Doping: Lowenstein: Sport und Kokain

Die Rolle der Ärzte im Dopingkomplex und Suchtproblematik

Doping, Sucht und Sportmedizin:
Krankheit Kokainabhängigkeit

Dr. William Lowenstein, französischer Suchtexperte, hat unter seinen Patienten viele ehemalige Leistungssportler, etliche sind kokainabhängig. Pantani und Maradona sind keine Einzelfälle.

In einem Artikel von le Monde ‚Sport et cocaïne, les liaisons dangereuses‘ vom 10.11.2004 geht er auf die Frage ein, ob und warum Kokain eine Droge ist, die für Sportler eine besondere Attraktivität besitzt.

Etwas allgemeiner wird das Suchtproblem bei Leistungssportlern von Lowenstein in dem Beitrag >>> ‚Ein Plädoyer für Prävention und Hilfsangebote‘, hier zusammengefasst und auf doping-archiv.de nachzulesen, behandelt. Da lauten die Fragen:

„Wie lassen sich die gesundheitlichen Gefahren, die mit den (Doping-)Praktiken einhergehen, verhindern, heilen und reduzieren? Wie können diese Gesundheitsmaßnahmen in den repressiven Kampf gegen Doping eingebunden bzw. auch unabhängig davon gestaltet werden“.

William Lowenstein ist Direktor der Pariser Klinik Montevideo, Institut Baron-Maurice-de-Rothschild, für Sucht-Forschung und -Behandlung, Mitglied des nationalen Rates zu Aids und der Gruppe Zukunftsorientierung (?) des ‚Rates zur Prävention und Kampf gegen Doping’ (CPLD) (Stand 2004).

SPORT UND KOKAIN, EINE GEFÄHRLICHE VERBINDUNG

Marco Pantani, Diego Maradona, Adrian Mutu … Wie erklären sie sich die gefährlichen Verbindungen zwischen Sportlern und Kokain?
Der erste Teil der Antwort bezieht sich auf das Image des Kokain. Ein Image, dass an Stars gebunden ist, an Publicity oder die ‚golden boys’. Ein Gewinner-Image, das z. B. Heroin nicht hat. Kokain gehört zum Nachtleben und zum show-biz, Milieus, in welche die Sportler mehr und mehr eingeladen werden. Man stellt auch eine Annäherung an die Welt der Mannequins fest, ebenfalls eine spezielle Szene, in der Kokain eine der am häufigsten zu findenden Substanzen ist.

Gibt es noch weitere Faktoren, die den Kokain-Konsum bei Sportlern erklären?
Die Eigenschaften des Kokain selbst: die vom Konsumenten als positiv bewerteten Wirkungen wie Dynamik, Euphorie, Verringerung von Müdigkeit, aber auch das Gefühl der Mega-Allmacht. Kokain macht einen im Kopf zum Helden, der die anderen hinwegfegt. Das was einem ermöglicht, sich vor 2000 Personen zu präsentieren, ermöglicht es einem auch sich als Leader einer Gruppe oder im Leben anzusehen. Kokain gibt einem die Fähigkeit andere zu dominieren, Hemmungen anderen gegenüber zu verlieren. Es hilft extreme Situationen zu ertragen.

Die Laufbahn Madadona’s ist hierfür absolut typisch: Der  einfache Junge wird zum Gott! Man muss psychisch sehr stabil sein, um Situationen solch einer Starwerdung ertragen zu können. Das ist bei den meisten Sportlern, die durch intensive sportliche Aktivitäten ihrer Jugend beraubt wurden, nicht der Fall. Das Berühmtwerden verändert die Lebensweise dermaßen, dass alle Substanzen, die diese Wechsel erträglicher machen, Eingang finden.

Die letzte Erklärung, eine neurobiologische, betrifft die (körperliche) Bewegung. Wo Heroin und auch Alkohol verlangsament wirken oder das Gleichgewicht stören, verbessert Kokain die Fähigkeiten. Sportlern, für die die tägliche Bewegung definitionsgemäß eines der wichtigsten Dinge im Leben ist, bietet sich diese Substanz an. Kokain empfiehlt sich für die Gefühls-, die Erfolgs- und die Bewegungsebene der Sportler.

Weshalb spricht der Hochleistungssportler besonders auf diese Suchtformen an?
Zuerst, die Charakteristiken eines Champions sind mehr und mehr vergleichbar mit denen, die ich bei meinen abhängigen Patienten vorfinde: Hypersensibilität und Hyperaktivität. Qualitäten, die auch sehr verwundbar machen, da sie im täglichen Leben nur schwer zu ertragen sind. Und dann macht es mich immer noch perplex zu sehen, welchen Dingen sich die zukünftigen Champions während ihrer jungen Jahre aussetzen.

