1989 Richter, Horst-Eberhard: Die Doping-Connection

Doping in der BRD 1980er Jahre

1989 Horst-Eberhard Richter: Die Doping-Connection

1989 veröffentlichte Horst-Eberhard Richter sein Buch „Die hohe Kunst der Korruption, Erkenntnisse eines Politik-Beraters“ (Verlag Hoffmann und Campe). Darin analysiert er die in unserer Gesellschaft tief verwurzelten und weit verbreiteten Beziehungs- und Einflussverflechtungen, die mit dem Begriff Korruption bestens beschrieben werden können. Zitat aus dem Klappentext:

In dieser Realsatire macht sich ein Politikberater zum engagierten Fürsprecher der Korruption. Nach Schilderung seines Werdegangs legt er systematisch dar, warum er Korruption für ein unentbehrliches Herrschaftsmittel der Führungsschicht hält. … Eingehend analysiert der Berater die Schwierigkeit der Herrschenden, das Volk eine aus Disziplingründen notwendige Moral zu lehren, ohne diese selbst zu befolgen. Sich häufende Unachtsamkeiten bei der Anwendung von Korruptionstechniken registriert er mit Bedauern, sieht die Folgen allerdings durch wachsende Skandalmüdigkeit der einfachen Bürger gemildert.“

Doping als Betrug ist eine dieser Korruptionsformen, denn Doping war und ist im System als unerlässlich angelegt und von den Herrschenden akzeptiert, im Fall des Dopings jedoch auch weitgehend vom Publikum.

ZITATE AUS RICHTERS ANALYSE:

Die Doping-Connection

Das Doping im Sport erscheint mir als der schönste aller Beweise dafür, daß die Stunde für die Enttabuisierung der Korruption geschlagen hat. … für die Beurteilung des Sportdoping ist jeder der Milliarde Fernsehzuschauer von Olympia und Weltmeisterschaften hinreichend kompetent. Denn alle spielen in diesem Betrugsspiel willig mit.

Seit den siebziger Jahren müßte jeder außer seinen Sportlieblingen gleichzeitig ihren Funktionären, Trainern und Ärzten den Daumen drücken, daß diese die besten Präparate verabreicht, aber auch für deren rechtzeitiges Absetzen zum Bestehen der Kontrollen gesorgt haben mögen. … nur Verdrängungskünstler können vergessen haben, daß Gewichtheber, Eishockeyspieler, Radrennfahrer, Leichtathleten, Schützen, Boxer, Schwimmer serienweise überführt wurden, daß Sprintern und Kraftsportlern plötzlich unnatürliche Muskelberge wuchsen, daß die DDR-Schwimmerinnen und später auch westliche Leichtathletinnen unerwartet reizvolle Bariton-Stimmlagen entwickelten. Schon 1976 verriet eine Nationalstaffel-Läuferin der Bundesrepublik, daß die besten westdeutschen Sprinterinnen gedopt gewesen seien. Im selben Jahr bezichtigte sich der ehemalige Hammerwurf-Weltrekordler Schmidt selbst. Der Deutsche Bundestag diskutierte das Thema (Dt. Bundestag 17.3.1977)

1978 hieß es unwidersprochen in einer Massenzeitung, der Trainer von Bayern München dope seine Spieler seit längerem mit dem Aufputschmittel Captagon. Franz Beckenbauer gestand : „Es wird gespritzt und geschluckt in der Bundesliga.“

In den letzten zehn Jahren überschlugen sich die Nachrichten positiver Befunde, Bezichtigungen und Selbstbezichtigungen. „Alles nicht wahr!“ logen zwar noch einzelne befragte Spitzensportler, bis sie ihre Karriere beendeten und ihre früheren Dementis dementierten. ….

Daß man bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 1983 in Helsinki und 1987 in Rom wenig Doping enthüllt hat, erklärt sich nach Aussage des Vizepräsidenten des Internationalen Olympischen Komitees ganz einfach. Man habe nicht mehr enthüllen wollen und deshalb nachgewiesen Substanzen nicht gesucht oder positive Befunde verschwiegen. Die gleichen Vorwürfe wurden nach der Olympiade von Seoul laut. … Bei zwanzig Athleten mit positiven Doping-Tests habe man die Disqualifikation unterlassen, gestand Dr. Park Joog Sei, Direktor des Testlaboratoriums in Seoul. Ähnlich wie Dr. Astaphan schätzte der Brite David Jenkins den Anteil der vor Seoul Gedopten auf 99,9 Prozent. Selbst der Chief Medical Officer des U.S. Olympic Commirtee nannte – laut New York Times – noch eine Zahl über 50 Prozent.

… Es muß immer noch schneller, höher und weiter gehen. … Ein paar Jahre ohne neue Weltrekorde – und die Kulturkrise wäre fertig. Also müssen wir die Zeit, bis wir gentechnisch Übersportler züchten können, notgedrungen mit Aufputschmitteln, Sexuai- und Wachstumshormonen überbrücken.

