2019 Paoli, Letizia: Merkmale des Dopingmarktes, Rolle der Ärzte

Dopingpraktiken/-praxis, ausgewählte Beispiele

2019 Letizia Paoli, Dopingmittel-Markt und Rolle der Mediziner

Letizia Paoli ist Professorin am Institut für Kriminologie der Universität Leuven, Belgien. Die Kriminologin wurde in Deutschland vor allem bekannt durch die Leitung der Evaluierungskommission der Freiburger Sportmedizin, der die Aufgabe oblag, die Sportmedizin des Freiburger Universitätsklinikums bis zurück in die 1970er Jahre vor dem Hintergrund der Doping-Problematik zu untersuchen.

Ihr wissenschaftlicher Text The pecularities of the market for doping products and the role of academic physicians wurde 2019 in dem Buch Doping in Cycling, interdisciplinary perspectives, herausgegeben von B. Fincoeur, John Gleaves und Fabien Ohl, veröffentlicht.

Der folgende Beitrag ist eine Kurzfassung davon. Letizia Paoli erlaubte die Zusammenfassung ihres Textes. Vielen Dank.

Die herausragenden Merkmale des Marktes von Dopingprodukten und die Rolle der Mediziner an Universitäten

Viele internationale Studien bestätigen, dass Doping weltweit in fast allen Sportarten und auf allen Leistungsebenen verbreitet ist. Ein Vielzahl der hierbei verwendeten Produkte haben zudem längst den Weg in andere gesellschaftliche Bereiche gefunden, sei es als Lifestyleprodukte oder zum schnellen Aufputschen von Körper und Psyche.

Zu Beginn der Untersuchungen des italienischen Doping-Marktes zusammen mit A. Donati (2014) und V. A. Greenfield (2017) ging ich [L. Paoli] von der Vermutung aus, dass dieser in weiten Teilen vergleichbar sei mit dem Markt anderer illegaler Produkte. Doch meine Coautoren und ich stellten zwei Merkmale fest, die allein typisch sind für den Doping-Markt und womit er sich von anderen unterscheidet:

1. ) Die Lieferanten / Vertreiber der Produkte kommen nicht aus einem kriminellen Milieu und vor allem sind wiederholt Mediziner eingebunden (aus dem universitären Umfeld).

2.) Staatliche Instanzen, Institutionen des Sports und deren Repräsentanten gewähren beständigen Schutz gegenüber Dopingpraktiken im Elitesport.

Diese beiden herausragenden Merkmale werden im Folgenden auf der Basis dreier aktueller Studien zu Italien, Belgien, Frankreich und Deutschland näher erläutert unter Berücksichtigung vergangener und aktueller Skandale und Ermittlungen aus anderen Ländern. Besonders herausgearbeitet wir die Rolle leitender Mediziner an Universitäten.

Datenquellen

1. Paoli, L. & Donati, A. (2014. The Sports Doping Market, 2013. WADA, Paoli and Donati Report). Diese Studie wurde im Auftrag der WADA erstellt. Viele der ausgewerteten Daten wurden in Zusammenarbeit mit der Carabinieri Command for Health Protecrion (NAS) erhoben. Die wichtigste Datenquelle war die ‚NAS Investigations Database‘, in der Daten der 80 bedeutendsten Anti-Doping-Ermittlungen der NAS zwischen 1999 und 2009 enthalten sind. Es flossen offizielle Ermittlungsdokumente aus 46 Kriminalfällen ein, die teils von der NAS, teils von anderen Polizeistellen stammten. Eingang fanden auch Interviews mit 26 Offizieren der NAS, sieben Staatsanwälten, einem politischen Entscheidungsträger und einem Doping-Kontroll-Experten. Daneben wurden andere Materialien, insbesondere der Presse, ausgewertet.

2. ‚Doping and its Supply: Exploring the Market and Assessing the lmpact of Anti-Doping Policies in Belgian and French Cycling‘, Letizia Paoli, Bernand Fincoeur (e.g. Fincoeur, 2016; Fincoeur & Paoli, 2014). Hier wurden die Versorgungswege mit Dopingmitteln im belgischen und französischen Radsport herausgearbeitet. Neben der Auswertung vielfältigster Dokumente wie Unterlagen zu polizeilichen Ermittlungen, wurden 77 Interviews mit verantwortlichen Personen geführt sowie eine Umfrage unter aktiven flämischen Radsportlern (angefragt 2776, geantwortet 767) ausgewertet.

3. Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin, Abschlussbericht und mehr.

