Laure, Patrick: Prävention von Dopingmentalität

Patrick Laure: Die Prävention von Dopingmentalität: der Weg über die Erziehung

Dr. Patrick Laure ist Facharzt für öffentliche Gesundheit und Medizinsoziologie. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Prävention von Dopingverhalten sowie Gesundheitsbildung durch körperliche Aktivität.

Die Dopingprävention ist in Frankreich schon weit länger und wesentlich stärker als in Deutschland ein Thema der nationalen öffentlichen Gesundheit und wurde daher immer auch als Aufgabe des Staates im Rahmen des Anti-Dopingkampfes begriffen. Die zeigt sich bereits in der ersten Antidoping-Gesetzgebung von 1965. Auch im aktuellen Antidoping-Gesetz ist die Doping-Prävention aufgenommen – und steht damit im Gegensatz zu der Deutschen Regelung. Selbst die 2013/2014 aktuell diskutierten Gesetzesinitiativen sparen die Doping-Prävention weitgehend aus.

Dopingprävention spielt in Frankreich daher eine größere Rolle, dies zeigt sich auch an der landesweiten Präventionsinfrastruktur (Beispiele siehe >>> hier).

Zwischen deutschen und französischen Initiativen gibt es jedoch seit vielen Jahren einen Austausch. Insbesondere haben sich hier das Zentrum für Doping-Prävention und die Deutsche Sportjugend (dsj) verdient gemacht.

Patrick Laure stellte seinen Präventionsansatz, der sich über die Erziehung junger Menschen Erfolge verspricht, 2011 in einem Aufsatz dar und zur Diskussion. Gleichzeitig gibt er darin eine Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Doping-Prävention in Europa.

Der Text erschien in: Dannemann/ Meutgens/ Singler (Hg.); Sportpädagogik als humanistische Herausforderung, Aachen 2011.
Der französische Originaltext ist hier zu finden:
Patrick Laure: La prévention des conduites dopantes : la voie de l’éducation
Die Veröffentlichung wurde mir vom Autor erlaubt. Vielen Dank.

Die Prävention von Dopingmentalität: der Weg über die Erziehung

Seit es dem Menschen nach göttlichen oder magischen Kräften verlangt, zählt die Einnahme von Substanzen zu den ältesten Methoden, mit denen er versucht seine physischen, mentalen ja sogar sozialen Leistungen zu verbessern oder zu erhalten.

Pflanzen, die stimulierende Wirkungen besitzen, sind seit Urzeiten wichtigste Bestandteile des Arsenals, das ihm hilft, seine grundlegenden Bedürfnisse Ernährung und Wohnen zu befriedigen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelang es den Forschern die Wirksubstanzen, wie das Ephedrin aus der Pflanze Ephedra, oder das Kokain aus den Kokablättern, zu extrahieren. Anschließend begannen sie diese Stoffe zu synthetisieren und in großem Stil zu produzieren. Als nächstes modifizierten sie die Moleküle auf direktem Weg, so schufen sie völlig neue, künstliche Substanzen wie die Amphetamine und bestimmte Steroidhormone.

Von da an änderte sich die Anwendungslogik und der Einfluss auf den Körper wurde einschneidender. Es ging jetzt nicht mehr nur darum, einem müden Organismus auf die Sprünge zu helfen, sondern darum, dessen Biotechnologie anzusprechen. Man will ihn neu programmieren und ihm damit eine bessere Anpassung an die Belastungen des Sporttrainings oder der Arbeitswelt ermöglichen.

Mit diesen Praktiken waren jedoch unerwünschte Nebenwirkungen verbunden, die die Körper der unverbesserlichen Anwender quälten, wenn sie nicht gar töteten. Ab dem 19. Jahrhundert nahmen sich die Gesundheitsprofis dieses Themas an. Deren Fragen zielten weniger darauf ab, ob die Anwendung der Praktiken richtig sei sondern eher darauf, wie die Produkte am besten angewandt werden könnten: Was ist am wirkungsvollen und am wenigsten gesundheitsschädlich? Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen sie sich über Maßnahmen Gedanken zu machen, mit denen sich die Zahl der Anwender verringern ließe. Dies bezog sich insbesondere auf die Welt des Sports, in der dieser Konsum, genannt „Doping“, als Verstoß des Sportlers gegen traditionelle Werte wie Chancengleichheit oder Sieg aus eigener Kraft, mittels eigener Aufopferungsfähigkeit, angesehen wird. Eine Maßnahme, die als wirkungsvoll galt, war die Prävention dank einer damit erreichten Verhaltensänderung der Interessierten.

