Kronzeugenregelung

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Kronzeugenregelung

STAND 2021

Die Aufnahme einer Kronzeugenregelung in das Anti-Doping-Gesetz war von Beginn an sehr umstritten. Eine Mehrheit verhinderte dies, doch deren Meinung änderte sich nach wenigen Jahren.

Anfang Dezember 2020 wurde der erste Evaluationsbericht zum Deutschen Anti-Dopinggesetz vorgestellt. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Schnell wurde wieder der Ruf nach einer Kronzeugenregelung laut, so als könne damit der Erfolgsmangel zügig überwunden werden.
>>> Evaluierungsbericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen der im Anti-Doping-Gesetz enthaltenen straf-und strafverfahrensrechtlichen Regelungen

Eine breite öffentliche Diskussion fand hierzu nicht statt.
Siehe auch >>> doping-archiv.de: 2020 Bericht Evaluierung Anti-Doping-Gesetz

Es kam dann recht zügig zu einer Erweiterung des Gesetzes. Eine spezifische Kronzeugenregelung für den Anti-Dopingkampf galt nun als vielversprechendes letztes Mittel gegen die Erfolglosigkeit des Gesetzes.

Bundestag und Bundesrat stimmten der Ergänzung des Anti-Doping-Gesetzes um eine Kronzeugenregelung zu.

Dt. Bundestag: Aufnahme einer Kronzeugenregelung in das Anti-Doping-Gesetz, 10.6.2021
Bundesrat: Bundesrat billigt Kronzeugenregelung im Anti-Doping-Gesetz, 25.6.2021

DIE LANGE DISKUSSION UM EINE KRONZEUGENREGELUNG IM AntiDopG

Die Kronzeugenregelung fehlte in dem neuen Gesetz von 2015. Sie wurde aber in der Stellungnahme der Ausschüsse des Bundesrates zur Prüfung empfohlen. In einer Pressemitteilung über die Diskussion im Sportausschuss am 10.6.2015 heißt es hierzu:

Während einer ersten Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfes für ein Anti-Doping Gesetz (18/4898) machte ein Vertreter des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) deutlich, auf eine Kronzeugenregelung in der Vorlage verzichten zu wollen. Eine solche war zuvor seitens der SPD-Fraktion ins Spiel gebracht worden mit der Verweis, dass eine solche Regelung in anderen Rechtsgebieten erfolgreich angewendet werde. Die Bundesregierung halte die Einführung einer expliziten Kronzeugenregelung im Anti-Doping Gesetz für nicht nötig, stellte der Ministeriumsvertreter klar. Das Strafgesetzbuch sehe eine solche Regelung im Falle der organisierten Kriminalität vor, was auch bei Dopingfällen gelten könne. (PM Dt. Bundestag, 10.6.2015)

Kriminologe Prof. Dieter Rössner definierte den Begriff Kronzeugenregelung kurz und verständlich:

Grundsätzlich versteht man unter einem Kronzeugen den Täter oder Teilnehmer einer Straftat, der über den eigenen Tatbeitrag hinaus aussagt und so die Aufklärung begangener Taten oder die Verhinderung zukünftiger Taten fördert. Als Gegenleistung wird dem Kronzeugen zugesichert, dass er nicht oder nur wegen einer milderen Straftat angeklagt wird.

Als Vorbild für eine Aufnahme in die Antidopinggesetzgebung galt häufig die Regelung in §31 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG).

Das Sportrecht sieht bereits eine Kronzeugenregelung vor.