Die Adoleszenz ist eine Periode neurobiologischer Umwälzungen, die Beziehungs- und Erregbarkeitsprobleme mit sich bringt. Wenn Anstrengungen und Leiden, die zum Leben eines Leistungssportlers gehören, diese Periode bestimmen, können die jungen Menschen sich nicht vollständig entwickeln. Der Wechsel vom Trainingsraum mit einem Feldwebel, der sie auf die Seite eins der Zeitungen schreit, mit einem Gehalt von 100 000 Euro pro Monat hinein ins Nachtclubleben mit Mannequins, die hinzukommen: Das sind emotionale Schocks, Planetenwechsel, auf die sie nicht vorbereitet sind. Der brutalste Wechsel ist das Karriereende: Körper und Geist sind genauso durcheinander wie bei einem Raumfahrer, der zur Erde zurückkehrt.

Von da an kann die geringste Berührung mit den Produkten – vor allem wenn bereits während der Karriere danach gegriffen wurde – dazu führen, dass der schnelle chemische Weg eingeschlagen wird, um die Veränderungen erträglich zu machen.

Begünstigt die Einnahme von Dopingmitteln die Hinwendung zu Kokain?
Das ist ein verstärkender Faktor. Aber zu meiner größten Überraschung zeigte eine nationale Studie, die wir zwischen 1999 und 2000 durchführten, dass die Mehrheit der Sportler nicht über den Dopingweg abhängig geworden waren. Aber diese Studie befasste sich mit Praktiken zu Anfang der Jahre 1990. Seither haben sich Produkte wie EPO, Wachstumshormone und die neuen, nicht nachweisbaren Corticoide im gesamten Sport   ausgebreitet. Heute führen die benutzten Produkte – wie die Corticoide – zu Störungen, die denen gleichen, die durch Kokain hervorgerufen werden. Auch wenn sie sich zeitlich etwas länger hinziehen, haben sie doch dieselbe Stärke. Man spricht oft von physischen und somatischen Effekten der Corticoide, aber ihre psychologischen sind wirklich destabilisierend und da euphorisierend und stimulierend, sehr suchtfördernd.

Birgt die intensive sportliche Betätigung die Gefahr in sich süchtig zu werden?
Die Studien von Professor Roland Jouvent, Forscher am CNRS (Centre national de la recherche scientifique), zeigen gut, dass, je mehr das physische Training eines Menschen erhöht wird, desto stärker steigt das Verlangen nach Produkten wie Amphetaminen oder Kokain. Denn die wiederholten intensiven Bewegungen wirken sich auf Gehirnregionen aus, die nahe denen liegen, die unser Verlangen nach Substanzen steuern.

Und unser Bewegungsgedächtnis liegt zudem, geographisch gesehen, dem Vergnügungsgedächtnis sehr nahe. All dies, da gebunden an die tägliche Hyper-Bewegung, wird sich in einer (Gehirn-)Region bemerkbar machen, die auch für Befriedigung und Belohnung zuständig ist. Das ist der Grund weshalb es dem Sportler so schlecht geht, wenn er aufhört.

Ist der Leistungssportler ein Kranker, der das ignoriert?
Die Sucht ist eine echte Krankheit des Gehirns im neurobiologischen Sinn. Marco Pantani starb, weil man nicht bereit war, ihn als Kranken zu sehen. Einen Sportler dahin zu bringen, dass er sich in Behandlung begibt, ist noch viel schwieriger als bei anderen Drogenabhängigen oder AIDS-Kranken.

Die Kokainabhängigkeit wird noch nicht als (normale) Krankheit angesehen, sondern als eine der man sich zu schämen hat. Und sie ist für einen Sportler, der immer zu gewinnen hat,  noch schmachvoller.

Wozu raten Sie?
Man muss anerkennen, dass die sportliche Praxis eine Praxis mit Risiken ist. Neben der repressiven Schiene im Kampf gegen Doping, muss eine Schutzschiene entwickelt werden, besonders für die Zeit am Ende der Karriere, die ein Risiko im Lebensweg einer gewissen Anzahl verwundbarer Sportler darstellt. Der CPLD – Rat zur Prävention und zum Kampf gegen Doping – sollte eine nationale Kommission einrichten, die am Schutz der Sportler vor, während und nach ihrer Karriere arbeitet. Es ist unwürdig, dass wir unsere Sportler nicht stärker schützen. Yannick Noah sagte eines Tages, dass eine Medaille das Leben nicht aufwiegt. Leider ist das in der Realität die Ausnahme.

Gespräch geführt von Stéphane Mandard

weitere Artike zum Thema

le Monde, 11.5.2009: Lowenstein: Le champion est un „bon client“ pour la cocaïne

Andreas Singler, Sportwissenschaftler, freier Journalist und Dopingpräventionsexperte, 3.11.2007:
Zwischen Doping und Sucht

Der Zusammenhang zwischen Sport und Sucht wird auch hier angesprochen:
doping-archiv.de: Doping und Tod, Teil 4: Suchtgefahr