Im Folgenden sollen die Handlungsperspektiven, die darauf abzielen, dem Konsum leistungssteigernder Substanzen vorzubeugen, eingehender betrachtet werden.

Doping oder Dopingmentalität ?

Um von einer allgemeingültigen Definition des Dopings im Sport ausgehen zu können, muss man die Anerkennung des Welt-Anti-Doping-Codes im Jahre 2003 abwarten. Diese Definition wird sowohl von der Olympischen Bewegung, den internationalen Sportverbänden als auch von den Regierungen, ja selbst von den mit der Prävention beauftragten Instanzen, akzeptiert und angewandt.

Sie bezieht sich einzig und allein auf den Sport und basiert auf einer Liste verbotener Substanzen und Methoden, die jährlich neu herausgegeben wird. Im Mittelpunkt der Definition steht damit das Produkt, einzig dessen Natur ist entscheidend. Im Übrigen bewertet die Sportgemeinschaft das Doping negativ, sie spricht gerne von einer „Geißel“, von einer neuen „Jahrhundertplage“ oder der „Krebserkrankung des Sports“.

Kennzeichnungen, die nicht notwendigerweise dessen Analyse mit der ihr gebotenen Ernsthaftigkeit und Distanz begünstigen.

Eine Person zeigt Dopingmentalität, wenn sie bereit ist Substanzen anzuwenden, sobald sich ihr oder ihrem Umfeld ein reales oder angenommenes Hindernis in den Weg stellt, welches sie daran hindern könnte, eine Leistung zu erbringen. Diese Definition beinhaltet folgendes:

– Die Art der Substanz ist unwichtig, obgleich es sich überwiegend um Medikamente, Drogen oder Nahrungsergänzungsmittel handelt. Innerhalb des Sports kann dieses Produkt daher verboten oder erlaubt sein;

– Das Hindernis ergibt sich aus dem Lebenszusammenhang der Person (Schulprüfung, Einstellungsgespräch, sportlicher Wettkampf). Es kann real sein (wie eine sehr selektive Aufnahmeprüfung) oder in der Vorstellung (wie Redeangst vor Publikum) existieren. Im zweiten Fall geht es entweder um die Wahrnehmung der betroffenen Person oder um die ihres Umfeldes (Eltern, Arbeitskollegen, Trainer, Teamkollegen, medizinische Betreuer);

– Leistung ist die Verwirklichung einer Aufgabe, die sich aus einer normalen Situation, aus dem Kontext des täglichen Lebens, aus dem gewohnten physischen und sozialen Umfeld der Person, ergibt. Sie ist nicht auf eine sportliche Glanzleistung reduziert. Infrage kommen damit Substanzen, die sowohl auf Teile des Organismus (Gedächtnis, Muskelmasse) mit dem Ziel der Leistungssteigerung einwirken, als auch solche, die negative Empfindungen verringern (Angst, Müdigkeit).

Dieses Konzept liegt in Frankreich seit dem Jahr 2000 Berichten und Dokumenten zugrunde, die das Ministerium für Gesundheit und Sport (le ministère de la Santé et des Sports), die Initiative ‚Interministerielle Mission gegen Drogen und Sucht’ (la Mission interministérielle de lutte contre la drogue et la toxicomanie) u.a.m. zum Zwecke der Information und Prävention heraus geben. Es wurde in verschiedenen europäischen, nord- und südamerikanischen Ländern vorgestellt und diskutiert.

Ist diese Mentalität verbreitet und gefährlich?

Vor dem näheren Betrachten der verschiedenen Präventionskonzepte von Doping und Dopingmentalität erscheint es sinnvoll, kurz auf zwei der wichtigsten Begründungen einzugehen, mit der sie gerechtfertigt werden: Doping und Dopingmentalität sind in der Gesellschaft weit verbreitet und erweisen sich als gesundheitsschädlich.

Verbreitete Verhaltensweisen ?