Zu unterscheiden sind Kronzeugen von Whistle-Blowern. Rössner schreibt:

Unter einem „Whistle-Blower“ versteht man allgemein Personen, die aus ethischen, moralischen oder persönlichen Gründen strafrechtlich relevante Sachverhalte aus internen Organisationen bekannt machen, die intern wegen fehlender Kontrolle und möglicherweise wegen Beteiligung anderer Mitglieder dieser Organisation an den kriminellen Handlungen nicht aufgedeckt bzw. „vertuscht“ werden. (Rössner, 2008)

Pro-Argumente Kronzeugenregelung

Die Rechtskommission des DSB erachtete in Vorbereitung der Novellierung des AMG 2006 vor dem Hintergrund der bestehenden Rechtslage und gewünschten Anforderungen die Aufnahme einer Kronzeugenregelung für überflüssig. Der Gesetzgeber schloss sich dieser Argumentation an.

„Die Einführung einer Kronzeugenregelung im Bereich staatlicher Strafverfahren im Zusammenhang mit Doping kommt im Ergebnis nicht in Betracht. Dagegen sprechen praktische Erwägungen, insbesondere, dass die zu erwartenden Strafen so gering sind, dass eine Straferleichterung für den Kronzeugen nur wenig anreizvoll sein dürften. Die Kronzeugenregelungen des WADA- und des NADA-Code werden insoweit für ausreichend erachtet.“

Damit war die Forderung aber nicht vom Tisch. Allen Befürwortern einer Kronzeugenregelung ist die Hoffnung gemeinsam, damit die geschlossenen Fronten, das Schweigen der Sportszenen aufbrechen zu können.

Die Bayrische Landesregierung hatte in ihren Gesetzentwurf von 2006 die Forderung nach einer Kronzeugenregelung aufgenommen. Die Begründung ist kurz:

Nach dem Vorbild des § 31 BtMG soll auch für Straftaten im Sinne des Anti-Doping-Gesetzes eine sog. „kleine“ Kronzeugenregelung geschaffen werden. Dies berücksichtigt den Umstand, dass im Dopingbereich konspirative Verflechtungen nach der Art der Organisierten Kriminalität anzutreffen sind, womit ein Bedürfnis besteht, die Verflechtungen durch die Honorierung von Kooperationsbereitschaft aufzubrechen. Die Regelung soll vor allem involvierten Sportlern einen Anreiz bieten, bei der Überführung der Drahtzieher mitzuhelfen. …

Im Referentenentwurf von 2009 fehlt diese Forderung. Im Gesetzesentwurf von 2012 ist sie wieder aufgenommen. Eine mögliche Wirkungslosigkeit, Nichtinanspruchnahme aufgrund bestehender geringer Strafen für Dopingvergehen wird nach Meinung der Autoren durch die im Entwurf vorgesehene stark erhöhten Strafmaße vermieden.

Die Erfahrungen der Praxis haben gezeigt, wie schwierig es ist, aus der Szene des Profisports Hinweise und Informationen zu bekommen. Doping im Spitzensport spielt sich in einem abgeschotteten Bereich ab. Das fehlende Unrechtsbewusstsein innerhalb der Szene, die Abkapselung gegenüber der als feindlich angesehenen Außenwelt sowie die vorherr-schende Angst, als „Verräter“ in die Isolation verbannt und der Existenz beraubt zu werden, erschwert es den Ermittlungsbehörden, Kontakte zu Informanten herstellen und diese auch für verfahrensverwertbare Hinweise nutzen zu können.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die für die sportgerichtlichen Verfahren zur Verfügung stehende Kronzeugenregelung in Artikel 10 des NADA-Codes (Substanzielle Hilfe bei der Aufdeckung oder dem Nachweis eines Verstoßes gegen Anti-Doping-Bestimmungen) jedenfalls strafprozessual nicht die erwünschten Erfolge bringt. Nach Art. 10.5.3 NADA-Code kann eine verhängte Sperre (unter bestimmten Einschränkungen hinsichtlich der Länge) ausgesetzt werden, wenn der betroffene Athlet substanzielle Hilfe geleistet hat, auf Grund derer die Anti-Doping-Organisation einen Verstoß gegen Anti-Doping-Bestimmungen einer anderen Person aufdeckt oder nachweist oder auf Grund derer eine Strafverfolgungsbehörde oder ein Berufs-Disziplinargericht eine Straftat oder den Verstoß gegen Berufstandsregeln einer anderen Person aufdeckt oder nachweist. Eine Kombination dieser sportgerichtlichen Vergünstigungsoption mit einer strafrechtlichen Kronzeugenregelung verspricht den best-möglichen Anreiz für Athleten, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Von einer Kronzeugenregelung vergleichbar § 31 BtMG wird zudem eine nicht zu unter-schätzende Signalwirkung ausgehen.

