1. Offener Brief: Kofink an Prokop, 25.4.2009

2009 Schriftwechsel H. Kofink mit DLV und DOSB

1. Offener Brief: Kofink an Prokop, 25.4.2009 
2. Offener Brief: Kofink an Prokop, 10.5.2009
3. Offener Brief: Kofink an Schäuble, Bach, Prokop, 6.6.2009 
4. Offener Brief: Kofink an Thomas Bach, 5.7.2009

Hintergründe zu diesen Offenen Briefen sind hier nachzulesen:
>>> Doping-Aufarbeitung in der BRD

1. OFFENER BRIEF:
H. Kofink schreibt an Clemens Prokop, 23.4.2009:

Kofink: Appell ‚West-Trainer müssen ihr Schweigen brechen’ ist Irreführung

>>> der Offene Brief.pdf

Hansjörg Kofink, Lenaustraße 8, 72108 Rottenburg

An den Präsidenten des
Deutschen Leichtathletikverbandes
Dr. Clemens Prokop
Haus der Leichtathletik
Alsfelder Straße 27
64289 Darmstadt
Postfach 10 04 63
64204 Darmstadt

Sehr geehrter Herr Dr. Prokop,

Ihren Appell ‚West-Trainer müssen ihr Schweigen brechen’ halte ich für eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit.

«Ich würde mir wünschen, dass auch die Trainer aus dem Westen, die in solche Praktiken in den 70er und 80er Jahren verwickelt waren, den Mut finden, sich zu erklären», sagte der Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin.

Jedes DLV-Präsidium seit 1970 – so weit geht mein Erfahrungsraum – kannte das Dopingproblem in den eigenen Reihen. Das Anabolika-Verbot 1970 durch die IAAF und den DLV sorgte für große Hektik, insbesondere nach dem die frisch gewählte Athletensprecherin Brigitte Berendonk ihren Artikel „Züchten wir Monstren“ im Dezember 1969 in der ‚ZEIT’ veröffentlicht hatte.

Die völlig unklare Haltung des DLV gegenüber Anabolika-Doping zu Beginn der 70er Jahre verdeutlichen zwei Zitate aus Lehrbeilagen der Verbandszeitschrift ‚leichtathletik’. 1970 diskutierten die Berliner Leistungsmediziner Rosseck und Mellerowicz die Gefahren des Anabolikagebrauchs in voller Kenntnis des oben genannten Verbots. (LdLA 37/1970, S. 1460) Etwa zur gleichen Zeit räumte Parry O’Brien für sich und seine Werferkollegen Anabolikagebrauch bei den OS in Tokio ein – vor dem IAAF-Verbot –, warnte aber nun wegen der unkalkulierbaren gesundheitlichen Risiken. (LdLA 46/1970, S. 1784)

(zwei Textausschnitte) …. (s. pdf)

Diese zwiespältige Haltung gegenüber Anabolika-Doping war bezeichnend für die Haltung des DLV vor den Spielen in München. Das Verbot bestand, die Leistungselite experimentierte, die Sportärzte kommentierten, das Präsidium taktierte, wartete ab und überließ die eindeutigen Stellungnahmen der Bildzeitung. (BILD, 2.6.72)

In München bestand keine Gefahr durch Kontrollen, das IOC verbot Anabolika erst 1974. Auf dem vorolympischen Kongress machten DDR-Vertreter (Prof. Dr. Erbach) jedoch deutlich, dass olympische Medaillen den Erfolg ihres Staatssystems symbolisierten. Darüber gibt es, wie zu vielen anderen Punkten, klare Aussagen in Singler/ Treutlein Doping im Spitzensport.

Prof. Dr. Günter Erbach
1972 Sportsoziologe, 1974 bis 1989 Staatssekretär für Körperkultur und Sport und Präsident des DFV der DDR. Verurteilt zu einem Jahr auf Bewährung, wegen Doping an Minderjährigen.

