu Dopingzwecken verschrieben hätte.

Dem Ehepaar lWerner Franke und Brigitte Berendonk lagen jedoch zwischenzeitlich Prozessunterlagen vor, aus denen hervor ging, dass Klümper durchaus eine gewisse Schuld treffen könnte. Daher hatte 1994 Brigitte Berendonk Anzeige erstattet, in der Klümper die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides vorgeworfen wurde. Dieses Verfahren wurde im September 1995 eingestellt.

Claus-Peter Hainbach, Kugelstoßen

Kugelstoßer Claus-Peter Hainbach, 21 Jahre alt, Eintracht Frankfurt, wurde am 22. 1. 1994 positiv auf das Anabolikum Stanozolol (Präparat Stromba) getestet.

„Hainbach hatte nach gesundheitlichen Beschwerden von einem Trainingskollegen, dessen Namen er nicht nennen will, in einem Bodybuilding-Studio Pillen bekommen, die seine Atemnot lindern sollte. Weil der Sportkollege ihm ein besseres Mittel als „sein Bronchiospray“ empfohlen habe, griff Hainbach nach eigener Darstellung „ohne zu Überlegen“ zu dem angebotenen Medikament. Der Leistungssportler, der ihm das Mittel gab, hatte dieses Medikament aus denselben Krankheitsgründen genommen. Hainbach sagte, er habe die Pillen von Anfang Dezember 1993 an einen Monat lang eingenommen. Durch seine Atemnot sei es ihm noch nicht einmal möglich gewesen, im Training zu sprinten oder zu joggen. Erst nach einer deutlichen gesundheitlichen Verbesserung habe der 21 Jahre alte Kugelstoßer Ende des Jahres keine Pillen mehr geschluckt.“ (FAZ, 16.2.1994)

Hainbaich, der von seinem Vater trainiert wurde, angab an, einen Fehler gemacht zu haben, als sie sich nicht näher über das Mittel erkundigten. Im Juni wurde der Kugelstoßer von internationalen Verband IAAF für vier Jahre gesperrt (FAZ, 22.6.1994).

Martin Bremer, Langstrecke

Langstreckler Martin Bremer wurde Anfang Oktober bei einem Straßenlauf in der Schweiz positiv auf Testosteron getestet. Seinen eigenen Angaben nach habe er aus medizinischen Gründen das Medikament Andriol eingenommen.

Daß er trotzdem gestartet sei, „kann ich im nachhinein nur mit meiner großen Liebe zum wettkampfmäßigen Laufen begründen. Mir ist bewußt, daß ich teils aus Unwissenheit, teils aus Unbekümmertheit es versäumt habe, die Verordnung des Medikamentes dem DLV und der IAAF zu melden“. Auf Unwissenheit wie Unbekümmertheit könne und dürfe sich ein Topathlet heute nun wirklich nicht mehr berufen, sagt Ljungqvist: „Wie sollten wir denn sonst Doping überhaupt bekämpfen?“ Die Beteuerung Bremers, er habe „das Medikament nicht zur Leistungssteigerung, sondern ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen [Hodenunterfunktion] eingenommen“, ist der IAAF aus leidiger Erfahrung nichts wert, denn, so Ljungqvist: „Das sagt praktisch jeder.““ (FAZ, 6.12.1994) Die IAAF sprach eine Sperre über 4 Jahre aus, die später auf 2 Jahre reduziert wurde.

Dopingfall im Zehnkampf-Team

FAZ 19.8.1994:
Die Zehnkämpfer haben es vorgemacht, die Triathleten ziehen nach. Das „Triathlon-Team“, ein Zusammenschluß von Athleten, Trainern und Betreuern, … geht rigide gegen jeden Dopingmißbrauch vor. „Wer erwischt wird“, sagt Martin Engelhardt, der Präsident der Deutschen Triathlon Union (DTU), „wird auf deutschem Boden geächtet.“ … „Der Einsatz von Doping-oder Anabolikamitteln, … würde empfindliche Strafen nach sich ziehen. Neben dem Ausschluß aus allen Vereinsmannschaften und Verbänden müßten des Mißbrauchs überführte Sportler zudem sämtliche Gelder zurückzahlen, die ihnen im Rahmen von Fördermaßnahmen von der DTU zur Verfügung gestellt worden sind. „Diese Regelung“, verspricht DTU-Präsident Martin Engelhardt, „wird im kommenden Jahr auf ganz Europa ausgeweitet.“

1990 hatten Zehnkämpfer im DLV einen Verein, das Zehnkampfteam, mit einem eigenen Anti-Doping-Programm gegründet. Mit dabei waren ca. 90 Zehnkampf-Experten, darunter auch ehemalige Aktive, Ärzte und Trainer. Ganz oben auf ihrer Absichtsliste standen freiwllige Trainingskontrollen, um deren Finanzierung sie sich selbst kümmerten und dafür Sponsoren suchten. (DLV Dopingkontrollen in den Wendejahren 1990 und 1991, der Spiegel, 26.11.1990). Für 1995 beabsichtigten sie, das Kontrollprogramm auszuweiten und ein Siegel „Clean Power“ für Athleten, die daran teilnahmen, einzuführen. Geplant war die Aufnahme internationaler Sportler, die Initiative sollte weltweit ausgebaut werden. Als ersten ausländischen Sportler hatten sie bereits 1993 den französischen Athleten William Motti aufgenommen.

