1977 Dt. Bundestag, Fragestunde – Antworten zu den OS in Montreal und Doping, 17.3.1977

1977 Antworten der Bundesregierung zu den OS Montreal und Doping

Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 8/18, 17.3.1977
>>> Auszug Fragen und Antworten zu den OS Montreal und Doping, S. 123 – 125

>>> doping-archiv.de: 1976 Olympische Spiele in Montreal, die Kolbe-Spritze und mehrl

die Fragen und Antworten

– Wie beurteilt die Bundesregierung die besonders nach den Olympischen Spielen 1976 in Montreal bekanntgewordene medikamentöse Beeinflussung des Hochleistungssports und die Tatsache, daß auch Sportler aus der Bundesrepublik Deutschland mit zweifelhaften „medizinischen Hilfen“ versorgt wurden?

Es wäre— wie der Herr Bundeskanzler anläßlich des Empfangs der deutschen Olympia-Mannschaft am 9. September 1976 ausgeführt hat — sicherlich eine verhängnisvolle Fehlentwicklung, wenn aus einem Sport mit Rekorden ein Sport aus Retorten würde.

Andererseits darf nicht verkannt werden, daß die Grenzen zwischen physiologischen und unphysiologischen Hilfen zur Förderung der individuellen Leistung des Spitzensportlers fließend sind. Will man mit der Weltspitze des Sports Schritt halten, wird nicht von vornherein jede Form der Leistungsförderung ausgeschlossen werden können; andernfalls würden wir unseren Athleten Chancengleichheit in der internationalen Konkurrenz verwehren.

Was in anderen Staaten erfolgreich als Trainings und Wettkampfhilfe erprobt worden ist und sich in jahrelanger Praxis ohne Gefährdung der Gesundheit der Athleten bewährt hat, kann auch unseren Athleten nicht vorenthalten werden.

Die Bundesregierung stimmt jedoch mit Ihnen darin überein, daß es bei den Olympischen Spielen in Montreal in Einzelfällen auch zweifelhafte medizinische Hilfen gegeben hat. Dieser Art von Leistungsbeeinflussung wirkt die Bundesregierung mit ihren Mitteln und Möglichkeiten entgegen.

– In welcher Weise sind konkrete Auswirkungen auf die Förderungsziele des Spitzensports durch die Bundesregierung aufgrund der Erklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt anläßlich des Empfangs der deutschen Olympiamannschaft vom 9. September 1976 im Zusammenhang mit der inhaltlichen Ausgestaltung des „humanen Leistungssports“ zu erwarten?

… Um aus positiven und negativen Erfahrungen insbesondere der Olympischen Spiele 1976 praktische Konsequenzen zu ziehen, habe ich in jüngster Zeit das Bundesinstitut für Sportwissenschaft beauftragt, im Zusammenwirken mit dem Bundesausschuß Leistungssport des Deutschen Sportbundes eine Arbeitsgruppe „Hochleistungssport“ einzurichten. …

Flankierend dazu fördert das Bundesinstitut für Sportwissenschaft verschiedene Forschungsvorhaben, die Möglichkeiten und Grenzen einer humanen Leistungsbeeinflussung aufzeigen sollen. …

– Waren der Bundesregierung die bei einer Vielzahl von Spitzensportlern durchgeführten medikamentösen und andere auf Leistungssteigerung ausgerichteten Experimente und Maßnahmen vor und während der Olympischen Spiele 1976 bekannt?

– Wie beurteilt die Bundesregierung die bekannt gewordenen Versuche, beispielsweise bei den Spitzenschwimmern durch die Auffüllung der Därme mit Luft Leistungssteigerungen zu erreichen, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß insbesondere die zwischen dem Deutschen Schwimmverband und den Urhebern vereinbarte „Erfolgsprämie“, die angeblich zwischen 100 000 DM und 250 000 DM lag, weder direkt noch indirekt aus Sportförderungsmitteln gezahlt werden darf?

