Treutlein, Gerhard: Doping und Sportmedizin – 1974 bis 1993

Die Rolle der Ärzte im Dopingkomplex und Suchtproblematik

Prof. Gerhard Treutlein, April 1993:
Doping und Sportmedizin –
Vergangenheitsbewältigung ist auch in der alten Bundesrepublik notwendig!

Anfang 1993 war die gesamtdeutsche Leistungssportwelt noch immer nicht sehr friedlich wiedervereint. Doping war eines der Haupthemen, die Sprengkraft innerhalb der Verbände, zwischen Trainern, Sportlern, Funktionären, Ärzten und Politikern aufwiesen. Die Aufarbeitung der Leistungsmanipulationen in Ost und West wurde zwar immer eingefordert, es gab Untersuchungskommissionen und Erklärungen, doch letztlich endete es damit, dass die Hauptenergie darauf verwandt wurde, Unangenehmes unter den Teppich zu kehren. Mit dem Ergebnis, dass das Thema in den Folgejahren immer wieder aufbrach und auch noch 20 Jahre nach dem Mauerfall für Unruhe sorgt und polarisiert.

Vor allem die westdeutsche Dopingvergangenheit wurde gerne geleugnet, auch wenn immer wieder eine Minderheit engagierter Sportbegeisterter mit klarer Antidopinghaltung diese Vergangenheit herausarbeitete und nicht müde wurde, darauf hinzuweisen, getragen von der Hoffnung auf zukünftige weitaus ehrlichere Wettkämpfe.

Zu diesen Unermüdlichen gehörte und gehört Prof. Gerhard Treutlein. Bereits 1974 wirkte er an einem Forschungsprojekt mit, in dem in einem Kapitel versucht wurde die damalige Rolle de Sportmedizin in Ost und West aufzuzeigen. Darin wurden auch Hinweise auf Anabolikadoping in der DDR und der BRD verarbeitet. Die Rolle der westdeutschen Ärzte wurde von den Autoren damals 1974 nicht gerügt. Allerdings reagierten die bekannten Sportärzte Prof. Joseph Keul und Prof. Armin Klümper, die als Gutachter bestellt wurden, erstaunlich gereizt und kritisch. Die Autoren mussten Ihren Text einkürzen.

Gerhard Treutlein fasste im April 1993 den Vorgang von 1974 zusammen und stellte einige kritische Fragen zu der Haltung und Einbindung der Sportmedizin in das Dopinggeschehen der letzten Jahrzehnte.

Der Artikel sollte in der Zeitschrift ‚Arzt und Sport‘ erscheinen. Doch die Zeitschrift wurde Ende April 1993 eingestellt. Als ein maßgeblicher Grund dafür wurde vom Verlag angegeben, es seien zu viel und zu häufig Doping-Artikel erschienen.

>>> Treutlein: Doping und Sportmedizin.pdf

Das angesprochene Kapitel ‚Sportmedizin und ärztliche Betreuung‘ in Erstfassung sowie die Gutachten von Prof. Keul und Prof. Klümper sind nachzulesen in

>>> A. Singler/G. Treutlein: Doping im Spitzensport, Seiten 358 – 384

Schlussfolgerungen

Zitat:

„Sportmediziner wie Klümper und Keul spielen wohl auf der Vorderbühne ein anderes Spiel als auf der Hinterbühne; dabei stehen ihre Namen nur stellvertretend für andere; interessanter als das Darstellen individuellen Handelns wäre das Herausarbeiten der dahinter liegenden Strukturen, die zu solchem Handeln veranlassten oder auch verführten: Die westdeutsche Sportmedizin hat ihre Vergangenheitsbearbeitung noch vor sich (inklusive der Forschungsförderungspraxis des BISp). Durch die Anlehnung an die Erfolgsorientierung des Spitzensports katapultierten sich manche Sportmediziner automatisch in die Machbarkeitszwänge des Leistungssports hinein. Sie wurden dann mit dessen unmittelbarem Handlungsdruck konfrontiert. Es galt einerseits die Verpflichtung gegenüber dem eigenen Ethik-Code nicht zu vernachlässigen, andererseits die Erwartungen des Spitzensports zu bedienen. Ein Lösungspfad bestand darin, sich am subversiven Handeln, Unterlassen, Schweigen und an der Kumpanei all derjenigen zu beteiligen, die in ähnlichen Konfliktsituationen standen, und pragmatisches, dopingfreundliches Handeln zu bevorzugen. Eine hohe Affinität zwischen all den Akteuren, für die der Zweck die Mittel heiligt, war die Folge und funktioniert bis heute.

>>> deutsche Ärzte
auch W. Hollmann, A. Mader, H. Riedel

Welche Verdrängungsleistungen bei der Vergangenheitsbewältigung bewältigt werden, zeigt das Beispiel des Präsidenten des Weltverbands für Sportmedizin, Prof. Dr. HOLLMANN, der sich bis heute z. B. weder von der früheren Tätigkeit seines zeitweiligen Assistenten MADER (vgl. Berendonk 1992, vor allem S. 43 f) noch von seiner Förderung des früheren DVFL-Arztes und späteren Bayreuther Professors RIEDEL distanziert.

Für die Vergangenheitsbewältigung in Ost und West sollten wir uns an die Aussage eines Vertreters der Bürgerrechstbewegung, Manfred KRUCZEK (Sportsprecher des Neuen Forums) halten: „Es ist uns wichtig, daß der Sport weiterlebt, aber nicht nach der Augen-zu-Methode, sondern in ehrlicher Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit“ (FAZ vom 9.12.1992). Denn „Vergangenheit vergeht nicht einfach so; schon gar nicht für die Opfer, aber auch nicht für die geistige Kultur eines Landes.“ (Gauck im Spiegel 1994/2, 174). Dies gilt auch für die Sportmedizin.“

Gerhard Treutlein

1989 Deutsche Hochschulmeisterschaft der Leichtahletik

Bereits 1989 griff Gerhard Treutlein das Thema auf und machte auf die Verantwortung der bekannten deutschen Ärzte hinsichtlich der Dopingproblematik aufmerksam und benannte die fortwährenden Bestrebungen im Leichtathletikverband, Doping klein zu reden. Bei den Hochschulmeisterschaften der Leichtathletik 1989 verteilte der langjährige Disziplinchef Leichtathletik des Allgemeinen Deutschen Hochschulverbands (ADH) folgenden Text:

>>> Treutlein: Unsere Probleme mit der Dopingproblematik 1989.pdf

Monika