Zu dem Thema Doping im Sport liegt, zumindest für den Amateurbereich, eine große Zahl epidemiologischer Studien vor, in denen die Häufigkeit dieses Konsums beschrieben und analysiert wird. Etwas geringer ist der Kenntnisstand über Dopingmentalität. Tatsächlich ist in der zivilen Welt der Einsatz von Mitteln zum Zwecke der Leistungssteigerung nicht reglementiert – mit Ausnahme des Drogenkonsums – und er wird gerne als ein die Produktivität steigernder Faktor verkauft. Da er demnach nicht oder nur selten als problematisch angesehen wird, hat sich den Wissenschaftlern kaum die Notwendigkeit aufgedrängt, Entsprechendes in der breiten Bevölkerung zu untersuchen. Zudem handelt es sich hierbei um einen schwierigen Forschungsgegenstand, denn ihm liegen die beiden Begriffe Leistung und Verhalten zugrunde, zwei Termini, über deren Bedeutung die jeweiligen Personen unterschiedliche Vorstellungen haben. So weiß ein Sportler, wenn von „Doping“ die Rede ist, was er darunter zu verstehen hat, auch wenn er die Liste der verbotenen Substanzen nur vage oder in Teilen kennt. Demgegenüber weckt der Begriff „Dopingmentalität“ im Allgemeinen nur wenige Assoziationen, oder manchmal zu viele, dermaßen vielfältig sind die Anwendungsmöglichkeiten der Produkte, die Vorstellungen darüber und die Produktpalette selbst. Daher sind die Forscher oft dazu gezwungen ihr Forschungsfeld auf Bereiche einzuschränken, die „für sich selbst sprechen“, wie Müdigkeit und Angst, und dazu, die konsumierten Substanzen, die diesen Bereichen zugeordnet werden, sowie das Umfeld und die Situationen, in denen sie zum Einsatz kommen (Arbeit, Familie, Universität, Überwindung von Problemen, sozialer Rückhalt usw.), aufzuzählen.

Gefährliche Verhaltensweisen ?

Die vorliegenden wissenschaftlichen oder medizinischen Studien sagen relativ wenig aus über die Morbitität und die Todesraten, die mit den angewandten leistungssteigernden Produkten in Verbindung stehen. Nur in einigen Dutzend klinischer Fälle wird von schweren oder tödlichen Nebenwirkungen berichtet, in der Mehrzahl sind Sportler betroffen (Gewichtheben, Radsport, Fußball usw.).

Das heißt jedoch nicht, dass diese Konsumgewohnheiten ohne Folgeschäden für die Gesundheit sind. Man vermutet übrigens, dass sie es dann nicht mehr sind, sobald bekannt ist, welche Substanzen eingenommen wurden und wie sie manchmal zum Einsatz kommen: zum Beispiel wird Testosteron, ein anaboles Steroid, in Dosen angewandt, die um das 500fache über denen liegen, die ein Mediziner aus therapeutischen Gründen maximal verabreichen würde. Einfach ausgedrückt, bis heute existieren für den Bereich der Dopingmentalität, sportlich oder nicht, keine umfassenden Auflistungen der unerwünschten Nebenwirkungen.

Das Argument der Gesundheitsgefahren war in den 1930er Jahren von Medizinern in den Ring geworfen worden, da der Konsum und der Missbrauch der damals gängigen Stimulanzien, wie Strychnin oder Arsen, für Vorfälle oder Unfälle verantwortlich waren, die überwiegend Ausdauerdisziplinen betrafen. So zögerte 1931, der politische Kontext ist bekannt, der Berliner praktische Arzt Heinz Heitan nicht, zu erklären (Heitan 1931): „Ein Amateursportler, der Produkte anwendet, geht damit Risiken ein, da alle nachteilige Nebenwirkungen haben oder gesundheitsschädlich sind.“ Einige Zeit später erklärte das Britische Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Lord Burghley auf der Session vom 9. Juni 1937 in Warschau (CIO/IOC 1937), seinen Kollegen die Praxis, die Möglichkeiten und die Wirkungen des Dopings. Und in einem 1993 veröffentlichen Bericht des Völkerbundes, einer Vorläuferorganisation der Vereinten Nationen, wird festgehalten: „Man muss die Anwendung aller Produkte verbieten, die künstliche Erregungszustände hervorrufen können und eine Vergiftungsgefahr oder eine Verleitung zu großen Anstrengungen in sich bergen.“ (Boje 1939)

Argumente und Konzepte zur Verhinderung des Dopings

Die Anfänge der Doping-Prävention im Sport finden sich in den 1950er Jahren. Sie fußen auf zwei fundamentalen Prinzipien, die mittlerweile in den Welt-Anti-Doping-Code aufgenommen wurden: auf der Gesundheit der Sportler und auf der Ethik des Sports.