Der Bundesregierung ist vor den Olympischen Spielen in Montreal bekanntgeworden, daß der von Ihnen angesprochene Fachverband sich um Informationen über eine bislang nicht bekannte Methode zur Leistungssteigerung bei Spitzensportlern bemühe. Um welche Methode es sich dabei handelte, war meinem Hause nicht bekannt.

Der Verband wurde darauf hingewiesen, daß Sportförderungsmittel der Bundesregierung für die Vorbereitung und Betreuung unserer Athleten bei den Olympischen Spielen nur unter der Voraussetzung zur Verfügung stünden, daß die Maßnahme

— nicht zu einer gesundheitlichen Schädigung des Sportlers führe

— nicht gegen die Dopingbestimmungen des Internationalen Olympischen Komitees und des zuständigen Internationalen Fachverbands verstoße— die ausdrückliche Zustimmung des NOK für Deutschland finde. …

Die Bundesregierung hält die von Ihnen erwähnten Versuche aus sportethischen Gründen für bedenklich. Ob an einer Vielzahl von Spitzensportlern medikamentöse oder andere bedenkliche Manipulationen

vorgenommen wurden und welcher Art diese ggf. waren, ist mir auch heute noch nicht bekannt. Die Aufklärung dieser Frage wird sicherlich zu einer der wichtigsten Aufgaben der vom Deutschen Sportbund und vom Nationalen Olympischen Komitee für Deutschland eingesetzten „Doping-Kommission“sein, deren Arbeit vom Bundesministerium des Innern jede nur mögliche Unterstützung erhalten wird.

– Trifft es zu, daß die Einnahme von Anabolika zu erheblichen Nebenwirkungen führt, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, die Verabreichung von Anabolika an Hochleistungssportler ohne entsprechende medizinische Indikation zu unterbinden?

Die Applikation eines jeden pharmakologischen Wirkstoffes hat neben der erwünschten Wirkung auch Nebenwirkungen. So ist auch die Anwendung von Anabolika — selbst die medizinisch indizierte— nicht frei von Nebenwirkungen. Ob die Einnahme bzw. Applikation von Anabolika bei Spitzensportlern zu erheblichen Nebenwirkungen führt, ist von Präparat, Dosis, Behandlungsdauer und verschiedenen individuellen Faktoren abhängig.

Die Anabolika werden von der Medizinischen Kommission des Internationalen Olympischen Komitees, der Medizinischen Kommission des Internationalen Leichtathletik-Verbandes und anderen internationalen Sportföderationen als Dopingmittel beurteilt.

Die Bundesregierung teilt diese Auffassung.

Sie wirkt deshalb dieser Art von Leistungsbeeinflussung mit ihren Mitteln und Möglichkeiten entgegen.

In diesem Zusammenhang beabsichtigt die Bundesregierung u. a., dem IAAF-Council (Rat des Internationalen Leichtathletik-Verbandes), der sich am18. März 1977 in Düsseldorf mit der Dopingfrage befaßt, durch ihren Beauftragten für Doping-Analytik vorzuschlagen, daß Anabolika-untersuchungen nicht erst bei Wettkämpfen, sondern bereits in der Trainingsphase durchgeführt werden.

Ein genereller Ausschluß der Anwendung von anabolen Hormonen ist auch deshalb angezeigt, weil nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen die

im Sport angestrebte Wirkung von Anabolika in Frage gestellt wird.

– Ist die Bundesregierung bereit, die Vergabe von Mitteln zur Förderung des Hochleistungssports von der Bedingung abhängig zu machen, daß den Hochleistungssportlern keine rezeptpflichtigen Medikamente ohne entsprechende medizinische Indikationverabreicht werden?

Die Bundesregierung geht davon aus, daß den Hochleistungssportlern ebenso wie anderen Bürgern unseres Landes grundsätzlich keine rezeptpflichtigen Medikamente ohne entsprechende medizinische Indikation verabreicht werden. Andererseits ist die Rezeptpflichtigkeit der Medikamente kein Kriterium für die Zulässigkeit ihrer Anwendung im Sport. Beispielsweise gibt es Dopingmittel rezeptfrei in den Apotheken zu kaufen.