Die Initiative der Landesregierung von Baden-Württemberg in 2013 sah ebenso wie die des Deutschen Leichtathletenverbandes (DLV) 2012 eine Kronzeugenregelung vor. Der DLV schreibt:

Die Einführung einer Kronzeugenregelung rundet das Instrumentarium ab und ist der Weg, die Mauer des Schweigens im Hochleistungssport zu durchbrechen. Gerade in Kombination mit den sportrechtlichen Möglichkeiten des WADA- bzw. Nada-Codes, Sanktionen zu mildern, verspricht sie den erfolgversprechendsten Anreiz für Athleten, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren.

Die Landesregierung Baden-Württemberg begründete eine Einführung wie folgt:

Die Erfahrungen der Strafverfolgungspraxis zeigen, dass sich das Doping und insbesondere auch der strafbare Umgang mit Dopingmitteln ganz überwiegend in einem nach außen abgeschotteten Milieu abspielen. Ansatzpunkte für Ermittlungen und tragfähige Beweismittel zur Überführung der Täter sind nur schwer zu gewinnen. Dem kann in gewissem Umfang durch eine Kronzeugenregelung abgeholfen werden, die einen Anreiz zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden bietet.

Auch der SPD-Entwurf von 2013 sah eine Kronzeugenregelung vor:

Gerade im Bereich internationaler Netzwerke, wie sie beim ungesetzlichen Handel mit Medikamenten und Dopingsubstanzen nicht selten vorkommen, könnte eine

Kronzeugenregelung helfen, um in die Organisationsstrukturen dieser Netzwerke einzudringen. Diesen Strukturen ist immanent, dass sie sich nach außen systematisch abschotten und damit schwer zugänglich sind.

Auf der Basis der Regelung des § 31 BtMG konnten internationale Netzwerke des Drogenhandels enttarnt werden. Zudem konnten bereits in einigen sportrechtlichen Dopingverfahren aufgrund der Anwendung von Privilegierungen für „aussagewillige“ Sportler wichtige Informationen über das hinter dem Dopenden liegende System ermittelt werden.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Effekt einer Kronzeugenregelung nicht nur im repressiven, sondern gerade auch im präventiven Bereich liegen kann, da für das Netzwerk die Gefahr einer Aussage eines seiner Mitglieder deutlich erhöht wird.

Auch nach Dieter Rössler hätte die Kronzeugenregelung einige Vorteile. Sie könnte dabei helfen, bestehende Strafregelungen besser durchzusetzen und damit das häufig beklagte Vollzugsdefizit entschärfen. Sie konnte auch präventiv wirken in dem Sinne, dass die Furcht vor möglichen Aussagen Straftaten verhindern.

„Dieser Effekt wirkt sich vor allem dann aus, wenn es sich um einen geschlossenen Kreis von Tätern und Mitwissern handelt. Eine solche Gruppierung braucht für ein systematisches Begehen von Regelverstößen ein hohes Maß an Sicherheit, dass der Einzelne unentdeckt bleibt und nicht belangt wird. Die dazu erforderliche Solidarität unter den Gruppenmitgliedern fördert die Bereitschaft der Tatbegehung. Anzuknüpfen ist daher an eine Kronzeugenregelung als ein Mittel, dieses Grundvertrauen zu zerstören.“

Rössner diskutierte  in diesem Text von 2008 die Vor- und Nachteile einer Kronzeugenregelung, allerdings noch vor dem Hintergrund der alten StGB-Regelung.
2013 führte Rössler (Expertengespräch, S. 47) aus:

Im Übrigen sind die angesprochenen Aspekte schweigender Betei-ligter bezogen auf ein Umfeld der Partner im kriminellen Handeln, wie dies beim Doping der Fall ist, nur über eine Kronzeugenregelung zu lösen.