Dieser verweigerte Ende Januar 1994 eine Dopingkontrolle und wurde daraufhin für 1 Jahr vom französischen Leichtathletik-Verband gesperrt. Motti war bereits 1989 von der IAAF mit einer 2-Jahressperre wegen der Einnahme von Anabolika belegt worden und hätte Regel konform 1994 lebenslang ausgeschlossen werden müssen. Laut Rüdiger Nickel wagte dies der französische Verband nicht, da er befürchtete, Motti könne vor ein ordentliches Gericht gehen.

„Die französischen Juristen hatten wieder einmal die Wahl zwischen Verbandstreue gegenüber dem Mutterverband IAAF und einem vorauseilenden Gehorsam gegenüber den ordentlichen Gerichten.“ Diese könnten einen lebenslangen Ausschluss als ein unbilliges Berufsverbot werten. Nickel: „Das ist noch nie entschieden worden, deshalb habe ich gesagt: vorauseilend.“ (Kölner Stadt-Anzeiger, 2.3.1994)

Grauzone

Wie bereits erwähnt, waren die 1990er Jahre EPO-Jahre. Das Mittel hatte die Bluttransfusionen ersetzt und wurde in hohen Dosen vor allem in den Ausdauersportarten eingesetzt. Francesco Conconi, bekanntester und begehrtester Sportmediziner der damaligen Zeit, sein Schüler war Michele Ferrari, galt als Meister dieses Dopings. Die Sportlerszene wusste dies, Funktionäre hatten nach eigenen Aussagen keine Ahnung. Nachweisen konnte man ihm und seinen Kollegen nichts und Verdächtigungen aussprechen war nicht ratsam. Im Falle von Stefane Franke, deutscher Langstreckler, wurde dessen Gang zu Conconi zumindest öffentlich gemacht. Siehe hierzu auch den Fall Uwe Ampler weiter unten auf dieser Seite.

„Ich hatte viele wissenschaftliche Arbeiten und Bücher von ihm gelesen und wollte ihn unbedingt kennenlernen.“ Ein gemeinsamer Bekannter, der Internist Pavel Dolecel am Olympiastützpunkt Stuttgart, stellte die Verbindung her. …

Er vertraue Conconi nicht blind, sagt Franke. „Wir haben schon einige heiße Diskussionen geführt.“ Die Gerüchte, die Conconi immer wieder in Verbindung mit Blutdoping gebracht haben, nimmt der Deutsche nicht ernst. „Ich habe mich im Vorfeld genau informiert“, sagt Franke, „es wurde nie etwas bewiesen.“ Inzwischen arbeite der Italiener sogar in der Antidopingforschung. „Wenn ich nicht ganz sicher wäre, das alles astrein zugeht, hätte ich mich Conconi nicht anvertraut“, sagt Doping-Gegner Franke. (FAZ, 10.11.1994)

Franke kam 1998 unter Dopingverdacht, als bei ihm das Verschleierungsmittel HES nachgewiesen wurde. 2011 starb er im Alter von 47 Jahren.

Schwimmen, Dopingvorfälle

Sylvia Gerasch, Schwimmerin

Nach den neuen Anti-Dopingbestimmungen, die seit dem Oktober vergangenen Jahres gelten, hat nicht mehr der Verband, sondern der beschuldigte Athlet die Beweislast zu tragen. Also muß Sylvia Gerasch dem DSV beweisen, daß sie unschuldig ist. … Der aktuelle Fall ist bereits der fünfte, den der DSV nur halbherzig verfolgt: Simone Schober und Christina Quaisser aus Aachen wurden begnadigt, die Magdeburgerin Astrid Strauß wurde gar rehabilitiert, und beim Hildesheimer Steffen Smollich geschah noch gar nichts. Dabei sind alle des Dopings überführt. (FAZ, 23.3.1994)

Am 12. November 1993 war die ehemalige erfolgreiche DDR-Schwimmerin Sylvia Gerasch mit einem zu hohen Koffeingehalt positiv getestet worden. 1986 hatte sie bei den Weltmeisterschaften den Weltmeistertitel über 100m Brust erreicht sowie mit der 4×100 m Lagenstaffel (Kristin Otto, Kathrin Zimmermann, Sylvia Gerasch, Kornelia Greßler) gesiegt.

Der Europäische Schwimmverband LEN (nicht Mitglied der FINA) sperrte Ende 1993 Gerasch, doch der Deutsche Schwimmverband DSV bestätigte diese Sperre nicht und stellte das Verfahren ein.