Die Kommission wurde 2007 auf Initiative der Universitär Freiburg berufen, um die Vorgängen rund um das Team Telekom/T-Mobile in Verbindung mit der Freiburger Sportmedizin zu untersuchen, vor allem aber die Rolle dieser Institution in Zusammenhang mit der westdeutschen Dopinggeschichte bis zurück in die 1950er Jahre aufzuarbeiten.

Der nicht-kriminelle Hintergrund und Handlungsrahmen der Lieferanten/Versorger

Zitat aus der Studie von
Letizia Paoli/Alessandro Donati,
The Sports Doping Market:

The role of supplier is well documented in the detailed diaries of Daniele Faraggiana, which became public in 1986. Faraggiana was a former decathlete and then a sports physician on the payroll of both Italy’s Athletic and Weightlifting Federations. In his diaries, he listed the names of all the athletes he doped (among them, a track and field champion of the Los Angeles Olympics), the substances administered, the respective dosages, the negative effects on the athletes’ health and the athletes’ performances. The treatment of a national thrower was, for example, described as follows:

April 17, 1985: up to April 20, methandrostenolone, protein 2 per day; lecithin 1 spoon per day, Supradyn 1 pill per day. If he feels muscle tiredness, Berolase 2 ampules each every second day; vitamine C 3 gr oral or 1 gr intravenously per day. From April 22 Testoviron 100 mg every Monday, Wednesday, and Friday up to May 5; vitamin B12 (Benexol B12 or Epargrisovit 2 red ampules or similar), Epargrisovit 2 red ampules intramuscularly or intravenously every two days up to ….; Honey, brewer’s yeast, Vitamine E (Ephinol, 1 pill per day from April 22 to ….; protein and lecithin as above and Supradyn. Diet without fats, increase starchy food in the last 10 ….If sleepiness arises, Brain 3 pack. Die; if laziness arises, Sargenor 4-6 ampoules die (Donati, 1989:78).

Faraggiana also listed the transfers of doping substances to coaches and other physicians, including Prof. Conconi, with details about the types and quantities and the dates of each transfer. On another sheet, he also summarized the philosophy of his “pharmacological strategy”, writing that this had “to complement the technical strategy” and he should also “give copy of [his] strategy” to the trainer of all throwers, according to whom “50 % of the results depend on the medical therapy”.

Die Analysen zeigen, dass Versorger von/mit Dopingprodukten in Italien, Frankreich und Belgien nur selten kriminell auffällig waren. In Italien waren die meisten männlich und hatten mit wenigen Ausnahmen einen legalen Beruf und eine Beschäftigung. Wir identifizierten für Italien 10 Typen illegaler Lieferanten und gruppierten sie in 5 übergeordneten Kategorien: Fitnessstudios, Gesundheitswesen, Organisierter Sport (Mensch), Organisiertes Sport (Pferd), semi-professionelle Personen im Sportbusiness, Andere.

Siehe folgende Tabelle:

Types of suppliers of doping products in Italy

Gym 
Gym ownersor managers and body-building instructors
 
Owners or managers of dietry supplement shops
 
Health care 
Pharmacists
 
Physicians
 
Hospital employees
 
Employees, sale representatives of (para-)pharmaceutical companies
 
Organised sports world (human) 
Staff members of sports teams
Staff members of sports federations
 
Horseracing 
Veterinary physicians, breeders, jockeys, and drivers
 
Semi-professional sportspeople 
Elite athletes, and their family members
Hard-core body-builders, including law enforcement, military and private security company staff, and their family members
 
Other 
People with no distinctive profession or occupation
 
 
Quelle 
Adapted from Paoli and Donati (2014), drawing data from reports in the NAS Investigations Database, criminal proceedings, and media sources.
 


Selbst in Italien ist die organisierte Kriminalität in der Versorgung mit Dopingmitteln nicht groß eingebunden – ganz entgegen vieler Vermutungen sind süditalienische Mafiagruppierungen kaum in Herstellung und Vertrieb von Dopingmitteln eingebunden. Lediglich eine kleine Gruppe, oft der Camorra zugerechnete Hijackers, die LKW ausrauben, kann hier erwähnt werden.

Die Rolle der Mediziner an Universitäten

Wie diese Typologie vermuten lässt und wie es Analysen des belgischen und französischen Radsports sowie die Erkenntnisse der Freiburger Kommission bestätigen, spielten Mediziner, häufig auch Mediziner an Universitäten, wiederholt bedeutende Rollen als Lieferanten und Versorger des Doping-Marktes im Elite-Bereich.

