Doping: Riedel, Dr. Hartmut

Deutsche Ärzte und Doping

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Hartmut Riedel

Hartmut Riedel war von 1982 bis Herbst 1986 am Zentralinstitut des Sportmedizinischen Dienstes Kreischa Chefarzt des Bereiches Forschung. Ab November 1986 fungierte er als Verbandsarzt des DDR-Leichtathletikverbandes. Nach seiner Flucht 1987 arbeitete er an der Universität Paderborn, später für kurze Zeit bis Ende 1993 als C3-Professor an der Universität Bayreuth und als DLV-Arzt. Heute ist er niedergelassener Orthopäde.

Hartmut Riedel wechselte 1987 anlässlich eines Leichtathletik-Meetings in Österreich die Seiten, er kam aus der DDR in den Westen. Als Fluchtgrund gab er an, man wäre mit den Leistungen der von ihm betreuten Sportler nicht mehr zufrieden gewesen.

Nach seiner Flucht bekam Riedel eine Anstellung an der Universität Paderborn bei Heinz Liesen. Gemeinsam forschten sie 1987 an einem durch das Bundesinstitut für Sportwisssenschaft gefördertem Projekt „Über den Einfluss der oralen Gabe von Testosteronundecanoat auf die Regenerationsfähigkeit nach intensiven Trainings-, Test- oder Wettkampfbelastungen“. Die Testpersonen kamen aus dem Skilanglauf und der Nordisch-Kombinierten. Riedel war dazu bestens vorgebildet, hatte er doch einschlägige Erfahrungen betreff Anabolikaforschung. Allerdings meinte er 1991 „… dass ich spätestens 1987 einen absoluten und definitiven Bruch nicht nur mit der DDR, sondern mit allem, was da Doping hieß, was da gegangen ist, vollzogen habe. Ich bin also gegangen ohne meine Habilitationsschrift.“ (ZDF-Sportstudio 21.9.1991, zitiert nach Stuttgarter Zeitung, 26.10.1991)

der Spiegel, 27.8.1992:
„Das Werk des Leichtathletik-Arztes wurde deshalb nicht ohne Grund wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Anders als den Kollegen in der Doping-Abteilung am FKS war es Riedel, zuletzt Forschungsdirektor im Dopinglabor von Kreischa, erlaubt worden, wissenschaftliche Ergebnisse über den Einsatz der „unterstützenden Mittel“ für seine Habilitation systematisch aufzuarbeiten. Die „einzige verwertbare Arbeit über Doping“ (Buhl) wurde bis vor wenigen Monaten im sogenannten Giftschrank im FKS unter Verschluß gehalten – und der wurde über Nacht „von Unbekannten“, so eine Assistentin, leergeräumt.“

Hartmut Riedel hatte in der DDR als ‚externer Habilitant‘ am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport in Leipzig (FKS) unter der Leitung von Prof. Dr. Häcker (Dr. R. Donath) über Anabolika geforscht und damit gedopt. In seiner Dissertation (Dissertation B genannt) „Zur Wirkung von anabolen Steroiden auf die sportliche Leistungsentwicklung in den leichtathletischen Sprungdisziplinen“ aus dem Jahrs 1986 steht im Vorwort „Der Einsatz der anabolen Steroide im Leistungssport dient der Ausnutzung biologischer Gesetzmäßigkeiten zum Erreichen eines gesellschaftlichen und persönlichen Zieles. . . . Somit ist der Einsatz anaboler Steroide legitimiert und human“.

Diese Arbeit hatte er angeblich verloren und konnte sie im Westen nicht vorlegen. Sie soll jedoch innerhalb der Universität Paderborn kursiert sein, da Riedel sie entgegen seiner Bekundungen auf Mikrofiches mit in den Westen genommen haben soll. Öffentlich bekannt wurde sie durch Brigitte Berendonk. Sie veröffentlichte Auszüge aus dieser „Dissertation B“ in ihrem Buch Doping Dokumente (4) und erhob schwere Vorwürfe. Berendonk sprach von „krimineller Sportmedizin“. 1991 rechtfertigte Riedel seine Dissertation mit der Aussage, „ich habe die darin aufgezeigten Versuche unternommen, weil ich dachte, ich könnte gegen den Dopingmißbrauch etwas unternehmen. Das habe ich aber nicht geschafft, und daher trifft mich Mitschuld.“ (abendblatt.de, 23.9.1991).
Die Auszüge und Beispiele in Berendonks Buch sagen jedoch etwas völlig anderes aus.