„Als neuesten „Coup“ stellte der DSV nun das nationale Verfahren gegen die des Koffein-Dopings für schuldig befundene und von der Europäischen Schwimm-Union für zwei Jahre gesperrte Europameisterin Sylvia Gerasch (Hannover) ohne Jede Strafe ein. Hintergrund ist, daß DSV-Präsident Klaus Henter seinen Doping-Beauftragten Ulrich Höcker zu spät über das LEN-Schreiben informiert hat, so daß die Drei-Monats-Frist zur Bestrafung verstrichen war. Henter: „Ich bezweifle den Grenzwert.“ (Berl. Z., 22.3.1994)

Der DSV eröffnete jedoch kurze Zeit später angeblich das Verfahren neu. Der Internationale Schwimmverband FINA sperrte Gerasch für 2 Jahre bis zum 21. Januar 1996. Der DSV setzte jedoch seinen Konfrontationskurs mit dem internationalen Verband FINA ähnlich wie 1993 im Fall Astrid Strauß fort. Er beantragte eine einstweilige Verfügung beim nationalen Schiedsgericht, das die Sperre auf nationaler Ebene aufhob. Damit konnte die Schwimmerin in Deutschland starten. (dpa, 1.9.1994)

Nach der Wende war die Schwimmerin zu einem ihrer DDR-Trainer, zu Dieter Lindemann zurückgekehrt. 1998 standen Lindemann und ihr anderer Trainer Volker Frischke in Berlin wegen Dopings, insbesondere Minderjährigendopings vor Gericht. Sie sollen zwischen 1982 und 1988 Sylvia Gerasch mit Anabolika gedopt haben. 1982 war Sylvia Gerasch 13 Jahre alt. Gerasch war als Zeugin geladen.

Fußball, Dopingvorfälle

Prominenter Dopingfall WM 1994:
Diego Maradona wurde u.a. positiv auf Ephedrin getestet, von der WM ausgeschlossen und neben einer Geldstrafe über umgerechnet 15.400 € für 15 Monate gesperrt ebenso sein Ernährungsberater Daniel Cerini. Der argentinische Fußballverband erhielt eine Verwarnung. Maradona hatte bereits eine Zweijahressperre wegen Kokain-Missbrauchs hinter sich.

1994 musste sich der deutsche Fußball heftigen Vorwürfen stellen. Bislang hatte der DFB versucht den Eindruck zu erwecken, Doping im Fußball existiere nicht. Frühere Geständnisse von Schumacher und Kollegen wurden dementiert und die Sportler diffamiert. Die neuen Enthüllungen waren jedoch dazu angetan, die alten Geschichten zu bestätigen und das gewünschte saubere Bild des Fußballs nachträglich anzukratzen – lange hielten diese Einsichten nicht an, die Meddien und die Öffentlichkeit vergaßen schnell wieder.

Thomas Möller und Gerd Sachs 1992 – Diskussion 1994

In der Anfang 1994 veröffentlichten „Jahresstatistik 1993 des Beauftragten für Doping-Analytik“ von Manfred Donike, Kölner Instituts für Biochemie, wurde ein positiver Fall im deutschen Fußball erwähnt, der bereits im Jahr 1992 mit der A-Probe nachgewiesen worden war. Es handelte sich um das Stimulanz Prolintan. Auf Nachfrage des Magazins Focus zeigte man sich beim DFB überrascht, von einem Dopingfall wisse man nichts. Laut Donike sei der Befund der positiven A-Probe umgehend an den DFB gemeldet worden, dieser habe keine B-Probe verlangt, somit sei das Analyseergebnis von Seiten des Verbands anerkannt worden. (Focus, 7.2.1994)

Wenig später wird bekannt, dass der betroffene Spieler Thomas Möller von Eintracht Braunschweig war, positiv getestet wurde dieser am 26. September 1992 nach dem Spiel gegen den SC Freiburg. Eintracht-Präsident Harald Tenzer bestätigte dies. Thomas Möller hatte vor dem Spiel wegen einer Gehirnerschütterung das Medikament Katovit (Prolintan) und ein Mittel mit der verbotenen Substanz Etilefrin (Dihydergot) zur Kreislaufstabilisierung eingenommen. Mannschaftsarzt Jürgen Stumm erklärte, dies vor dem Spiel dem Dopingkontrolleur DFB-Arzt Eike van Alste mitgeteilt zu haben (Focus, 28.2.1994).

Die Nichtberücksichtigung der positiven Probe wurde seitens des DFB mit ‚Kommunikationsstörungen‘ zwischen DFB und Donike erklärt. Manfred Donike habe „die beanstandete Probe nur „als Nachsatz in einem allgemeingehaltenen Bericht“ weitergeleitet“ – was Donike bestritt (Focus, 14.2.1994). Der DFB sah keinen Anlass für weitere Schritte, da die Eintracht das Spiel verloren habe, „eine Frage der Spielwertung stellt sich damit nicht“, erklärte DFB-Pressesprecher.

Bekannt wurde zur gleichen Zeit auch der Fall des ehemaligen Zweitliga-Torwarts des SC Freiburg Gerd Sachs, der im Winter 1991/1992 Anabolika bekommen hatte. Sachs habe sie sich spritzen lassen um schnell wieder fit zu werden. Trainer Volker Finke meinte dazu, der Spieler habe ihn nicht darüber informiert. Als die Club-Verantwortlichen davon erfahren hätten, wäre Sachs sofort ‚aus dem Verkehr gezogen worden.‘ (Badische Zeitung, ?; dpa, 1.3.1994) Ein Verfahren wurde nicht bekannt.