Die zum Zwecke der Leistungssteigerung angewandten Mittel wurden als Faktoren angesehen, die das von diesen beiden Säulen gestützte Gebäude des Sports dadurch gefährden, dass sie unerwünschte Auswirkungen auf die Gesundheit haben, der Gegner nicht respektiert wird, Regeln und die Chancengleichheit verletzt werden usw.. Sie wurden im Übrigen auf einer besonderen Liste – gemeinhin genannt „Liste der Dopingmittel“ – aufgeführt und sind ab Mitte der 1960er Jahre verboten.

Interessant ist die Beobachtung, dass bereits zu jener Zeit die Meinung geäußert wurde, die Dopingprävention dürfe nicht auf das Sportmilieu beschränkt werden, da es sich „um ein erzieherisches und menschliches Problem handelt, welches die soziale Ordnung insgesamt infrage stellt.“ (Vivre 1960)

In diesem Kontext von Vorschlägen gegen und Warnungen vor Doping, verabschiedete das Komitee für Außerschulische Bildung des Europarates 1963 in Madrid einen feierlichen Appell gegen Doping, in dem insbesondere die Sorge um die Gesundheit der Jugend hervorgehoben wurde. Ein Jahr später wurde dieser Aspekt von den Teilnehmern eines Internationalen Seminars über Doping, das die UNESCO in Belgien organisiert hatte, aufgegriffen. Und immer wenn in den folgenden Jahren auf den zahlreichen internationalen Treffen die Notwendigkeit eines Dopingverbots bekräftigt wurde, betonte man auch das Interesse an einer Dopingprävention, die sich vor allen an junge Sportler zu richten habe.

In den 1960er Jahren wurden in verschiedenen Ländern, vorwiegend in Europa, Präventionsmaßnahmen ergriffen. Deren Absichten sind zwar nicht immer klar definiert, aber zusammenfassend lässt sich sagen, dass „es gilt Doping unter den (jugendlichen) Sportlern zu verhindern“. Problematischer ist die Tatsache, dass diese Projekte keine klaren Zielvorgaben hatten, wie z. B.: Verringern der Anzahl der Sportler, die zu unerlaubten Mitteln greifen, um 15% innerhalb eines Jahres. Folglich war es schwierig eine besondere Zielgruppe zu definieren und vor allem war eine abschließende Evaluierung unmöglich. Abgesehen davon, dass sowieso nur die Effizienz der Aktionen bewertet werden kann, d.h. ob die eingesetzten Mittel dem Aufgabenkatalog entsprechen… Dennoch fügen sich diese Projekte eher gut in den Präventionskontext der damaligen Zeit ein. Man befand sich gewissermaßen unter „Handlungszwang“ und das vorherrschende Gefühl war, dass eine absolute Notwendigkeit bestehe, sehr schnell Maßnahmen ergreifen zu müssen.

Zu diesem Zweck wurden verschiedenen Konzepte entwickelt. Die beiden wichtigsten waren: der Abschreckungsansatz und der normative Ansatz.

Der Abschreckungsansatz

Der Abschreckungsansatz fußt auf zwei Prinzipien: 1) die Sportler sind rationale Personen und 2) es fehlen ihnen die notwendigen Informationen, um ein angepasstes Verhalten zeigen zu können.

Die verschiedenen darauf aufbauenden Projekte bestehen daher aus der Verbreitung von Botschaften, die Doping unter Hinweis auf damit verbundene Gesundheitsgefahren mehr oder weniger verteufeln und mit denen sich provozieren lässt. Die Befürworter dieser Strategie nehmen an, dass bessere Kenntnisse über die schädlichen Nebenwirkungen der Substanzen dazu führen, dass diejenigen, die bereits Mittel anwenden, davon lassen und andere, die in Versuchung sind, davon abgehalten werden könnten.