Diese Einbindung begann bereits nach dem zweiten Weltkrieg.

Als Vater des italienischen Dopings kann ohne Zweifel Prof. Francesco Conconi gelten. Er war seit 1967 Professor für Biochemie an der Universität Ferrara und dessen Rektor von 1998 bis 2004. In den späten 1970er Jahren begann er Elitesportler, vor allem aus Leichtathletik, Radsport, Schwimmen, Pentathlon, Rudern und Skisport, mit Dopingmitteln zu versorgen, mit Unterstützung des Italienischen Olympischen Komitees CONI. Er bot seine Dienste auch einzelnen Sportlern an wie Marco Pantani, Claudio Chiapucci und Gianni Bugno. Er gehörte zu dieser Zeit dem Medizinischen Komitee des IOC an, war Präsident des Medizinischen Komitees der UCI und wurde großzügig vom IOC finanziell unterstützt, u.a. um angeblich einen EPO-Test zu entwickeln, den er aber nie ablieferte. Ende 1990 wurde er zusammen mit zwei Assistenten in Ferrara wegen Sportbetrug angeklagt. Das Verfahren wurde 2003 eingestellt:

Despite ‚the seriousness and convergence of all the evidence‘ (Tribunale di Ferrara, 2003: 46), however, the inefficiency of the Italy judicial system and the defendands‘ procedural tactics (e.g. Toti, 2003) left the Ferrara judge no other choice but ro dismiss the case in 2003 due to the statute of limitations.

(Alessandro Donati trug wesentlich dazu bei, dass die Machenschaften rund um Conconi aufgedeckt wurden. Seine Erfahrungen können hier nachgelesen werden:

Alessandro Donati, The Fraud Behind the Stage / Der Betrug hinter der Bühne)

Vergleichbar mit Conconi sind in Deutschland Prof. Armin Klümper und Prof. Joseph Keul von der Universität Freiburg zu nennen. In den 1970er und 80er Jahren betreuten sie 80-90% der westdeutschen Topsportler. U. a. zeigte sich, dass Armin Klümper in dieser Zeit den Bund Deutscher Radfahrer BDR mit anabolen Steroiden versorgte, möglicherweise auch Jugend- und Juniorteams. Aber nicht nur Radsportler wurden von den Freiburgern versorgt, auch Leichtathleten, Fußballer, Gewichtheber, Kanuten und andere (s. Singler, 2016; Singler & Treutlein, 2017a).

Obwohl Joseph Keul für mehr als ein Jahrzehnt Chef-Olympiaarzt Westdeutschlands war, tolerierte er, wenn nicht sogar empfahl die Anwendung anaboler Steroide, selbst bei Frauen. Als Leiter der Freiburger Sportmedizin leitete er Forschungen zu Dopingmitteln, wobei er oft deren leistungssteigernde Wirkungen und gesundheitliche Nebenwirkungen verharmloste mit dem Ziel, deren Verbot im Sport zu verhindern (Singler/Treutlein, 2017b).

Diese Einflussnahme der Freiburger Ärzte endete nicht nach der Wiedervereinigung, sondern setzte sich in den 1990er Jahren fort. Der Team Telekom/T-Mobile-Skandal machte deutlich, dass bis 2007 fast ununterbrochen von Seite der Freiburger Sportmedizin Unterstützung zum Doping gewährleistet war – nach Keuls Tod und Klümpers Weggang durch Arzt Lothar Heinrich und Andreas Schmid. Die Tour de France Siege von Bjarne Riis und Jan Ullrich sind mit deren Hilfe zustande gekommen.

Media investigations in 2017 further showed that many track and field arhletes staddling the past and current century consulted Heinrich. After these revelations, the University of Freiburg confirmed that it held blood samples of Haile Gebreselassie, an Ethiopian long-distance track and road running athlete, who had won two Olympic gold medals and four World Championship titles (e.g. SWR, 2017).

Die Einbindung von Medizinern in die Dopingpraktiken geht einher mit der jahrzehntelangen Diskussion um Doping. Ab den 1960er Jahren geriet Doping immer mehr in den Blick, die Zahl der als Dopingmittel erkannten Substanzen und Medikamente wuchs stetig und damit die Ablehnung der Anwendung dieser Mittel zur Leistungssteigerung. Erste Reglements wurden geschaffen und Anti-Doping-Gesetze wie in Frankreich, Belgien und Italien, erlassen.

