Doping: Helmut Digel: Stellungnahme 7.1991

BRD/DDR Dokumente, Protokolle, Berichte, Texte

Helmut Digel: Stellungnahme zur Diskussion über den Umgang mit der Ost-/Westdeutschen Dopingvergangenheit

Helmut Digel, 1991 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Sportbundes und Vorsitzender des DSB-Bundesausschusses für Bildung Gesundheit und Wissenschaft, nahm am 16. Juli 1991 Stellung zu der heftig tobenden Auseinandersetzung über den Umgang mit der Dopingvergangenheit in Ost- und Westdeutschland und skiziert Verbesserungsmöglichkeiten.

Zitate:

Doping: Alle Verantwortlichen sollen öffentlich Schuld bekennen

Die Luftblasen im Darm einiger Schwimmer brachten es 1976 an den Tag: Auch im westdeutschen Sport bedient sich seit langem eine immer größer werdende Gruppe von Athleten nicht erlaubter Hilfsmittel. Es ist dabei zu vermuten, daß sie von Sportmedizinern verführt werden, die sich zu Unrecht Ärzte nennen, daß sie von Sportwissenschaftlern gesteuert werden, deren Wissenschaftsverständnis ethischen Prinzipien widerspricht, daß ihr Tun von Funktionären begünstigt wird, denen ihre eigene Karriere das wichtigste ist, und daß ihr eigener überzogener Siegeswille eine wichtige Rolle spielt, wobei für Geld immer höhere gesundheitliche Risiken in Kauf genommen werden.

Wer heute zu Gericht sitzt über Funktionäre und Athleten der ehemaligen DDR, der müßte zunächst über seine eigene Vergangenheit nachdenken. Wenn der Vorsitzende der unabhängigen Doping-Kommission einen Rücktritt in dreistelliger Zahl fordert, so müßte er sich dessen klar sein, daß jene, die ihn selbst eingesetzt haben, damit zum Rücktritt aufgefordert sind. Das Innenministerium war in diese Sachverhalte ebenso verquickt wie die Spitzenfachverbände, der Deutsche Sportbund, dessen BA-L und natürlich auch das NOK.

Wer zur Jagd auf die Vergangenheit bläst, dem muß klar sein, daß allen voran der DTSB mit seinen SED-Funktionären haftbar zu machen wäre. Doch auch westdeutsche Präsidenten, aber auch der DSB (ich habe mich hier einzubeziehen) und das NOK blieben wohl kaum verschont. Gewiß ist Mitwisserei nicht gleich Wissen und Schuld nicht gleich Schuld. Dies gilt vor allem für einen OstWest- Vergleich. Doch machte gerade dies deutlich, daß die pauschale Rücktrittsforderung der Reiter-Kommission gegenüber den Ehrenamtlichen im deutschen Sport unangebracht ist. Sie ist vor allem nicht praktikabel.

Nicht weniger fragwürdig ist es jedoch, wenn man die Athleten anders behandelt als jene, die mit ihnen gemeinsam Verantwortung und Schuld für die Doping-Krise tragen. Wer einerseits den Athleten eine Amnestie zusagt, andererseits Strafen für Ärzte/Funktionäre und Trainer fordert, der verkennt jene Strukturen, die den modernen Hochleistungssport prägen. Vom mündigen Athleten kann nicht nur bei der Verleihung der Verdienstkreuze durch den Bundespräsidenten die Rede sein. Insbesondere dann, wenn diese Athleten als hinreichend kompetent gelten, wenn es um den Abschluß hochdotierter Verträge mit Sponsoren geht. …

Mit Blick auf die Bewältigung der Vergangenheit mag es durchaus berechtigt sein, eine Amnestie für Athleten zu fordern. Fordert man dies, so muß sie jedoch auf alle Betroffenen ausgeweitet werden, zurnal immer offensichtlicher wird, daß sich alle übrigen Vorschläge einer juristischen Basis entziehen.

