Doping: 1991/2007 Erklärungen der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft

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1991 / 2007 Erklärungen der Deutschen Gesellschaft für Sportwissenschaften zum Doping im (Hoch)Leistungssport

Im Jahr eins nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten sah sich die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaften dvs veranlasst eine Erklärung gegen Doping zu verabschieden. Immer deutlicher wurden die Dopingrealitäten der Vergangenheit in Ost und West und so manches deutete daraufhin, dass es einige Bestrebungen gab, nicht alles bekannt werden zu lassen und Konsequenzen zu verhindern.

Im September 1991 wurde folgende Erklärung auf dem 10. Sportwissenschaftlichen Hochschultag der dvs verabschiedet:

1991 die Oldenburger Erklärung zum Doping im Leistungssport

>>> Oldenburger Erklärung der dvs zum Doping im Hochleistungssport 1991

DER WORTLAUT:

Doping ist inhuman und untergräbt die Grundlagen des Wettkampfsports. Es muß deshalb mit allen Mitteln bekämpft bzw. verhindert werden. Dies ist nur möglich, wenn die Sportwissenschaft in Deutschland sich ihrer Verantwortung als Mitwisser und Mittäter bewußt wird. Die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft gibt auf dem Hochschultag in Oldenburg im September 1991 dazu folgende Erklärung ab:

1. Doping im Leistungssport ist heute kein Merkmal verschiedener politischer Systeme, auch wenn diese es jeweils unterschiedlich ermöglichen. Es ist

– zum einen sowohl Ausdruck eines individuellen Denkens, das sportlichen Erfolg um jeden Preis favorisiert,

– zum anderen Kennzeichen einer modernen Gesellschaft, in der Medienrelevanz, Professionalisierung und Kommerzialisierung ebenso wie politische Indoktrination eine lebensbestimmende Bedeutung haben.

2. Die Sportwissenschaft ist in doppelter Weise als Mitwisser und Mittäter in das Doping-Problem involviert:

– Zum einen schafft sie durch Forschung die Grundlagen für ein dopinggestütztes Training,

– zum anderen ist eine effektive dopinggestützte Trainingspraxis nur durch ihre Mithilfe möglich.

3. Aus dieser doppelten Mitwirkung ergibt sich auch eine doppelte Verantwortung:

– Zum einen sind Sportwissenschaftler verpflichtet, ihr direktes und indirektes Fachwissen über trainingsunterstützende Maßnahmen nicht als private Erkenntnis, sondern als ein öffentliches Gut anzusehen,

– zum anderen kann man von ihnen erwarten, daß sie ihr Wissen so einsetzen, daß kein anderer durch ihr Handeln Schaden nimmt.

4. Für den einzelnen Wissenschaftler bedeutet das zweierlei:

– Zum einen ist er aufgefordert, jede Art von Forschung zu unterlassen, die den Menschen nicht als Ziel ansieht, sondern als bloßes Mittel mißbraucht,

– zum anderen soll er sich überall dort einmischen, wo im Namen oder mit Hilfe der Sportwissenschaft die Unversehrtheit des Menschen aufs Spiel gesetzt wird oder ihre Mißachtung planvoll in Kauf genommen wird.

5. Für die dvs ergibt sich daraus, daß sie durch Personen, die ihr angehören und das Wissen, das diese verkörpern, zu einer scheinbar widersprüchlichen Intervention im modernen Sportbetrieb bereit sein muß:

– Zum einen ist es ihre Aufgabe, überall dort den Wettkampfsport zu reformieren, wo dies noch sinnvoll erscheint,

– zum anderen muß sie jedoch ebenfalls bereit sein, sich für die Preisgabe jenes Sportbetriebes einzusetzen, dessen Praxis zu inhumanen Trainingsformen führt bzw. längst geführt hat.

Für die sportwissenschaftliche Forschung an den Hochschulen ergeben sich daraus folgende Konsequenzen:

– Forschungsprojekte im Hochschulbereich, insbesondere Drittmittelprojekte, müssen ausnahmslos der universitären Selbstkontrolle unterstellt werden (d.h. sie sind antrags- und zustimmungspflichtig gegenüber universitären Selbstverwaltungsgremien),

– Forschungsverfahren und Forschungsergebnisse müssen offengelegt werden sowie deren mögliche Risiken für die hiervon Betroffenen unterliegen der Mitverantwortung der Forschenden (d.h. jede Forschung muß eine Folgenabschätzung ihrer Ergebnisse mit einschließen),

– Forscherkollegien sollten sich verpflichten, all jene zur Rechenschaft zu ziehen, die nachweislich dopinggestützte Trainingspraxen durch ihr Wissen möglich werden lassen (d.h. verantwortungsbewußte Wahrheitssuche muß wichtiger sein als standesgemäße Kollegialität).