Moreover, even before the adoption of explicit anti-doping provisions in criminal law (in Germany, for example, a specific anti-doping bill was adopted only in 2015), doping practices can be subsumed under broader crimes, such as acts of bodily harm, to the extent that they are harmful to the athletes‘ health. They also breach the Hippocratic Oath, which has been historically taken by physicians and is often summarised in the Latin phrase ‚primum non nocere‘ (first do no harm). The Hippocratic Oath has been reformulated in contemporary times in the Physiciant Pledge of the Declaration of Geneva, which was adopted by the General Assembly of the World Medicai AssocLation in Geneva in 1948 (WMA, 2017).


Bei dem Versuch die Einbindung von Universitäts-Medizinern zu verstehen, kristallisierten sich drei Hauptgesichtspunkte heraus.

1. Der persönliche Ehrgeiz: Die Motivation des Handels kann eine starke Triebfeder sein. Entsprechende persönliche Ziele können z.B. Prestige, Ruhm, Wohlstand, Mittelbeschaffung für das Institut sein. Die Freiburger Ärzte sind hierfür beste Beispiele. Beide Ärzte lernten viele hochgestellte Menschen des öffentlichen Lebens wie Politiker und Funktionäre des Sports kennen und profitierten von deren Renommee ebenso wie von den Erfolgen der Topathleten, die sie betreuten. So genoss Joseph Keul als Arzt des westdeutschen Davis Cup Teams sichtlich die Nähe zu den Stars Steffi Graf und Boris Becker. Armin Klümper wurde in weiten Kreisen anerkennend nur ‚der Doc‘ genannt und zum Guru hochgejubelt. Als er in einer Steuerverfahren zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde, standen ihm bekannte Sportler wie Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß zur Seite und sammelten 250.00 DM.

Beide Ärzte profitierten auch von Privatabrechnungen mit teils prominenten Patienten und besserten so ihr Gehalt deutlich auf.

2. Der zweite Gesichtspunkt, der zur Erklärung der Dopingeinbindungen von Sportmedizinern herangezogen werden muss, zeigt auf die Mehrdeutigkeiten, die in deren Rolle angelegt sind. Die Wurzeln der Sportmedizin liegen in der Arbeits- und Militärmedizin, deren Ziel es war und ist, die Leistungsfähigkeit der Menschen zu fördern und wiederherzustellen. So verstanden viele Sportmediziner, auch Joseph Keul, ihre Hauptaufgabe nicht in der Behandlung von Krankheiten und Verletzungen sondern in der Herstellung und Erhaltung der Leistungsfähigkeit.
‚Where is it written that we should prevent harm?‘, he asked in a TV-programme ‚Kontrovers‘ in 1976. ‚This is a general medical task, which has nothing to do with sport medicine‘ (Singler & Treutlein, 2017).
In diesem Geiste arbeiteten Joseph Keul und auch Herbert Reindell, Keuls Vorgänger und Doyen der Freiburger Sportmedizin, noch viele Jahre daran, Regierungsvertretern und Sportfunktionären die anabolen Steroide als nicht gesundheitsschädlich zu verkaufen, ganz gegen die mittlerweile ausgesprochenen Verbote. Fast hatten sie 1976 damit Erfolg, als sich des Deutschen Sportärztebundes dieser Meinung anschloss.

Only recently the German Sociery for Sport Medicine (the follow-up organisation of the German Sport Physicians‘ Society) has started facing the longstanding ambiguities on its mission and published an editorial in its own joumal in which it explicitly rejected the prescription of steroids to athletes for either performance enhancement, ’substitution or therapy‘, the conduction of studies on the effects and side-effects of steroids among active athletes and the trivialisation of such side-effects (DGSP, 2015)- The list of the signatures, however, did not include some famous German sports physicians, such as Wilfried Kindermann, one of the Keul’s most influential pupils and his successor as senror physician of the German Olympic team. (1977 Deutsche Sportärztebund, 2015 DGSP, Wilfried Kindermann)

Unterstützung von Doping durch Sportvereinigungen, -funktionären und anderen Autoritätspersönlichkeiten

Neben den Medizinern spielt dieser Unterstützerkreis die zweite wesentliche Rolle in der Versorgung der Athleten mit Dopingmitteln. Hier kommt auch der dritte Gesichtspunkt zum Tragen, mit dem die Einbindung der Universitätsmediziner erklärbar wird.

Am deutlichsten zeichnet sich nach den Auswertungen der o.g. Quellen die Einbindung von Regierungsstellen und Sportverbandsverantwortlichen in Italien ab. Teils ganz offen setzten sie ihre Einfluss- und Machtmöglichkeiten ein, um Dopingverfahren zu boykottieren und Personen zu schützen.

