2017 Perikles Simon – Erklärung Rückzug aus Anti-Doping-Arbeit

Prävention / Antidoping

2017 Perikles Simon – persönliche Mitteilung zu seinem Rückzug aus der Anti-Doping-Arbeit

Prof. Perikles Simon, Leiter der Abteilung Sportmedizin, Prävention und Rehabilitation der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, ist anerkannter Dopingexperte. U.a. forschte er im Bereich Gentechnik und war an der Entwicklung eines Gendoping-Nachweises beteiligt (Forschung Uni Mainz, C4f-Interview). Immer wieder äußerte er sich kritisch zu Themen des Anti-Doping-Kampfes.

Perikles Simon ist Initiator und Mitautor und der WADA-finanzierten Studie

„Doping in Two Elite Athletics Competitions Assessed by Randomized-Response Surveys“, >>> Full Text

die Ende August 2017 hohe mediale Aufmerksamkeit erfuhr.

Für diese Studie wurden Sportler*innen 2011 bei den Leichtathletikweltmeisterschaften in Daegu (Südkorea) und den Pan-Arabischen Spielen in Doha (Qatar) befragt, ob sie vor den Wettkämpfen gedopt hätten. Das Ergebnis ist brisant, mindestens 30 Prozent der Teilnehmer*innen der WM und 45 Prozent der Pan-Arabischen Spiele gaben an, Dopingmittel genommen zu haben.

Die Untersuchung entstand unter Mitarbeit von Wissenschaftlern der Universität Tübingen und der Harvard Medical School. Der Hauptverdienst dafür, dass diese Studie korrekt aufgesetzt, durchgeführt, ausgewertet und schlussendlich publiziert wurde, liegt bei Prof. Rolf Ulrich von der Universität Tübingen.

Perikles Simon:
„Es ist ungewöhnlich, dass unabhängige Wissenschaft blockiert wird – aber ganz offensichtlich möglich. So kann ich Wissenschaft aber nicht betreiben. Wenn die Öffentlichkeit will, dass auf dem Gebiet Doping geforscht wird, dann muss das anders organisiert werden – mit echter Unabhängigkeit.“

Perikles Simon:
„Die Welt-Anti-Doping-Agentur hat offensichtlich direkt im Nachgang der Erfahrung mit unseren Dopingquoten bereits 2012 eine interne Kommission damit beauftragt, die Gründe für die Ineffektivität des weltweiten Anti-Dopingkampfes zu benennen. Herausgekommen ist ein denkwürdiger Bericht, in dem die oberste Testinstanz den weltweiten Testagenturen und dem Kontrollsystem an sich ein mangelndes Interesse unterstellt, überhaupt Doper zu finden und Doping zu verhindern.“

WADA: LACK OF EFFECTIVENESS OF TESTING PROGRAMS

Die Studie wurde entgegen der Vereinbarung mit der WADA auf Betreiben der IAAF nicht veröffentlicht. Langwierige Verhandlungen waren nötig, um zu erreichen, dass die Untersuchung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift 2017 publiziert werden konnte. Publik wurden einige Ergebnisse allerdings schon in den Jahren 2015 und 2016, insbesondere nachdem im Zuge des IAAF-Dopingskandals und der Russland-Doping-Krise das Britische Culture, Media and Sport Committee im Rahmen einer Anhörung Teile der Studie veröffentlichte.

Bei Perikles Simon brachten die Erfahrungen mit der Unterdrückung der Studie durch die IAAF das Fass zum Überlaufen. Er wird sich nicht mehr an Forschungsprojekten zu Dopingfragen beteiligen und wird vor allem auch nicht mehr für Interviews und Statements zur Verfügung stehen.

