2001 BMI Sportausschuss, Anhörung Dopingopfergesetz

MI Sportausschuss 17.10.2001
Öffentliche Anhörung zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU
‚Errichtung eines Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der DDR‘

Als am 24. August 2002 das Doping-Opfer-Hilfe-Gesetz inkraft trat, fand eine lange kontroverse Diskussion eine erstes positives Ergebnis, wenn auch kein Ende.

>>> das DOHG, Diskussion, Texte

Einem Antrag im März 2001 der CDU/CSU zur Errichtung eines Opfer-Fonds stieß erst einmal auf wenig Zustimmung. Einige Dopingopfer wollten das nicht länger hinnehmen und richteten im Mai 2001 mittels eines >>> Offenen Briefes eindringliche Worte an den Deutschen Bundestag. Es folgten Diskussionen im Bundestag und am 17.10.2001 eine Öffentliche Anhörung im Sportausschuss.

Das Protokoll dieser Sportausschuss-Sitzung gibt auf 57 Seiten eine guten Einblick in die DDR-Dopingproblematik und zeigt auch auf, wie wenig problembewusst nach der Wende in Gesamtdeutschland mit der DDR-Dopingvergangenheit und wie unsensibel mit schwergeschädigten Sportlern und Sportlerinnen umgegangen wurde. Es bedurfte jahrelanger, zäher Verhandlungen, aber vor allem waren es die Dopingprozesse, die dazu beitrugen, dass das Thema nicht weiter geleugnet werden konnte.

>>> Öffentliche Anhörung zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU ‚Errichtung eines Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der DDR‘

Der Sportausschuss hatte eine Reihe bekannter Sachverständige geladen, die zu einer anspruchsvollen und informativen Diskussion beitrugen.

Geladen als Sachverständige waren:

Birgit Boese (DDR Doping-Opfer)
Brigitte Michel (DDR Doping-Opfer)
Dr. Klaus Zöllig, Vorsitzender des Doping-Opfer-Hilfe Vereins e.V.
Prof. Dr. R. Klaus Müller, Leiter des Instituts für Dopinganalytik und Sportbiochemie
Prof. Dr. Werner W. Franke, Deutsches Krebsforschungszentrum
PD Dr. med. habil Christian J. Strasburger, Medizinische Klinik, Klinikum-Innenstadt der Ludwig-Maximillians-Universität
MR Walter Jürgen Lehmann, Leiter des Referates IV B 4, Rehabilitierung (DDR-Unrecht) im Bundesministerium der Justiz
Jenny Eckert, Sachgebietsleiterin bei der Bundesbeauftragten für die Belange des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR
Prof. Dr. Dirk Clasing, Mitglied der Gemeinsamen Anti-Doping-Kommission von DSB/NOK
Heiner Henze, Generalsekretär des NOK
Dr. Giselher Spitzer, Historiker an der Universität Potsdam
Brigitte Frank-Berendonk, (Buchautorin)
Willi Ph. Knecht, (Journalist)
Hans-Joachim Seppelt, Journalist
Ellen Karau, Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand des Weißen Rings

Zitate

Birgit Boese: Im Vorfeld wurden auch Stimmen laut, die allen Ernstes den Gedanken in die Diskussion brachten, dass doch erst einmal die Verursacher ? sprich: Trainer, Mediziner, Funktionäre ? von den einzelnen Sportlern auf Schadenersatz verklagt werde sollten. Erst wenn durch ein Gericht festgestellt worden sei, dass dort der Sportler keinen Schadenersatz erhalten könne, würde dann eventuell eine Unterstützung des Staates möglich sein. Ich bin heute stellvertretend hier, um darauf hinzuweisen, dass genau diese Forderung seitens des Sports ? sie stammt von Herrn Prof. Digel, geäußert in Köln am 23. Juli 2001 bei einem Round-Table-Gespräch während eines Symposiums der EU an der Sporthochschule Köln zum Thema Doping – eine menschenunwürdige Abwälzung der moralischen Verantwortung ins Nichts bedeutet. Bereits die Vergangenheit hat bei Prozessen gezeigt, dass die Verantwortlichen nicht in die Haftung genommen werden konnten, da sich stets auf Vergaberichtlinien sowie den Staatsplan 14.25 der DDR berufen werden konnte.

