Doping im deutschen Radsport 1970-1989

1) Doping im deutschen Radsport in den 1970er Jahren

Dass im Radsport flächendeckend gedopt wurde, war kein Geheimnis. Fast alle bekannten Radsportlervon Coppi über Anquetil, Merckx und Altig waren überführt oder wurden offen verdächtigt. Anders als im Profifußball und anderen Sportarten war die Liste positiv getesteter Radsportler, international gesehen, Anfang der 1970er Jahre bereits lang. Hier konnten die in den 60er Jahren eingeführten Dopingkontrollen viele Fahrer, Profis und Amateure überführen. Dass damit allerdings die eingespielte Dopingkultur hin zum Besseren verändert wurde, kann angezweifelt werden. 6 westdeutsche Fahrer wurden in den 1970er Jahren, soweit mir bekannt, positiv kontrolliert und sanktioniert, davon 4 im Jahr 1978. Es gibt genügend Hinweise darauf, dass die Radsport-Amateure im Griff nach verbotenen Mitteln ebenso geübt waren wie die Profis.

In der BDR-Chronik „Tritt um Tritt“ von Schoppe/Ruttkus ist zu BDR-Präsident Erwin Hauck (1959-1970) nachzulesen:

Er hatte im August 1970 zur WM im englischen Leicester den Straßenamateuren Derlick, Koslar, und Muddemann vorgeworfen, unter Mithilfe ihres persönlichen ärztlichen Beraters, Dr. Assenmacher, gedopt zu haben. Daraufhin nachträglich genommene Proben waren negativ worauf der bereits schwer erkrankte Hauck bis zum 31.12.1970 um Beurlaubung bat, die auf Beschluss der LV-Präsidenten bis zur Neuwahl im März 1971 verlängert wurde.

Dr. Josef Assenmacher, prominenter Sportarzt am Kölner sportmedizinischen Institut von Prof. Wildor Hollmann, betreute über viele Jahrzehnte neben deutschen Radgrößen wie Altig, Thaler und die Mannschaft von Kilian auch viele ausländische, insbesondere belgische, wie Rik van Steenbergen, Patrik Sercu, Eddy Merckx und Stephen Roche. Er hatte sich bereits zu Beginn der 60er Jahre für Anabolikadoping ausgesprochen (Singler/Treutlein). In späteren Jahren wiederholte er mehrfach öffentlich, dass Spitzenleistungen im Radsport ohne Doping nicht machbar seien.

DER ‚GRUNDPLAN’/DOPINGPLAN DES DR: ARMIN KLÜMPER

Aus Klümpers „Erfahrungsbericht über 1 Jahr Systembetreuung der Bahnradfahrer“ 1976:

„Trotz jahrelanger Bemühungen seitens der Sportärzte im BDR einschließlich permanenter Fortbildung der Trainer und Athleten mit Hilfe der einschlägigen Literatur und sogar eigenem Ernährungsbuch für den BDR gelang es auch hier nicht, zu verbindlicher Systematisierung zu kommen“.
„1975 wurden den Athleten der Straße und der Bahn deshalb konkrete Vorschläge gemacht.“

Ex-Profi Wolfgang Schulze:
So erinnert er sich an die Bahnweltmeisterschaft 1967 in Amsterdam. „Der Mannschaftsarzt des BDR war Dr. Armin Klümper. Er gab Ratschläge, die dazu führten, dass der Dortmunder Dieter Kemper als Dopingsünder überführt und gesperrt wurde.“ (Berl. Z., 7.2.2008)

Am 27.9.2013 veröffentlichten Anno Hecker und Ralf Meutgens in der FAZ einen Bericht über Recherchen zu einem Medikamentenplan des Dr. Armin Klümper, Verbandsarzt des BDR für dessen Radsportkader, von denen einige damit für die Olympischen Spiele 1976 fit werden sollten. Armin Klümper entwarf einen „Grundplan“ in dem den Sportlern vorgeschrieben wurde, wann und wie sie diverse Mittel – Vitamine, Trinkampullen, Anabolika – einzunehmen bzw. anzuwenden hatten. Anabolika, mit Ausnahme von Testosteron, waren 1974 vom IOC verboten worden. Die UCI hatte ein früher Verbot 1970 aufgehoben und erst wieder 1978 eingeführt. Ob der BDR in seinen Antidoping-Regularien Regeln für Anabolika aufgenommen hatte, ist mir nicht bekannt, dies ist aber unwahrscheinlich.

