1987 Sportler/innen Umfrage, Ergebnisse Thema Doping

Doping in der BRD 1980er Jahre

Umfrage unter Sportlerinnen und Sportlern 1986/1987, hier Thema Doping

Die Ergebnisse der hier zitierten Umfrage wurden in der Zeitschrift SPORTS international 6/87 und 7/87 veröffentlicht.

„Was motiviert Sie, Leistungssport zu betreiben? Von wem werden Sie unterstützt? Fühlen Sie sich einer Elite zugehörig? Befürchten Sie sportbedingte Dauerschäden? Welchen Einfluß hat der Leistungssport auf Ihre Persönlichkeit? Fünf von insgesamt 93 zum Teil sehr komplexen Fragen an die Spitzenathleten der Bundesrepublik. Die Antworten ergeben das erste authentische und repräsentative Bild des deutschen Leistungssportiers. Es entstand durch eine Gemeinschaftsaktion, zu der SPORTS die „Stiftung Deutsche Sporthilfe“ eingeladen hatte. Befragt wurden 1294 Athletinnen und Athleten des A- und B-Kaders, die über 16 Jahre alt sind und von der „Sporthilfe“ gefördert werden. Sie erhielten per Post ihren Fragebogen zugestellt. Dieser war in mehreren Stufen entwickelt worden: Bei der redaktionellen Fassung wurden die Diplom-Psychologin Barbara Dierse, die Medizinerin und ehemalige Leistungssportlerin Dr. Heidi Schüller und die Redaktion von SPORTS von Persönlichkeiten aus Medizin, Pödagogik, Psychologie, Soziologie und Ernährungswissenschaft sowie Sexualwissenschaft unterstützt: Professor Dr. Wildor Hollmann, Professor Dr. Volker Rittner, Professor Dr. Udo Undeutsch, Professor Dr. W. Salber, Professor Dr. troph. Michael Hamm, Professor Dr. Volkmar Sigusch. Eine Anzahl von Fragen haben der Diplom-Pädagoge Peter Holz von der ,Sporthilfe‘ sowie der ,Bundesausschuß für Leistungssport‘ im DSB und der Aktivensprecher Ulrich Eicke beigesteuert. …

Von den 1294 Fragebögen waren 1053 zurückgeschickt worden. Das entspricht einer Rücklaufquote von 81,4 Prozent, die bei vergleichbaren Befragungen noch nie erreicht wurde! Nur drei Fragebögen waren leer, und 51 konnten in die weitere Auswertung nicht einbezogen werden, weil entweder Angaben zur Kaderzugehörigkeit oder Sportart fehlten. Die Gesamtauswertung umfaßt 999 Fragebögen.“

In Folgenden werden die Ergebnisse der Umfrage zum Thema Doping aus SPORTS 6/87 vorgestellt.

Zitate aus den Ergebnissen zu Doping

WER SIEGEN WILL, MUSS DOPEN

Fast jeder Athlet und jede Athletin, die an dieser Umfrage teilgenommen haben, machten aus eigenem Antrieb und in der freien Auswahl der Problemkreise zusätzliche Randbemerkungen zu den Fragen, die medizinische Betreuung und Doping betrafen. Damit ist das brisanteste Problem des Hochleistungssports – für heute und für die Zukunft – so klar kenntlich gemacht wie selten zuvor.

Unter den rund 1000 Randbemerkungen erscheint die Hälfte als Hilferufe. Mehr, bessere, vor allem persönlichere Betreuung durch den Sportarzt verlangen die Athleten in erster Linie. Immer wieder wird der unmittelbare, der vertrauliche Kontakt zum Arzt verlangt. Die Interpretation ist unausweichlich. Der Athlet verlangt noch Information und Aufklärung, nach Zuwendung und Verständnis. In weiten Bereichen seiner sportlichen Bestätigung fühlt er sich vom Arzt allein gelassen.

Dies sind die rund 500 Wünsche und Vorschläge im Konzentrat:

• individuellere Beratung und Betreuung
• mehr persönlicher Kontakt
• Beratung in Fragen der Ernährung
• Kontrolluntersuchungen in regelmäßigen Abständen
• mehr vorbeugende Medizin als Flickarbeit
• bessere Aufklärung über die Wirkung von Medikamenten
• genauere und schnellere Aufklärung über Ergebnisse und Auswertungen von Untersuchungen sowie deren Einbeziehung ins Training
• ein Arzt bei jedem Training
• ein Arzt an jedem Ort.

… hier tritt die gleiche Widersprüchlichket auf wie bei den Schattenseiten in anderen Bereichen. Die Gefahr wird zwar erkannt, ober im selben Augenblick verdrängt.

Denn wie sonst ist es zu verstehen, daß sich 90 Prozent aller Befragten durchaus gesund fühlen, daß aber 17 Prozent Dauerschäden befürchten und 42 Prozent solche Dauerschäden nicht ausschließen. Wie sonst ist es zu verstehen, daß 50 Prozent während der vergangenen beiden Jahre nie durch eine Verletzung für längere Zeit dem Training fernbleiben mußten, daß aber 21 Prozent als Folge einer Verletzung operiert werden mußten, zwei Prozent sogar zweimal.