Edwin Kleins Enthüllungen

Am 21. Februar 1994 erschien im Focus von Edwin Klein ein langer Bericht über Doping im Fußball. Es handelte sich um Vorab-Auszüge seines Buches ‚Rote Karte für den DFB‘. Die daraus erwachsenden Auseinandersetzungen schlugen hohe Wellen.

Veröffentlicht wurden Passagen eines Interviews mit einem 19jährigen Fußballspieler, der einen Vertrag mit einem Bundesligaclub unterzeichnet hat. Er bleibt anonym, nennt sich Bobby, und berichtet von verbreitetem Doping mit Anabolika und Stimulantien. Auch Manfred Ommer kommt zu Wort. Zudem untersucht Klein das Kontrollsystem des DFB und kritisiert es scharf.

Eine ausführliche Darstellung der Kritik Kleins und die damit verbundenen Auseinandersetzungen sind hier zu finden:

doping-archiv.de: Edwin Klein, Rote Karte für den DFB

Im Zuge dieser Dissonanzen meldete sich im März 1994 öffentlich der frühere Fußball-Bundesligaspieler Peter Geyer (Tennis Borussia Berlin, Borussia Dortmund, Eintracht Braunschweig) zu Wort, der von Klein in seinem Buch ausführlich zitiert wurde. Geyer bestätigte öffentlich seine Captagon-Erfahrungen. Dem schloss sich Rolf Grünther an, ehemals Spieler bei Preußen Münster, Alemannia Aachen und dem TSV 1860 München und später Trainer beim VfL Osnabrück, Hannover 96 und Alemannia Aachen. Er habe in den siebziger Jahren ‚das Zeug genommen, so wie ich einen Becher Mineralwasser getrunken habe.

Gewichtheben, Dopingvorfälle

Wegen der Verweigerung einer Trainingskontrolle wurde der Heber Frederico Barbarossa vom Bundesligaklub ASV Ladenburg bis zum 15. Februar 1995 gesperrt und mit einer Strafe von 2000 Mark belegt. (Genaues Datum nicht bekannt.)

Weiter wurden vier deutsche Gewichtheber des AV 03 Speyer vom Rechtsausschuss des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber wegen Dopings mit Nandrolon jeweils für ein Jahr gesperrt und mit einer Geldstrafe über 2 000 Mark belegt.

„Von den Sperren betroffen sind der zweifache Juniorenmeister der früheren UdSSR und Vizeweitmeister, der gebürtige Georgier Norair Pogasian, Karl-Heinz Rief, Emil Messaros und Garmer Düzguncü.“ (dpa, 20.7.1994)

Noch im Januar 1994 hatte sich der Deutsche Gewichtheber-Verband (BVDG) über den ARD-Film „Giganten“ echauffiert, in dem der Eindruck erweckt worden sei, Erfolge im Gewichtheben seien nur mit Anabolika möglich. Besonders aufgeregt hatte der Verband sich über die Mitwirkung von Bundestrainer Rolf Milser und den Hebern Martin Zawieja (Soest) und Martin von Ostrowski (Duisburg), wodurch ein ‚offizieller Eindruck‘ erweckt worden sei, im Gewichtheben sei Doping an der Tagesordnung.

„Im Zuge eines Verbandsrechtsverfahrens soll geprüft werden, ob Milser, Olympiasieger von 1984, dadurch seine Dienstpflicht verletzt hat. Vorläufig, so sagte Milser gegenüber dieser Zeitung, sei er „ein bißchen auf Eis gelegt worden“. Die Verantwortung für ein demnächst stattfindendes Trainingslager sei ihm entzogen worden.“ (FAZ, 21.2.1994)

Radsport, Dopingvorfälle

Der deutsche Radsport verzeichnete fünf Dopingfälle:

Erik Zablel wurde im April beim Rennen Veenendaal-Veenendaal die Anwendung einer Cortison-Salbe angerechnet. Er musste 3000.- SF und den Abzug von 50 UCI-Punkten hinnehmen.

Ralf Schmidt wurde positiv auf das Medikament Triamcinolon, ein synthetisches Glukocorticoid, getestet und erhielt eine dreimonatige Sperre. Auf Strafminderung wurde erkannt, da BDR-Arzt Georg Huber die Medikamentengabe aufgrund der Krankengeschichte des Fahrers für therapeutisch notwendig erachtet hatte.

Sascha Henrix erhielt ebenfalls eine Sperre über 3 Monate. Der Grund ist nicht bekannt.

Anfang des Jahres 1994 wurden die beiden Seniorenfahrer Lothar Appler und Peter Baranowski wegen der Anwendung einer Cortison-Salbe bestraft.

der Fall Uwe Ampler

Im April 1994 ging Uwe Ampler an die Öffentlichkeit und beschuldigte seinen ehemaligen Arbeitgeber Team Telekom des Dopings. Nach dem Giro d’Italia 1993, bei dem er aus dem Rennen genommen worden war, habe er sich, so Ampler, vom Team Telekom empfohlen, zu Jules Mertens, einem belgischen Arzt, der bereits Eddy Merckx betreut hatte, schicken lassen. Da er aber auch nach dieser medizinischen Behandlung nicht sonderlich erfolgreich Rennen gefahren sei, wäre er entlassen worden. Ampler ging vor ein Arbeitsgericht und klagte, u. a. argumentierte er unwissentlich gedopt worden zu sein.