Zitat aus einem Brief von
Prof. G. Treutlein
an G. Erbach, Mai 2009:

„beim vorolympischen Kongress in München 1972 waren Sie Arbeitskreisleiter des AK, an dem ich teilgenommen habe. Sie haben damals in den höchsten Tönen die Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftssystems und des dort betriebenen humanen Leistungssports gelobt. Als Beleg für den Wert haben Sie die Zahl von Medaillen im Sport angeführt. In der Diskussion habe ich Ihnen die Frage gestellt, ob die Leistungsentwicklung im Kugelstoßen und Diskuswerfen der Frauen seit 1968 (…) auf beginnende Anabolikaeinnahme zurückzuführen sei. Sie haben mich damals wüst beschimpft. Erst seit wenigen Jahren weiß ich, dass diese Frage Ausgangspunkt für eine Überwachung durch den DDR-Auslandsgeheimdienst zwischen 1972 – 1989 war.
Ich frage Sie: Wie läßt sich eine solche Denunziation durch Sie mit Ihrer Wissenschaftlerethik vereinbaren? Und haben Sie je überlegt, ich bei Ihren Opfern zu entschuldigen?“

Die eklatante Verschärfung der DLV-Normen für Montreal 1976 – sie lagen erheblich über den Olympianormen – kann man als das Akzeptieren dieser DDR-Herausforderung verstehen.

Der DLV brauchte Medaillen in der deutschen Ost-West-Auseinandersetzung, so war 1976 auch für die Ex-Weltrekordlerin Liesel Westermann kein Platz mehr im Olympiateam.

Der bundesdeutsche Sport sah sich nach Montreal und über das ganze Jahr 1977 einer bis dahin beispiellosen Doping-Diskussion in allen Medien ausgesetzt. Vergleichbares gab es erst wieder zu Beginn der 90er Jahre. Die Explosion im bundesdeutschen Frauensprint um ihren Bundestrainer Wolfgang Thiele, der Hammerwurf-Weltrekordler Walter Schmidt, der im März vor laufender ZDF-Kamera Do-it-yourself-Doping aus dem Medikamentenkoffer erläuterte, lieferten den DLV-Beitrag zur Dopingdebatte. Nicht zu vergessen „Pillen-Eva“ mit Bundestrainer Christian Gehrmann, die allerdings erst im Juni im nacholympischen Jahr, aber rechtzeitig für die bundesweite Dopingdebatte, die ‚Rekorde purzeln’ ließ: Deutscher Rekord mit 21,43m im Kugelstoßen und Weltrekord mit 4823 Punkten im Fünfkampf. (Stgt N 20.6.77)

(Ausriss aus den Stuttgarter Nachrichten vom 20. Juni 1977) … (s. pdf)

Berendonk-Artikel gaben den Doping-Diskussionen des Jahres 1977 den Rahmen: Der Sport geht über den Rubikon im Februar und Der Athlet lernt zu schweigen an Sylvester. Zuvor hatte der DLV auf Veranlassung des NOK-Präsidenten Daume seine Kaderathleten schriftlich darüber informiert, dass eine öffentliche Doping-Diskussion unerwünscht sei: „Um Missverständnisse in der Öffentlichkeit zu vermeiden, halten wir es für besser, die Diskussion intern im DLV zu führen“.

In allen Berendonk-Artikeln des Jahres 1977 finden Sie, sehr geehrter Herr Präsident, mehr Namen zum West-Doping der 70er Jahre im Klartext, als Ihnen lieb sein kann.

Auch die folgende Episode möchte ich Ihnen nicht ersparen; sie hat sich auch mir erst vor ein paar Monaten in ihrem Zusammenhang erschlossen.

Ende des Jahres sanktionierte der DLV dann doch noch den forschen Do-it-yourself Doping-Auftritt des Hammerwerfers Walter Schmidt vom März 1977. Der Rechtausschuss des Hessischen Landesverbandes verurteilte Walter Schmidt zu einer einjährigen Wettkampfsperre auf Bewährung, da eine Mitschuld des Deutschen Leichtathletikverbandes nicht ausgeschlossen werden konnte.