Klümpers Planungen betrafen die Aufbau-, die Vorbereitungs- und die Wettkampfphase.

“ „Die Athleten der Kadergruppen erhielten alle gleiche Rezepte oder direkt Medikamente.“Darunter auch Deca-Durabolin, wie in der Abbildung zu erkennen ist und Megagrisevit, zwei Anabolika. Sie sind in Klümpers „Grundplan“ und im „Rennprogramm“ aufgeführt. Seine Angaben zeigen, wann sie idealerweise einzusetzen sind: Im Olympiajahr 1976 von Februar „bis Montreal“, die ganze Saison unter Stoff.“ …

„„Auf der Basis nun jahrelanger Entwicklung sowie der Erfahrung aus konkreten Plänen des Jahres 1975 sind nun Grundplan und Rennprogramm für 1976 erarbeitet; darüber hinaus erfolgte eine Anpassung des Planes nach individuellen Besonderheiten.“

Armin Klümper schrieb Rezepte über alle Mittel aus und schickte sie den Fahrern zu, die diese sich dann selbst in Apotheken abholen und auch selbst anwenden sollten. Es wurden auch Päckchen mit den Substanzen direkt an die Sportler und an andere Ärzte, die Radler vor Ort betreuten, verschickt. >>> Gustav Raken hat im August 2013 darüber berichtet. Raken:

„Einer der Athleten“, sagt Raken, „hat sich damals geweigert, von mir diese Spritze zu erhalten.“ Der junge Mann soll, das behauptet er, wegen dieser Unbotmäßigkeit vom damaligen, inzwischen verstorben Bundestrainers Gustav Kilian aus dem Kader geworfen worden sein.“

Die meisten Fahrer, die aktuell von den Journalisten zu Klümpers Praxis befragt worden waren, gaben an, die Mittel nicht angewandt zu haben. Und Gregor Braun, Doppelolympiasieger von 1976, bestritt in den Plan eingebunden gewesen zu sein (spiegel-online, 28.9.2013).

Eingeleitet wurde die umfangreichere verbandsunterstützte medizinische Betreuung wohl 1972. Die Münsteraner Forscher des Projektes ‚Doping in Deutschland… ‚ halten in fest:

Beim BDR wird 1972 im Rückblick auf vergangene Veranstaltungen herausgestellt, dass es eine „solch umfangreiche sportmedizinische Betreuung […] bisher noch nicht gegeben“ hätte. Zudem wird darauf eingegangen, dass für die Versorgung und Betreuung der Athleten 1972 zum ersten Mal den Trainern und Masseuren ein einheitlich gestalteter Koffer mit Medikamenten und Verbandsmaterialien zur Verfügung gestellt worden wäre (vgl. BDR-Protokoll der Bundeshauptversammlung 1972, S. 22, in DSHS). Im Zusammenhang mit der Erstellung einer sportmedizinischen Zentralkartei der Kaderathleten wird 1974 darauf hingewiesen, dass „alle Athleten Rezepte zugeschickt bekommen haben über Vitamine sowie Medikamente und Verbandsmaterialen zur Pflege des Bewegungsapparates, außerdem Rezepte für Massagen“ (BDR-Protokoll der Bundeshauptversammlung 1974, S. 37, in DSHS).“

Vor der Grupe-Kommission 1977 bestätigte der ehemalige Bundestrainer des BDR Rudi Altig, dass während seiner Trainerzeit 1971-1975 die Fahrer Anabolika bekommen haben, zudem gab er zu, dass er die Hormone schon zu seiner aktiven Spotlerzeit konsumiert hatte (Digel, 2013).

Im April 2017 veröffentlichte Andreas Singler die Endversion seines Gutachtens über Doping im Radsport und Fußball in Zusammenhang mit Armin Klümper:

A. Singler „Systematische Manipulationen im Radsport und Fußball“ (ergänzt im April 2017)

Darin präzisierte er die 2015 von ihm vorab bekannt gegebenen Ergebnisse der Studie, siehe >>> Singler, Abstract.