„Zu Beginn der dreiwöchigen Spritzenkur hatte Ampler immer wieder nachgefragt, was ihm injiziert werde. „Aufbaupräparate“, sei die stereotype Antwort der Pfleger gewesen. Doch irgendwann, sagt Ampler, höre ein Sportler auf zu fragen: „Wer zu mißtrauisch ist, wird schief angeguckt.“

Mertens hatte bei Ampler einen Hämoglobinwert (HGB) von 14,3 (Gramm pro Deziliter Blut) festgestellt. Das ist in einem Laborbericht vom 3. Juni 1993 dokumentiert. Nach drei Wochen wurde der Radprofi von der Universitätsklinik Freiburg, Abteilung Klinische Chemie, erneut untersucht. Das Resultat: „HGB 16,0“. Laut „Standard International Unit Conversion Guide“, dem US-Standardwerk der Hämoglobin-Forschung, liegt dieser Wert des roten Blutfarbstoffs jenseits des Normbereichs.

„Warst du im Höhentraining?“ so ist es Ampler in Erinnerung, hätten ihn arglose Sportärzte angesichts dieses Wertes gefragt. In dem Moment habe er Angst bekommen, Angst vor EPO.“ (der Spiegel, 18.4.1994)

Laut FAZ sprach Mertens davon, nicht EPO gegeben, sondern das Blut mit Sauerstoff angereichert zu haben. Das war verbotenes Blutdoping, allerdings nicht nachweisbar. Ampler beschreibt den Druck und die Konkurrenzsituation gegenüber den anderen Profiteams, die einen wesentlich höheren Etat zur Verfügung hatten. Daher habe er und das Team für die Inanspruchnahme der Dienste des berühmten Professors Dr. Francesco Conconi geworben, der neuen Schwung durch hochwissenschaftliche Methoden in den Sport gebracht habe. Ob es tatsächlich Bestrebungen gab, bei Conconi unter zu kommen, bleibt unklar. Conconis öffentlicher Ruf war bereits mit Doping, insbesondere EPO-Doping in Verbindung gebracht worden.

Conconi steht hinter dem phänomenalen Aufschwung des italienischen Berufsradsports. Er ist so auffällig, daß der Präsident des Profi-Radsportverbandes, Hein Verbrüggen, Anfang April einen Appell an die Journalisten verfassen mußte, diesen doch bitte nicht aufgrund unbewiesener Behauptungen und vager Hinweise mit Epo-Doping zu erklären. Ampler hat genau das getan: weitere unbeweisbare Behauptungen geliefert, die im Einzelfall deshalb so perfide, weil generell so wahrscheinlich sind.“ (FAZ, 19.4.1994)

Der Telekom-Konzern reagierte betroffen auf die Dopinganschuldigungen und betonte, dass für das Image nichts „schädlicher und verwerflicher als Doping“ sei. Dies zeige sich auch darin, dass der Vertrag mit dem Teamchef Walter Godefroot einen Dopingpassus enthalte, wonach fristlose Kündigungen möglich seien:

„Der konkrete Paragraph sieben des Vertrages ermöglicht es uns, fristlose Kündigungen gegenüber dem gesamten Team oder einzelnen Mitgliedern der Mannschaft auszusprechen, falls es nachgewiesene Dopingfälle gibt.“ (FAZ, 19.4.1994)

Wenige Tage später gab es dann teilweise Entwarnung. Die Dopingvorwürfe waren nun nicht mehr Teil der Klage Amplers vor dem Arbeitsgericht, es hieß sogar seitens des Anwalts „Herr Ampler hat nie eine Behauptung, auch nur einen Deut, aufgestellt, er wäre gedopt worden“. (FAZ, 22..4.1994, Berl. Z., 22.4.1994)

Ende des Jahres 1994 entschied das Bonner Arbeitsgericht, Uwe Ampler, ehemaliger Radprofi, dürfe

„nicht weiter behaupten, er sei in der Saison 1993 bei seinem Radrennstall Team Telekom ohne sein Wissen gedopt worden.“ (FAZ, 1.12.1994) „Die Formulierung „unwissentlich“ musste er später zurücknehmen, den Hinweis auf EPO-Doping beim deutschen Vorzeige-Rennstall aber nicht; er wurde als „gerichtsfester“ Fakt zu den Akten genommen.“ (FAZ, 1.12.1994)

Interessant ist der Fall unter späterer Betrachtung. Nachdem das langjährige Doping im Team Telekom /T-Mobile nach 2006 bekannt und untersucht wurde, spricht einiges dafür, die Aussagen Amplers anders zu gewichten.