Mit einer >>> persönlichen Mitteilung vom 2.9.2017.pdf unterstreicht er seinen Entschluss:

Statement

Sehr geehrte Damen und Herren,

öffentlich werde ich mich nicht mehr zu dem Thema Doping im Spitzensport äußern. Es kommen noch 1-2 kleinere Verpflichtungen, die ich selbstverständlich wahrnehmen werde, wenn es für die, die damit geplant hatten, erforderlich und auch hilfreich sein sollte. Medikamtentenmissbrauch in der Gesellschaft ist hingegen nach wie vor ein Thema, das es für mich auch wissenschaftlich zu bearbeiten gilt.

Ich wünsche den vielen ernsthaften Anti-Doping-Aktivisten aber viel Erfolg und bleibe für die, die das interessiert im Hintergrund und alleine schon auf Grund der beruflichen Verpflichtung treu (s.u.).

Ansonsten bedanke ich mich für Ihr Verständnis!

Perikles Simon

Zum Hintergrund:

Meiner Verantwortung, die ich selbstverständlich auch dafür trage, dass mich das Anti-Dopingthema zumindest in Teilen dahin gebracht hat, wo ich jetzt beruflich bin, werde ich hoffentlich in einer Weise nachkommen, die der Gesellschaft mehr nützt, als wenn ich jetzt noch Banalitäten in der Öffentlichkeit proklamiere, oder Forschung betreibe, wo es nichts mehr zu erforschen gibt. Unter dem Strich wäre ich an der Stelle, wo ich mich jetzt noch in der Öffentlichkeit engagieren könnte, nur ein kleines „pars pro toto des Dopens“. Sozusagen ein halb blindes Schaf, dem man bei Gelegenheit einen Wolfspelz überstülpt, wenn der bestens organisierte Sport sich gerade erst vom Sommerloch erholt und den Kreislauf wieder etwas in Schwung bringen muss.

Irgendwann, wenn sich all das im 50. Jahr wiederholt, wird es dann aber eben auch langweilig und brotlos sich darüber zu echauffieren. Und mehr als das Letztere würde ich jetzt auch nicht mehr zustande bringen. Ehrlich gesagt – man macht sich ja auf die Dauer so nur immer unglaubwürdiger. Eine ganze Weile hat mich das nichtmals gestört. Im Moment reden wir von 40% +, wenn es um die Dopingprävalenz im Hochleistungssport geht. Viele unabhängige Wissenschaftler melden sich über die sozialen Medien und bestätigen mehr oder weniger diese Zahl, indem sie entweder die Einschätzung teilen, dass wir sauber gearbeitet hatten, oder dass sie selber sich im Grunde schon lange nur wundern, warum diese „Banalerkenntnis“ aber niemanden wirklich richtig interessiert, oder weil sie eben selber ihre eigenen Wissenspfründe zu dieser Thematik haben. Der organisierte Sport hingegen ergreift die immer gleichen Abwehrstrategien, die schnell enttarnt werden könnten, wenn man dazu die Lust, oder den Bedarf verspüren würde. Alles andere, auch die im Prinzip notwendigen Maßnahmen, um halbwegs in „normalere Gefilde“ -also in die Bereiche eines nicht mehr mit vertretbaren Mitteln zu verhindernden Regelbruchs – zu steuern, sind doch allen sonnen klar, oder?

Es erfüllt mich mit Stolz, dass wir so weit gekommen sind und ich noch daran mitarbeiten konnte. Ohne die Hartnäckigkeit von ein paar, im übrigen überhaupt nicht mit dem Sport assoziierten Kollegen, wäre dieses Alles einmal mehr unmöglich gewesen. Wie so oft wird die echte Anti-Dopingarbeit durch vom Sport nicht alimentierte Personen weder belohnt, noch gefördert. Solche Personen, die es trotzdem machen, gehören aber genau zu den dringend notwendigen Personen, die der Leistungssport jetzt bräuchte und die er aber vergrault, wenn sie dem Leistungssport nicht mit gutem Gewissen geben können, was der Leistungssport zu brauchen glaubt. Der Leistungssport ist süchtig nach sich selber und er kann sich eben diese kleine Selbstgefährdung locker leisten.