Das Hauptproblem der Ermittlungen gegen Doping liegt nicht in irgendwelchen rechtlichen Aussageverweigerungsrechten, sondern die Ermittlungen über Zeugenaussagen sind in einem Milieu des Schweigens wie sie die funktionie-rende Dopingszene darstellt faktisch kaum über Zeugenaussagen zu führen, sondern allein durch (verdeckte) Ermittlungsmethoden. Es gibt hier nicht quasi einen außen stehenden Täter und ein mehr oder weniger hilfloses Opfer, sondern Umfeld und Athlet sind Partner im Verbrechen – die übliche Konstellation bei der Korruption. Da Doping im Einverständnis und regelmäßig gleichlaufen-den Interessen aller Beteiligten stattfindet, handelt es sich um ein klassisches Kontrolldelikt, das nicht durch Anzeigen und Aussagen von Beteiligten und Opfern sondern nur durch außengesteuerte und eindringende Ermittlungsme-thoden aufzudecken ist – wie es bei den Delikten gegen den unlauteren Wett-bewerb in der Wirtschaft (§§ 298, 299 StGB) erfolgreich vorgemacht wird. Da nur bei einer Kriminalisierung des Eigendopings die allein erfolgversprechenden strafprozessualen Ermittlungsmethoden möglich sind, gehen die Einwände an der Realität vorbei und sind jedenfalls in einer Kronzeugenregelung aufzufangen. Staatliche Verfolgung des Eigendopings ist in der Lage, das System „Doping“ in der Breite zu erfassen. So besteht natürlich für die Sportverbände die Gefahr eines Imageverlustes durch entsprechend breite, von außen gesteuerte Aufdeckungen.

Markus Müller (Expertengespräch, S. 56) sah in einer Zusatzregelung ebenfalls Vorteile:

Die Erfahrungen der staatsanwaltschaftlichen Praxis im Rahmen der Schwerpunktzuständigkeit zeigen, dass es sehr schwierig ist, aus der Szene des Spitzensports Hinweise und Informationen zu bekommen. Es handelt sich um einen komplett abgeschotteten Bereich, weitgehend fehlt Unrechtseinsicht und Personen, die ausnahmsweise Dopingpraktiken aufdecken, werden aus der „Sportgemeinschaft“ ausgeschlossen und ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt.

Die bestehende Kronzeugenregelung des § 46b StGB hat nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich. Sie honoriert ausschließlich Aufklärungshilfe von Tätern, denen selbst eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe droht. Dies gilt nur für Personen, die selbst ein Regelbeispiel gem. § 95 Abs. 3 StPO (z.B. gewerbsmäßiges Inverkehrbringen) verwirklicht haben. Damit fällt der dopende Sportler, mithin die Zentralgestalt des Dopingsystems, als Informationsgeber von vornherein aus, da er (allenfalls) das Grunddelikt aus § 95 Abs. 1 Nr. 2b AMG (Besitz oder Erwerb in nicht geringer Menge) begangen hat.

Eine der Regelung in § 31 BtMG nachgebildete Kronzeugenregelung würde diese Lücke der Honorierung von Aufklärungshilfe auf Sportlerseite schließen.