>>> Team Telekom/T-Mobile und Doping

uneins im geeinten Land

DIE OBERHOFER ERKLÄRUNG

Anfang April 1994 sahen sich die Landesssportbünde der neuen Bundesländer gezwungen sich gegen die vermeintliche Vormachtstellung der Westverbände zur Wehr setzen zu müssen. In der „Oberhofer Erklärung“ listeten Sie 6 Punkte auf, mit der sie „ihre große Sorge um die weitere Entwicklung des Sports im Osten Deutschlands“ zusammen fassten. So werde Ihnen ihre demokratische Legitimation abgesprochen, die adäquate Förderung und Unterstützung verweigert und die andauernde Stasidiskussion sein von Populismus und Vorverurteilung geprägt. Gleichzeitig betonten sie, dass sie jegliches Doping ablehnten und für dessen scharfe Bekämpfung seinen.Sie forderten zudem eine strenge Einzelfallprüfung bei Stasi-Verdachtsfällen gegen leitende Sportfunktionäre, die früher hauptamtlich Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR waren. (FAZ, 5.4.1994)

quo vadis DSB?

In 1994 konnte man den Eindruck gewinnen, in Deutschland würde vor allein die Leichtathletik für einen dopingfreien Sport kämpfen. Stimmen hierzu aus anderen Verbänden waren rar und weniger laut. Die ‚Leitsportart‘ kämpfte um ihre Rolle, aber auch um Rehabilitation. Sie hatte hierfür einen streitbaren extrovertierten Präsidenten.

Der DSB stand irgendwo zwischen allen Fronten. Einerseits kämpfte er nach außen hin um Aufklärung, wollte Transparenz und Glaubwürdigkeit in Dopingfragen, andererseits waren Ausgleich- und Kompromissfähigkeiten gefragt. So wirkte er häufig wie ein zahnloser Tiger. Unterschiedlichste Interessen der Verbände aus Ost und West, sich widersprechenden Zielrichtungen ließen dem DSB nur wenig Spielräume. Eine glaubwürdige, offensive und vor allem wirkungsvolle Anti-Doping-Strategie war so nur schwer zu verwirklichen – oder doch?

Für den DSB endete das Jahr 1994 mit der Wahl eines neuen DSB-Präsidiums. Hans Hansen schied als Präsident aus, sein Nachfolger wurde Manfred von Richthofen. Von Richthofen war Leiter der „ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen“ gewesen, die im Auftrag des Bundesausschusses für Leistungsport

„eine rückhaltlose Aufklärung der konkreten und der bislang bekannt gewordenen pauschalen Vorwürfe“ erbringen sollte. Sie sollte „durch Befragung betroffener Athleten, Trainer, Ärzte und Funktionäre – die vorliegenden Einzelfälle analysieren und den betreffenden Spitzenverbänden auf dieser Grundlage Rat geben“. (>>> ad-hoc-Kommission)

Auch wenn die Ergebnisse der Kommission die Doping-Aufklärung nicht entscheidend fördern konnten, da der Druck zu groß wurde, wusste von Richthofen gut Bescheid über Doping im Verband und viele erhofften sich nun eine wesentlich offensivere Anti-Doping-Verbandspolitik als unter seinem Vorgänger.

Die Ausgangslage jedoch war für den neuen Präsidenten schlecht. Er hatte nicht nur Freunde in den neuen Bundesländern, auch wegen seiner Arbeit als Kommissions-Vorsitzender.

„Ich bin für viele Funktionäre aus dem Osten mit dem Makel behaftet, einen rigorosen Kurs gegen Doping und Stasi gesteuert zu haben.“ Daß sich die Mehrzahl der neuen Landessportbünde durch den neuen DSB-Präsidenten nicht vertreten fühlt, ist offenkundig: Sie fordern trotz der beschlossenen Verschlankung des Präsidiums einen zusätzlichen, fünften Vizepräsidenten – aus dem Osten für den Osten. Richthofen ist bemüht, das nicht persönlich zu nehmen. Dies sei kein Mißtrauensvotum: „Es zeigt lediglich, daß die Teilung in den Köpfen noch besteht.“ Sein sehnlichster Wunsch als DSB-Präsident sei es, „daß wir in den nächsten vier Jahren mehr zueinander finden“. Unbequemster Begleiter auf diesem Weg werde die Stasi bleiben, befürchtet Richthofen: „Sie ist allgegenwärtig, und die große Unsicherheit wird andauern, bis die Akten aufgearbeitet sind.“ (FAZ, 3.12.1994)

Der Spiegel schreibt über die Stimmung innerhalb des deutschen Sports gegen Ende des Jahres 1994:

„Der Begeisterung des ersten gemeinsamen Jahres, in dem West-Funktionäre mit leuchtenden Augen die zu erwartende Medaillenflut hochrechneten und sich der Osten auf die schnell zu verdienende Mark freute, sind Eifersucht, Neid und Mißtrauen gefolgt. An die Stelle der Integration ist die Intrige gerückt.