Da fahndet noch immer eine Ad-hoc-Kommission nach Schuldigen, ohne daß dabei klar ist, wie eindeutige Beweise erbracht werden können und wie es zu rechtskräftigen Ausschlüssen kommen könnte. Man sucht dabei den Weg in die Medien, erreicht eine öffentliche Diskussion, was lediglich zur Folge hat, daß ständig neue Verdächtigungen im Raum stehen. Dabei müßte eigentlich klar sein, daß – hätte diese Kommission Erfolg – sie gewollt oder ungewollt einen Flächenbrand der Denunzierung auslösen müßte, der von keinem verantwortungsbewußten Sportfunktionär erwünscht sein kann.

Da läuft das in öffentlichen Medien ausgetragene Vorwurfsspiel auf vollen Touren. … Von Journalisten ermuntert, packt dabei der alternde Athlet ebenso aus wie jene, die nichts mehr zu verlieren haben. Was dabei gesagt wird, ist jedoch pauschal und wird nur von jenen als neu empfunden, deren Erinnerungsvermögen nur auf das Hier und Jetzt beschränkt ist. Die Erwiderungen aus den Verbänden sind kaum anspruchsvoller. In der Regel sind sie konzeptionslos nach dem Motto: Hoffentlich geben die Journalisten möglichst schnell ihre Hartnäckigkeit in dieser Angelegenheit auf und schreiben wieder über das, was Sache im Sport ist.

…[Zu einem neuen Weg das Doping-Problem zu lesen] gehört in erster Linie ein Schuldbewußtsein all jener, die in der Vergangenheit Verantwortung für den deutschen Sport übernommen haben. Dazu gehört ein öffentliches Schuldbekenntnis für das, was passiert ist. Dazu gehört aber auch eine neue, Offenheit in der Diskussion darüber, wie es weitergehen soll. Einige Eckpfeiler sind für mich dabei unverzichtbar.

• Der Deutsche Sportbund und die Spitzenfachverbände müssen sich zu einem Hochleistungssport bekennen, der ethisch und moralisch jenen konsensfähigen Prinzipien entspricht, die heute für unsere Leistungsgesellschaft gelten. Zwischen dem Wettkampfsport in der Freizeit, zwischen dem Kinder- und Jugendsport und dem Berufssport muß es eine Brücke geben. …

• Doping-Kontrollen bei nationalen und internationalen Wettkämpfen sind auch weiterhin unverzichtbar. Kontrollen während des Trainings sollten hingegen möglichst auf die Athleten des A-Kaders beschränkt werden.

Die Glaubwürdigkeit des Kontrollsystems sollte jedoch nicht an den Kontrollen, sondern an den Sanktionen gemessen werden. Was nützt es, wenn man das perfekteste Kontrollsystem der Welt aufzuweisen hat, wenn jedoch gleichzeitig bis heute so gut wie kein Fall im westdeutschen Sport bekannt ist, daß ein Sportmediziner, Sportfunktionär oder Athlet in abschreckender Weise bestraft wurde.

• Pläne, die auf eine Ausweitung der Kontrollen auf den Kinder- und Jugendsport bis in die D-Kader-Bereiche zielen, sind schnellstens aufzugeben. …

• Der DSB und die Spitzenfachverbände sind zu kontrollieren, ob sie ihre Beschlüsse, die sie zur Bekämpfung des Doping-Problems getroffen haben, auch wirklich in die Tat umsetzen. …

• Völlig neu zu gestalten sind die Wettkämpfe und deren Strukturen, insbesondere dann, wenn sie vom Doping-Problem betroffen sind. Zunächst muß dabei eine Ausweitung der Fülle der Wettkämpfe unmöglich gemacht, das heißt verboten werden. Vor allem müßten die Zuschauer und die Massenmedien dazu erzogen werden, die Attraktivität und den Unterhaltungswert im aktuell sich ereignenden Wettkampf zu finden. … Der Sieg muß wichtiger werden als der Rekord.