Die Signalwirkung gegenüber aufklärungsbereiten Sportlern wäre erheblich. Aus staatsanwaltschaftlicher Vernehmungspraxis sind Hinweise auf allgemeine Strafzumessungsgrundsätze i.S.v. § 46 StGB oder mögliche Ermessenseinstellungen gem. §§ 153 ff StPO gegenüber juristisch in der Regel nicht vorgebildeten Sportlern wenig geeignet, die Aussagebereitschaft zu erhöhen.
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März 2019
Staatsanwalt Kai Gräber, München, anlässlich der Operation Aderlass:

Aber die Kronzeugenregelung würde in meinen Augen eine Chance darstellen, dass die Strafverfolgungsbehörden eine schnellere Handhabe bekommen. Weil es nicht einfach ist, an solche Fälle im Hochleistungssport heranzukommen. Die Tage, in denen Autos mit einem Kofferraum voller Ampullen durch die Republik fahren, sind vorbei. Die Kronzeugenregelung ist ein wichtiges Instrument, welches noch fehlt. Was insofern auch ungerecht ist: Der Hintermann, der das gewerbsmäßig betreibt, der hat die Möglichkeit, sich eine Strafmilderung zu verschaffen, das ist im Strafgesetzbuch geregelt. Aber der Sportler nicht. Der Fall zeigt eigentlich, wie effektiv Doping-Ermittlung im Bereich der Strafverfolgung ist. Mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, ist es möglich, so eine Aktion durchzuführen. Weil man Informationsgewinnung betreiben kann, die solche erfolgreichen Aktionen erlauben. Es wäre wünschenswert, wenn Strafverfolger des Öfteren mal mit solchen Informationen versorgt werden. Weil man dann auch die Hintermänner heranziehen kann.
(FAZ, 3.3.2019)

>>> Operation Aderlass

Dieter Maihold, Richter am Bundes-Gerichtshof, erläuterte am 30. Januar 2013 vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages in einer Stellungnahme ‚Strategien und Instrumente zivil- und verbandsrechtlicher Dopingverfahren in Deutschland‘ seine Einschätzung zur Kronzeugenregelung.

Die praktische Rechtsentwicklung ist über die vielfältigen Bedenken hinweggegangen. Die Kronzeugenregelung hat sich zumal im Betäubungsmittelstrafrecht zu einem unentbehrlichen, überaus wirksamen Aufklärungsinstrument entwickelt.

Ob die Gefährdung des Freizeit-, Leistungs- und Spitzensports durch eine sich über alle Ebenen sportlicher Betätigung ausbreitende Dopingpraxls (vg!. neuerdings Striegel, Doping im Breiten- und Freizeitsport, in Vieweg, Akzente des Sportrechts, 2012, S. 31 ff.) gemeinschaftswichtige Rechtsgüter in einem solchen Maße gefährdet, dass nicht nur in der Verbandsgerichtsbarkeit, sondern auch bei staatlicher Strafverfolgung der Einsatz von Kronzeugen zugelassen werden sollte, ist eine gesellschaftspolitische Fragestellung. Abzuwägen sind die o.g, Einbußen an materieller Rechtsgewähr gegen den m.E. unbestreitbaren Gewinn an Effizienz der Strafverfolgung, der sich gerade bei der Bekämpfung geschlossener und verfestigter Vertriebsorganisationen zeigen würde.

c) Vorteile für Verbandsverfahren

Verbandsrechtliche Dopingermittlungen und nachfolgende Verfahren vor den Verbands- oder Schiedsgerichten würden mit hoher Wahrscheinlichkeit von den erweiterten Aufklärungsmöglichkeiten, die eine Kronzeugenregelung eröffnet wurde, profitieren. Wenn es gelänge, belastbare Informationen über geschlossene Vertriebs- und Organisationsstrukturen zu erhalten, könnte vermutlich ein Vielzahl von Dopingvergehen aufgedeckt werden, die – möglicherweise wegen gut strukturierte „Betreuung“ der Sportler mithilfe des etablierten Überwachungssystems nicht erfasst werden, Das könnte gerade den Bereich des Spitzensports betreffen, in. dem die finanziellen und personellen Ressourcen vorhanden sein dürfen, um eine erfolgreiche und dauerhafte Struktur zur Verdeckung von Doping zu organisieren.