Das Urteil sprach damals RA Rüdiger Nickel, in den 90er Jahren Jugendwart im DLVPräsidium und danach Anti-Dopingbeauftragter als Nachfolger von Theo Rous, der in den Wendewirren diesen Posten begleitet hatte und dann das Handtuch warf.

Rüdiger Nickel teilte mir erst vor wenigen Wochen nicht ohne Stolz mit, welchen Widerhall, sein Urteil in Singler/ Treutleins Buch Doping im Spitzensport (2007) gefunden habe. Ich möchte Ihnen dieses Schreiben nicht vorenthalten, da es entscheidende Hinweise zu Ihrem Appell enthält:

„Mit dieser Feststellung weisen die beiden Autoren in ihrer jüngsten Veröffentlichung auf die Pionierarbeit des jetzigen Seniorenberaters des Europäischen Senioren-Leichtathletikverbandes und von „proMASTERs“ hin, die nunmehr mehr als 30 Jahre zurück liegt. Nickel war damit der Erste im bundesrepublikanischen Hochleistungssport, der eine Mitbeteiligung von Trainern, Betreuern, Ärzten und Funktionären anprangerte. Das HLV-Urteil wird wie folgt zitiert:

„Die Bewährung konnte auch insbesondere deswegen zugebilligt werden, weil zugunsten des Betroffenen nicht ausgeschlossen werden kann, daß ein erhebliches Mitverschulden verantwortlicher Offizieller im DLV vorliegt. Diesen DLV-Offiziellen, seien es in erster Linie Ärzte und Bundestrainer – das muß zugunsten des Betroffenen zumindest unterstellt werden – eine erhebliche Verletzung ihrer Fürsorge- und Schutzpflicht den aktiven Sportlern, insbesondere dem Betroffenen gegenüber vorgeworfen werden. Die Arbeit dieser Offiziellen hat sich in erster Linie und vornehmlich nach dem Grundsatz zu richten, daß Offizielle lediglich Helfer der Aktiven sind. Zu dieser Aufgabe gehört vor allem die Verpflichtung, Aktive in aller nur erdenklichen Form vor Rechtsverletzungen zu schützen und nicht den Eindruck zu erwecken, als wenn solche Rechtsverstöße zumindest stillschweigend geduldet wurden.

Der Rechtsausschuß kann nicht ausschließen und geht deshalb zugunsten des Betroffenen davon aus, daß dem Betroffenen durch Sportärzte, die für den DLV offiziell tätig waren oder sind, anabolische Steroide verabreicht wurden, ohne daß die im DLV dafür Verantwortlichen den nötigen Einhalt geboten hätten, was diesen Verantwortlichen möglich gewesen wäre.

Absolut unglaubwürdig und allein durch die Lebenserfahrung, aber auch durch die Aussage des Zeugen Klehr (Apotheker aus Mainz, die Red.) und die Äußerung des Betroffenen in der Fernsehdiskussion widerlegt, ist die Einlassung des Zeugen … (Name eines Trainers), mit dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt über anabolische Steroide gesprochen zu haben. Das Anabolika-Problem ist eines der vieldiskutierten Themen der letzten Zeit im gesamten Kraftsportbereich. Der Betroffene war neben anderen Sportlern als Weltrekordler der Hauptleistungsträger des vom Zeugen … betreuten DLV-Kaders. Der Rechtsausschuß muß daher davon ausgehen, daß der Zeuge mit dem Betroffenen sowie den weiteren Kader-Angehörigen die Problematik ausführlich besprochen, jedoch nicht das Erforderliche getan hat, den Betroffenen vor der Einnahme zu schützen und zu bewahren…

Der Rechtsausschuß geht aber auch zu Gunsten des Betroffenen davon aus, daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß Mitglieder des DLV-Präsidiums von der Einnahme von anabolischen Steroiden wußten und durch Außerachtlassung der Fürsorge- und Schutzpflichten den Eindruck des Duldens hervorgerufen haben …“.