Vielleicht wäre es in Zukunft interessanter zu schauen, dass sich vor allem Athleten und ihre Eltern – nach Möglichkeit gewerkschaftlich zu dem Thema formieren und dann auch öffentlich deutlich mehr dazu äußerten? Aber auch das hatte ich schon einmal versucht anzuregen und auch da war ich nicht gerade der erste. Es ist ja schließlich ihre Gesundheit und es sind ihre Arbeitsbedingungen, um die es geht. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es aber nur sehr wenig Sportler, die überhaupt etwas zu dem Thema sagen wollen. Man muss den Leistungssportlern schon klar machen, dass sie niemanden haben, auf den sie sich verlassen können, wenn sie sich für den Weg ganz an die Spitze entscheiden. Denn für die Betreuung unserer Besten, ist der am schlechtesten geeignetste oftmals gut genug.

Mich persönlich wird in Zukunft genau deshalb viel mehr der Mikrokosmos zum Thema Doping direkt um mich herum (2m Abstand) interessieren.

Sozusagen die Basisarbeit der beginnenden Anti-Dopingbemühungen. Ich kehre vor meiner eigenen Abteilungstüre und meine auch erkannt zu haben, dass das bitter nötig ist. Es gibt m.E. noch zu viel zu verbessern, als dass ich auf andere linsen, oder gar das „große Ganze“ kommentieren müsste. Manchmal ist es schade, dass ich leider auf sehr wenige, bis gar keine Vorarbeiten zurückgreifen kann.

Es ist für mich z.B. sehr schwer geeignete Aufklärungsmaterialien für Leistungssportler und ihre Eltern zusammenzustellen etc.. Wer welche für mich hat, dem wäre ich sehr dankbar, mir welche zuzusenden. Vielleicht sollte man die vorhandenen der NADA mal bearbeiten?

Sportler werden ja weder über die möglichen Folgen ihres Daseins als Leistungssportler, noch über die Folgen und Nebenwirkungen des (Anti-)Dopingsystems aufgeklärt. Athleten werden m.E. einfach „verpflichtet“ und geben für diese Verpflichtung ein Teil ihrer Persönlichkeitsrechte ab. Zumindest unterzeichnen sie dieses auch bei mir in der Abteilung, damit sie weiter ihren Sport treiben dürfen, wenn sie zu gut werden.

Wo bitte leben wir eigentlich? Im Mittelalter?

Klar, das versteht man allerorts und ist geneigt es zu ändern, aber da ja keine Nachfrage und so auch keine Notwendigkeit besteht, kann ich NADA und DOSB wirklich keinen Vorwurf machen, dass das alles so bleibt, wie es schon immer gut für die Athleten und uns drum herum war.

Das alleine zusammen mit den strukturellen Herausforderungen für unser Sportmedizinisches Untersuchungszentrum in Mainz wird mich genug absorbieren und mich ganz fordern. Wer weiß, vielleicht schaffen wir es ja einen interessanten Doping-Mikrokosmos zu errichten.

Meine Sportler sollen es jedenfalls in Zukunft immer besser haben, wenn sie sich denn hoffentlich aus freien Stücken entscheiden, zu mir zu kommen. Daran will ich arbeiten.

Öffentliche Kommentare zu dem Unfug gibt es von mir deshalb nicht mehr. Das hier können Sie verwenden wie sie wollen, wenn sie es denn wollen.

Interviews zum Thema:

FAZ: „Verwerflich, wenn man da mitmacht“, 29.8.2017

DW: Simon: „Ihr seid so was von betriebsblind!“, 30.8.2017

IDW: Strukturelle Defizite in der Dopingprävention, 31.8.2017

allgemeine-zeitung.de: Saubere Sportler nicht zu schützen: Dopingexperte Perikles Simon zieht sich aus Forschung zurück , 2.9.2017