Wann immer deutsche Athleten in den letzten Monaten bei internationalen Titelkämpfen antraten, präsentierte sich eine aus Ost und West zusammengezwungene Zweckgemeinschaft. „Wir sind keine Mannschaft“, stellte bei der Leichtathletik-Europameisterschaft Kai Karsten, Mitglied der 4 x 400-Meter-Staffel aus Braunschweig, fest: „Drei Wessis und zwei Ossis – das ist alles, und außer ,Guten Tag“ findet Kommunikation zwischen beiden Teilen nicht statt.“ (der Spiegel, Überall Feindesland, 17.10.1994)

Totgesagte leben länger

Seit den 1970er Jahren wurde in Verbindung mit dem nationalen und internationalen Dopinggeschehen und der zunehmenden Ökonomisierung des Spitzensports der Untergang des hehren Sportgedankens nach Piierre de Coubertin beklagt.

Die FAZ brachte am 22.6.1994 ein fiktives Interview mit dem Baron. Es könnte von heute sein.

Pierre de Coubertin im F.A.Z.-Sportgespräch:

„Die Athleten werden in Zirkusgladiatore verwandelt“
Obwohl er nicht mehr reden kann, hat er noch eine Menge zu sagen:

Charles Pierre Frédy de Coubertin, Gründer des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und Erfinder der neuzeitlichen Olympischen Spiele. Der spanische Marqués Juan Antonio Samaranch beruft sich im olympischen Tagesgeschäft so oft auf den französischen Baron, daß der 1937 im Alter von 74 Jahren verstorbene Pädagoge und Philosoph zu den meistzitierten Sportpolitikern gehört. Was zeigt, wie modern Coubertin damals war – oder wie altmodisch die IOC-Probleme heute sind. Unser posthumes Interview mit dem Baron ist zwar fiktiv, weil der historische Gesprächspartner seine Antworten schon gegeben hat, bevor wir die Fragen stellen konnten. Aber die zitierten Worte des Olympiers, die zwischen 1884 und 1936 fielen, sind Aussagen aus seinen Briefen, Reden, Aufsätzen und den beiden autobiographischen Büchern. Sie belegen, daß Coubertins Meinung auch im hundertsten Lebensjahr des IOC nicht von vorgestern ist.

Herr Baron, Sie sind ziemlich tot. Das behaupten zumindest Kritiker des IOC, die damit sagen wollen: Ihre Ideen sind völlig out. Leben Totgesagte länger?
Es hat mich sehr interessiert, zu erfahren, daß ich tot sei. Die traurige Nachricht erreichte mich auf dem Fechtboden, und so fiel es mir nicht schwer, festzustellen, daß es sich um ein Versehen handeln mußte….

… Warum hat es das IOC heute so schwer?
Das ist bei Gott schnell erklärt. Wir sind nicht gewählt worden; wir ergänzen uns aus unseren eigenen Reihen. Braucht man mehr, um eine öffentliche Meinung zu erbittern, die sich mehr und mehr an die Verbreitung des Wahlgrundsatzes gewöhnt, dem sich nach und nach alle Institutionen beugen müssen?

War das zu Ihrer Zeit denn schon genauso?
Das alles hat das Internationale Olympische Komitee von Anbeginn an durchstehen müssen, und es scheint es dabei zu einer widerstandsfähigen und robusten Gesundheit gebracht zu haben.

Was erwartet das Publikum von den Olympiern, und warum sind so viele Zuschauer enttäuscht?
Die Menschheit hat seit jeher von ihren Lenkern die Vorsorge für Vergnügungen und den Lebensunterhalt gefordert. „Panem et circenses, Brot und Spiele“, rief die römische Welt. Die Formel von heute ist nicht erzieherischer und noch vulgärer. „Kartoffeln und Kino“ fordert die Masse.

Und was soll der Olympismus dem Sport geben?
In der modernen Welt, die machtvoller Möglichkeiten voll, aber zugleich gefährlichen Schwächen ausgesetzt ist, kann der olympische Gedanke zu einer Schule für edle Gesinnung und moralische Reinheit wie auch zu einer für Ausdauer und psychische Energie werden. Er wird es aber nur unter der Bedingung sein, daß Ihr Euren Begriff von Ehre und sportlicher Uneigennützigkeit in die gleiche Höhe mit Eurem körperlichen Eifer bringt.

Was macht den Wert des Sportes aus, wie lautet Ihre Definition?
Sie umgreift die Begriffe des Willens, der Ausdauer, der Intensität, der Vervollkommnung und der möglichen Gefahr; diese fünf Elemente sind die Grundvoraussetzungen des Sports.

Und worin sehen Sie die größten Gefahren?
Man schwindelt und man lügt zuviel.

Sie wissen also auch Bescheid über die Betrügereien?
Es soll beklagenswerte Mißbräuche gegeben haben? Es soll sie heute noch geben? Natürlich ist das richtig. Was ist daran schon erstaunlich. Keiner streitet das ab. Es geht doch bei allem darum, zu wissen, ob diese Mißbräuche vermieden werden können oder nicht, und ob die Wohltaten der sportlich, das heißt unter Einschluß der Tendenz zum Exzeß praktizierten Leibesübungen ohne Mißbrauch erreicht und behauptet werden können: Das läuft auf folgende Frage hinaus: Kann eine Religion leben, ohne unter ihren Anhängern Übertreiber und Schwärmer zu haben, deren Beispiel mitreißend wirkt und die Masse beherrscht? Die Fragestellung schließt die Antwort bereits ein….