Entscheidend muß sein, ob und welche Wirkstoffe in den Dopinglisten der nationalen und internationalen Sportverbände aufgeführt und verboten sind. Die Bundesregierung verspricht sich von der Arbeit der vom Deutschen Sportbund und dem Nationalen Olympischen Komitee für Deutschland sowie dem Deutschen Sportärztebund eingesetzten Kommissionen, die mit dem Problem der Anwendung von medizinisch-pharmakologischen Hilfen befaßt sind, eine Vervollständigung des Katalogs der unerlaubten medizinischen Maßnahmen. Sie wird jede derartige Bemühung unterstützen, die den gesundheitlichen Schutz der Leistungssportler verbessert.

Gegebenenfalls können Verstöße gegen die Bestimmungen der nationalen und internationalen Sportverbände zu Konsequenzen bei der Mittelvergabe führen.

Die Bundesregierung sieht sich jedoch außerstande, die Verabreichung von rezeptpflichtigen Medikamenten an Hochleistungssportler, die sich solche Medikamente ohne Kenntnis des Sportfachverbandes beschaffen, generell zu unterbinden.

Fragen von Dr. Adolf Müller-Emmert (SPD) (nicht aufgenommen in die obige Drucksache):

1. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet, um insbesondere im Zusammenwirken mit den Führungsgremien des deutschen Sports und der Sportwissenschaft sicherzustellen, daß der gesundheitliche Schutz der Leistungssportler auch aufgrund der nachdrücklich im Olympischen Jahr 1976 sichtbar gewordenen Fehlentwicklungen als Grundvoraussetzungen aller leistungssportlichen Ziele und Förderungsmaßnahmen beachtet wird?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Gewährung öffentlicher Förderungsmittel von einzelnen Sportfunktionären und Sportmedizinern nicht als Schutzbehauptung dazu heran gezogen werden kann, den hochleistungssportlichen Erfolg auch unter Einsatz von medikamentösen Hilfsmitteln bis hin zur Gefahr von Persönlichkeitsveränderungen, wie z.B. in der Schwerathletik, anzustreben?

Antworten:

zu 1. :

Die Bundesregierung steht der medizinischen und pharmakologischen Leistungsbeeinflussung seit jeher kritisch gegenüber. Sie hat deshalb bereits im Jahre 1974 einen Beauftragten für Dopinganalytik bestellt, der durch die Feststellung spezieller Dopingstoffe und die Entwicklung neuartiger Untersuchungsverfahren dazu beiträgt, den leistungsverzerrenden Mißbrauch von Dopingmitteln zu verhindern und gesundheitliche Schäden im Hochleistungssport zu verhüten. Um aus positiven und negativen Erfahrungen insbesondere der Olynpischen Spiele 1976 praktische Konsequenzen zu ziehen, habe ich in jüngster Zeit das Bundesinstitut für Sportwissenschaft beauftragt, im Zusammenwirken mit dem Bundesausschuß Leistungsspor des Deutschen Sportbundes eine Arbeitsgruppe „Hochleistungssport“ einzurichten. Diese Arbeitsgruppe soll sich auch mit dem gesundheitlichen Schutz der Leistungssportler befassen, den ich mit Ihnen seit jeher als Grundvoraussetzung aller leistungssportlichenZiele und Förderungsmaßnahmen ansehe.

Flankierend dazu fördert das Bundesinstitut für Sportwissenschaft verschiedene Forschungsvorhaben, die Möglichkeiten und Grenzen einer humanen Leistungsbeeinlussungaufzeigen sollen.

Beispielhaft möchte ich folgende – noch nicht abgeschlossene Projekte – nennen:

– H+- und Alkali-Ionenpermeabilität der Skelettmuskulatur bei Arbeit, Ermüdung, Erholung und ihre Beeinflussung durch Training

– Untersuchung der Einflüsse verschiedener chemischer Körper auf das Leistungsverhalten

– Untersuchungen zur hormonalen Regulation insbesondere des Fettstoffwechsels bei Körperarbeit

– Dopinganalytik, Verbesserung der Routineverfahren; Pharmakokinetik von Dopingmitteln

(Antwort auf Frage 2 fehlt mir.)