Kommentierend weist das Buch von Singler/Treutlein hierzu Folgendes aus: „Dass der Deutsche Leichtathletik-Verband aus dieser für ihn geradezu niederschmetternden Beurteilung durch Rüdiger Nickel als Vorsitzendem des Rechtsausschusses des Hessischen Leichtathletik-Verband keine Konsequenzen zog und nicht gegen Funktionäre, Ärzte und Trainer in den eigenen Reihen vorging, fügt sich in ein Bild von einem durch den Verband geduldeten und über Verbandstrainer und –ärzte sogar aktiv geförderten Anabolikadoping.

Und das schon vor 30 Jahren als Mancher noch für die gezielte Freigabe von Doping unter ärztlicher Aufsicht plädierte (z.B. der Präsident des Weltsportärzte-Bundes Wildor Hollmann, Köln, zitiert im SPIEGEL vom 20.8.1976).

Auch der DSB setzte Zeichen, um den Dopinggerüchten zu begegnen. Nach Montreal richtete er eine Kommission ein, die Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings erarbeiten sollte. Es gab Arbeitssitzungen, Protokolle wurden geschrieben, natürlich eine Grundsatzerklärung gefertigt. Im Verlaufe dieses Unternehmens kam es zu einer Sportausschuss-Sitzung des Bundestages mit erstaunlichen Aussagen zu Doping von Sportfunktionären, Sportmedizinern und Sportpolitikern – Dr. Schäuble war nicht allein – zu der eingeladene Spitzenathleten und Bundestrainer des DLV nicht erschienen. Warum eigentlich? Gab es dafür Gründe, gibt es dazu Unterlagen beim DLV? Ohne Absprachen im Verband ist das wohl kaum möglich gewesen. Übrigens, erst dieser Tage erklärte Ihr Vorgänger im Amt, Prof. Digel, die Protokolle dieser Kommission seien in seiner Hand.

Vielleicht rufen Sie ihn einmal an!

Aufgrund des NOK-Maulkorbs für Athleten und die gesamte Sportszene wurde anfangs der 80er Jahre öffentlich kaum über Doping gesprochen. Bei den Boykottspielen in Moskau gab es – zum ersten und einzigen Male (!) – keinen Dopingfall, bei der Boykott-Revanche in LA gab es überraschende DLV-Olympiasieger; dort kamen die Dopingproben auf ungeklärte Weise abhanden. Beim Super-Gau 1988 wurde der ertappte 100m-Olympiasieger durch einen Nachrücker ersetzt, der zuvor zuhause in den USA ohne Sanktionen mehrfach positiv getestet worden war. Russen und Amerikaner lieferten keine positiven Dopingproben ab.

Aus den 80er Jahren stammen mehr als die Hälfte aller Leichtathletik-Weltrekorde der Frauen, darunter die für die Ewigkeit fixierten in den Wurfdisziplinen (Hammerwerfen stand noch am Anfang und der 80m-Speerwurf-Weltrekord von Petra Felke kann nie mehr verbessert werden, weil inzwischen der Speer gewechselt wurde. Das gilt auch für die 104,80 ihres Mannschaftskameraden Uwe Hohn). Diese Tendenz spiegelt sich in den deutschen Rekorden wider.

1987 war es mit der Ruhe in Sachen Doping vorbei: Birgit Dressel starb im April einen entsetzlichen, qualvollen Tod. Die Mehrkämpferin aus Mainz hatte über 100 Arzneimittel im Gebrauch. Die sich anschließenden rechtlichen Verfahren konnten keine(n) Schuldigen ermitteln, weder Ärzte noch Trainer noch sonst irgendwer. Liest man heute die Einzelheiten nach, die noch zugänglich sind, dann bleibt nur eines: Verantwortung war damals ein unbekannter Begriff für den DLV. Die Häme aus der DDR blieb nicht aus, sie ist heute noch zu hören: Bei uns wäre so etwas nicht passiert!