Brigitte Michel: Da die Aufarbeitung durch die Justiz aufgrund der drohenden Verjährung nur sehr lückenhaft erfolgte, konnte der Dopingmissbrauch bei Hunderten von Sportlern durch die Trainer, Ärzte und Funktionäre richterlich nicht gewürdigt werden. Somit können nicht allein die wenigen Urteile das Maß der Bewertung sein. Erst die Gesamtheit der Anklageschriften, der Urteile und der Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR sowie die Gutachten und Studien spiegeln das Ausmaß der Schäden wider. Gerade in meinem persönlichen Fall zeigte es sich, dass nicht alle Akten zum Ewald/Höppner-Prozess zur Verfügung standen. Leider wurden erst nach der Urteilsverkündung weitere Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit beim Ministerrat der DDR zu meiner Person recherchiert. Diese Unterlagen beweisen mit welcher Menschenverachtung das Dopingsystem der ehemaligen DDR funktionierte. Aus ihnen geht hervor, dass bereits 1971 ? ich war 15 Jahre alt und warf den Diskus gerade einmal 53 m ? durch meinen Trainer Herbert Hohmann die zu erzielenden Weiten für die nächsten neun Jahre festgelegt wurden. So sollte ich 1980 bei den Olympischen Spielen im Diskuswurf mit einer Weite von 70 m den Platz 1, 2 oder 3 belegen. Die Rechnung ging auf. Die Weiten wurden von mir erzielt. Doch wie allgemeinsportwissenschaftliche Erkenntnisse belegen, wäre solche eine Weitensteigerung ohne Extremdoping nicht zu realisieren gewesen. Mit diesem Plan wurden.

Dr. Giselher Spitzer: Ich habe ein wenig Angst, dass der Sport seine Gemeinnützigkeit deswegen aufs Spiel setzt, weil er sich zwar um Sportleistungen in der DDR bemüht hat, dass er aber auf der anderen Seite die Doping-Opfer und andere Geschädigte des DDR-Sports nicht ausreichend berücksichtigt hat. Das ist ein Verstoß gegen das Prinzip der Solidarität. Hier habe ich in der Festschrift des DSB zum 50. Geburtstag des DSB ein Warnsignal gefunden. Prof. Tünnemann hat über die Dopingaufbearbeitung so geurteilt: ?über allem lastete schwer das Pauschalurteil, der DDR-Sport basiere völlig auf anabolem Fundament?. Die Entdeckung eines Dopingplans 1979 mit der Unterschrift von Prof. Tünnemann verdeutlicht jedoch, dass er ? nach Aktenlage ? selbst ein führender Dopingtäter war. Für die Ringer hatte er tatsächlich ein solches anaboles Fundament mitzuverantworten, wie die erste entdeckte Originalkopie einer Dopingrichtlinie belegt. Die Echtheit dieses Dopingplanes wurde seinerzeit auf zwei weiteren amtlichen Schriftstücken der Direktoren des geheimen Forschungsinstituts FKS bestätigt. Dort wurden auch die Dopinginhalte zitiert, allerdings ohne Hinweis darauf, dass laut dem Tünnemann-Dokument auch minderjährige Ringer gedopt werden sollten.

Hans-Joachim Seppelt: Die Frage, ob mit oder ohne Wissen gedopt wurde, ist im Übrigen gar nicht das zwangsläufig entscheidende Argument. Denn selbst, wenn bei herangereiften Sportlern Doping über die Jahre hinweg schließlich doch mit stillschweigendem Einverständnis geschah, ändert dies nichts daran, dass die Betroffenen über die gravierenden medizinischen Folgen der regelmäßigen Hormonvergabe im Unklaren gelassen wurden. Sie wussten letztlich also doch nicht, was mit ihnen geschah. Die meisten Journalisten, gerade aus dem Umfeld des einstigen DDR-Sports, behandeln das Thema mit einer ausgesprochenen Zurückhaltung oder verschweigen es. Ganze zwei Kollegen fallen mir bis heute ein, die aus den neuen Bundesländern stammen, die regelmäßig und rechercheintensiv das Sujet behandeln. Andere, die es eigentlich aufgrund ihrer größeren Nähe zu den einst im Sport mitbestimmenden Personen einfacher als Zugereiste aus dem Westen haben müssten, schweigen fast immer. Ehemalige Stasi-Mitarbeiter wie der einstige Chefsportideologe des SED-Organs ?Neues Deutschland? machen sich in Artikeln über die Opfer lustig. Es scheint, dass sich an kaum etwas die Geister in der öffentlichen Beurteilung mehr scheiden als am DDR-Sport und seiner überaus zwiespältigen Geschichte. Allzu große Recherche wird als Nestbeschmutzung gebrandmarkt. Die Konsequenzen, die sich aus mancher Berichterstattung oder auch aus verhinderter Berichterstattung ergeben, haben häufig die Opfer in die Ecke von beklagenswerten Einzelschicksalen, von gescheiterten Existenzen oder Hypochondern gedrängt. Einige Opfer empfanden es so, als mache man aus ihnen potentielle Betrüger, die nun über den Weg von Entschädigungszahlungen auf den großen Reibach hoffen. Ergo: Die im Sozialismus ausgenutzten Individuen werden nun ein zweites Mal zu Opfern gemacht. Man unterstellt ihnen sogar, dass sie sehr genau wußten, was mit ihnen gemacht wurde.