Nach Sichtung der Akten der Staatsanwaltschaft Freiburg im Betrugsverfahren gegen Armin Klümper, zusammengetragen von der Sonderkommission „Ärzte/Apotheker“ für die Jahre 1975 bis 1984, sieht er die Finanzierung von Dopingmitteln durch den BRD als sicher gegeben an.

„Nach Auswertung der Ende 2014 dem Staatsarchiv Freiburg übergebenen Akten der Staatsanwaltschaft Freiburg zum 1984 eröffneten und 1989 mit einer Geldstrafe abgeschlossenen Strafverfahren gegen Prof. Dr. Armin Klümper, Sporttraumatologische Spezialambulanz der Universitätskliniken Freiburg, ist es nun zum einen möglich, nicht nur großflächige, wenn nicht flächendeckende Dopingaktivitäten des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) zu beweisen. Bewiesen werden kann nun auch die Finanzierung dieses Dopings durch den Verband.“ (Abstract)

„Klümper belieferte verbandsärztliche Kollegen, aber auch Trainer oder Pfleger des Bundes Deutscher Radfahrer quer durch die Disziplinen mit standardisierten Medikamentenkoffern, zu deren Inhalten auch das Anabolikum Megagrisevit gehörte. Darüber hinaus versandte er zu besonderen Anlässen wie großen internationalen Meisterschaften, Radsportrundfahrten oder Trainingslagern des Verbandes an mehrere andere BDR-Verbandsärzte weitere Medikamente, die ausdrücklich für die Anwendung bei den jeweiligen Wettkampfereignissen oder Trainingslagern vorgesehen waren.“

Mehr als ein halbes Dutzend Ärzte, mindestens zwei Bundestrainer und einige Pfleger sollen in das Verteilersystem des BDR-Medikamentenkoffers eingebunden gewesen sein. Einen Nachweis gibt es zudem für eine Lieferung des Koffers einschließlich Megagrisevit an den Landesverband Nordrhein-Westfalen.

Drei Wettkampfereignisse sind verbürgt, für die Anabolika neben weiteren Medikamenten bereit gestellt wurden: für die Friedensfahrt 1975, die Tell-Rundfahrt für U23-Fahrer 1976 und für die Radweltmeisterschaften 1977 in Venezuela, hier wurde schon im Trainingslager mit Decadurabolin und mit dem Inhalt der ‚Kolbe-Spritze‘ (s. Olympische Spiele 1976) nachgeholfen.

Auch für Minderjährigen-Doping liegen Beweise vor:

„Geradezu überbordend wurde die medikamentöse Zusatzversorgung dann auch im Bereich des Jugend- und Junioren-Radsports, wo ein in den bisherigen Rechnungen noch nicht erwähnter weiterer BDR-Sportarzt mit beachtlicher späterer Karriere als Anti-Doping-Sportmediziner als Adressat für Klümpers Medikamentenlieferungen u.a. mit Anabolika ausgewiesen ist: Professor Dirk Clasing (Universität Münster). Dieser Fall ist umso gravierender, als hier sogar Minderjährigendoping geplant und auch durch den Verband bezahlt wurde. Umso unwahrscheinlicher ist es, dass es nicht zur Anwendung kam. Es findet sich in den Ermittlungsakten zum Komplex BDR nicht ein einziger Hinweis darauf, dass Anabolika nicht an Jugendliche verabreicht werden sollten oder dass sich der betreffende Arzt geweigert hätte, Anabolika an Jugendliche zu verabreichen.

Klümper schrieb am 28. Dezember 1977: „wir haben Dr. Clasing für die gesamte Betreuung der Jugendlichen und Junioren mit Medikamenten und Verbandsmaterial ausgerüstet (s. Anhang) im Werte von 3 146.20 DM.“ Auch diese Rechnung bat Klümper „aus dem Ärzteplan zu überweisen“. Bezahlt wurde sie am 31.12.77. Die Batterie an anabolen Pharmaka war aufgeführt in einer Liste mit dem Titel „Gesamtausrüstung für die Jugend und Junioren an Herrn Doz. Dr. med. Clasing“:

Hepagrisevit depot 3 x 10 Amp. Paare
Testoviron depot 5 x 250 mg 3 Amp. A 1 ml.
Testoviron depot 5 x 100 mg, 3 Amp. A 1 ml
Primobolan depot 5 x 100 mg 3 Amp. A 1 ml
Megagrisevit 5 x 9 Amp.paare
Deca-Durabolin 5 x 50 mg