der Stern, 29.11.1990:
Ergebnis von Riedels Untersuchungen:
Oral-Turinabol ist das geeignetste Anabolikum, ab fünf Milligramm für Frauen und zehn Milligramm für Männer täglich bringt es bei entsprechend hartem Training den gewünschten Leistungszuwachs. Am besten, wenn es in mehreren kurzen, zweiwöchigen Zyklen. mit jeweils zwei Wochen Pause dazwischen, eingenommen wird, Obergrenzen werden festgelegt: „Für OT sind tägliche Dosierungen von 20 Milligramm (Männer) bzw. 1S Milligramm (Frauen) sowie jährliche Gesamtdosierungen von IS00 Milligramm (Männer) und 1000 Milligramm (Frauen) die obere Grenze, die in keinem Anwendungsfall überschritten werden darf.« Doping innerhalb dieses Rahmens – individuell angepaßt an Alter und Konstitution des einzelnen sowie an die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Disziplin – sieht Riedel als „Iegitimiert und human« an. Nennenswerte gesundheitliche Schäden träten nicht auf, jedoch ein erheblicher Leistungszuwachs, in vielen Fällen bis zu sechs Prozent. Dazu komme als erfreuliche Nebenwirkung eine erhöhte psychische Belastbarkeit.

Dr. Riedel hatte nach seiner Flucht beschlossen, dem Magazin Stern sein Wissen zu verkaufen. „Dort erhielt er sogleich den Sportjournalisten Burkhard Lüpke als Führungsoffizier [BND ?] und einen fetten Mitarbeitervertrag. Das war natürlich auch dem DDR-Geheimdienst nicht verborgen geblieben, und beim SMD schrillten die Alarmsirenen“.

Dr. Manfred Höppner, stellvertretender Leiter des Sportmedizinischen Dienstes SMD der DDR, er verkaufte Ende 1990 wichtige Unterlagen an das Magazin Stern, mit dabei die Dissertation B, schilderte die Situation 1991 so:

„Daß die bundesdeutschen Sportfunktionäre uns nicht hochgehen lassen würden, dessen waren wir uns sicher. Die wollten doch nur ihr eigenes [Doping-]Wissen verfeinern. Als wie aber vom Stern hörten, gab es Alarmstufe I. Bis hin zu den Olympischen Spielen 1988 in Seoul erwarteten wir eine publizistische Bombe: die öffentlichen Enthüllungen des Dr. Riedel.“ (Stern, 25.4.1991, zitiert nach Berendonk, S. 57)

Prof. Werner Franke meinte 1998:

„Sicher hat die Stasi gedroht. Sie war gut informiert, wußte etwa, daß Riedel, Chefverbandsarzt der DDR-Leichtathleten und Dopingexperte, mit dem Magazin „Stern“ eine Enthüllungsgeschichte vor den Olympischen Spielen in Seoul 1988 vorbereitete. Aber schließlich war die Stasi sehr zufrieden, daß Professor August Kirsch als Leiter des Bundesinstitutes für Sportwissenschaften in Köln auf Herrn Riedel eingewirkt hat, daß diese Veröffentlichung auch im Westen nicht gut sei. Im Artikel stand dann nichts mehr über Doping. Kurz danach erhielt Riedel seine Professur in Bayreuth. (FAZ, 17.6.1998)

Das war 1988, Riedel erhielt die C3-Professur an der Universität Bayreuth auch ohne Vorlage einer Habilschrift, die ja angeblich verschwunden war. Er musste seine Stelle jedoch wieder aufgeben, nachdem seine Vergangenheit öffentlich wurde. Diese Vergangenheit hatte aber weder den Berufungsausschuss noch seine Förderer Wildor Hollmann und Joseph Keul gestört, die den Arzt dem Ausschuss empfohlen hatten. Im Berufungsprotokoll stand Riedel hätte wesentliche Erkenntnisse auf dem Sektor der anabolen und katabolen Hormone erarbeitet, er gehöre zu den anerkannten Fachleuten auf diesem Gebiet. Gestützt hatte sich die Berufungskommission und die Fakultät dabei auf die