Diese Zahlen werden durch Sportarten, die nur eine geringe Verletzungsgefahr aufweisen, erheblich geschönt. So fühlen sich zum Beispiel 31,6 Prozent der Kampfsportlerinnen und 22,2 Prozent der Wintersportlerinnen nicht gesund. Ober die Hälfte aller Kampfsportlerinnen, fast die Hälfte aller Leichtathletinnen und Sportlerinnen im Turnen, Eiskunstlauf und Sportgymnastik war ein- oder zweimal verletzt in den vergangenen beiden Jahren.

Die ethisch, moralisch, sportlich, medizinisch, menschlich bedeutungsvollste Frage des modernen Hochleistungssports der in seinen Spitzen und Extremen, seinen Anforderungen und Risiken gefährlich bis lebensgefährlich sein kann – brachte ein sensationelles Resultat.

„Was halten Sie von der Meinung, daß jeder erwachsene Sportler mit seinem Körper machen kann, was er für richtig hält?“

… Die Antwort: 40,6 Prozent aller Männer und 37,3 Prozent aller Frauen halten es für richtig bis völlig richtig“, mit ihrem Körper nach eigenem Gutdünken zu verfahren. Im einzelnen liegen die Leichtathleten und die Schwerathleten, die Turner, die Eiskunstläufer und die Wintersportler noch über diesem Wert. Bei den Damen die Kampfsportlerinnen, die Leichtathletinnen, die Wassersportlerinnen, die Wintersportlerinnen. Am entschiedensten vertreten Wintersportler (56 Prozent) und bei den Damen Leichtathletinnen (51,5 Prozent) diesen „Mein-Körper-gehört-mir“-Standpunkt.

Es ist gewiß nicht falsch, in dieser Position der Athleten die Bereitschaft zu erkennen, auf dem Weg zu ihrem Ziel beinahe alle Risiken einzugehen. Dazu gehörten das Risiko, verletzt in einen wichtigen Wettkampf zu gehen, und die Bereitschaft, zumindest in der Saisonvorbereitung sich einem medizinischen Aufbauprogramm zu unterziehen, das entweder hart an oder schon jenseits der Grenze der Doping-Legalität liegt.

Fitgespritzt würden starten: 78,9 Prozent aller Männer, 76,8 Prozent aller Frauen. Die Schwankungen in den einzelnen Sportarten sind sehr gering.

… rund 70 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen [halten] das Doping-Reglement für richtig. 9,6 Prozent der Männer und 7,2 Prozent der Frauen halten es für übertrieben, 19,6 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen für zu nachlässig. Diese Zahlen gelten durchgängig für alle Sportarten. Ausnahmen: Leichtathletik und Wintersport.

Nur 45,7 Prozent der männlichen Leichtathleten nämlich halten das Reglement für richtig, jeweils rund 25 Prozent halten es für übertrieben oder zu nachlässig. Das erstaunlichste Bild gibt der Wintersport. 48 Prozent der Männer halten das Reglement für richtig, zwölf Prozent für übertrieben und erstaunliche 40 Prozent für zu nachlässig. Die Damen nämlich sind da ganz anderer Ansicht. Von ihnen halten nur 44,4 Prozent das Reglement für richtig, aber starke 33,3 Prozent halten es für übertrieben, nur 22,2 Prozent für zu nachlässig.  …

Noch deutlicher werden die Positionen bei der Frage, ob benachteiligt ist, wer keine Dopingmittel benutzt. Mit „Ja“, sie seien benachteiligt, antworten 30 Prozent aller Befragten. Frauen und Männer machen da keinen Unterschied. Das bedeutet: Fast ein Drittel aller bundesdeutschen Athleten befindet sich ständig in dem Dilemma, nur dann siegen zu können, wenn sie von Medizin und Pharmazie die gleichen (verbotenen) Hilfen annehmen wie ihre Gegner.  …
80 Prozent aller Leichtathletinnen – und das ist eine sensationelle Zahl – sind der Überzeugung, benachteiligt zu sein, wenn sie „clean“ an den Start gehen. Bei den Männern sind es 64,3 Prozent, bei den Wintersport-Damen 77,8 Prozent, bei den Schwerathleten 68,8 Prozent, bei den Wintersport-Herren 42,0 Prozent. Im B-Kader liegen beinahe sämtliche Zahlen höher, was die Vermutung zuläßt, daß Doping nach unten hin eher zu- statt abnimmt.

… es [ist] ebenso bemerkenswert wie alarmierend, daß 33,3 Prozent der Reiterinnen, 36,8 Prozent der Ausdauersportler, fast 30 Prozent der Schützen, Modernen Fünfkämpfer und Segler, 30 Prozent der Schwimmerinnen und 25 Prozent der Schwimmer Nachteile gewärtigen müssen, wenn sie in ihr Aufbauprogramm nicht Medikamente einbeziehen, die auf der Dopingliste stehen. …