Außerdem, und das durfte seit 1976/77 bei Klümper nicht mehr fehlen: Berolase und Thioctacid („Kolbe-Spritze“).“

Dirk Clasing, von 2002 bis 2007 Vorstandsmitglied der deutschen Anti-Doping-Agentur NADA, stritt 2015, nachdem die Vorwürfe erstmals bekannt wurden, den Einsatz der Mittel ab. Er habe zwar Megagrisevit erhalten, es aber nicht angewandt. Von den anderen Mittels wüsste er nichts.

„Von sport inside befragt, wie er den von Klümper behaupteten Anabolika-Einsatz bei Jugendlichen und Junioren bewerte, vertrat Clasing die Auffassung, dass Anabolika bei Junioren nicht schädlich seien. Junioren seien, so Clasing, 18 bis 22,23 Jahre alt‚ die können entscheiden was sie wollen, schaden tut’s nicht’. Der Mediziner räumte ein, dass Anabolika Frauen und Heranwachsenden’, also Minderjährigen, schaden könnten“.

Auch bei der Straßen-WM könnten seitens eines Arztes verbotene Substanzen eingesetzt worden sein:

„Zur Medikamentenliste für die Straßen-WM 1979 liegt eine maschinengeschriebene Liste vor, bei der ein schon mehrfach zuvor mit Medikamentenkoffer und Sondermedikationen ausgerüsteter Arzt u.a. angefordert haben soll:

 2 Delphimix Amp.
6 Testoviron 50 mg Depot-Spritzenamp.
6 Testoviron-Depot 100 mg Spritzamp.
Thioctacid

Gezeichnet ist die Liste von dem betreffenden Arzt mit Datum vom 3. August 1979.“

DOPINFFÄLLE IN DEN 1970er JAHREN

Positiv getestet wurden folgende deutsche Fahrer:

BOCK, Kunibert, 1978, Anabolika
DÜRPISCH, Norbert, 1978, Anabolikum
HARITZ, Günter, 1976
JUNKERMANN, Hans, 1972
PRIES, Arno, 1978, Anabolika
SCHÜTZ, Horst, 1978, Anabolika
SCHULZE, Wolfgang, 1970
ZOLLFRANK, Bruno, 1977

Diese vorliegende internationale Statistik über positive Tests im Radsport, lässt die in den 1970er Jahren geäußerte Meinung (z.B. von M. Donike), Amphetamine seien weitgehend als Dopingmittel verschwunden, doch eher als Wunschdenken erscheinen.

der Spiegel, 22.05.1978, Der muß wirklich verrückt sein:

„Den beiden wirklich schlimmen Totmachern kommt die Analisi nicht auf die Spur. Nach dem Nebennierenrindenhormon Cortison wird gar nicht erst gefahndet, weil dessen Abbauprodukte auch normalerweie im Harn vorkommen. Und muskelmehrende „Anabolika“ setzt jeder Sportler vor Beginn eines Rennens ab. Die Detailkenntnisse hierzu vermitteln Sportärzte.

„Ich nehme nichts“, sagt Didi Thurau, dessen Körperbau einen Anabolika-Verdacht nahelegen könnte und der sich, seit die Infektion in den Bronchien sitzt, auch fragen lassen muß, ob daran nicht Cortison schuld sei. Das nämlich setzt nicht nur die Leistungsfähigkeit und die Schmerzschwelle der Muskulatur herauf, sondern mindert zugleich die Abwehrkräfte gegen jegliche Keime.