Kritik

Die Erklärung hat bei einigen Medizinern Widerspruch hervorgerufen haben, einige sollen daraufhin die dvs verlassen haben. Z. B. kritisierte im Januar 1992 Prof. Dr. N. N., Deutsche Sportschule Köln, in einem Schreiben an den Vorsitzenden der dvs Dr. Karlheinz Scherler die Erklärung. Insbesondere Absatz 2 hatte sein Missfallen erregt, denn in diesem würde die Sportwissenschaft ‚pauschal und wohl auch opportunistisch der Mitwisserschaft und Mittäterschaft der Dopingproblematik bezichtigt‘.

„Aller Erfahrung nach heraus ist Doping bisher immer so gelaufen, daß von Seiten der Sportler mögliche dopingwirksame Medikamente einfach nach dem try and error-Prinzip ausprobiert wurden. Die Sportmedizin/Sportwissenschaft hat sich dann meist hinterher um die möglichen Wirkungen und auch Nebenwirkungen dieses Problems gekümmert. So war dies beispielsweise bei unserem heutigen Hauptdopingproblem, der Frage der Anabolika. … Auch bei den neuen Dopingverfahren, die uns drohen, ist dies so. Erythropetin ist beispielsweise ein Medikament, das speziell zur Behandlung von Blutarmut bei Nierenkrankheiten eingesetzt wird. Der Gedanke liegt für Sportler nahe, zu versuchen, sich ähnlich wie beim Höhentraining oder Blutdoping hier bessere Startchancen zu verschaffen. Auf diesen Gedanken werden sie keineswegs von Sportwissenschaftlern gebracht! Die Forschung ist, wie immer, wertneutral. Die Frage, was denn daraus gemacht wird, ist nicht den Forschern anzulasten.“

Die Feststellung, ein erfolgreiches Doping sei nur unter sportwissenschaftlicher Mithilfe möglich, sei absurd.

Auch Prof. Joseph Keul kritisierte im Dezember 1991 die der Erklärung zugrundeliegende Haltung der Vereinigung scharf und monierte, dass die Vereinigung sich erlaube, ‚der Sportmedizin Vorschriften für ihr ethisches Verhalten zu machen‘. Er fände es kränkend, wenn nicht gar beleidigend sich vorhalten lassen zu müssen, dass er sich nach dem Prinzip des ‚Nicht schaden‘ zu verhalten habe, wo dies doch ein Grundprinzip der ärztlichen Ethik sei. Seiner Ansicht sei es dreist, wenn ein Verband, der selbst über keine ethischen Grundlagen und keine Ethikkommission verfüge, Ärzten, die ganz anderen Zwängen der Ethik ausgesetzt seien, so etwas vorschreiben wolle.

Beide Mediziner hatten zudem große Vorbehalte gegenüber der Forderung wissenschaftliche Ergebnisse seien zu veröffentlichen.

2007 zweite Erklärung der dvs zum Doping im Leistungssport

Am 27. September 2007 verabschiedete die Hauptversammlung der dvs beim 18. Sportwissenschaftlichen Hochschultag in Hamburg die zweite Oldenburger Erklärung zum Doping im Leistungssport. Aktueller Anlass waren die Doping-Turbulenzen um die Freiburger Sportmedizin.

Das Problem des Dopings im Leistungssport ist in der jüngsten Zeit wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die neuerlichen Berichte über Leistungsmanipulationen im Radsport und die in diesem Zusammenhang geäußerten Vorwürfe gegen Wissenschaftler der Universität Freiburg zeigen erneut die Notwendigkeit einer deutlichen Positionierung der dvs gegen Doping im Sport. Dabei steht zwar der Leistungssport im Fokus, der Missbrauch von Dopingmitteln im Fitness- und Breitensport oder in der Jugendkultur wird aber ebenfalls als ein sehr ernstes und die Aufmerksamkeit der Sportwissenschaft forderndes Problem angesehen.“ (dvs)

dvs: Förderung eines humanen Spitzensports durch die Stärkung sportwissenschaftlicher Forschung

>>> dvs-Erklärung zum Doping im Leistungssport

ZITATE:

1. Verurteilung von Doping

Die dvs verurteilt Doping!

Doping ist ein Verstoß gegen die konstitutiven Prinzipien des Wettkampfsports: formale Gleichheit, offener Ausgang und Fairness. Die Regeln im Sport untersagen Doping aus guten Gründen:

• Der primäre Sinn der Anti-Doping-Regeln besteht darin abzusichern, dass die Resultate der Sportlerinnen und Sportler als persönlich erbrachte, auf der Basis von Veranlagung und Training erreichte Spitzenleistung gelten können. Auf dem Erhalt dieses Deutungsmusters sportlicher Leistungen basiert die positive Vorbildwirkung des Hochleistungssports auf alle Bereiche des Sports sowie der Gesellschaft, welche beispielsweise die staatliche Unterstützung legitimiert und das wirtschaftliche Interesse an Werbung und Sponsoring im Sport begründet. Mit dem Verlust dieses Deutungsmusters wäre das Abgleiten des Hochleistungssports in ein reines Medienspektakel eine nahe liegende Folge.