„eindeutigen Voten der beigezogenen Fachgutachter, insbesondere auch auf das Sondergutachten von Prof. Hollmann.“ (Universität Bayreuth, Begründung des Berufungsvorschlages) „Hollmann sagte später, er habe davon abgesehen, Riedel nach Doping zu fragen, da dieses Thema für eine mögliche Beschäftigung an Hollmanns Institut in Köln irrelevant gewesen sei. Riedels „profunde Kenntnis der anabolen und katbolen Hormone“ machten ihn im Gegenteil zu einem besonders begehrenswerten Kollegen.“ ((5), S.293)

Keul meinte später, ihm hätte ein anderer Titel der Habilschrift vorgelegen, aus der nicht erkennbar war, dass es sich um anobole Steroide gehandelt habe. Riedel selbst bekräftigte in einer eidesstattlichen Erklärung im November 1991, dass er erst Ende 1990, nach der Veröffentlichung von Daten aus der Habilitationsschrift im Magazin Stern, mit Prof. Keul über seine wissenschaftlichen Arbeiten mit anabolen Steroiden gesprochen habe.

Es war aber durchaus bekannt, welche Qualitäten Herr Riedel zu bieten hatte und wie man davon profitieren konnte.

„Denn viele Athleten haben schon mitbekommen, was in den letzten Jahren im DLV möglich war. So lud der Diskus-Bundestrainer Karlheinz Steinmetz während der Vorbereitung auf den Länderkampf gegen die DDR im Juni 1988 einige seiner Asse ins Auto und chauffierte sie zur „Ernährungsberatung“ zu Riedel, der damals noch in Paderborn wirkte. Von der Beratung zurück, berichteten die starken Männer detailliert, was sie über Dosierungen und Wirkungen von Anabolika erfahren hatten. Da durfte sich DLV-Leistungssportdirektor Horst Blattgerste bestätigt fühlen, der nach der Verpflichtung Riedels frohlockt hatte: „Jetzt wissen wir endlich alles, was die drüben gemacht haben.“ Wobei wiederum andere das schon früher wussten: „bei der Europameisterschaft in Athen referierte der Frauentrainer Christian Gehrmann beim Frühstück im Athletenhotel ganz ungeniert über die Quelle seines Dopingwissens. Er packe mitunter sein Auto „voll Anabolika aus dem Westen“ und karrte sie zu Ostblocktrainern. Im Gegenzug werde er in deren Know-how eingeweiht.“ (der Spiegel, 10.12.1990)

Dr. Heinz Liesen wurde im Oktober 2011 von Spiegel-Journalisten gefragt, warum er Riedel 1987 nach Paderborn geholt hatte. Liesen nennt die Gründe einigermaßen freimütig:

Liesen: Riedel hatte wichtige Arbeit geleistet. Er hatte nachgewiesen, dass man keine hohen Anabolika-Dosierungen braucht, wie sie in der DDR üblich waren. Er konnte belegen, wie man Nebenwirkungen verhindert, ohne an Leistungsfähigkeit einzubüßen. Ein seriöser Mann, der die Gesundheit der Athleten in den Mittelpunkt stellte.

SPIEGEL: Meinen Sie das ernst? Riedel hatte in einem System Karriere gemacht, in dem die Gesundheit der Sportler nichts galt.
Liesen: Versetzen Sie sich doch mal in seine Lage: Sollte er aufbegehren? Dann wäre er in Bautzen verschwunden. …

Ich traf Riedel nach seiner Flucht mehrmals. Ich hatte zunächst die Traumvorstellung, er bringe Wissen mit, wie wir unser Training verbessern können. Wir dachten, die DDR sei besser, weil sie besser trainiere. Wie sehr die dopen, davon hatte ich doch keine Ahnung.“ (der Spiegel, 31.11.2011)

Im November 1993 beantragte Hartmut Riedel seine Entlassung aus dem Universitätsdienst. Zu den ihm entgegengebrachten Vorwürfen meinte er:

„Ich habe nie einen Bericht an die Stasi geliefert“. „Ich muß allerdings einräumen, daß ich durch die Struktur des Sports und der Sportmedizin in der DDR mannigfaltigen Kontakt mit Mitarbeitern für Ordnung und Sicherheit – das sind Zugeordnete der Stasi – hatte.“


Monika