Weil es in den Hotelzimmern der Radsportler immer entsetzlich nach Medizin stinkt, nach Kampfer und Vitamin B, und jeder Masseur einen Handkoffer rezeptpflichtiger Arzneistoffe mit sich herumschleppt, haben die „Giro“-Organisatoren ihre Not, die Eisentreter jeweils im ersten Haus am Platze einzuquartieren. Die Sportlerzimmer müssen vier Tage lang gelüftet werden.“

der Spiegel, 17.7.1978, Weiß wie Schnee:

„Alle großen Radrennfahrer — Eddy Merckx und Felice Gimondi, Jacques Anquetil und die Deutschen Rudi Altig, Hennes Junkermann und Rolf Wolfshohl — sind weg Doping mindestens einmal bestraft worden. Kein Tour-Gewinner des letzten Jahrzehnts, der sich nicht irgendwann gedopt hätte, und natürlich sind auch die diesjährigen Favoriten alle schon mal erwischt worden: die „Bergziege“ Joop Zoetemelk aus Holland. die Sprinter Freddy Maertens und Michel Pollentier. Dietrich Thurau aus Frankfurt, in diesem Jahr nicht dabei, sagt ganz allgemein: „Die Leute reden soviel über Doping. Aber wer heut nichts nimmt, der bringt auch nichts.“ …

Anders ist es mit Cortisonen, Hormonen der Nebennierenrinde, die in dieser Saison die neue Wunderdroge der „Präparation“ sind. Für den „Tour“-Arzt Dr. Misérez ist die Cortisongabe „ein wahres Desaster“. …

Um wenigstens dem „katabolen“ Muskelabbau, der schlimmsten Berufsschädigung, Paroli bieten zu können, greifen einige Radprofis nunmehr auch noch zu den eiweiß- und muskelbildenden „Anabolika“.“

2) Dopingvorfälle im deutschen Radsport 1980er Jahre

der Spiegel, 27/1980:

„Die Radsportfunktionäre haben in der Vergangenheit Dopingsünder nur sehr lasch verfolgt. In keiner zweiten Sportart wird so wild entschlossen gedopt wie bei den Rennradlern. Seit es Kontrollen gibt, sind alle Sieger der „Tour de France“ — einzige Ausnahme: Frankreichs neuer Superstar Bernard Hinault — wegen Dopings bestraft worden, abgeschreckt hat das niemanden. „Noch immer“, sagt Howald, „ist das UCI-Reglement mit seinen Formalien und Fristen so eingerichtet, daß unsere Arbeit erschwert wird.“ Den Sportlern wird erlaubt, erst eine Stunde nach Ende des Rennens, frisch gewaschen, zum Wasserlassen anzutreten. Auf diese Frist legt Thurau wert: „Wir sind doch keine Maschinen“ -seine Mannschaftskameraden auch nicht. Joaquin Agostinho, der beste Mann in Thuraus „Puch“-Team, ist wegen Dopings vorbestraft. Sein Helfer Hans-Peter Jakst puschte sich noch am vorletzten Sonntag bei der Deutschen Meisterschaft mit der verbotenen Droge Ephedrin.“

Folgende Dopingfälle im deutschen Radsport sind mir bekannt, wobei die verwendenten Mittel häufig unklar sind. Betroffen waren sowohl Profis als auch Amateure:

BETZ, Heinz, 1980
BETZ, Werner, 1988
DIETZEN, Raimund, 1987, Fund von 20 Ampullen Amphetamin
FLÖEGEL, Dieter, 1980
FRITZ, Albert, 1980
GIEBKEN, Dieter, 1983, Sanktion wegen Verfahrensfehler aufgehoben
GUELPEN, Achim, 1989
HARTMANN, Thomas, 1987
HENN, Christian, 1988 , Geständnis
JAKST, Hans-Peter Jakst, 1980
LECHNER, Robert, 1987 – 1988, Geständnis
LOMMATZSCH, Claudia, 1983, Sanktion wegen Verfahrensfehler aufgehoben
MAISS, Bernhard, 1980
MÜLLER, Jörg, 1987, Geständnis
RENN, Roland, 1988
SCHMIDTKE, Fredy, 1983, Sanktion wegen Verfahrensfehler aufgehoben
SCHUMACHER, Günther, 1980
STAUFF, Werner, 1982
STRITTMATTER, Gerhard, 1984
THURAU, Dietrich, 4 Mal 1980, einmal 1986, einmal 1987

1981 soll es im BDR zwei Dopingfälle mit Anabolika gegeben haben, die jedoch nicht weiter verfolgt und sanktioniert wurden. Der BRD begründete dies damit, dass seitens der UCI eine ‚Anabolika-Untersuchung‘ nicht gefordert worden war. Manfred Donike widersprach dieser Annahme woraufhin die Angelegenheit bis in das Bundesinnenministerium vordrang und dieses einen ausführlichen Bericht verlangte. Hintergrund waren Regelungen, wonach die die finanzielle staatliche Förderung der Verbände an die Anti-Doping-Bestimmungen gekoppelt war. Einer ähnlichen Überprüfung wurde zu dieser Zeit der Bundesverband der Deutschen Gewichtheber BVDG unterzogen. Beide Angelegenheiten verliefen jedoch im Sande. (Münster, Sport und Staat, S. 66f)