Prosecutor Soprani came to the conclusion that Conconi (since 1970] had set up a ‚criminal organisation‘ … together with three CONI Presidents – Franco Carraro (CONI President from 1981 to 1986), Anigo Gattai (CONI President fiom 1987 to 1994), Mario Pescante (CONI Secretary General from 1981 to 1994 and CONI President from 1995 to 1998) – and the head of the Research and Documentation Section of the CONI School of Sport, Gianfranco Carabelli. This criminal association had allegedly the purpose of distributing drugs in a dangerous way to public health (article 445 CP) and was active throughout the 1980s (…). Pescante .and Conconi were regarded as the promoters of the criminal organisation. As too much time had elapsed between the alleged activities and the prosecution, Soprani had to dismiss the case but insisted that his request ‚does not diminish the social and criminal non,value of the activities proved‘ (…). Despite these charges, Pescante became ltaly’s undersecretary for sports less than a year after the prosecutor’s request was filed.

In Deutschland konnte der Nachweis der deutlichen Einflussnahme von Politikern und Sportfunktionären nicht so klar nachgewiesen werden. Vielleicht weil das Hauptaugenmerk der Justiz auf der Verfolgung des DDR-Dopings gerichtet war. Doch auch in Deutschland gibt es Hinweise, dass Bundes-, Länder- und Lokalpolitiker und Regierungsbehörden inoffizielle, aber dennoch wirkungsvolle Unterstützung Klümper, Keul und Co. zukommen ließen. Auch andere Institutionen, wie die Leitung der Freiburger Universität und lokale Staatsanwaltschaften und Gerichte, kamen über Jahrzehnte ihrer Verantwortung nicht nach.

Hinzu kommt, dass in Zeiten des Kalten Kriegs und der damit harten Konkurrenz zum DDR-Sport, manche Politiker Doping im Sinne übergeordneter nationaler Interessen für unterstützenswert gehalten haben könnten. Das den politischen Kreisen durchaus bekannte Staatsdopingsystem des Ostens verlangte nach einer Antwort.

Doch mit dem Kalten Krieg endete dieser ‚Medaillenkrieg‘ zum Ruhme der Nationen nicht. Ein Beispiel ist der Lahti-Skandal 2001 anlässlich der Nordic Ski Weltmeisterschaften.

ln 2008, Kari-Pekka Kyrö, the former coach of the Finnish national team and the only person sentenced for the 2001 scandal, finally admitted that ‚in the 1990s there was a pharmacological programme in the Finnish Ski Federation‘ and that Finnish skiers systematically took EPO, GH, and plasma expander (Hahn & Hayrinen, 2008).

Dieser Skandal gab Anlass zur Vermutung, dass institutionalisiertes Doping in Sportverbänden, insbesondere des Skisports, europaweit zu finden ist. Bestätigung erhielt diese Annahme durch die Vorgänge rund um die Olympischen Spiele 2006 in Turin. Das Disziplinarkomitee des IOC kam damals zu dem Schluss, dass das gesamte Österreichische Olympische Komitee

breached its obligations under the Olympic Charter, the IOC Code of Ethics and applicable anti-doping regulations … 1. through its responsibility for the conduct of the Austrian Ski Federation, as well as for the anti-doping rule violations committed by its athletes and support staff at the Torino Olympic Games …; 2. by failing to prevent Mr. Mayer from participating in the Torino Olympic Games in breach of the IOC’s decision against Mr. Mayer after the ‚Blood Bag Affair’…; and 3. by failing to implement appropriate organisational changes in an attempt to prevent a repeat of the problems experienced in 2002. (IOC,2007)

Auch im vereinten Deutschland gibt es bis heute Hinweise darauf, dass der hohe Stellenwert, der Olympiamedaillen zuerkannt wird, über die damit verbundene höhere Dopinggefahr gestellt wird. 2016 forderte der damalige Innenminister Thomas de Mazière 30% mehr Medaillen. Zudem gab es seitens des Westens nach der Wiedervereinigung 1990 keine großen Einwände gegenüber der Einstellung dopingbelasteter Trainer. Sie versprachen Erfolge, nur das zählte. Und wie viele andere nationale Regierungen gewährt auch die deutsche dem Hochleistungssport, Athleten und Sportverbänden, hohe finanzielle Unterstützung.