Es ist nach meinem natürlich sehr subjektiv gefärbtem Eindruck schon so, dass über die Jahre hinweg dieses Thema, insbesondere bei Kollegen aus den neuen Bundesländern, sehr stark tabuisiert worden ist, und dass offensichtlich mit der Aufdeckung der unangenehmen DDR-Sportrealitäten ein Stück positiver eigener DDR-Identität verbunden ist, die man offensichtlich nicht verlieren möchte. Das ist meine Interpretation. Es ist Fakt, dass viele Kollegen an dieses Thema mit sehr spitzen Fingern herangehen. Ich will allerdings auch nicht verhehlen, dass dieses kein typisch ostdeutsches Phänomen ist, sondern dass ich schon das Gefühl habe, dass dieses auch mit dem Selbstverständnis des Sportjournalismus zusammenhängt. Dennoch ist es auf der einen Seite so, dass damit starke persönliche Empfindungen zusammenhängen, auf der anderen Seite muss man aber eben auch sagen, dass Sportjournalismus offensichtlich, wie ihn viele Leute verstehen, nicht im Recherchebereich zu Hause ist, sondern mehr im Darstellen von Ereignissen, ohne kritisch zu hinterfragen. Das ist ein Gefühl, was ich häufig habe. Das erklärt möglicherweise auch, warum das Thema Doping auch unter Journalisten sehr umstritten ist und insbesondere das Thema DDR-Doping, wie ich auch aus dem Verband der Sportjournalisten in Berlin/Brandenburg weiß, sehr kontrovers diskutiert wird.

Werner Franke: Zur Frage, was man wusste, als man die Dopingmittel gab, muss ich bemerken, dass diese Frage vor Gericht ausgiebig behandelt worden ist und zwar in beiden Prozessen in Moabit. Dazu ist auch in beiden Gutachten, die dort vorliegen (das eine von Herrn Lübbert und Rittbock, das andere von Herrn Mahler), ausführlich Stellung genommen worden. Das spielt nämlich eine Rolle. Die Frage war, ob die Täter über die Dopingmittel genau Bescheid gewusst hatten. Tatsache ist, dass bereits bei Einführung von Oral-Turinabol Mitte der sechziger Jahre darüber in DDR-medizinischen Schriften von Anfang an eigentlich gut publiziert wurde.

Zweitens: Es sind dann später Krankheitsfälle aufgetreten. Dieses haben die Verantwortlichen auch gesehen. 12 Fälle wurden von Herrn Höppner gesehen. Diese wurden dann ins Krankenhaus eingewiesen. Das heißt, dass es Unkenntnis von beteiligten Ärzten gerade nicht gab. Im Gegenteil: Sie müssten fast historischen Respekt zollen vor dem Wissensstand der damaligen Zeit. Das ist auch gerichtlich eindeutig festgestellt worden bis hin ins Berufungsurteil des BGH.

Dirk Clasing: Zum 01.01.1991 waren Dopingvergehen der Sportler freigestellt worden, das heißt die Amnestie ist ausgesprochen worden. Auf die Opfer hat keiner in irgendeiner Form Rücksicht genommen. Daran wurde offensichtlich nicht gedacht. Das ist das Eine. Es wurde damals auch festgestellt, dass hauptamtliche Generalsekretäre, Cheftrainer und Chefärzte nicht wieder im deutschen Sport beschäftigt werden durften. Die Trainer, die dann beschäftigt wurden, hatten eidesstattlich zu erklären, dass sie am Dopingsystem nicht teilgenommen hatten. Hinterher stellte sich heraus, dass diese eidesstattlichen Erklärungen häufig nicht stimmten. Dieses Abverlangen der eidesstattlichen Erklärungen hat vielleicht auch einen Teil der Aufarbeitung gestört, weil die Trainer im ersten Zugriff etwas unterschrieben hatten, was sie hinterher möglicherweise nicht halten konnten.