Prozesse in der Nachwendezeit gegen zwei West-Bundestrainer (Steinmetz und Spilker) wegen Dopings in den 80er Jahren führten zur Verurteilung. Steinmetz klagte gegen die Veröffentlichung einer von ihm manipulierten Dopingprobe, ansonsten wäre es zu keinem Prozess gekommen. Der führte dann wegen Falschaussagen zur Verurteilung. Spilker, 400m-Bundestrainer der Frauen aus Hamm, heute Vizepräsident des LSB Thüringen, wurde ebenso

wie sein Assistent wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz verurteilt. Der Diskuswerfer Alwin Wagner sagte im Prozess gegen seinen Bundestrainer aus. Schon in den frühen 80er Jahren war er wegen des Zusammenhangs Leistungsnormen – Doping – Sportförderung mehrfach schriftlich und mündlich beim DLV, bei der Sporthilfe und bei NOK-Präsident Daume vorstellig geworden. Doch damals war nicht nur die Doping-Diskussion unerwünscht, genau so unerwünscht waren Dopinggeständnisse. Das haben eine Reihe von Spitzenathleten im Umgang mit Spitzenfunktionären erfahren müssen. Einige Spitzenathleten wie Petra Leidinger gaben deswegen ihren Sport auf.

Ähnliche Erfahrungen musste auch der erste DLV-Präsident machen, der energisch gegen die liberale Dopinghaltung im DLV Front machte. Prof. Munzert forderte nach dem Fall Dressel personelle Konsequenzen. Er wurde dafür von den alten Kameraden aus dem Amt gemobbt, um einem Nachfolger mit Stallgeruch Platz zu machen, der dann die Vereinigung von DLV und DVfL so bewerkstelligte, dass sie noch heute Schlagzeilen macht.

Sie haben in Ihrem Appell die Bundestrainer der 90er und der folgenden Jahre ausgespart.

Was hat Sie dazu bewogen? Was macht Sie so sicher, dass Doping bei DLV-Trainern nur in den 70er und 80er Jahren ein Thema war?

Immerhin hat das Amtsgericht Magdeburg 2006 den Leichtathletiktrainer Thomas Springstein wegen Dopings einer Minderjährigen zu 16 Monaten Haft mit Bewährung verurteilt. Der Trainer, den seine Kollegen 2002 zum ‚Trainer des Jahres’ im DLV gewählt haben, war auch zuvor kein unbeschriebenes Blatt. Bei der Urteilsverkündigung bestätigte ihm der Magdeburger Anklagevertreter, der ihn nur für ein einziges Vergehen zur Rechenschaft gezogen hatte: „Aber das ist die absolute Spitze eines Eisberges, der Angeklagte ist im wahrsten Sinne des Wortes als Dopingmitteldealer aufgetreten, und zwar über einen längeren Zeitraum.”

Wie kläglich Ihr Versuch scheiterte, nach Jahren in diesen Eisberg einzudringen, wissen Sie besser als ich.

Doch das alles ist nicht neu; es ist vielfach dokumentiert und ist in allen Medien gewesen. Deswegen, sehr geehrter Herr Präsident, ist Ihr medienwirksamer Appell eine Nebelkerze, die der Öffentlichkeit das deutsche Doping-Schlachtfeld weiter verschleiern und auf persönliche Schuld einzelner reduzieren soll.

Ich halte dagegen:

Es ist das bleibende Verdienst Brigitte Berendonks, einer herausragenden Leichtathletin (Diskuswerferin der Weltklasse und Teilnehmerin an den Olympischen Spielen in Mexiko und München) und einer unerschrockenen Athletin (erste Athletensprecherin des DLV nach dem EM-Chaos in Athen) bereits 1969 öffentlich über die Gefahren des Anabolika-Dopings informiert zu haben. Es ging damals weder um Ost noch um West, es ging allein um einen humanen Leistungssport auf höchstem Niveau unter Beachtung sportlicher Regeln und sportethischer Grundsätze.

Sie hat für ihren Sport, die Leichtathletik, im Kampf gegen Doping Zeichen gesetzt. Sie hatte dabei das Glück, in ihrem Ehemann Werner Franke, einem Wissenschafter von Weltgeltung, die Hilfe zur Seite zu haben, die notwendig ist, wenn man sich auf dem Feld der Medizin und der Naturwissenschaft in kontroverse Diskurse begibt.