Allerdings wusste man damals noch nicht, dass alleinige Information, selbst wenn sie das Wissen erweitert – was nicht immer der Fall ist – nicht automatisch eine Verhaltensänderung bewirkt und zu einer gesundheitsbewussteren Lebensführung anregt. Mehr noch, damit kann sogar das Gegenteil des beabsichtigten Effektes hervorgerufen werden!

Die Strategie mit der Angst zu arbeiten, erwies sich somit weniger wirksam als erwartet. Verschiedene Erklärungsmodelle über das Gesundheitsverhalten liefern dafür die wichtigsten Gründe:

• Die mit den Substanzen verbundenen Gesundheitsgefahren spielen für sich dopenden Sportler keine Rolle, außer sie wirken sich direkt negativ auf die Leistung aus. Dies trifft insbesondere auf Heranwachsende zu, deren Mehrheit Schwierigkeiten hat, sich auf lange Sicht Beeinträchtigungen der Gesundheit vorzustellen.

• Insbesondere unter Jugendlichen und Sportlern, deren Risikobereitschaft und Experimentierfreude bekannt sind, ist es manchmal attraktiv, sich freiwillig Gefahren auszusetzen (Le Breton 1991). Daher kann das Beschreiben unerwünschter Nebenwirkungen der Mittel dazu führen, dass deren Anziehungskraft steigt (Brun 1994) und deren Anwendung zusätzlich angeregt wird, selbst wenn damit nur die Neugierde befriedigt werden soll.

1968 Ministerium für Jugend und Sport Frankreich:
Was ist Doping?

Gegenwärtig ist die Bedeutung des Sports so hoch, dass ein Anfänger, der Lust dazu versperrt, meint, er könne schnell ein Champion werden. Wenn ihm dann nach dem Misserfolg erklärt wird, das Wichtigste sei nicht der Sieg sondern die Teilnahme, dann weiß er, dass ihm das nur gesagt wurde, um ihn über seine teilweise oder völlige Mittelmäßigkeit hinweg zu trösten: diese weit gefassten Ideen vom Beginn unseres Jahrhunderts wurden mittlerweile von vielen vergessen und selbst diejenigen, die beraten sollen, kümmern sich mehr im die Siege als um die Teilnahme.
Wenn die Gruppe der Anfänger nicht an die Hand genommen und hinsichtlich späterer Erfolge unterstützt wird, wird sie auf sich selbst angewiesen sein. Dies führt dann zu Enttäuschungen, Abkehr und der Suche nach dem ‚erfolgversprechenden Rezept‘. … Dagegen helfen nicht einfache Bemerkungen über Sportmoral. Das [Anti-Doping-]Gesetz wurde daher insbesondere … zum Schutz der Jugend verabschiedet. … Die damit verbundenen Aktionen, die sofortige Repression und die langfristigen Aktionen über die Bildung, müssen organisiert werden. Dazu gehört die medizinische Überwachung, auch während des Trainings, ebenso wie die Betreuung in einem medizinischen Zentrum.

Der normative Ansatz

Geht man von der Hypothese aus, dass die Substanzen insofern wirkungsvoll sind, als sie dazu beitragen, dass die Anwender die Ziele errechen, auf die sie fixiert sind (zu siegen, nicht Hinterher zu hinken, seinen Platz zu erhalten usw.) und legt man den allgemeinen von der Sportgemeinschaft hochgehaltenen Wertekern zugrunde, dann lautet das Urteil über Doping: „Das ist nicht gut!“

Anders ausgedrückt, daraus ergibt sich eine Verletzung der Chancengleichheit unter Sportlern, eine Quelle fehlenden Respekts vor den Gegnern ja sogar gegenüber sich selbst, die Möglichkeit eines ungerechtfertigten Sieges und weitere Regelverletzungen (sogar der Gesetze (1)). Entsprechend zahlreich sind die Appelle an Betroffene, die zum einen den edlen Aspekt einer Herangehensweise ohne künstliche Hilfsmittel betonen, und zum anderen die Anwendungen als dem Geist des Sports zuwider laufend geißeln. Ein Beispiel (Graillot 1992): „Steht der Griff zu Dopingmitteln nicht im Widerspruch zu der Fairness ohne die sich der sportliche Wettstreit der Absurdität annähert?“

Dennoch fragen sich seit Mitte der 1960er Jahre manche Praktiker, ob das Hochhalten des Schildes der Sportethik per se ein wirksames Mittel ist, Doping im Sport einzudämmen (Vaille 1966).