Der flächendeckende Dopingmissbrauch im Radsport war unter Journalisten, Fans und vor allem den Verantwortlichen im Sport bekannt und wurde wohl letztlich auch von vielen als gegeben, als mehr oder weniger unabänderlich hingenommen. Es fanden zwar regelmäßige Dopingkontrollen bei Wettkämpfen statt, laut Donike durch den BDR so häufig (s.o.), dass sie bereits den Charakter von Trainingskontrollen hatten, doch ob sie wesentlich dazu beitrugen, den Missbrauch zu reduzieren, darf bezweifelt werden.

Dietrich Thurau

Der bekannteste deutsche Fahrer und Hoffnungsträger der damaligen Jahre war Dietrich Thurau, dessen erste drei positiven Proben in Deutschland und anderswo zwar mit Bedauern zur Kenntnis genommen wurden, aber Kenner der Szene kaum überraschte. 1980 kam es in einem Fall zu Unstimmigkeiten insofern, als die A- und B-Proben sich inhaltlich unterschieden, einmal wiesen sie Amphetamine auf, einmal nicht. Thurau hatte allerdings Gelegenheit zwischen der Abgabe der Proben sein Hotel aufzusuchen. Damit lag der Verdacht auf Manipulation vor.

„HOWALD: Unsere Apparate lügen nicht. Ich habe nichts gegen den Radsport, nichts gegen Dietrich Thurau, den ich persönlich ja gar nicht kenne. Ich bin nur für die Sauberkeit im Sport. Der Fall Thurau zeigt jedoch, daß bei den im Radsport üblichen Gewohnheiten im Zusammenhang mit den Urinentnahmen unsaubere Machenschaften möglich sind, welche eine noch so saubere und aufwendige Laboranalytik zur Farce werden lassen.

… Ich würde vorschlagen, daß die Herren nach der Zieldurchfahrt nicht erst ins Hotel verschwinden dürfen.“ (der Spiegel, 28/1980) Wegen eines Formfehlers kam Thurau um eine Sanktion herum. (der Spiegel, 29/1982)

Der BDR, Armin Klümper und Gerhard Strittmacher

1984 musste der 23jährige Bahnradweltmeister Gerhard Strittmatter das Olympiateam verlassen und aus Los Angeles nachhause fahren. Ihm war im Labor von Donike das Anabolikum Decaduradolin nachgewiesen worden. Es herrschte helle Aufregung:

„Heinz Fallak, Chef de Mission der deutschen Mannschaft, vor den Rad-Weltmeister: „Den Aktiven, den Trainer und den Verband treffen keine Schuld. Es handelt sich eindeutig nicht um eine medizinische Manipulation zur Leistungsförderung.“

Strittmacher war bereits bei den Deutschen Meisterschaften Ende Juni in Büttgen bei Neuss positv getestet worden. Prof. Klümper hatte ihm einige Tage vor den Meisterschaften das Anabolikum nach einer Verletzung gegeben. Konsequenzen hatte diese positive Probe nicht, denn der BDR akzeptierte die medizinische Behandlung von Verletzungen mit kleinen Mengen Anabolika (sog. Therapiefenster). Es war jedoch klar, dass bei den Olympischen Spielen nichts gefunden werden durfte. Daher wurde der Urin des Sportlers in der Zeitspanne bis zu den Spielen immer wieder auf Rückstände hin überprüft. Donike spielte mit. Als ein letzter Test fünf Tage vor dem Wettkampf deutlich machte, dass ein Wettkampftest positiv ausfällen würde, zog man den Sportler zurück. Der Grund dafür wurde öffentlich und schnell hatte man den alleinigen Schuldigen gefunden: Prof. Armin Klümper.