Ohne die zwanzig Jahre Antidoping-Kampf dieser Beiden vor der Wende, sähe der Spitzensport heute anders aus; vielleicht würden wir ihn nicht mehr erkennen.

Ihre gemeinsame Aufdeckung des Staatsplanthemas 14.25 der DDR im Dezember 1990 hat die Welt des Spitzensports verändert. Dieses „staatliche Sportsystem“ ist eine Erfahrung, mit der sich unser freies Sportsystem bis heute nicht ausreichend auseinandergesetzt hat.

Das Sportsystem der DDR war durch eine straffe Hierarchie gekennzeichnet, unser Arbeitsgebiet durch eindeutige Dienstanweisungen klar geregelt. Wir waren im Einzelfall am Einsatz unterstützender pharmazeutischer Substanzen (Dopingmittel) beteiligt. Uns war bekannt, dass dies den Regeln des Sports widersprach, doch fühlten wir uns durch die Vorgaben des Staates legitimiert.

Diese Sätze stehen in der Erklärung der fünf ehemaligen DDR-Trainer, die nach Einstellung durch den DLV nach der Wende nun um ihre Weiterbeschäftigung kämpfen.

Doch genau das von ihnen zur Legitimation ihrer früheren Tätigkeit vorgestellte ‚hierarchische’ Sportsystem widerspricht diametral dem Grundgedanken des vor knapp 60 Jahren gegründeten bundesdeutschen Sportsystems. Es gibt keinen Grund von den Grundsätzen des ‚freien Sport’ Abstand zu nehmen. Die beiden Systeme sind unvereinbar.

Dass staatliche Repression Regeln des Sports aushebelt, wird weltweit abgelehnt, weil es einen freien, humanen, internationalen Sportverkehr unmöglich macht.

Was die fünf Trainer als Begründung für ihren Einsatz von Dopingmittel bei ihrer früheren Trainertätigkeit angeben haben, entschuldigt sie nach unserem Sportverständnis nicht. Es ist, eine „Erklärung“, die in dieser Form jeder Weiterbeschäftigung im Wege steht.

Mir ist es völlig unverständlich, dass nach fast zwanzigjähriger Tätigkeit beim DLV, der bisherige Arbeitgeber, der ja auch ein Interesse an Weiterbeschäftigung hat, offensichtlich nicht in der Lage war, in Kooperation eine Erklärung auszuformulieren, die dem Grundgedanken des Sports in der Bundesrepublik, vor allem aber dem Standard eines freien, humanen, internationalen Sports verpflichtet ist. Nur so ließe sich zukünftige Arbeit im DLV begründen.

Das Versagen des Deutschen Leichtathletikverbandes seinen angestellten Trainern gegenüber entspricht exakt seinem Versagen in der Dopingbekämpfung seit den 70er Jahren.

Dasselbe Versagen kennzeichnet auch die Übernahme der ehemaligen DDR-Trainer, die zum großen Teil im Widerspruch zu den Empfehlungen der Reiter- und der Richthofen-Kommissionen eingestellt worden waren. Entweder war sich der bundesdeutsche Sport damals seiner freiheitlichen Grundordnung und den sich daraus erwachsenen Pflichten nicht bewusst (warum?) oder er hat sich wegen eines schnellen, vermeintlichen Erfolgs selber korrumpiert.

Organisierte Unverantwortlichkeit belegen auch die in den 90er Jahren zur Trainereinstellung zusätzlich eingesetzten ‚eigenen Juristenkommissionen’, die den Verdacht nähren, eine spätere Überprüfbarkeit zu verhindern.

Der Deutsche Leichtathletikverband täte gut daran, seine Einstellungsmodalitäten der 90er Jahre offen zu legen. Diese Möglichkeit hat nur der freie Sport, denn der Staat alimentiert ihn auf Treu und Glauben. Unterlässt er es, kostet das ihn am Ende seine Freiheit. Auch Sponsoren machen abhängig!

