DSLV, Doping Spitzensport SU 8/1994

BRD / DDR – Vergangenheit

1994 Deutscher Sportlehrerverband:
Doping im Spitzensport

DEUTSCHER SPORTLEHRERVERBAND
im April 1994 erschienen in

sportunterricht, Schorndorf, 43 (1994), Heft 8, S.352f

Doping im Spitzensport

Der DEUTSCHE SPORTLEHRERVERBAND ist tief besorgt darüber, daß in der Gesell¬schaft von heute und vor allem bei Heranwachsenden Spitzensport und Doping zunehmend als ein notwendiges Bedingungsgefüge gesehen werden. Dabei ist es weniger die Zahl der Dopingfälle in den unterschiedlichsten Sportarten, es ist die Dreistigkeit, mit der das Übertreten der selbstgewählten Gesetze der Öffentlichkeit erklärt wird. Damit verfestigt sich letztendlich der Eindruck, daß ohne ‚UM‘ (= unterstützende Mittel) – so wurden bereits 1973 „anabole Steroide Präparate“ in einer ‚Vertraulichen Dienstsache‘ des DVfL genannt – und ohne ‚Substitution‘ – eine sportmedizinische Begriffshülse, in die je nach Bedarf so manches paßt – sportliche Leistungsentwicklung mit Perspektiven zur Spitzenleistung heute nicht mehr möglich sei.

Damit wird von vorneherein jede sportliche Leistungsentwicklung – auch die chemiefreie – verdächtigt und diffamiert. Genau das macht Jugendliche gegenüber Leistung schlechthin mißtrauisch.

Doping ist ein Thema in den Medien seit den Olympischen Spielen 1988 in Seoul, vor allem aber seit den Veröffentlichungen zum Staatsdoping der ehemaligen DDR drei Jahre später. Mit der Veröffentlichung von Stasi-Akten zum Doping aus der IM-Akte „Technik“ und der nahezu zeitgleichen Veröffent¬lichung von Namen betroffener Athletinnen und Athleten, die offensichtlich auf den Verkauf von Dokumenten des ehemaligen Stellvertretenden Leiters des Sportmedizinischen Dienstes der DDR, Dr. Manfred Höppner zurückgeht – er ist der IM „Technik“ – hat das Thema Doping eine neue Qualität: Im Raum steht Doping an Minderjährigen ohne Wissen der Jugendlichen und ihrer Eltern.

Wer in den Sendungen des Deutschen Sport Fernsehens (DSF) die Reaktion von Betroffenen miterlebt, die Anrufe von Angehörigen mitgehört hat, dem muß klar sein, daß hier die Sportgerichtsbarkeit bei weitem überfordert ist. Hier liegen kriminelle Tatbestände vor, die vor ordentlichen Gerichten verfolgt werden müssen, denn die Glaubwürdigkeit des Spitzensports und seiner Verantwortlichen ist fundamental erschüttert:

Führende Sportmediziner, die jahrzehntelang die beiden deutschen Olympiamannschaften betreut haben, stehen unter schwerem Verdacht.

Die Bundestagsabgeordnete Dr. Ruth Fuchs (PDS), zweimalige Olympiasiegerin im Speerwerfen (1972 und 1976) hat die Einnahme von Oral-Turinabol zugegeben, sie habe aber das Dopingmittel nicht genommen, um eine Leistung zur Wettkampfzeit zu manipulieren, sondern zur körperlichen Unterstützung in Trainingsphasen gleichsam wie Vitaminpräparate. (‚Leichtathletik‘, 15/94, S.22). Frau Dr. Fuchs ist heute als Mitglied des Sportausschusses des Deutschen Bundestages mitverantwortlich für deutsche Sportpolitik. Auch sie hat gewußt, daß die IAAF seit 1970 den Anabolika-Mißbrauch verboten hatte.

Der Deutsche Eishockey-Bund (seit dem 1.1.94) und der Deutsche Eissport-Verband ( seit dem 27.2.) sind wegen zu hoher Kosten aus dem Anti-Doping-System des DSB ausgetreten.

Der Deutsche Schwimmverband hat bis zum heutigen Tage größte Schwierigkeiten, die in seinem Bereich aufgetretenen Dopingfälle zu ahnden.

Die deutschen Spitzensportverbände haben bis heute keine vergleichbaren Verfahren bei der Verfolgung von Dopingfällen (z.B. Deutscher Leichtathletik-Verband, Deutscher Schwimmverband und Bundesverband Deutscher Gewichtheber).

Edwin Klein,
DER ANKLÄGER: Doping in der Bundesliga

„Schon nach zwei Monaten Recherche für sein Buch „Rote Karte für den DFB“ – Schwerpunkt Doping im bezahlten Fußball – mußte der 45jährige im Frühling 1991 erkennen, wie groß die Angst der Zeugen ist. Dort, wo Klein gestern ein Geständnis hört, herrscht wenig später Schweigen.
(…)
Unglaubliches erfährt Klein von Stefan Lottermann. Der 34jährige Präsident der Vereinigung der Vertragsfußballer, selbst knapp sechs Jahre als Profi in Frankfurt und Nürnberg aktiv, packt aus: Vier Stunden spricht er Klartext über die Machenschaften in der Liga. Kurz darauf jedoch verbietet Lottermann den Abdruck des Gespächs.“

Der Deutsche Fußballbund ist durch das neueste Werk des Romanautors und ehemaligen Hammerwerfers, Edwin Klein, mit seiner Dopingbekämpfung ins Gerede gekommen. Klagen wurden angekündigt, doch das Buch ist nach wie vor im Handel. Rote Karte für den DFB – Die Machenschaften im deutschen Profifußball

Dieser kursorische Überblick über Themen zur Doping-Problematik, die in der gesamten überregionalen deutschen Presse, darüber hinaus in Magazinen der Print- und der Funkmedien im letzten Vierteljahr ausgebreitet worden sind, prägen das Bild vom manipulierten Spitzensport, und sie belasten damit das Bild des Sports überhaupt. Der Vorbildcharakter des Spitzensportlers, die Faszination, die von seiner Leistung vor allem auf junge Menschen ausstrahlt, ist in größerer Gefahr als jemals zuvor. Spitzensport, der seinen Vorbildcharakter aufgibt, verliert sein Recht auf öffentliche Förderung. Show und kommerzielle Unterhaltung verdienen eine andere staatliche Würdigung als sie der Spitzensport bisher genoß.

In einer Zeit leerer Kassen, die das Bildungswesen für die kommende Generation verschlechtern wird, kann und darf es nicht sein, daß öffentliche Gelder in den Spitzensport fließen, um dort zuerst den Betrug zu finanzieren und anschließend für dessen Aufdeckung noch einmal zu bezahlen.

Sport und besonders der Leistungssport fasziniert auch heute noch die Jugend. Doch viele Jugendlichen glauben inzwischen nicht mehr, daß man sportliche Höchstleistungen allein durch eigene Anstrengungen vollbringen kann.