Heiner Henze: Ich kann nicht so viel hinzufügen, weil ich damals nicht persönlich beteiligt war. Aber es war der Versuch des Sports nach bestem Wissen und Gewissen, der auf dem Stand der damaligen Erkenntnisse basierte, diejenigen auszugrenzen, die am Dopingsystem mitbeteiligt waren und diejenigen im Sport zu integrieren, die nicht unmittelbar beteiligt waren, und den Sport zusammenzufügen. Das Ergebnis liegt im Berichtsheft vor. Herr Prof. Dr. Clasing hat das ausgeführt.

Hans-Joachim Seppelt: Natürlich hat es im DDR-Sport auch Widerstand gegen die systematischen, flächendeckenden Dopingpraktiken in den medaillenträchtigen Sportarten gegeben. Aber es waren nur die Ausnahmen. In der Zeit meiner Recherche sind mir indirekt und direkt Fälle von Athleten bekannt geworden, die beispielsweise passiven Widerstand mit ihren Trainern geleistet haben, indem sie quasi bilateral vereinbart haben, die Dopingpillen einfach wegzuwerfen oder in Chlorwasser aufzulösen, in der Hoffnung, dass es keinem auffällt. Das hat häufig auch zur Folge gehabt, dass, da der leistungsfördernde Effekt von Anabolika unbestritten ist, die Leistungen nachgelassen haben. Wenn allerdings dann ein aktiver Widerstand geleistet worden ist, dann mündete dies in der Regel darin, dass Athleten gezwungen wurden. Es gab wenige Sportler, die leistungsmäßig so gut gewesen sind, dass sie es sich leisten konnten, ihren Widerstand offensiv vorzutragen. Andere wurden bedroht, mitunter mit dem Ausschluss aus dem Leistungssport. Dieses war nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel bei Widerstand leistenden Athleten. Es gab natürlich ? Prof. Dr. Franke kann vielleicht noch zu anderen, ganz konkreten Fällen beispielsweise dem der Biathletin Antje Misersky berichten ? auch Ärzte, die sich der Dopingpraxis widersetzt haben, die immer wieder in Gewissenskonflikte geraten sind und die dann aus dem Leistungssport ausgeschlossen worden sind und dann Stellen annehmen mussten, die entweder schlechter bezahlt waren oder aber weitaus weniger interessant waren. Sie sind jedenfalls aus dem Leistungssport expediert worden.

Brigitte Michel: Ich habe letze Woche nach 30 Jahren einen ehemaligen Hochleistungssportler wiedergetroffen, und es kamen die normalen Floskel ?Wie geht´s??. ?Es ist ja schön, dass du mich noch grüßt?, weil man ja auch nicht mehr gegrüßt wird. Er, ein Radsportler, erzählte mir, er sei mit einer Leichtathletin verheiratet und habe ein behindertes Kind. Es kamen Worte wie ?kennst du den und den noch? Der hat ja auch ein behindertes Kind. Ich arbeite ja noch im Sport. Ich habe Einjahresverträge, den längsten Vertrag, den ich gerade unterschrieben habe, ist ein Vierjahresvertrag. Meine Frau muss zu Hause bleiben, weil sie das behinderte Kind pflegen muss. Was soll ich tun?? Er hat Angst.

Willi Ph. Knecht: Herr Riegert hatte zu Protokoll gegeben und moniert, dass ich Kritik an der personellen Zusammensetzung der Sacheverständigen hier geübt hätte. Nach Anhören der heutigen Veranstaltung wiederhole ich diese meine Meinung. Ich bedaure außerordentlich, dass nicht aktive Vertreter des früheren DDR-Spitzensports hier gewesen sind, die aus eigener Erkenntnis darüber hätten berichten können und dabei vielleicht auch die eine oder andere Aussage, die hier gemacht worden ist und die auf sogenannten gesicherten Bereichen beruht, aus ihrem Blickwinkel hätten darlegen können. Die beiden Damen, die aus ihrem Sportbereich gesprochen haben, sprechen von einer anderen Situation als die Spitzensportler der DDR, die sich eben nicht als DDR-Doping-Opfer fühlen. Es war für mich unbefriedigend, dass diese Stimmen nicht zu Wort gekommen sind.