„Das ist ein Skandal, der uns zu Hause noch beschäftigen wird. Hier ist das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient mißbraucht worden.“

Auch Klümpers Kollege Keul stimmte in die Kritik mit ein:

„Die angewendete Substanz durfte einfach nicht verabreicht werden. Es gibt bei der Verletzung von Strittmatter, einer Hüftprellung mit Beeinträchtigung der Muskulatur, andere Medikamente als Alternativen. Ich bin fest davon überzeugt, daß Strittmatter um eine sichere Medaille gebracht worden ist“. (Hamburger Abendblatt, 30.07.1984)

Aktivensprecher der IOC-Athletenkommission, Thomas Bach spricht von einem Skandal und meinte

„dieser Fall bestärkt mich, darauf einzuwirken, in Fällen des Dopings künftig das Umfeld stärker untersuchen zu lassen. Man muß sich überlegen, ob man national jetzt Konsequenzen zieht.“

Hatte der Fall Konsequenzen?

„Fritz Ramseier, Sportwart des Bundes Deutscher Radfahrer, hat unterdessen ein Verfahren gegen Strittmatter angekündigt. Dabei geht es ihm weniger um eine Schuldzuweisung an den Radfahrer als um die Klärung der Rolle Klümpers. Ramseier sagte: „Zunächst müssen wir die Hintergründe dieses Vorganges aufhellen. Erst dann sind Aktionen gegen Klümper möglich.“ (Hamburger Abendblatt, 31.7.1984)

Dem NOK gegenüber hatte der BRD versichert, nichts von der Behandlung gewusst zu haben, sodass sich das NOK Anfang Oktober genötigt sah, eine Erklärung abzugeben, in der sie u.a. die Unkenntnis des Verbandes hervorhob:

„Weder der zuständige Bundestrainer, noch der Mannschaftsarzt, noch der Sportwart oder die übrigen Präsidiumsmitglieder des Bundes Deutscher Radfahrer waren bis zum Bekanntwerden des offiziellen Dopingbefundes von Herrn Prof. Donike über den Stand der Dinge informiert.“

der BDR, Georg Huber und U23-Fahrer

Die Vorfälle um Jörg Müller, Christian Henn und Robert Lechner wurden erst in jüngster Zeit bekannt, da sich die Fahrer zu Geständnissen bereit fanden. Sie weisen aber Ähnlichkeiten, nicht nur was das Alter der Radsportler anbelangt, mit dem Fall Strttmacher auf.

Jörg Müller, Christian Henn (beide Straße) und Robert Lechner (Bahn) gehörten 1987 und 1988 zu den auftstrebenden deutschen U23-Fahrern. 2007 geraten im Zuge der Ermittlungen um Team Telekom/T-mobile Mediziner der Freiburger Sportmedizin zunehmend unter Druck. Damit auch Dr. Huber, in den 1980er Jahren Verbandsarzt des Bundes Deutscher Radfahrer. Der Mediziner musste zugeben, jungen Sportlern anabole Steroide und Cortison verabreicht zu haben. Ausführliche Informationen zu diesen Vorgängen finden sich >>> hier und unter >>> der BDR und Doping. Dabei wird deutlich, dass dieses Doping verbandsintern unterstützt wurde. Insbesondere Trainer Peter Weibel wurde beschuldigt, sich an dem Medikamentenmissbrauch von Müller und Henn beteiligt oder zumindest davon gewusst zu haben.

2008 meldete sich Robert Lechner und legte ein umfangreiches Geständnis ab, wonach er 1988 seine Bronzemedaille in Seoul auf der Bahn unter Anabolika-Einfluss gewonnen hatte. Auch hieran war Verbandsarzt Dr. Huber beteiligt. Lechner hatte bis zum 8. August, bis 6 Wochen vor den Olympia-Einsatz 1988 die anabolen Steroide Stromba und Andriol und das Cortisonpräparat Urbason eingebettet in einen Mix erlaubter Stoffe bekommen. Danach, bis zu den Spielen, wurde ihm ein Mittel gespritzt, das ihm nicht genannt wurde, über das er heute nur Vermutungen anstellen kann. Diese Vorgehensweise stellte sicher, dass während der Spiele keine positive Probe anfiel. Huber stritt später Doping ab, die Mittel hätte er aus gesundheitlichen Gründen verabreicht, Leistungssteigerung sei nicht bezweckt gewesen: >>> Robert Lechner erzählt.