Einige gehen noch weiter und wenden die Ethikargumente der Präventionsaktivisten gegen diese selbst. Zum Beispiel sind sie der Ansicht:

• Die Sanktionierung der Anwendung von Dopingmitteln könne nicht in Betracht gezogen werden (Fost 1986);

• Die Dopingkontrollen, insbesondere die unangekündigten Trainingskontrollen, seien in Anbetracht der damit verbundenen Verletzung der Sportler-Privatsphäre nicht zu rechtfertigen (Schneider/Butcher/Lachance 1994).

(1) Belgien und Frankreich waren 1965 die beiden ersten Länder der Welt, die sich ein Antidopinggesetz gaben (Belgien: Das Gesetz vom 2. April 1965 verbot Doping bei sportlichen Wettkämpfen. Frankreich: Das Gesetz n°65-412 vom 1. Juni 1965 zielte darauf ab, Stimulanzien während sportlicher Wettkämpfe zu bestrafen).

(Doping)Prävention über den Weg der Erziehung anstatt über die Gesundheit?

Die Palette der für die Dopingprävention eingesetzten Konzepte zeugt von den Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn nach praktikablen Möglichkeiten gesucht wird, die geeignet sind eine Mentalitäts- oder Verhaltensänderung herbei zu führen. Dies ist allerdings nicht auf den Bereich des Dopings beschränkt.

Dennoch gibt es Situationen in deren Verlauf eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Personen eine ihrer Lebensgewohnheiten schnell geändert hat. Zum Beispiel 1996 während der Krise um den „Rinderwahnsinn“, als unzählige Verbraucher auf Rindfleisch verzichteten und dieser Markt zusammen brach nachdem Forscher die Übertragbarkeit dieser Krankheit auf den Menschen nachgewiesen hatten.

Verschiedene Hypothesen wurden entwickelt, um die beobachteten Diskrepanzen zwischen den Präventionsprojekten und ihren (fehlenden) Effekten zu erklären: ungenaue Zielvorgaben, fehlende Kohärenzen zwischen Aktivitäten im Antidopingbereich und anderen Präventionsfeldern, Verfehlung der Zielgruppe usw., aber auch schlecht gewählte Bezüge (z.B. „Gefahr“, „Verbot“) sowie andere ungenügende Arbeitsmittel (z.B.: alleinige Information). Es hat sich auch herausgestellt, dass ein auf das Gesundheitsbewusstsein oder auf Verhaltensweisen abzielender Ansatz sein Ziel verfehlt, wenn er auf „negativen“ Botschaften beruht wie „es ist nicht gut, wenn…“ und „man darf nicht…“. Und zu guter Letzt wurde angemerkt, dass einige Aktionen sich zu sehr auf einzelne Thematiken, wie Doping oder Ernährung, konzentrieren, wodurch bei einem Publikum, das dieser Themen in gewisser Weise überdrüssig ist, eine Verstärkung der Problematik bewirkt werden kann.

So weicht der „Gesundheits“-Ansatz (l’approche „sanitaire“) (der primär auf den Erhalt der Gesundheit abzielt), innerhalb der Präventionsaktivitäten, auch derjenigen, die auf die Gesundheitserziehung abzielen, mehr und mehr einem umfassenderen „Erziehungs“-Ansatz (l’approche „éducative“) .