CONTRA-ARGUMENTE KRONZEUGENREGELUNG

Prof. Matthias Jahn, der federführend an den Novellierungen des Antidopinggesetzes 2007 und 2012 im Rahmen des AMG mitgewirkt hat, sprach sich 2007 als Gutachter gegen eine Kronzeugenregelung aus. Nach der 2007 geltenden Fassung wäre eine sog. ‚kleine Kronzeugenregelung‘ für Dopingdelikte möglich gewesen (entsprechend § 31 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG)). Für Jahn stellt sich in diesem Falle u. a. die Frage, ob die Kronzeugenregelung rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt. Zudem bezweifelt er die Wirksamkeit bei den geringen Strafmaßen, die für Dopingdelikte gelten und schloss sich damit der Argumentation der DSB-Rechtskommission an (s.o.).

Ähnlich argumentierten einige Experten in der Expertenanhörung vom 26.9.2013, zu der das BMI eingeladen hatte.

Hansjörg Geiger (Expertengespräch, S. 55):

Die „Kronzeugenregelung“ ist, wie allgemein bekannt, schon heute umstritten, obgleich diese nur für schwerste Kriminalität gedacht war. Gegen eine Kronzeugenregelung im Bereich des Sports, die den dopenden Sportler begünstigen soll, spricht zudem, dass im Sport auch zwischen Sportlern ein „sportliches“ Vertrauensverhältnis bestehen sollte. Eine solche Kronzeugenregelung würde m. E. gegen den Sportsgeist verstoßen. Schließlich dürften die zu erwartenden Strafen bei Sportlern, die geringe Mengen an derartigen Substanzen besitzen, in aller Regel sehr gering sein. Eine „Kronzeugenregelung“ würde deshalb auch kaum einen besonderen Anreiz geben, Dritte zu belasten. Sollte es hingegen Lücken bei der Kronzeugenregelung bezüglich Produktion, Ein-fuhr oder Vertrieb durch die Organisierte Kriminalität geben, wären diese zu schließen. Das beträfe aber nicht das Eigendoping von Sportlern.

Arthur Kreuzer (Expertengespräch, S. 55):

Kronzeugenregelungen haben nachteilige Wirkungen für die Rechtsordnung und deren Akzeptanz. Sie müssen deswegen zumindest auf schwere Kriminalität beschränkt bleiben. Diese wird allenfalls im Bereich organisierten Do-pings zu finden sein. Der Vergleich zu § 31 BTMG [etäubungsmittelgesetz] wird gelegentlich bemüht. Unsere Dunkelfeld-Untersuchungen im Bereich des BTMG haben aber gezeigt, dass verlässliche und ergiebige Angaben beschuldigter Konsumenten sehr selten sind, weil auf sie erheblicher Druck seitens Betroffener in der Drogenszene ausgeübt wird. Das führt regelmäßig zu unbrauchbaren Angaben, zu Falschbezichtigungen, allenfalls zu brauchbaren Hinweisen auf „kleine Fische“. Ähnliches dürfte bei einer Ausweitung der Regelung auf das Gebiet des Sportdoping zu erwarten sein. Ohnehin dürfte die Hintergrund-Szene von Sportdoping anders strukturiert sein als die im Bereich des Drogenhandels. Dies schon deswegen, weil zahlreiche Dopingstoffe legal als Medikamente hergestellt und im Markt vertrieben werden. Dazu kommen dürften Einzel-personen mit hohem Prestige, die ihre Befugnisse illegal, aber schwer erkennbar missbrauchen. Das ist keine großangelegte „Szene“. Man denke an einzelne Ärzte oder Wissenschaftler, die speziell Einfluss nehmen auf das Sportdoping.