Daß eine königliche kanadische Kommission und die Weltöffentlichkeit über den Supersprinter Ben Johnson zu Gericht gesessen haben, ist, obwohl absolut irrational, vollständig richtig, Ohne das Prügelknabenopfer, das er stellvertretend für die Hunderte von Seoul-Siegern bringt, … wäre Olympia zu einem Flop geworden und der Glaube an die Vorwärtsentwicklung der Menschheit, symbolisiert durch ewig neue Rekordfluten, am Bröckeln. So garantiert der Doping-Sprinter für ein paar weitere Jahre die kollektive Verleugnung und die ungetrübte Identifizierung des Publikums mir seinen synthetischen Champions. …

Müßig danach zu fragen, wer beim Doping eigendlich der Betrüger und wer der Betrogene ist. Natürlich sind wir die Betrogenen, schreit es von denTribünen: BenJohnson hat uns gelinkt. Aber wer hat diesen angestiftet? Entscheidend beeinflußt hat ihn sein Trainer Charlie Francis, der einst als Nicht-Gedopter auf der Olympiade 1972 den gedopten Konkurrenten wütend hinterhergelaufen war. Hat dieser doch selber gestanden, Johnson seit 1981 mit Dianabol, später mit Stanozolol versorgt zu haben. Aber woher wußte denn „Charlie der Chemiker“ als Politologe und Versicherungsmakler von den Wunderwirkungen der Steroidpillen? Wie er sagt, von anderen Athleten, vor allem aber von Ärzten. Da war jener zwielichtige Arzt „Jamie“ Astaphan, der seit 1983 die kanadischen Sportler systemarisch betreute. Er lieferte Johnson die Pillenflaschen mit der Aufschrift: 28 Tage vor dem Wettkampf Einnahme stoppen! Jamie Astaphan verschrieb erst Dianabol zusammen mit dem Wachstumshormon HGH. Dann kaufte er 1981 große Mengen des anabolen Steroids Stanozolol von dem einzigen Produzenten dieses Präparats in Nordamerika; ein Repräsentant der Firma hat es bestätigt. Astaphan gelangte als Doping-Experte und Kenner von Verschleierungsdrogen (die den Nachweis verbotener Mittel verhindern) zu internationalem Ruf. Sportler aus zwölf Ländern, auch aus der Bundesrepublik, profitierten von seinem Rat bei der Einnahme anaboler Steroide.

… Wichtige Mitspieler sind nicht zuletzt die forschenden Sportmediziner, die sich hinter vorgehaltener Hand, mitunter sogar öffentlich, gegenseitig beschuldigen, die Wirkungen der Präparate zu testen, deren strenge Kontrolle und Verbote sie vor der Öffentlichkeit feierlich fordern.

Und die sportpolitischen Funktionäre? Titel, Medaillen und negarte Tests sind alles, was sie von ihren Mannschaften zum eigenen und zum nationalen Ruhm bisher verlangt haben, während sie – in vieles eingeweiht – als schauspielernde Unwissende Sonntagsreden über Sportgeist, Anstand und olympische Fairneß hielten.

So offenbart Doping eines der hübschesten Korruptionskartelle. Alles paßt wunderbar zusammen: das rekordvernarrte Publikum, das beide Augen zudrückt, die überehrgeizigen Trainer, die Drogenproduzenten und die Mediziner in bewährter Kumpanei, die dem Nationalstolz verpflichteten Verbandspräsidenten, die geschäftstüchtigen Sponsoren, nicht zuletzt die internationalen Veranstalter, die mit Bedacht unter der Decke halten, was den heiligen Nimbus ihrer Festivals zerstören könnte. Übrig bleibt – ganz unten – der von der Übermacht eingekreiste arme Hund Ben Johrson, von seinen Betreuern verführt, von Sponsoren bestochen, als Nationalheld verrückt gemacht – und nun angeblicher Betrüger aller Unschuldigen, Schandfleck Olympias, Verräter am heiligen Sportgeist, schuld an einer nationalen Katastrophe. Die Allianz der politischen, wirtschaftlichen und medizinischen Anstifter kommt – wie üblich – heil davon. Auch das scheinheilige Publikum, diesmal auf der Seite der Mächtigen mitagierend, wäscht seine Hände schamlos in Unschuld.

Zu einem vergleichbaren, nur etwas unscheinbareren Läuterungsritual hatte uns Deutschen ja bereits zuvor unser redseliger Meistertorwart Toni Schumacher verholfen. Zwar bot dieser nicht einmal einen positiven Dopingtest, aber durch eifrige Selbstbezichtigung machte er den Mangel einigermaßen wett. Zur Sicherheit schwärzte er gleich noch ein paar Fußballer-Kollegen und Ärzte mit an, und dies alles in einem Bestseller: Da war die Inszenierung der Prügelknaben-Orgie nur noch ein Kinderspiel. Unter der Fassade eines moralischen Tribunals konnte die Meute fröhlich den Triumph ihres Schweigetabus feiern.

So sorgen der Torwart und der Sprinter durch ihre Stellvertreter-Opfer in Wahrheit dafür, daß es mit dem Dopen munter weitergehen kann, trotz aller Schwüre von Politikern, Funktionären und Medizinern.

Monika 2015