Erziehung

Das Ziel der Erziehung liegt darin, den Individuen die Möglichkeit zu eröffnen, ihr Potential, ihre Persönlichkeit und ihre besonderen Fähigkeiten zu entwickeln. Jeder Mensch, ob Kind, Heranwachsender, oder Erwachsener muss daher von einer Erziehung profitieren können, die so gestaltet ist, dass sie den fundamentalen Bildungsbedürfnissen entspricht. Dabei handelt es darum (2) zu

• Lernen etwas zu verstehen: ein Problem zu lösen, Entscheidungen zu treffen, Konsequenzen abzuschätzen…

• Lernen etwas zu tun: zu kochen, sich zu waschen, zu schreiben, zu lesen…

• Lernen miteinander zu leben: zu kommunizieren, sich zu behaupten, zu verhandeln, zuzuhören…

• Lernen sich selbst wahrzunehmen (selbst zu sein): Selbstvertrauen zu entwickeln, mit Stress umzugehen…

Diese verschiedenen Kompetenzen, die als notwendig für das tägliche Leben angesehen werden, beinhalten praktische Fähigkeiten (Schreiben können, Kochen können) und intrinsische Fähigkeiten (Entscheidungen treffen können, sich behaupten können), die psychosoziale Kompetenzen genannt werden.

Die grundlegenden psychosozialen Kompetenzen

Die Weltgesundheits-Organisation (WHO) hat zusammen mit UNICEF zehn grundlegende und universell gültige psychosoziale Fähigkeiten bestimmt (WHO 1997). Danach sollte jeder Mensch, unabhängig von seiner nationalen und kulturellen Herkunft, folgende Lebenskompetenzen entwickeln können:

• Problemlösefertigkeit – Entscheidungsfertigkeit
• Kreatives Denken – Kritisches Denken
• Effektive Kommunikationsfertigkeit – Interpersonelle Beziehungsfertigkeiten
• Selbstwahrnehmung – Empathie
• Stressbewältigung – Emotionsbewältigung

Die WHO hält fest: „Die psychosozialen Kompetenzen befähigen den Menschen auf die Herausforderungen des täglichen Lebens erfolgreich reagieren zu können.“ Für diese Organisation kann die Entwicklung der psychosozialen Kompetenzen wesentlich zur Erhaltung der Gesundheit beitragen, sofern ein der Gesundheit abträgliches Verhalten in Verbindung steht, mit einer Unfähigkeit auf Stress oder Belastungen des Lebens erfolgreich zu reagieren.

Die psychosozialen Kompetenzen und Prävention

Die psychosozialen Fähigkeiten könnten zu einem Grundstein der Prävention werden. Ihre Entwicklung wäre der den Projekten gemeinsame Sockel, dem detaillierte Informationen, je nach Alter der Zielgruppe und Art der Gesundheitsthemen (Rauchen, Doping, Sexualität usw.) hinzugefügt werden. Auch ermöglicht die Stärkung der Kompetenzen, wie Entwicklung der Selbstwahrnehmung und des kritischen Denkens, eine überaus positive Herangehensweise.

Schließlich haben die Konzepte, die auf der Stärkung dieser Lebenskompetenzen beruhen, ihre Leistungsfähigkeit dadurch gezeigt, dass es mit ihrer Hilfe gelang, abweichendes Verhalten, gewalttätiges oder kriminelles bei Jugendlichen, zu reduzieren (Englander-Goldern et al. 1989), Gefühlswirren zu dämpfen (McConaughy et al. 1998), die Wut-Kontrolle zu verbessern (Deffenbacher et al. 1996), sexuelles Risikoverhalten (Schwangerschaft, AIDS) einzudämmen (Kirby et al. 1994, Zabin et al. 1986) und das Einstiegsalter für den Konsum von Zigaretten, Alkohol und weiterer Substanzen zu senken (Caplan et al. 1992, Errecart et al. 1991, Hansen et al. 1988). Und kürzlich zeigte sich, dass dieser Ansatz geeignet ist, Dopingmentalität junger Sportler vorzubeugen (Laure et al. 2009).

(2) Siehe dazu UNESCO Déclaration mondiale sur l’éducation pour tous (1990) ; ONU Déclaration universelle des droits de l’homme (1948) ; UNICEF Convention relative aux droits de l’enfant (1989).

Eine Prävention, die Fragen aufwirft…

Die Prävention von Dopingmentalität lässt durchaus ettliche Fragen offen, von denen einige hier bereits angesprochen wurden. Zum Beispiel die Frage, ob es legitim ist, Menschen daran zu hindern, Misserfolge mit Hilfe von Substanzen vermeiden zu wollen.

Zwei weitere Problematiken seien hier angesprochen.