• Durch die Anti-Doping-Regeln wird die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler geschützt. Zusätzlich zur persönlichen Verantwortung der Aktiven für die eigene Gesundheit bilden die Anti-Doping-Regeln einen besonderen Schutz für die Sportlerinnen und Sportler, weil diese sich im Hochleistungssport in körperlichen und psychischen Grenzbereichen bewegen.

• Schließlich ist Doping schlicht Betrug. Abgesehen von der juristischen Problematik liegt sowohl Betrug gegenüber anderen, nicht dopenden Sportlerinnen und Sportlern als auch Selbstbetrug über die ethischen Grundlagen des eigenen frei gewählten Handelns vor.

4. Forderungen der dvs

Aus der Verurteilung von Doping, seiner offensichtlichen Verbreitung und in Anbetracht seiner komplexen Ursachen ergeben sich folgende Forderungen der dvs:

1. Kontrolle sichern und Prävention stärken
Es ist für einen humanen Leistungssport auf Dauer von existenzieller Bedeutung, dass auch in Zukunft eine hohe Kontrolldichte und abschreckende Sanktionen sichergestellt werden, um Dopingpraktiken einzudämmen. Die entsprechenden Organe der Dopinganalytik und -kontrolle sind dauerhaft in die Lage zu versetzen, diese Aufgabe wirksam zu erfüllen. Gleichzeitig sind verstärkt präventive Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Ohne eine effiziente und wissenschaftlich begleitete Dopingprävention wird es keine nachhaltige Lösung des Problems geben.

2. Forschungsschwerpunkt Doping
Es ist an der Zeit, die Kräfte der Sportwissenschaft zu bündeln und einen Forschungsschwerpunkt „Ursachen, Strukturen und Prävention von Doping“ einzurichten, in dem interdisziplinär das Phänomen in seiner Komplexität behandelt wird. Damit sind sowohl grundlagenwissenschaftliche Untersuchungen zu Ursachen und Bedingungen von Doping gemeint als auch die Entwicklung von modellhaften Interventionen und die wissenschaftliche Evaluation von Präventionsmaßnahmen. Von den Forschungsförderorganisationen wird erwartet, dass die umfassende gesellschaftspolitische Bedeutung des Themas auch über den Spitzensport hinaus erkannt wird.

3. Sanktionierung von Doping
Die dvs fordert die Gerichtsbarkeiten von Sport und Staat auf, Regelwerke und Gesetze konsequent anzuwenden und ggf. neu zu erstellen, um Doping wirksam verfolgen und verurteilen zu können.

4. Stärkung der sportwissenschaftlichen Grundlagen- und Anwendungsforschung
Eine wesentliche Ressource zur Förderung eines dopingfreien, humanen Spitzensports ist die Grundlagen- und Anwendungsforschung in der Sportwissenschaft mit allen ihren Teildisziplinen. Die Bandbreite der Forschung reicht von der Leistungsoptimierung bis hin zur kritischen Reflexion des Spitzensports. Diese gilt es an den Hochschulen und den weiteren Forschungseinrichtungen auszubauen und weiterzuentwickeln.

5. Forderungen der dvs an ihre Mitglieder

• Die dvs fordert von ihren Mitgliedern, sich ihrer besonderen Verantwortung im Zusammenhang der Dopingproblematik bewusst zu werden und entsprechend zu handeln. Vielfach beeinflussen die Mitglieder der dvs die Meinungsbildung von Athletinnen und Athleten, Trainerinnen und Trainern sowie von Verbänden, und können so Zusammenhänge und Zwänge aufdecken und ihnen offensiv entgegentreten.

• Mit den wissenschaftsethischen Grundsätzen der dvs ist es nicht vereinbar, dass Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler Athletinnen und Athleten direkt (z. B. durch aktives Handeln oder durch Beratung) oder indirekt (z. B. wenn im Rahmen von Forschungsprojekten gegen WADA-Bestimmungen oder gesetzliche Regeln zur Dopingbekämpfung verstoßen wird) Unterstützung für die Einnahme oder Anwendung von Dopingmitteln bzw. -praktiken geben.

• Der Vorstand der dvs verpflichtet sich, in allen Fällen, in denen ihm die aktive oder unterstützende Beteiligung eines dvs-Mitgliedes an einem Dopingfall bekannt wird, unter Beteiligung des Ethik-Rats der dvs ein Ausschlussverfahren aus der dvs in Gang zu setzen.