«Es gab auch im Westen Trainer, die in Doping‐Praktiken verwickelt waren, und die sich nie diesen Kommissionen stellen mussten wie ihre Kollegen im Osten. Bei ihnen wurde einfach die Weiterverwendung als Gott gegeben akzeptiert», stellte Prokop fest.

Ihr Appell, sehr geehrter Herr Präsident, blendet Ihre eigene Verantwortlichkeit als Vertreter des DLV ausdrücklich aus. Denn wer anders als der DLV, ein freier Spitzenfachverband, könnte West-Bundestrainer vor ‚Kommissionen’ bringen, um deren Weiterverwendung nicht dem lieben Gott zu überlassen, sondern in eigener Verantwortung darüber zu entscheiden.

Wollen Sie als Repräsentant des DLV diese Verantwortung aus den Händen geben?

Die Beschäftigung von Trainern aus Ost und West nach der Vereinigung begann nach seiner Ansicht «mit einer doppelten Ungerechtigkeit». Zum einen seien die Leiden der Opfer unzureichend berücksichtigt worden. Zum anderen wurden die Vorgänge im Westen völlig ausgeblendet.

Es ist bedrückend, wenn ein freier Verband auf der einen Seite die Unordnung im eigenen Haus beklagt und auf der anderen Seite, nachdem er nach einem Deal Fachwissen in jeder Hinsicht abgeschöpft hat, Krokodilstränen darüber weint, dass dabei etwas auf der Strecke geblieben ist.

Es tut mir leid, Herr Präsident, Ihr Appell ist nicht nur eine Nebelkerze, er ist ein Rohrkrepierer.

Er ist ein Dokument des Versagens der Selbstverwaltung des freien Sports in Deutschland.

Mit freundlichen Grüßen

(Hansjörg Kofink)
Rottenburg, am 25. April 2009

Anlage: 1
Kopie: DOSB, WDR

Antwort von Clemens Prokop vom 4.5.2009

Aus diesem ersten Offenen Brief von Hansjörg Kofink entwickelte sich folgender Briefwechsel:

Am 4.5.2009 antwortete Clemens Prokop:

Er habe das Schreiben gelesen, doch bliebe ihm das Anliegen unklar. Kofink blende „Probleme der juristischen Realisierbarkeit von moralischen Ansprüchen aus“ und lasse, „trotz unverkennbaren Engagements in dieser Angelegenheit, kein Konzept für eine Vergangenheitsbewältigung erkennen“.

Die Komplexität der Angelegenheit sieht Prokop am Beispiel von Rüdiger Nickel gegeben, der von Kofink als kompromissloser Antidopingkämpfer bezeichnet wurde, andererseits aber von 1993-2004 als Sportwart/Vizepräsident Leistungssport für die Verlängerung der Verträge mit ehemaligen DDR-Trainern sachlich verantwortlich gewesen sei.

Prokop beklagt zudem, dass sich Kofink nicht auf eine Darstellung der Vergangenheit beschränkt habe sondern

„bedenkliche Polemik“ verbreite. Kofinks Aussage „das Versagen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes seinen angestellten Trainern gegenüber entspricht exakt seinem Versagen in der Dopingbekämpfung seit den 70er Jahren“ zeuge laut Prokop „entweder von erschreckenden Unkenntnis der Anti-Dopingaktivitäten des DLV seit 1993 oder ist Ausdruck dafür, dass [er] mit diesem Schreiben nur „Emotionen loswerden“ wollte. Letztere Vermutung wird verstärkt durch die gekennzeichnete Kopie an DOSB und WDR: Sollte diese Vermutung zutreffend sein, hat sich unsere Kommunikation mit der Kenntnisnahme Ihres Schreibens wohl erledigt.“

Sollte es Kofink aber an einer sachorientierten Diskussion gelegen sein, werde er „gerne erläutern, warum die Vergangenheitsbewältigung aus [seiner] Sicht die aktive Einbindung der in der Vergangenheit Handelnden erfordert“ und warum letztendlich die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit nur auf der Ebene des DOSB möglich sei. Solch ein Gespräch könne während der Deutschen Meisterschaften in Ulm stattfinden.