Seit ein bis zwei Jahrzehnten kann man sowohl auf Seiten der Initiatoren als auch der Akteure vor Ort ein Bewusstsein dafür feststellen, dass die Präventions-Projekte, und allgemeiner gesehen, die Erziehungs- oder Gesundheitprojekte „Wissen“ und „Know-how“ benötigen: Wissen über die Gesundheit und die Probleme die sich daraus ergeben, sie zu erhalten; Kenntnisse darüber wie mit Modellen umzugehen ist, die Verhalten erklären; Fähigkeiten um Programme zu erstellen und entsprechendes Handwerkzeugs anzuwenden usw.. Diese „Wissen“ werden immer spezieller.

Zudem setzen diese Aktivitäten, sie sich sowohl an Männer als auch an Frauen richten und auf beider Verhalten abzielen, eine hoch entwickelte soziale Kompetenz voraus: Menschlichkeit, Empathie usw.. Aber die ist viel, oh so sehr viel schwieriger zu erwerben und zu erhalten, als theoretisches oder technisches Wissen.

Riskiert man damit nicht im Namen der Effizienz, im Namen der Leistungserforschung (3) , der Versuchung einer roboterhaften Prävention zu erliegen, die von Akteuren mit hohem fachspezifischem wenn nicht gar technischem Wissen gestaltet wird, aber seelenlos ist?

Verschiedene Veröffentlichungen unterstreichen, wie oben bereits dargelegt, die Bedeutung der Entwicklung der psychosozialen Fähigkeiten, andere wiederum bezweifeln, dass dies effektiv sei (Gorman 2005). Und wieder andere geben zu bedenken, dass dieser Ansatz sogar Zwecken dienen kann, die der Erhaltung der Gesundheit zuwiderlaufen, z. B. um Jugendliche zum Rauchen anzuhalten (Mandel et al. 2006).

Die Frage nach dem Sinn oder nach der Bedeutung der Entwicklung der psychosozialen Kompetenzen als Mittel der Gesundheitserziehung ist damit wichtig.

Unter Hinweis auf die klassische Soziologie, könnte man die Hypothese formulieren, dass diese Entwicklung einer Logik folgt, die den Mechanismen der sozialen Integration entspricht. Diese wirken innerhalb der gesamten Gesellschaft (sind dem Charakter nach „universell“ und transkulturell wie die zehn grundlegenden Kompetenzen der WHO), für die Gesellschaft als Ganzes scheinen sie aber nicht entsprechend identifizierbar.

Infolgedessen wird, wie es François Dubet vorschlägt, die Identität eines Akteurs zu einem Aspekt der Systemintegration (Dubet 1994), das heißt seine Identität hängt von der Art und Weise ab, wie er die gesellschaftlichen Werte mit Hilfe der Rollen verinnerlicht. Anders ausgedrückt, diese Akteure sind das Abbild einer als Gebäude dargestellten Gesellschaft, das von den gemeinsamen Werten zusammengehalten wird. In der Welt des Sports, in der Werte eine fundamentale Rolle spielen, ist dies ein wichtiges Postulat (Laure 2008). Bei dieser Betrachtungsweise, wird Erziehung – darin eingeschlossen Gesundheitserziehung – zu einem System der Werteaneignung, welches sicherlich die Identität stärkt, aber auch die soziale Ordnung. So könnte ein Akteur, der sich in seinen persönlichen Beziehungen ungeschickt verhält, oder dem es an Kreativität oder Kritikfähigkeit mangelt, oder der schlecht mit Belastungen umgehen kann (ebenso wie beim Fehlen anderer psychosozialer Kompetenzen), ein Störfaktor für die Ordnung darstellen, da er mit hoher Wahrscheinlichkeit soziale Verhaltensweisen annehmen wird, die als unangepasst gelten. Wie etwa sich zu dopen.

So gesehen trägt die Entwicklung der psychosozialen Kompetenzen im Erziehungs- und Gesundheitsbereich zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung und der Identität der Akteure bei. Kann man hier noch von Prävention sprechen, die Gesundheit zum Ziel hat?

(3) Erinnern wir uns, dass die Leistung, welch amüsante Kapriole, auch der bestimmende Faktor der Dopingmentalität ist.

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