Inzwischen ist fast jede sportliche Höchstleistung in Mißkredit geraten. Woran soll man noch glauben?
Eine Leistung ist dann verfälscht, wenn sie als Frucht eines Trainings erzielt wird, das zum Alpha und Omega des Athleten geworden ist (wann hat er denn noch Zeit zum Denken und Arbeiten?) und wenn man ihn wie ein Pferd gedopt hat.

Aber das Doping ist doch eine Frucht des Profit- und des Rekorddenkens, oder?
Ich sage ja zum Rekord, aber nicht um jeden Preis. Wie soll man dem Sportler begreiflich machen, daß ihn auch verunstalten kann, was ihm dazu hilft, ein Mann zu werden?

Wie können Sie als Pädagoge das Streben nach immer neuen Bestleistungen unter dem olympischen Motto denn gutheißen?
Sport kann und darf nicht vorsichtig und zaghaft geübt werden, wenn er nicht an seiner Lebensfähigkeit Schaden erleiden soll. Man muß ihm die Freiheit des Austobens geben. Der Versuch, dem Kampfsport eine Leitlinie verbindlicher Mäßigung aufzuerlegen, bedeutet eine Utopie. Seine Anhänger brauchen ungehemmte Freiheit. Darum hat man ihnen den Wahlspruch „Citius, altius, fortius“ gegeben, „immer schneller, immer höher, immer stärker“, der Wahlspruch für alle diejenigen, die es wagen wollen, Rekorde zu brechen . . .

Sind die Olympischen Spiele nicht zu Paradebeispielen für die hemmungslose Professionalisierung der sportlichen Idee geworden?
Die Unvollkommenheit des Menschen läuft immer wieder darauf hinaus, den Athleten von Olympia in einen Zirkusgladiator zu verwandeln….

Wie legitimiert sich der Hochleistungssport, was sagt der Medaillenspiegel über die Sportlichkeit eines Landes aus?
Gemessen an der Gesamtbevölkerung, bleibt die Zahl der wirklichen Sportler verschwindend gering. Bluff und Reklame verschleiern die wahre Situation. Ein Land ist erst dann wirklich sportlich, wenn der Sport der Mehrzahl seiner Einwohner ein persönliches Bedürfnis ist.

Kann man das steuern?
Wir müssen daran arbeiten, den Sport im Alltag zu erleichtern, die günstigen, den einzelnen anregenden Gelegenheiten zu vermehren, unnütze Hindernisse aus dem Weg zu räumen und komplizierte Regeln zu vereinfachen. Laßt uns überall das Sportgerät in Reichweite aufstellen, seiner Vervollkommnung wie seiner billigen Herstellung unsere Aufmerksamkeit schenken….

Eignen sich die Topathleten überhaupt noch zu Vorbildern für den Nachwuchs?
. . . da brauchen wir bitter nötig eine Schule praktischer Ritterlichkeit, die der Jugend offensteht und in der sie lernen soll, daß Erfolg nur durch Willen und Ausdauer erreicht wird, und daß er nur durch Aufrichtigkeit und Fairneß seine Weihe erhält.

Andererseits regiert das Geld die Sportwelt, und es gibt genügend clevere Manager, die den Talenten genau das klarmachen.
Die sportlichen Gruppen sollten mit aller Entschlossenheit den Karrieremacher beiseite schieben, der sich anbietet, sie zu führen, und in Wirklichkeit nur die Muskeln anderer ausnutzen will, um für sich politisches Kapital daraus zu schlagen oder seine eigenen Geschäfte anzukurbeln….

Wenn Sie von Ihrem Olymp mit einigem Abstand herabschauen, was fällt Ihnen dann auf?
Die Übersättigung wird den Sport töten. Der Lärm, der wegen gewisser Champions gemacht wird, ist nicht imstande, den Sport zu erhalten.

Erkennen Sie Ihre antiken Ideale der Einheit von Körper und Geist, von Sport und Kunst noch wieder?
Der moderne Sport besitzt mehr und weniger als der Sport des Altertums. Das Mehr besteht in vollkommenen Geräten. Aber was ihm fehlt, ist die philosophische Grundlage.

Sind Sie mit der Arbeit Ihrer olympischen Nachfahren einverstanden, oder halten Sie sich da lieber heraus?
Der Olympismus ist kein System, sondern eine geistige Haltung. Die verschiedensten Formeln können ihn sich zu eigen machen, und es kommt keiner Rasse und keiner Epoche zu, das ausschließliche Monopol darüber für sich in Anspruch zu nehmen.

Wie soll es mit der Olympischen Bewegung bloß weitergehen?
Wer kann schon die Zukunft voraussagen, die einer so edlen, verführerischen und nützlichen Institution wie den Olympischen Spielen vorbestimmt ist. Vielleicht wird ein Mäzen ihnen eines Tages einen ständigen Aufenthaltsort stiften, der ihrer Bedeutung und ihrer Schönheit entspricht.

Die Fragen stellte Hans-Joachim Waldbröl.

Monika, 2015