Die Tolerierung von Dopingpraktiken kann auch dem IOC nachgewiesen werden. Bis in die jüngste Zeit zeigte das IOC wenig Interesse, seine eigenen Regeln streng umzusetzen und Dopingtests zu implementieren. Und der Umgang mit dem Russland-Skandal und den Startberechtigungen russischer Athleten lässt wenig Begeisterung unter älteren IOC-Mitgliedern vermuten, das russische Dopingproblem konsequent anzugehen.

Verstärkt wird diese Kritik am IOC durch immer wieder erhobene Vorwürfe, positive Dopingtests der Olympischen Spiele in den 1980er Jahren seien unterdrückt worden ebenso wie bei den Olympischen Spiele 2008 in Peking und 2014 in Sotchi. Doch internationale Sportverbände wie z.B. die IAAF, jetzt WA, stehen nicht viel besser da als das IOC. Die UCI hinterfragte nie die Leistung seiner Helden bis hin zu Lance Armstrong aus Furcht die öffentliche Unterstützung zu verlieren und ihr Geschäftsmodell zu ruinieren (Cycling lndependent Reform Commission, 2015).

Richard Pound, Ex-IOC-Vize-Präsident und WADA-Gründungspräsident, schrieb 2011 über den Umgang von Verbänden mit der Dopingproblematik:

The response to doping in sport, on the part of sports authorities and governments, did not come until long after the phenomenon was recognized as a serious problem in virtually every sport. Years and years and years of endemic doping in cycling passed almost without notice and, when it was noticed, it was denied or passed off as an isolated aberration. The growing use of anabolic steroids, stimulants and other doping methods in other sports were met with institurional denial, individual lies and inconsequential sanctions. Testing was introduced with enormous reluctance and testing programs were normally limited to in-competition tests, in which a positive test was, in effect, failure of an intelligence test as much as a doping test. (Pound, 2011)

Schlussbemerkungen

Nach Auswertung der genannten Quellen zeigen die gefundenen Besonderheiten ein nur schwer zu lösendes Problem auf. Trotz des offiziellen Verbots mit Reglements des Sports und staatlichen Gesetzgebungen wurden Dopingpraktiken über eine lange Zeit als legitim verstanden und aktiv unterstützt oder zumindest toleriert von den Institutionen, die diese Praktiken verhindern sollten.

Positiver betrachtet, scheint sich zu zeigen, dass der Einsatz von Kriminal- und Justizbehörden auf Grundlage staatlicher Gesetzgebung in der Lage sein könnte, die ‚Mauern des Schweigens‘, die um illegale und andere verbotene Praktiken aufgerichtet werden, einzureißen.

Die Analysen zeigen auch, dass innerhalb des Elitesports Athleten, ihre Versorger und Beschützer auf abschreckende Maßnahmen durchaus sensibel reagieren, da sie eine Menge zu verlieren haben.

And even if the perpetrators‘ behaviour does not change in the short term, criminal investigations can at least disclose illegal or otherwise prohibited practices, thus contributing to their delegitimation among the general public. Criminologists, like me, are mostly sceptical of the application of criminal law, as we are all too well aware of the many serious harmful, intended and unintended, consequences that often accompany it. Whereas these criticisms are well founded, the present analyses indicate that the enforcement of criminal law has a positive, if small, role to play.

Ausgehend von der Feststellung, dass das Doping im Hochleistungssport von Institutionen des Staates und des Sports geschützt und unterstützt wird, ergeben die Analysen auch, dass Regierungen auf die Einhaltung der Dopingreglements mehr direkten Einfluss nehmen können als auf Reglements anderer halb-legaler Märkte. Einfach weil sie, mit wenigen Ausnahmen wie dem Fußball, vom Staat finanziell abhängig sind. Die Vergabe von Geldern kann abhängig gemacht werden von der Einführung und Einhaltung bestimmter Anti-Doping-Auflagen. Bei Nichteinhaltung droht die Rückzahlung. Entsprechende Auflagen machte die Finnische Regierung nach dem Lahti-Skandal dem Ski-Verband.

In other words, effective supply-side interventions, including but not limited to criminal prosecution, are possible. These interventions can reduce both the supply and use of doping products, especially in the organised sports world, but they presuppose a political will that many govemments and sports ruling bodies have yet to show consistently.


Einige Weiterführende Dossiers und Texte auf doping-archiv.de zum Thema:

– Ärzte und Doping

– die Rolle der Ärzte im Dopingkomplex

– Doping-Geschichten Deutschland, BRD und DDR


Monika,2020